Martin Suchanek, Neue Internationale 294, September 2025
Was tun gegen die zunehmenden rechten Angriffe? Eine Antwort darauf ist die Schaffung eines organisierten Selbstschutzes. Dieser bildet einen, in letzter Instanz untergeordneten, Aspekt einer Gesamtstrategie – aber er ist zugleich ein unverzichtbares Element ebendieser Konzeption. Wir werden uns in diesem Beitrag zuerst mit Einwänden beschäftigen, die von Menschen erhoben wurden, die Faschismus und Rassismus entgegentreten wollen, und danach unsere Vorstellung organisierter Selbstverteidigung darlegen.
Angesichts der brutalen Aggression der Rechten befürchten viele, dass organisierte Gegenwehr der Linken die Gewalt reproduzieren würde. Würde mit gleicher Münze zurückgezahlt, könnten die berechtigten Anliegen antifaschistischer und antirassistischer Kräfte durch ihre gewaltsame Praxis in den Hintergrund treten, sodass Vernunft, Argument und Verständigung durch das „Recht der/s Stärkeren“ ersetzt würden.
Wir bestreiten nicht, dass diese Gefahr besteht. Jede Aktionsform kann sich unter bestimmten Bedingungen verselbstständigen und ins Gegenteil verkehren. Auch in der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung und von Befreiungsbewegungen gab es solche Fälle. Bestimmte Strategien wie Guerillaismus oder verselbstständigte Aktionen „militanter“ Kleingruppen, die niemandem rechenschaftspflichtig sind, tragen inhärent einen elitären und antiproletarischen Charakter, weil sie der realen Kontrolle der Arbeiter:innenklasse entzogen sind.
Das Problem der prinzipiellen Ablehnung der Gewalt der Unterdrückten – aktuell der von Rassismus und Faschismus Bedrohten – besteht aber darin, dass aus einer möglichen Entwicklung eine Gesetzmäßigkeit konstruiert wird. Die Frage, wer wo unter welchen Bedingungen Gewalt anwendet, wie Selbstverteidigungseinheiten, Milizen, bewaffnete Verbände einer unterdrückten Klasse oder Bevölkerungsgruppe mit deren politischen, gewerkschaftlichen, sozialen Strukturen verbunden sind – all das wird unerheblich, wenn Gewalt per se als die Ursache allen Übels betrachtet wird. Die These, dass „Gewalt nur Gewalt erzeuge“, erscheint nur im ersten Moment plausibel.
Sie unterstellt, dass Gewalt von einzelnen Individuen erzeugt und durch „bessere Erziehung“ oder Aufklärung beendet werden könne. Strukturelle Gewalt, die in gesellschaftlichen Verhältnissen eingeschrieben ist, gerät dadurch aus dem Blick. Unsere kapitalistische Gesellschaft beruht auf der Ausbeutung der Lohnarbeiter:innen. Zur Verteidigung und Durchsetzung dieses Verhältnisses braucht es wie bei jeder Form gesellschaftlicher Unterdrückung (z. B. von Frauen, LGBTIA+-Menschen, Jugend, nationaler oder rassistischer Unterdrückung) Gewalt, die sich auch in „privaten“ Diskriminierungen oder physischer Gewalt äußert, vor allem aber in Staats- und Repressionsapparaten institutionalisiert ist.
Nicht die Gewalt schafft Ausbeutung und Unterdrückung, sondern umgekehrt: Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse erfordern zu ihrer Reproduktion und Verteidigung auch Gewalt. Historisch geht die Entstehung der Klassengesellschaft und Frauenunterdrückung mit der Bildung des Staates einher; die Wandlung der Staatsform spiegelt grundlegende Veränderungen der Klassenverhältnisse wider.
Da Herrschende in der Geschichte nie freiwillig ihre ökonomisch, gesellschaftlich und politisch privilegierte Stellung aufgaben, müssen Ausgebeutete und Unterdrückte im Kampf gegen sie das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen. Sie müssen eigene Selbstverteidigungsformen und vom Staat unabhängige Organisationen schaffen, die in Krisensituationen zu Instrumenten für den revolutionären Sturz und die Errichtung der Macht der vormals Ausgebeuteten werden. Andernfalls sind sie bis ans Ende der Geschichte Unterdrückte, Lohnsklav:innen. Pazifismus und die Doktrin des allseitigen „Gewaltverzichts“ erweisen sich angesichts der Gewalt der Verhältnisse als leere Floskel. Entweder werden sie verworfen oder sie führen dazu, dass die Gewalt der Unterdrückten mit jener der Unterdrücker:innen gleichgesetzt wird.
Da die Gewaltmittel der Gesellschaft im Kapitalismus im bürgerlichen Staat (Polizei, Militär, Geheimdienste, Justiz, Gefängnisse …) monopolisiert sind, erscheint Selbstverteidigung oder Aufstand der Unterdrückten in der bürgerlichen Ideologie als zusätzliche Gewalt, nicht als Mittel, die Gewalt der Unterdrücker:innen zu begrenzen.
Das staatliche Gewaltmonopol wird als „natürlich“ und „zivilisierend“ verklärt und ideologisch als scheinbar über den Konflikten stehende, „neutrale“ Kraft gerechtfertigt. Pazifist:innen, Liberale, Reformist:innen und „Gewaltgegner:innen“ neigen dazu, dies für das geringere Übel zu halten. Sie sehen die Konzentration der Gewaltmittel nicht als Herrschaftsmittel einer Minderheit über die Mehrheit, sondern als Instrument zur „Befriedung“ der Gesellschaft.
Dieser Schein wird durch das für den Kapitalismus grundlegende Auseinanderfallen von Politik und Ökonomie, von Staat und bürgerlicher Gesellschaft zusätzlich befestigt. Das Ausbeutungsverhältnis erscheint notwendigerweise als Vertragsverhältnis freier Warenbesitzer:innen, von Käufer:innen und Verkäufer:innen von Arbeitskraft. Die Menschen treten einander nicht nur auf dem Arbeitsmarkt als formal Gleiche gegenüber, sondern auch als gleiche Rechtspersonen, als Bürger:innen im öffentlichen Leben. Vor dem Gesetz erscheinen Arbeiter:innen und Kapitalist:innen als gleich. Der Staat, der auch die allgemeine Reproduktion dieses Rechtsverhältnisses sichern muss, scheint also über den Klassen zu stehen.
Wenn in der bürgerlichen Ideologie – und somit auch in ihren pazifistischen und reformistischen Spielarten – der Klassencharakter des Staats verschwindet, so beruht dies nicht auf einer bewussten Täuschung, sondern dieser Schein wird durch die kapitalistischen Verhältnisse selbst hervorgebracht. Auf diesem falschen Staatsverständnis beruht die Position vieler Pazifist:innen und Reformist:innen, dass der Aufbau von Selbstverteidigungsorganen der Arbeiter:innenklasse, Migrant:innen und Geflüchteten selbst im Kampf gegen Nazis abzulehnen sei. Ihrer Logik zufolge würden durch Selbstschutzeinheiten noch mehr Menschen „militarisiert“, wodurch Gewalt nur zunehme. Sie rufen daher nach dem Staat im Kampf gegen Nazis, fordern die Festigung des staatlichen Gewaltmonopols und die Verpflichtung der Sicherheitskräfte auf die „Demokratie“. Nur so könne verhindert werden, dass weitere Menschen versuchen, Ordnung oder eigene Interessen selbst mit Gewalt durchzusetzen. Da die Gesellschaft nicht friedlich sein könne, müsse Gewalt auf den Staatsapparat beschränkt bleiben.
In Wirklichkeit ist das staatliche Gewaltmonopol – nicht nur Polizei und Repressionsorgane, sondern auch Gerichte – eine Fessel für Linke und die Arbeiter:innenbewegung. Jeder Streik, der über ritualisierte Formen hinausgeht, stellt die Frage der Verteidigung gegen Streikbruch. Gegen Streikbrecher:innen, die sich nicht überzeugen lassen, bedarf es des Zwangs: Sie müssen an der Arbeit gehindert werden. Die Verteidigung eines Arbeitskampfes gegen Streikbruch, Werkschutz oder Polizei erfordert Streikposten, also „Selbstschutz“. Ab einer bestimmten Eskalationsstufe – etwa bei Drohungen durch Faschist:innen gegen Streiks oder Besetzungen – stellt sich auch die Frage der Bewaffnung solcher Streikposten, die sich so zu einer Arbeiter:innenmiliz entwickeln können.
Wenn Lohnabhängige nicht in der Lage sind, auf drohende Gewalt von Rechten oder Staat adäquat zu reagieren, sind sie zum Rückzug gezwungen. So geschehen bei großen Streiks und Besetzungen der Raffinerien unter Sarkozy in Frankreich: Der Präsident drohte mit Ausnahmezustand und Militär, die Gewerkschaftsführung und die Klasse waren unvorbereitet und brachen die Aktionen ab. Hätte die Klasse den Konflikt weiter zugespitzt, den Generalstreik aufgenommen und Selbstverteidigungsmilizen gebildet und Soldat:innen zur Neutralität agitiert, wäre dies eine revolutionäre Zuspitzung gewesen, die die Gewerkschaftsbürokratie vermeiden wollte. Die Klasse selbst hatte keine alternative politische Kraft hervorgebracht, die in dieser kritischen Lage die bestehende Führung hätte ersetzen können, da sie selbst auf die Konfrontation nicht vorbereitet wurde – und zwar auch nicht von den linken Kritiker:innen der Bürokratie.
In der bürgerlichen Gesellschaft entscheidet, wie Marx im Kapital bei der Analyse des Kampfes um den Arbeitslohn herausarbeitet, zwischen widerstreitenden Rechtsansprüchen letztlich die Gewalt. So war es auch in Frankreich. Wer daher „prinzipiellen“ Gewaltverzicht predigt, der schlägt der ausgebeuteten Klasse letztlich den Verzicht auf die Verteidigung ihrer Interessen bei allen wichtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vor. Im Kampf gegen den Faschismus ist dies jedoch besonders fatal.
Der Faschismus und die gewalttätigen Rassist:innen, die Migrant:innen und linke Strukturen angreifen, verfolgen mit ihrer Gewalttätigkeit einen politischen Zweck. Sie wollen die Organisationen ihrer Feind:innen vernichten – und sie werden sich nicht durch deren „Gewaltverzicht“ abhalten lassen. Der Faschismus organisiert für seine Ziele nicht nur besonders brutale, barbarische Menschen. Er präsentiert sich als besonders „radikal“, um dem Kleinbürger:innentum, Lumpenproletariat und politisch rückständigen Teilen der Arbeiter:innenklasse das Gefühl der Stärke zu vermitteln. So treiben Nazis Menschen durch die Straße und terrorisieren sie, auch um ihre Anhänger:innen an sich zu binden. Die Verletzung, ja Tötung der/s Feind:in wird zum Beleg der Überlegenheit in den Augen ihres Umfeldes, des Milieus, das der Faschismus ultrareaktionär organisiert.
Daher müssen wir Nazis und ihrem organisierten Umfeld auch anders begegnen als „normalen“ reaktionären Kräften. Das grundlegende Ziel des Faschismus ist die Zerschlagung der Arbeiter:innenbewegung, die Ausschaltung aller Elemente der proletarischen Demokratie und die Reorganisation der Gesellschaft nach dem Modell der „Volksgemeinschaft“. Die faschistische Diktatur, ist sie einmal verwirklicht, entpuppt sich zwar von Beginn an nicht als Herrschaft des zum Volk stilisierten Kleinbürger:innentums, sondern als jene des Finanzkapitals – aber sie ist zugleich eine Herrschaft, die durch den erfolgreichen Terror gegen die Arbeiter:innenklasse, Migrant:innen, Jüd:innen, ja selbst bürgerlich-demokratische Kräfte errichtet wurde.
Bis zu einem gewissen Grad durchbricht auch die reaktionäre Gewalt des Faschismus und militanter Rassist:innen das staatliche Gewaltmonopol. Daher brechen Konflikte über den Umgang mit dem Faschismus oder mit rechtspopulistischen Gruppierungen wie der AfD sowohl unter den bürgerlichen Parteien als auch in der herrschenden Klasse selbst aus. Ein Teil möchte auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen – also einer kapitalistischen Krise und verschärfter Konkurrenz – an den etablierten Formen der Herrschaftsausübung (parlamentarische Demokratie, Sozialpartnerschaft) festhalten, da diese über Jahre die Arbeiter:innenklasse integrierten, sozialen Frieden wahrten, Profite und imperialistische Interessen sicherten.
Doch die Krisenhaftigkeit des Systems stellt auch diese „traditionelle“ Form der Herrschaft in Frage. Schon der Neoliberalismus hat sie über Jahre unterminiert. Ab einem bestimmten Punkt sehen sich auch größere Teile der herrschenden Klasse gezwungen, die gesellschaftliche und politische Ordnung neu zu organisieren. Dies nimmt aktuell die Form einer scheinbar außerhalb der bürgerlichen „Elite“ stehenden kleinbürgerlich-populistischen Bewegung und faschistischer Kräfte an. Diese sind keineswegs bloß gedungene Lakai:innen des Großkapitals. Bis zu einem gewissen Grad braucht der Populismus wie auch der Faschismus einen Bewegungscharakter, der sich nationalistisch, rassistisch oder völkisch gegen Migrant:innen, „Gutmenschen“ aus reformistischer Arbeiter:innenschaft, Liberale und Grüne wie auch gegen die „Elite“ richtet. Während es dem Rechtspopulismus um eine Verschiebung und einen Umbau der Institutionen Richtung Autoritarismus und Bonapartismus geht, will der Faschismus die Arbeiter:innenbewegung zerschlagen.
Es ist kein Zufall, dass Rassismus, Antiliberalismus und Antisemitismus immer wiederkehrende Ideologien dieser Bewegungen sind. Im Unterschied zu den Rechtspopulist:innen geht es dem Faschismus nicht nur um eine Protestbewegung von „Empörten“, sondern um die Schaffung einer militanten Bewegung zur Zerschlagung der Organisationen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten. Gerade der gewalttätige „Bewegungscharakter“ kann sich in Krisen auch für die herrschende Klasse als nützlich erweisen. Der faschistische Mob, zusammengeschweißte Nazis als Rammbock gegen die Arbeiter:innenbewegung, stammt aus denselben Wohngebieten, wo auch Arbeiter:innen, Linke und Migrant:innen leben. Sie sind – anders als Polizei und Justiz – „normale Bürger:innen“. Sie arbeiten, betreiben Geschäfte – und errichten Vorherrschaft durch Terror und Organisation „von unten“ (auch wenn sie, zur Macht gekommen, dem Monopolkapital dienen). Daher erweist sich der Faschismus an der Macht als weitaus tiefere Diktatur als andere Formen.
Eine solche totalitäre Form bürgerlicher Herrschaft lässt sich ohne Gewalt und Terror nicht errichten. Der Faschismus zeigt zugleich schlagkräftiger als alles andere, wie wenig hilfreich der Satz ist, Gewalt erzeuge nur Gegengewalt. Verzichten wir auf jede Gewalt gegen den Faschismus, passiert nicht weniger, sondern mehr Gewalt: die der Faschist:innen würde uns ungebremst die Knochen brechen. Es bleiben also zwei Möglichkeiten: Wir nehmen Gewalt hin – oder appellieren an den bürgerlichen Staat. Dumm nur, dass dieser selbst in Krisen mehr und mehr zu autoritären Formen greift und so Faschismus, Rassismus und Rechtspopulismus den Nährboden liefert.
Verzichten die Linken und die Arbeiter:innenbewegung im Kampf gegen Nazis auf organisierte Selbstverteidigung, bedeutet das, dass sie entweder alle zu hoffnungsfrohen Christ:innen mutieren müssten, die der/m Feind:in nach dem Schlag auf die linke Wange auch die rechte hinhalten – oder sie setzen auf Polizei, Geheimdienste, Parlamente und Regierungen im Kampf gegen rechts. Das hieße aber, sie müssten für die Stärkung jenes repressiven Apparates eintreten, der für die Interessen des deutschen Imperialismus aufrüstet, das Mittelmeer zum Massengrab macht und Geflüchtete in Länder wie Afghanistan abschiebt. Sie würden damit der Bourgeoisie Waffen schmieden helfen, die gegen Streiks, antirassistische Aktionen, Besetzungen wie im Hambacher Forst und linke Demonstrationen eingesetzt werden.
Der Appell an den bürgerlichen Staat erweist sich daher als doppelt falsch. Erstens unterstellt er diesem wider aller Erfahrung, ein verlässlicher Verbündeter gegen rechts sein zu können. Dabei wird ausgeblendet, dass die herrschende Klasse in Krisen auf den Faschismus zurückgreift, ihn als letztes Mittel zur Herrschaftssicherung nutzt und deshalb stets in Reserve halten kann.
Zweitens bedeutet das falsche Vertrauen in den bürgerlichen Staat, dass sich die Linke und die Arbeiter:innenbewegung in gesellschaftliche Ohnmacht begeben. Während Rechte trotz teils härterer, zumeist verhaltener Repression ihre Bewegung aufbauen, ihre Anhänger:innen im Straßenkampf und in reaktionärer Mobilisierung schulen und so deren Moral stärken, überlässt die Linke dem Staat das Handeln. Sie verzichtet auf eigene Strukturen, kann Kampfmoral und Selbstbewusstsein ihrer Unterstützer:innen nicht heben und verstärkt so Passivität, Niedergeschlagenheit und Fatalismus der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten. Diese werden zu Objekten, die sich entweder von Faschos drangsalieren lassen oder auf rassistische, oft mit Rechten sympathisierende Bullen hoffen müssen. Wer auf den Staat bei der Verteidigung gegen faschistische Gewalt vertraut, überlässt diesem das Heft des Handelns und macht sich abhängig von der „Initiative“ der Herrschenden.
Der Verzicht auf Strukturen gegen faschistische und rassistische Gewalt ermutigt diese nur. Er konzentriert Gewalt auf der Seite von Barbarei und Unterdrückung, während Gegenkräfte ohnmächtig werden. Während rechts eine militante Naziszene und ein wachsendes rechtspopulistisches Milieu entstehen, verharrt die Arbeiter:innenbewegung in politischer Konfusion.
Das ist selbst ein Resultat der Einbindung in Staat und kapitalistische Verhältnisse durch Sozialdemokratie und Gewerkschaften. Die Arbeiter:innenklasse, besonders die gewerkschaftlich Organisierten, wurde über Jahrzehnte im Geiste von Staatstreue und Legalismus geprägt. Auch in der DDR erzog die SED-Diktatur die „herrschende Klasse“ im Geist „sozialistischen“ Gehorsams.
Daher erscheint der großen Masse der Arbeiter:innenklasse – nicht nur ihrer Führung – Selbstorganisation als etwas Fremdes – auch zur Abwehr faschistischen und rassistischen Mobs. Organisierte Selbstverteidigung stößt auf Vorbehalte, die die jahrzehntelange sozialdemokratische Dominanz widerspiegeln. Viele reformistisch geprägte Lohnabhängige setzen gegen rechte Gefahr auf Staat und Ordnungshüter:innen einerseits, sozialen Ausgleich und politische Bildung andererseits. Pazifismus wiederum entspricht eher einem kleinbürgerlich-studentischen Milieu. Rechtes Gedankengut soll „wegerzogen“ werden – im Notfall muss doch die Polizei einschreiten.
Diese Ideologien lähmen die Arbeiter:innenklasse, die Jugend, Migrant:innen – alle, die gegen die Nazis Widerstand leisten wollen. Um in der Klasse, sei es in Betrieben, im Stadtteil, an Schulen und Unis, Selbstverteidigungsstrukturen zu schaffen und einen effektiven Kampf gegen rechts zu führen, braucht es auch eine offene Diskussion über die aktuelle Situation, die rechte Gefahr und darüber, wie sie gestoppt werden kann.
Nur wenn sich die Arbeiter:innenklasse der Lage bewusst wird, kann sie für den Aufbau des Notwendigen gewonnen werden. Diese Diskussion muss offen und kontrovers geführt werden. Auch mit dem Argument auszuweichen versuchen, die Forderung nach Selbstverteidigungsstrukturen schrecke ab, heißt, Vogel-Strauß-Politik zu betreiben. Werden reformistische und pazifistische Vorurteile in der Klasse nicht offen kritisiert, gibt es zu wenige Unterstützer:innen eines kämpferischen, proletarischen Antifaschismus. Lohnabhängige entwickeln nie spontan ein korrektes marxistisches Verständnis von Staat, Faschismus und Rassismus – dazu braucht es politische Auseinandersetzung. Zwar drängt die Lage mehr Lohnabhängige und Jugendliche zur Frage von Militanz und Gegenwehr, doch revolutionäre Kommunist:innen müssen darauf eine Antwort geben, die letztlich nur der wissenschaftliche Sozialismus liefern kann.
Die „radikale“ Linke in Deutschland drückt sich vor dieser Aufgabe. Ein Teil blendet die Frage der Selbstverteidigung aus oder erwähnt sie nur nebenbei. Andere reduzieren Antifaschismus auf möglichst militante Konfrontation durch die „radikale“ Linke. So richtig es ist, die eigene Gruppe vorzubereiten und Faschist:innen zu stellen, so weicht auch diese Strömung der Kernaufgabe aus: die Arbeiter:innenklasse für den Kampf zu gewinnen. Das erfordert, revolutionäres Bewusstsein konkret in die Klasse zu tragen. Stattdessen tendiert diese Auffassung dazu, Antifaschismus zu einer „militanten“ Stellvertreter:innenpolitik kleiner Gruppen zu reduzieren, die von der Klasse isoliert bleibt.
Um den Aufstieg des Faschismus zu stoppen, müssen seine gesellschaftlichen Ursachen und sein Klassencharakter verstanden werden. Die Krisenhaftigkeit des Systems treibt kleinbürgerliche Schichten in Richtung Rassismus, Populismus und Faschismus – Formen der politischen Formierung gesellschaftlicher Verzweiflung.
Wenn wir von organisierter Selbstverteidigung sprechen, meinen wir Organe der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten in ihrer Gesamtheit. Kleine Gruppen, die sich Fähigkeiten im Selbstschutz aneignen, können in mancher Hinsicht vorbildlich sein, sind aber keine „kleineren Ausgaben“ organisierter Selbstverteidigung einer Klasse – weder quantitativ noch qualitativ. Dies zu verwechseln, wäre ein schwerer politischer Fehler und könnte die Idee selbst diskreditieren. Der Aufbau von Selbstverteidigungsorganen muss daher immer in eine umfassendere Strategie des Kampfes gegen Faschismus und militante Formen von Rassismus eingebettet sein.
Damit die Arbeiter:innenklasse den heranwachsenden Faschismus und das Wachstum des Rechtspopulismus stoppen kann, braucht sie nicht nur eine Taktik und Methoden, um den Nazis entgegenzutreten. Sie muss den gemeinsamen Kampf um eine Umkehr der gesellschaftlichen Entwicklung führen. Eine Einheitsfront müsste sich gegen den Rassismus der AfD wie auch des Staats richten. Sie müsste zugleich in den gemeinsamen Kampf um elementare soziale, politische und ökonomische Forderungen eingebunden werden: höherer Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, entschädigungslose Enteignung großer Immobilienspekulant:innen, Kontrolle der Mieten durch Mieter:innen und Gewerkschaften, für offene Grenzen und gleiche Staatsbürger:innenrechte …
Daher schlagen wir eine Aktionskonferenz zum Kampf gegen die Angriffe von Regierung und Kapital vor. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse Massenbewegungen in Betrieben und auf der Straße organisiert, die dem Rechtsruck, der Prekarisierung und den Kürzungen entgegentreten und europaweit für ihre Interessen kämpfen, kann sie zu einem Pol gesellschaftlicher Hoffnung werden und rückständigere Lohnabhängige anziehen. Sie wird nur dann attraktiv für rückständigere und halbproletarische Teile der Klasse sowie für die unteren Schichten des Kleinbürger:innentums, wenn sie selbst als gesellschaftliche Kraft für ihre Interessen eintritt.
Eine solche Bewegung muss internationalistisch und antirassistisch sein. Sie muss Flüchtlinge und Migrant:innen als Teil der Klasse begreifen und daher gegen jede staatlich kontrollierte, an den Verwertungsinteressen des Kapitals orientierte „gesteuerte“ Migration eintreten. Der Kampf für offene Grenzen, gegen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen muss mit dem für gleiche Rechte – Arbeit, Wohnraum usw. – verbunden werden. Nur so lässt sich die Einheit der Klasse herstellen. Internationalismus bedeutet, den Kampf nicht auf nationale Ebene zu beschränken, sondern global zu führen. Antiimperialistische Solidarität, Unterstützung von Befreiungsbewegungen und Arbeiter:innenkämpfen in den vom deutschen Imperialismus ausgebeuteten Ländern sind unverzichtbare Bestandteile dieser Ausrichtung.
Als ersten Schritt gilt es, die unmittelbaren Maßnahmen zum Selbstschutz von Geflüchteten und Migrant:innen gegen Abschiebungen, rassistische und faschistische Angriffe zu unterstützen und politisch zu verteidigen. Elementare Formen der Selbstverteidigung zeigen sich, wenn Flüchtlinge in Unterkünften oder Lagern durch gemeinsamen Widerstand Abschiebungen verhindern oder sich kollektiv gegen Übergriffe wehren und Rassist:innen oder Faschist:innen in die Flucht schlagen. Der bürgerlich-demokratische Staat tritt ihnen dabei als Gegner gegenüber, indem er ihr Recht auf Selbstverteidigung kriminalisiert.
Der Kampf für „Selbstschutz“ schließt daher auch den gegen Kriminalisierung und für Unterstützung unmittelbar Gefährdeter ein – etwa in linken Zentren, Gewerkschaftshäusern und anderen bedrohten Räumen. Entscheidend ist, Geflüchtete und Migrant:innen nicht bloß als Opfer zu betrachten, sondern vor allem als Subjekte zu stärken.
Zweifellos entspricht dies heute nur der Vorstellung einer kleinen Minderheit innerhalb der Arbeiter:innenbewegung und der Linken, die politisch von verschiedenen Spielarten des Reformismus dominiert werden. Dieser hofft auf einen „verbesserten“ bürgerlichen Staat, staatliche Umverteilung und Bündnisse mit „vernünftigen“ Unternehmer:innen. Eine solche Strategie ist zum Scheitern verurteilt und endet darin, dass „Linke“ an der Regierung Politik im Interesse von Kapital und Imperialismus betreiben.
Um jedoch eine Einheitsfront gegen die Rechten mit Massenanhang zu schaffen, ist es unerlässlich, Mitglieder und Anhänger:innen der Linkspartei, der Gewerkschaften, ja auch der SPD für diesen Kampf zu gewinnen. Ohne diese Millionen Lohnabhängiger, Jugendlicher und Linker kann keine Massenkraft gegen rechts entstehen. Wir schlagen daher vor, gemeinsam gegen Faschist:innen, Rechtspopulist:innen, staatlichen Rassismus und Angriffe von Regierung und Kapital zu kämpfen – ohne die Kritik an ihrer Politik zu verschweigen.
Der Aufruf zu einer antifaschistischen Einheitsfront bedeutet nicht, mit ersten Schritten zu warten, bis große Organisationen zustimmen. Im Gegenteil: Kleine Gruppen der radikalen Linken werden allein allenfalls episodisch Massenorganisationen zu Aktionen bewegen können. Sie sollten daher gemeinsam für eine Einheitsfront eintreten und Druck auf die Führungen der Massenorganisationen ausüben. Gleichzeitig können sie den Aufbau von Aktionsbündnissen beginnen, ohne vorzugeben, dass ein Bündnis aus einigen Dutzend oder hundert Kleingruppen schon eine Arbeiter:inneneinheitsfront oder den proletarischen Selbstschutz darstellt, die nötig sind, um den Faschismus zu schlagen.
Die Propaganda für eine Einheitsfront und massenhaften, organisierten Selbstschutz nimmt für Kommunist:innen eine wichtige Rolle ein. Sie sollten jedoch dort, wo möglich, selbst die Initiative zum Aufbau von Einheitsfronten und Selbstschutz auf lokaler Ebene ergreifen und so praktische Beispiele liefern. In jedem Fall sollten sie ihre Vorstellungen offen propagieren. Wir wollen daher kurz verdeutlichen, was wir unter Selbstverteidigungsorganen verstehen und wie diese praktisch entwickelt werden können.
In einer Stadt oder einem Stadtteil sollten sich linke Gruppierungen, Organisationen der Unterdrückten, Ortsgruppen von Die Linke oder, wo möglich, auch der SPD, Gewerkschafter:innen, Betriebsräte und Vertrauensleute auf den Aufbau gemeinsamen Selbstschutzes verständigen. Besonders wichtig ist die Einbeziehung der Masse der Migrant:innen. Alle, die mitwirken, sollten sich bei Demonstrationen und Aktionen zum Schutz gegen rechte Provokationen koordinieren und diese gemeinsam vorbereiten. Sie sollten nicht nur die eigenen Genoss:innen im Blick haben, sondern die gesamte Aktion strukturieren, Teilnehmer:innen anleiten und helfen, effektiv als Masse zu wirken, z. B. bei der Verhinderung eines Naziaufmarsches.
Für Geflüchtete, Migrant:innen oder linke Aktivist:innen, die bedroht werden, sollte es sichere Anlaufpunkte geben – Gewerkschaftshäuser, linke Parteibüros, Schulen, Unis, Nachbarschafts- oder Jugendzentren können zu solchen werden. Bei stärkerer Bewegung sollten Gewerkschaften und Betriebsräte auch auf betrieblicher Ebene Rückzugspunkte für von Rechten Bedrohte durchsetzen. Manches davon mag noch weit entfernt erscheinen, anderes (sichere Räume) könnte in den meisten Städten sehr rasch verwirklicht werden.
Zu einem organisierten Selbstschutz gehört, dass bedrohte Menschen diesen jederzeit kontaktieren können, aktiviert über beteiligte Organisationen oder Telefonketten. Es geht nicht um kleine „Spezialeinheiten“, sondern um Strukturen, in denen möglichst viele – Linke, Migrant:innen, Geflüchtete, Gewerkschafter:innen, Schüler:innen, Studierende – als Aktive einbezogen sind und auf die sie umgekehrt selbst zurückgreifen können.
Der Aufbau von Selbstschutzgruppen in Stadtteilen, Betrieben, Schulen oder Unis bedeutet nicht nur die Integration von Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, sondern auch eine aktive Einbindung der gesamten Belegschaft oder Klasse. Arbeitsstätten, Schulen und Universitäten sollten zu Zentren des organisierten Kampfes und antifaschistischen Stützpunkten werden. Betriebe spielen strategisch eine besondere Rolle, da sie den Antifaschismus stärken und gleichzeitig Selbstorganisation und Bewusstsein der Klasse erheblich erhöhen. Auch Schulen und Universitäten würden dadurch tiefgreifend verändert.
Versammlungen, die offen über antifaschistisch und antirassistisch organisierten Schutz diskutieren, sollten möglichst während der Arbeitszeit oder des Unterrichts stattfinden, von gewählten Vertreter:innen geleitet werden und sich nicht nur auf Schutzfragen beschränken, sondern auch politische Aktionen gegen Rassismus und Sozialabbau besprechen. Selbstschutz beinhaltet auch Ausbildung in Selbstverteidigung, kostenlos und unter Kontrolle von Gewerkschaften sowie Arbeiter:innen-, Migrant:innen- und Frauenorganisationen, zugänglich für möglichst viele Menschen.
Organisierter Selbstschutz einer Massenbewegung beinhaltet Arbeitsteilung und Spezialisierung: Menschen entwickeln Expertise, Gruppen schützen Gebäude oder treten Faschist:innen an vorderster Front entgegen. Ziel ist aber, eine möglichst große Masse zu befähigen, sich selbst zu wehren und als Kollektiv zu agieren. So wird verhindert, dass kleine spezialisierte Einheiten ein Eigenleben außerhalb der Kontrolle von Beschäftigten, Arbeiter:innen im Stadtteil, Gewerkschaften oder der revolutionären Partei entwickeln.
Neben der Gefahr von Pazifismus und Legalismus besteht auch die, dass kleine „antifaschistische“ Aktivitäten den kollektiven Kampf der Klasse gegen Faschismus durch quasi militärische, kleine „Kampfgruppen“ ersetzen. Diese Taktik ist zum Scheitern verurteilt, weil sie gewaltsame Konfrontation fetischisiert. Sobald Faschismus zu einer gesellschaftlichen Kraft wird, ist sie nutzlos, ja kontraproduktiv. Zulauf zu den Rechten kann nur gestoppt werden, wenn militante Auseinandersetzung und antifaschistischer Selbstschutz Teil einer breiten Arbeiter:inneneinheitsfront sind, die sich nicht auf Gewalt beschränkt, sondern mit dem gemeinsamen Kampf gegen Krisenfolgen und letztlich gegen den Kapitalismus verbunden wird.
In einer solchen Situation zeigt die Einheitsfront der Klasse ihre Stärke, macht deutlich, dass eine gemeinsame Klassenaktion Antikrisenprogramme erkämpfen kann, und verdeutlicht, dass die Front auf andere Bereiche ausgedehnt werden muss – bis zum Kampf für eine Arbeiter:innenregierung und den Sturz des Kapitalismus.
Auch deshalb ist es so wichtig, dass der Selbstschutz in Betrieben und den proletarischen Wohngebieten verankert ist, weil der Aufbau einer starken antifaschistischen oder antirassistischen Einheitsfront auch die Grundlage für den Aufbau weitergehender Formen der proletarischen Selbstorganisation – in zugespitzten Situationen letztlich von Räten und Milizen – bilden kann. Und genau das wollen wir.