Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 296, November 2025
Mein Vater war ein Problem im Stadtbild. Meine Freund:innen sind ein Problem im Stadtbild. Ich bin ein Problem im Stadtbild. Es ist kein Schock. Kein neues Wissen. Wenn du dein ganzes Leben lang gefragt wirst, woher du wirklich kommst, dann weißt du, dass du nicht dazugehörst. Das, was Merz‘ Aussage so perfide macht, ist einfach: Sie ist unverhohlen ehrlich und bekommt dadurch Gewicht, dass sie über die Lippen eines Kanzlers kommt. Es zeigt, wie weit der Rechtsruck sich vollzogen hat.
Das, was einem schwer im Magen liegt, ist die Entmenschlichung, die mit der Aussage einhergeht. Ihr seid keine Menschen, nur Zahlen und Probleme. Und die Gewissheit, dass man sich der Zuordnung nicht entziehen kann. Andererseits ist die Aussage bewusst vage gehalten. Woran erkennt man Probleme? Das wird nicht expliziert. Der Subtext ist klar: Es ist deine Hautfarbe. Dass du ein Problem bist, wird in deine Haut eingeschrieben. Und das kannst du nicht ändern, egal wie viel und gut du versprichst, zu arbeiten.
Damit bringt die Aussage etwas zurück, was lange im Hintergrund gelebt hat: den deutschen Blut-und-Boden-Rassismus. Es ist nur passend, dass sich der Kanzler für die Aussage in eine bewusste Nähe zu Goebbels gestellt hat.
Friedrich Merz’ Aussage war kalkuliert. Die Rhetorik ist nicht neu. Schon hin zur Bundestagswahl war auf den Social-Media-Seiten team.merz genau diese Linie sichtbar: offener Sozialchauvinismus, plumper Rassismus, Hetze gegen die, die ohnehin am wenigsten haben. Es ist nur ein Beispiel, wie man in der NPD-Rhetorik-Kiste aus den 90ern herumkramt, wenn Weiße-Wand-Gesicht von Amthor (Philipp Amthor, CDU) auf dem Bildschirm flackert und in süffisant-selbstgerechter Weise grinsend Aussagen tätigt wie „Mit Lamborghini zum Sozialamt?“.
Sein Projekt ist klar: zurück zu einer CDU, die sich offen als Partei der Besitzenden und „Leistungsträger:innen“ versteht – weg vom weichgespülten Merkel-Kurs, hin zu einer Partei, die wieder stolz auf ihre Reaktion ist. „Zurück zu den Wurzeln“, heißt das dann. Die Hoffnung: Die alte Parole „Rechts von uns ist nur die Wand“ soll wieder Realität werden. Doch das funktioniert nicht. Es sind nicht die 90er, und die gesellschaftliche Stimmung hat sich längst verschoben. Die AfD ist das rassistische Original, und die Leute wissen das. Die CDU kann sich noch so sehr anstrengen, sie wird immer nur die Kopie bleiben. Während Merz beteuert, die „Brandmauer“ nicht einreißen zu wollen, gräbt er längst an ihrem Fundament.
Ich könnte jetzt aufzählen, was die wirklichen Probleme sind: überteuerte Mieten, unterfinanzierte Freizeitangebote – all jene Sachen, die oftmals in überwiegend migrantisch geprägten Vierteln passieren. Aber was bringt das schon?
Schließlich kennen wir das Prinzip. Erst spalten, dann streichen – Rassismus nützt den Reichen.
Und wie weit der Rechtsruck in der Gesellschaft vollzogen worden ist, wird spürbar an der Tatsache, dass Abschiebungen um bis zu 60 % (!) gesteigert wurden, was selten kritisiert wird. Oder dass etliche in den Kommentarspalten bürgerlicher Medien beteuern, dass Merz‘ Aussage gar nicht rassistisch war. Nur eine reale Tatsachenbeschreibung.
Für die CDU macht das Sinn. Die Union und Merz haben es schließlich nicht leicht, sie werden getrieben: vom Erfolg der AfD, vom Druck, die eigenen Reihen zusammenzuhalten, aber auch vom internationalen Geschehen, was einen härteren Kurs des deutschen Imperialismus selbst erfordert. Das Resultat: Nichtt über den Reformherbst zu reden, über anstehende Kürzungen, darüber, dass die Bürgergeldhetze nicht wie gedacht Milliarden einfährt (Überraschung, nicht?)
Am Sonntag demonstrierten dann auch 5.000 Leute vor dem Brandenburger Tor. Die Initiative gut, der Inhalt (nicht überraschend) schlecht. Genau wie bei den Brandmauer-Protesten skandierte man nun in abgewandelter Parole „Wir sind das Stadtbild“. Selbstkritik? Fehlanzeige. Die sollten sich mal fragen, warum alle Bilder von den Protesten so aussehen wie das Stadtbild, das sich Merz eigentlich wünscht. Vielleicht hat es was damit zu tun, dass man bei den letzten Protesten palästinasolidarische Aktivist:innen bespuckt und in der Demo angefeindet hat. Vielleicht auch damit, dass man eine klare Position gegen alle Abschiebungen nicht in den Vordergrund stellen möchte. Vielleicht fasst es der Tweet der Grünen-Abgeordneten Göring-Eckardt am besten zusammen, die sich nicht zu schade war, sich mit einem Döner in der Hand ablichten zu lassen und zu beteuern, dass der für sie „zum Stadtbild gehört“. Das zeigt die andere Seite des bürgerlichen Antirassismus, der am Ende gar nicht so weit von Merz entfernt ist: Ali, der meinen Döner macht, der darf bleiben. Aber der Rest sollte dann doch bitte wieder zurück.
„Wir sind mehr“ – das war vielleicht mal ein Moment, aber keiner, der je wirklich getragen hat. Schon seit der sogenannten „Remigrationsdebatte“ müsste klar sein, dass wir nicht mehr sind. Seit wir politisch aktiv sind, ist die AfD auf dem Vormarsch, es sind unzählige Verschärfungen für Geflüchtete durchgegangen, und die rassistische Gewalt ist explodiert. Schaut man sich die Wahlergebnisse an, dann zeigen sie: Der Großteil der Gesellschaft hat kein Problem damit, Rassismus zu wählen. Und ich finde es – gerade von der deutschen Linken – so verachtenswert, noch immer solche Slogans unter dem Sofa hervorzukramen, anstatt endlich ernsthaft die eigenen Verfehlungen des letzten Jahrzehnts zu reflektieren. Für mich ist das einfach nicht ernst zu nehmen, eher Wunschdenken und Realitätsverweigerung – genau das, was verhindert, dass sich politisch wirklich etwas ändert. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, liegt die AfD bei 36 Prozent. Natürlich Ostdeutschland. Bis 2014 hatte dort immer die SPD gewonnen. Anderes Beispiel: Umfragen bestätigen, was Merz gesagt hat. Wir sind nicht mehr – und wer das immer noch nicht begreift, hält an einer Illusion fest, die längst in sich zusammengefallen ist.
Warum die harten Worte? Nach Hanau, nach Menschenjagden in Chemnitz, nach unzähligen Brandanschlägen auf Restaurants muss es endlich mal verstanden werden – denn es sind letzten Endes Menschen, die mit ihrer Existenz, mit ihrem Leben damit bezahlen müssen.
Natürlich ist es nicht nur eine Frage des Verstehens, sondern der Klasseninteressen, die auch antirassistische Gegenproteste prägen – aber es ist an der Stelle auch nicht so, dass die deutsche radikale Linke in den letzten 10 Jahren viel Selbstkritik an ihrem strukturellen Versagen in puncto Antirassismus bilanziert hätte. Und das verhindert, dass wir mehr werden.
Abstrakte Forderungen nach „Toleranz“, „Vielfalt“ und „Demokratie“ überzeugen immer weniger. Deswegen wird auch ungern die notwendige Forderung nach Selbstverteidigungskomitees gegen rassistische Übergriffe aufgeworfen. Wenn tatsächlich Interesse besteht, eine Bewegung aufzubauen, die sich ausweitet und wieder Menschen überzeugt, braucht es ein klares, soziales Programm, welches sich aktiv gegen die Politik von Merz und Co. stellt, gegen die kommenden Kürzungen und Angriffe auf soziale Errungenschaften – und das aktiv mit der Frage des Antirassismus verbindet. Das heißt beispielsweise:
Natürlich ist das nur eine Blaupause. Aber die bereits getätigte Spaltung wird sich nur rückgängig machen, wenn wir gemeinsam für konkrete Verbesserungen kämpfen und dies so tun, dass an Schulen, Unis und Betrieben diskutiert wird. So dass sich Vorurteile zurückbilden können. So dass sich die Rassist:innen dem nicht entziehen können. So dass Merz im Kanzlerstuhl zittert – und alle merken, dass die Politik, für die er steht, das eigentliche Problem ist.