Arbeiter:innenmacht

Brasilien: Deutsches Geld fördert Anti-Abtreibungsbewegung

Yorick F., Revolution Deutschland, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung, März 2025

Rund 57 % der Frauen im gebärfähigen Alter weltweit leben in Ländern, in denen Abtreibung ganz oder teilweise kriminalisiert ist. Besonders in Südamerika sind Abtreibungsrechte hart umkämpft. Ein Beispiel dafür ist Brasilien, der siebtgrößte Staat der Welt. Dort sind Schwangerschaftsabbrüche seit 1940 grundsätzlich verboten, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei, etwa bei Lebensgefahr der Schwangeren, schweren Fehlbildungen des Fötus oder Vergewaltigung.

Trotz massiver Proteste der brasilianischen Frauen, Abtreibung zu entkriminalisieren, verschärft die konservative Parlamentsmehrheit die Gesetze weiter. Ein Gesetzentwurf aus dem Sommer 2024 sieht vor, dass Abtreibung unabhängig vom Grund nur bis zur 22. Woche straffrei bleibt. Danach drohen bis zu 20 Jahre Haft. Das löste erneute, landesweite Proteste aus.

Schon jetzt sind die Folgen der Kriminalisierung fatal. Jeden Tag bringen in Brasilien 38 Mädchen unter 14 Jahren ein Kind zur Welt, nachdem sie vergewaltigt worden sind. Mehr als 64 % der Vergewaltigungsopfer in Brasilien sind 14 Jahre oder jünger. Trotzdem ist es natürlich nicht so, dass Abtreibungen einfach verschwinden, nur weil sie kriminalisiert werden. Mindestens 2,000 illegale Schwangerschaftsabbrüche finden jährlich unter katastrophalen hygienischen Bedingungen statt, mit einer vermutlich weit höheren Dunkelziffer.

Rückschrittliche Rolle der Kirche …

Die zentrale gesellschaftliche Stütze der erzkonservativen Abtreibungsgegner:innen in den Parlamenten sind vor allem die sogenannten Evangelikalen. Neben den USA sind sie besonders in Südamerika stark vertreten, auch in Brasilien. Ihr Aufstieg ist eng mit dem Erstarken des Neoliberalismus in den 1990er Jahren verbunden. Die Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und der schwindende Einfluss der katholischen Kirche schufen den Nährboden für ihr Wachstum.

Vor allem in den unteren Schichten der Arbeiter:innenklasse bieten evangelikale Kirchen eine trügerische Perspektive in Form einer Gemeinschaft von „Glaubensbrüdern und -schwestern“. Sie individualisieren soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit und machen sie zu Fragen des Glaubens und der Frömmigkeit. Diese soziale Demagogie geht Hand in Hand mit der reaktionären Propagierung christlich-bürgerlicher Familienideale, extremer Queerfeindlichkeit und der Forderung nach einem vollständigen Abtreibungsverbot.

Seit 1993 organisiert die evangelikale Pfingstkirche „Renascer em Cristo (Wiedergeburt in Christus)“ den „Marsch für Jesus“, der 2009 während der ersten Präsidentschaft von Lula sogar zum Feiertag erhoben wurde. Dies zeigt, wie stark der politische Einfluss der Evangelikalen in Brasilien mittlerweile ist. Obwohl Lula als Linkspopulist gilt, hat er immer wieder Kompromisse mit konservativen Kräften geschlossen, um sich die Unterstützung der wachsenden evangelikalen Wählerschaft zu sichern. Seine Arbeiter:innenpartei (PT) vermeidet klare Positionierungen bei gesellschaftspolitischen Konflikten wie Abtreibung oder LGBTQ+-Rechten, um keine Wähler:innen zu verlieren.

Diese reaktionäre Bewegung ist international vernetzt und wird von erzkonservativen, meist religiösen Geldgeber:innen finanziert, unter anderem aus Russland und den USA. Auch deutsche Stiftungen wie die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) und die Hans-Seidel-Stiftung (CSU) sind involviert. Ihre Einflussnahme ist jedoch schwerer nachzuvollziehen als die US-amerikanischer oder russischer Organisationen, doch es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie die Unionsparteien nicht nur mit Figuren wie Friedrich Merz in Deutschland gegen die Rechte von Frauen und Queers hetzen, sondern diese auch in Brasilien bekämpfen.

… finanziert durch deutsches Geld

Eine zentrale Figur in diesem Netzwerk bildete Johanna Gräfin von Westphalen. Sie war nicht nur CDU-Mitglied und 18 Jahre lang im Landesvorstand in Niedersachsen, sondern gründete auch die Stiftungen „Ja zum Leben“ und „Christdemokraten für das Leben“. Letztere war bis 2018 fest in die Unionsparteien eingebunden. In beiden Organisationen sind bis heute hochrangige CDU-Politiker:innen aktiv, und die Zusammenarbeit wird offen zur Schau getragen, etwa bei der gemeinsamen Organisation des „Marschs für das Leben“, bei welchem CDU/CSU-Politiker:innen auch gerne mal ihre frauenfeindlichen Ansichten in Reden vortragen.

Diese Stiftungen von Johanna Gräfin von Westphalen unterstützen weltweit reaktionäre Initiativen, darunter zahlreiche Organisationen, die direkt in Brasilien tätig sind. „ADF International“ (Alliance Defending Freedom International; Freiheitsverteidigungsallianz International) etwa betreibt globale Lobbyarbeit gegen Abtreibung und setzt sich auch in Brasilien für eine Verschärfung der Gesetze ein, oft unter Berufung auf Menschenrechte und religiöse Argumente. Sie fördern konservative Familienwerte und bieten juristische Unterstützung für evangelikale Pro-Life-Gruppen. Auch das europäische Netzwerk „One of Us“ engagiert sich für den „Schutz des ungeborenen Lebens“ und arbeitet mit lokalen Partner:innen zusammen, um politische und gesellschaftliche Unterstützung gegen Abtreibung zu mobilisieren.

Die „World Youth Alliance“ (WYA) erhält neben Geldern von „Ja zum Leben“ auch EU-Förderungen. Über das Erasmus-Programm flossen mehr als 1,2 Millionen Euro an diese US-basierte Stiftung, die gezielt Jugendinitiativen zum „Lebensschutz“ finanziert. In Lateinamerika, insbesondere Brasilien, aber auch in Kenia, betreibt sie Programme, um junge Menschen für konservative Positionen zu Abtreibung und Familie zu gewinnen. Ihre Vorsitzende verglich Abtreibungen in einem Interview mit dem Holocaust und dem Genozid in Ruanda 1994.

Diese Beispiele verdeutlichen die Notwendigkeit einer internationalen Bewegung für Frauen- und Queerrechte, verbunden mit der Arbeiter:innenbewegung, um diese „konservative Internationale“ der reaktionärsten Agent:innen des Kapitals zu zerschlagen. Ein wichtiger Punkt ist neben dem Kampf für entkriminalisierte, kostenfreie und sichere Abtreibung sowie den Ausbau umfangreicher, neutraler (!) Beratungsstellen für Schwangere auch die Offenlegung der Lobbyarbeit und der Spendengelder, die international fließen, um die Pro-Life-Bewegung zu unterstützen. Denn gerade bei internationalen Verknüpfungen greifen die gesetzlichen Regelungen kaum. Um zu wissen, wen wir eigentlich bekämpfen wollen, müssen diese Unterstützungen und Finanzströme zunächst aufgedeckt werden!

Die drei Organisationen – ADF International, One of US und World Youth Alliance – haben erheblichen rechtlichen und kulturellen Einfluss in Brasilien und ganz Lateinamerika und stärken die evangelikale Bewegung. Für das Leben muss daher bedeuten: Schluss mit den selbst ernannten „Lebensschützer:innen“ und für das uneingeschränkte Recht auf sichere, unkomplizierte, kostenfreie Abtreibungen für alle – in der BRD, in Brasilien und überall sonst!

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