Janosch Janglo, Neue Internationale 178, April 2013
Gegenwärtig ärgert den Verbraucher ein Lebensmittelskandal nach dem anderen. Ab und zu muss er dabei auch einen in der Lasagne versteckten Gaul essen. Die Lust am Essen kann einem bei Rindfleisch, das nach Pferd schmeckt, Bio-Eiern, die keine sind, oder Kühen, die verschimmeltes Futter fressen müssen, vergehen – um nur die letzten Skandale zu nennen.
Diese Skandale und der gleichzeitig steigende weltweite Hunger zeigen, was der Kapitalismus aus einem grundlegenden Bedürfnis der Menschheit gemacht hat: eine krankmachende Mogelpackung einerseits und ein unerschwingliches Mangelprodukt andererseits. Es zeigt auch in aller Deutlichkeit, dass der Kapitalismus zwar die technischen Voraussetzungen für die Ernährung der Weltbevölkerung geschaffen hat, aber absolut nicht in der Lage ist, unter den Bedingungen des Marktes diese auch vollständig und gesund zu ernähren.
„In diesen Agrarfabriken, die Nutztiere unter Bedingungen der industriellen Aufzucht zu reinen Fress- und Wachstumsmaschinen machen, werden seit Jahrzehnten Antibiotika als Wachstumsbeschleuniger regelrecht verfüttert.„Täglich sterben nach Schätzungen der Welthungerhilfe über 57.000 Menschen an Unterernährung. Insgesamt leiden 870 Millionen an Hunger, obwohl die weltweite Agrarwirtschaft nach dem heutigen Stand der Produktivkräfte problemlos zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte. In den fortschrittlichen kapitalistischen Ländern wandern weltweit rund 1,3 Milliarden Tonnen völlig genießbare Lebensmittel in den Müll, etwa weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, Lagerkapazitäten erschöpft sind oder Obst und Gemüse nicht den optischen Normen entspricht. Insgesamt ist das etwa ein Drittel der globalen Jahresproduktion. Farmer in den USA pflügen rund 20 Prozent der Melonenernte unter, weil die Früchte „Makel“ an der Oberfläche oder in der Form haben.
Dieser Überfluss ist Folge einer massiven Industrialisierung der Landwirtschaft v.a. nach dem 2. Weltkrieg verbunden mit einer Konzentration und Massenproduktion bei den Agrarproduzenten. Diese Entwicklung wurde nicht durch massives Sterben bäuerlicher Familienbetriebe teuer erkauft, sondern auch durch eine Lebensmittelproduktion, die inzwischen kaum noch ihrem Namen gerecht wird.
Der gnadenlose Konkurrenzdruck in den landwirtschaftlich hochindustrialisierten Ländern hat zu einer beispiellosen Massenproduktion geführt, deren Perversion bei der Tierhaltung am deutlichsten wird. Mittlerweile sind Mastbetriebe mit mehreren Tausend Tieren keine Seltenheit mehr. In diesen Agrarfabriken, die Nutztiere unter Bedingungen der industriellen Aufzucht zu reinen Fress- und Wachstumsmaschinen machen, werden seit Jahrzehnten Antibiotika als Wachstumsbeschleuniger regelrecht verfüttert. 2011 wurden in Deutschland rund 1.734 Tonnen Antibiotika in der Tiermast eingesetzt. Tiere, die zu Tausenden im Stall hocken, werden häufig krank – wenn sie krank sind, legen sie kein Gewicht zu. Auch als reine Mastbeschleuniger werden Antibiotika eingesetzt, damit die Tiere schneller das Schlachtgewicht erreichen.
Seit 2006 ist das in der EU eigentlich verboten, aber wie immer sucht sich das Kapital Hintertürchen, um das zu hintergehen. Laut Verordnung dürfen seither nur nach Krankheitsbefund Antibiotika eingesetzt werden, doch ein daran mitverdienender Tierarzt kann bei einem Hähnchenmastbestand von z.B. 40.000 Tieren einen solchen Befund zu jeder Zeit diagnostizieren, da unter solchen Bedingungen laufend Infektionen entstehen. Dann wird der gesamte Bestand behandelt. Folge ist eine immer stärker auftretende Resistenzbildung bei Bakterienstämmen, an denen inzwischen nach Angaben der WHO jedes Jahr in Europa ca. 25.000 Menschen an einer Infektion mit multiresistenten Bakterien sterben. Dabei sind die Gewinne der Mastbetreiber trotz immer kürzerer Aufzuchtzeiten und immer größeren Ställen sehr gering. Hähnchenmastbetreiber kassieren maximal 5 Cent pro Tier. Bei 40.000 Hähnchen sind das 2.000 Euro Gewinn bei einer Aufzuchtzeit von 5 Wochen.
Zugleich führt die massive Konkurrenz und Überproduktion in diesem Sektor dazu, dass der Unternehmer sein Heil nur in noch größeren Betrieben, noch intensiver betriebener Fleischproduktion mit all ihren oben beschriebenen Auswirkungen suchen muss.
„Über die Verschuldung erpressen Weltbank oder die Europäische Entwicklungsbank die ärmsten Länder, dass sie ihr Ackerland Hedgefonds und Investoren übereignen.“Damit der Markt nicht noch stärker durch Überproduktion unter Druck gerät, greift die EU mit Hilfe von Exportsubventionen den Betreibern von Mastanlagen unter die Arme, die somit in der Lage sind, billiges Fleisch auch in Länder der „Dritten Welt“ zu verkaufen. So schützen die Länder der Nordhalbkugel mit Subventionen die Konkurrenzfähigkeit heimischer Produzenten gegenüber den Landwirten der halbkolonialen Länder.
Deren Produktion ist extrem ungleich in ihrer eigenen Entwicklung. Einerseits finden wir für den internationale Markt produzierende Großbetriebe, welche die KleinproduzentInnen mit allen Mitteln verdrängen. Andererseits ist der Entwicklungsstand oft über eine vorkapitalistische Bewirtschaftungsweise nicht hinausgekommen. Schließlich finden wir unzählige Mischformen, wo Großgrundbesitz und Produktion für den kapitalistischen Markt einhergeht mit sklavenähnlichen oder halb-feudalen Formen der Ausbeutung von Bauern und LandarbeiterInnen.
44 Prozent des Gesamthaushalts der EU – rund 126,5 Milliarden Euro – wandern aus den Taschen der Steuerzahler zu den Landwirten. Angesichts des gerade einmal 0,8 Prozent-Anteils am BIP in Deutschland bei einem Anteil von 2,2% der Erwerbstätigen, sieht man deutlich, wie stark die Lobby der Landwirte in Deutschland und der EU ist, die solche Umverteilung auf Kosten der Lohnabhängigen möglich machen.
So hochsubventioniert kann man billig landwirtschaftliche Erzeugnisse je nach Saison um die Hälfte oder ein Drittel billiger als gleichwertige einheimische Erzeugnisse auf den Märkten der „Dritten Welt“ anbieten. Den einheimischen Kleinbauern bleibt so nicht die geringste Chance, auch nur das Existenzminimum für ihre Familien oder gar für Investitionen in die Modernisierung ihrer Produktion zu erwirtschaften.
Nicht nur, dass die Subsistenzbauern, die ihre Äcker zum Teil noch mit dem Hakenpflug beackern, keine Chance gegen die hoch mechanisierte profitorientierte Landwirtschaft der reichen Industriestaaten auf demselben kapitalistischen Markt haben, ihnen werden auch beständig die landwirtschaftlichen Flächen weggekauft. Längst sind Agrarflächen der halbkolonialen Länder seit Krisenbeginn als Anlageobjekte gefragt. Über die Verschuldung erpressen Weltbank oder die Europäische Entwicklungsbank die ärmsten Länder, dass sie ihr Ackerland Hedgefonds und Investoren übereignen.
Alleine in Afrika sind im vergangenen Jahr 41 Millionen Hektar überschrieben worden. Diese Investoren verfügen über genug Kapital, um auf dem erworbenen Land Produkte für den Export nach Europa oder Nordamerika anzubauen. Ein Großteil davon wird für Tierfutter und Bio-Treibstoffe produziert. So wandern mittlerweile nur 47 Prozent der weltweiten Erzeugung an Getreide in die Nahrungsmittelproduktion. Schon vor dem Ausbruch der Krise 2008 stiegen Hedgefonds und Großbanken an den Rohstoffbörsen ein, v.a. bei Agrarprodukten. Das blieb nicht ohne Folgen für die Nahrungsmittelpreise. Allein in den vergangenen zwölf Monaten ist der Preis für Mais auf dem Weltmarkt um 63 Prozent gestiegen, der Preis für philippinischen Reis hat sich gar verzehnfacht.
Die kapitalistische Landwirtschaft hat die Natur zum bloßen Mittel für Ausbeutung und Gewinnmaximierung degradiert und damit einen permanenten Feldzug gegen das materielle Fundament der Reproduktion der Gesellschaft gestartet. Die Aneignung der Natur zugunsten der Profite Weniger kann auch nicht dadurch verhindert werden, wenn, wie einige Linke oder Alternative, der Abbau der Handelsschranken und Subventionen zugunsten vermehrter Nahrungsmittelimporte aus der „Dritten Welt“ oder die Ökologisierung der Landwirtschaft unter kapitalistischen Bedingungen gefordert wird.
Diese Forderungen stellen nicht den Kapitalismus als System infrage, sondern implizieren, dass afrikanische und asiatische Landwirte sowie Ökobauern die besseren Kapitalisten wären. „Wachse oder weiche“ – das ist der Leitspruch auch der Landwirtschaft im Kapitalismus. D.h. auch ein Öko-Bauer oder Kleinlandwirt steht unter diesem Existenzdruck. Aufgrund ihrer größeren Kapitalmasse können die kapitalistischen Agrar-Konzerne jedoch fast immer rationeller produzieren und kleinere Produzenten verdrängen.
Die Vernichtung von Millionen Tonnen an Lebensmitteln zeigt, dass der Kapitalismus gar nicht die Produktion von noch mehr Lebensmitteln braucht. Ein Mangel besteht eher an Kaufkraft, der Hunderte von Millionen Menschen trotz voller Lebensmittelregale verhungern lässt.
Ein erster Schritt zur Befreiung der Kleinbauern wäre die konsequente entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer, der Hedgefonds und Agrarkonzerne. Das bedeutet, je nach sozialer Struktur, die Übergabe des Landes an die Bauern und Ermutigung zur Bildung von genossenschaftlichen Formen oder, wo die am Land Arbeitenden LohnarbeiterInnen sind, Enteignung und Fortführung der Produktion unter Kontrolle der ArbeiterInnen.
Zugleich muss sich die Arbeiterklasse daran machen, die Versorgung mit Lebensmitteln weltweit zu planen. Um die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern und gleichzeitig ökologische Schäden weitestgehend zu vermeiden, müssen auch die Agrar- und Chemiekonzerne enteignet werden. Dazu muss außerdem die Forschung im Bereich Düngemittel- und Gentechnologie unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Ihre Ergebnisse dürfen nicht ohne ausgiebige Überprüfungen angewendet werden.
Ein weiterer nötiger Schritt ist die Abschaffung von IWF und Weltbank, die Instrumente der imperialistischen Staaten zur Unterdrückung und Ausbeutung der Länder der halbkolonialen Länder sind.
Ein solches Programm kann letztlich nur von Arbeiter- und Bauernregierungen durchgesetzt werden, die sich auf Räteorgane und die Bewaffnung der Massen stützen. Solche Regierungen müssen neben den obigen Forderungen auch die Streichung der Schulden und ein Außenhandelsmonopol durchsetzen sowie einen demokratischen Plan zur Steigerung bzw. Umstrukturierung der Agrarproduktion und der Verbesserung der Infrastruktur.
Bild: http://www.flickr.com/photos/cosmok/ (CC BY-ND 2.0)