Arbeiter:innenmacht

Zehntausende gegen AfD-Jugend in Gießen: Taktischer Erfolg, aber wie kann die Bewegung siegen?

Jona Everdeen, Neue Internationale 297, Dezember 2025 / Januar 2026

Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen genau an den Protesten gegen die Gründungskonferenz der neuen Jugendorganisation der AfD teilnahmen. Aber es war gewaltig. Zahlen variieren zwischen 30.000 und 60.000. Bei den Blockaden der Zufahrtsstraßen selber waren wir ziemlich sicher ungefähr 15.000, ein riesiger Mobilisierungserfolg für „widersetzen“ (Eigenschreibweise) und eine bundesweite antirassistische Mobilisierung.

Es gelang sogar, noch mehr Menschen zum Kampf zu mobilisieren als im Januar gegen den AfD-Bundesparteitag in Riesa! Die Gründung der neuen Parteijugend konnte um ungefähr 2,5 Stunden verzögert werden! Definitiv ein symbolträchtiger Erfolg, keine Frage! Aber was muss als Nächstes kommen, um die AfD und die Politik, für die sie steht, nicht nur um wenige Stunden zu verzögern, sondern zu beenden? Wie verhindern wir, dass die AfD weiter zulegt?

„Generation Deutschland“ – gegen wen geht es überhaupt?

Die in Gießen, ganz den guten deutschen Tugenden zuwider, mit ordentlicher Verspätung gegründete „Generation Deutschland“ (GD) ist die Nachfolgeorganisation der zuvor aufgelösten „Jungen Alternative für Deutschland“ (JA). Die AfD entschied sich, sich von dieser zu trennen, nachdem sie vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft worden war. Dabei ging es sicher nicht um eine inhaltliche Differenz, sondern in erster Linie darum, dass die JA in einem sehr lockeren Verhältnis zur Partei stand und dadurch schwerer zu kontrollieren war. Damit bot sie eine Angriffsfläche für etwaige Verbotsverfahren gegen die AfD selbst und wirkte damit abschreckend auf enttäuschte konservative Schichten und den „respektablen“ Mittelstand.

Das soll sich mit GD jetzt ändern. So will man verhindern, dass die Jugendorganisation durch unbedachtes Verhalten die sorgfältigen Bemühungen untergräbt, sich als zuverlässige reaktionäre Kraft und damit passable Koalitionspartnerin für die oder auch Alternative zur CDU darzustellen – das Hauptziel, das der führende Flügel um Alice Weidel, zurzeit aber auch die gesamte Partei vertreten. Für dieses Ziel soll die Jugendorganisation reorganisiert und zugleich auch als „Kaderschmiede“ der Partei aufgebaut werden. Es ist verkürzt, das vorrangig als ein „An-die-kurze-Leine-nehmen“ einer ohnedies nur scheinbar widerspenstigen Jugendorganisation zu interpretieren. Das politische Gewicht der GD für die Zukunft der AfD wird in Wirklichkeit nämlich gegenüber der JA eher gestärkt als geschwächt.

Führende Figuren wie Weidel und Höcke nahmen in trauter Einheit und mit gemeinsamer Verspätung teil – sie waren im selben Konvoi von der Polizei zur Messehalle eskortiert worden.

Zum Vorsitzenden der neuen „gemäßigten“ Parteijugend wurde Jean-Pascal Hohm gewählt, der gute Verbindungen zur Identitären Bewegung unterhält. Rechtsradikale dürfen, wie bereits Maximilian Krah vor seinem Spionageskandal, gerne in Amt und Würden für die Partei sein, solange sie sich taktisch geschickt verhalten und sich der Regierungsstrategie der Führung unterordnen. Innerhalb der Partei findet zwar durchaus weiter ein Flügelkampf statt, der tritt zurzeit aber in den Hintergrund.

Schließlich steht die GD auch für den Versuch, die bereits errungene Stellung der AfD als eine der zwei stärksten Parteien unter den Jungwähler:innen – die andere ist Die Linke – zu verteidigen und auszubauen. Insbesondere auf dem Land und unter jungen Männern konnte die AfD massiv gewinnen, da viele in ihren rechtspopulistischen Lügen im Angesicht der Krise und fehlender echter, linker Perspektiven eine vielversprechende Alternative sehen.

Blockaden und Repression

Die Stärke der Blockaden rund um Gießen und die Demonstration in der Stadt selber waren beeindruckend – so wie die massive Polizeigewalt gegen diese erschreckend war. Doch dabei offenbart sich auch gleich eine zentrale Schwäche. So ist es wohl möglich, die Gründung einer Jugendorganisation oder wie Anfang des Jahres in Riesa einen Parteitag der AfD um einige Stunden zu verzögern und die Delegierten ordentlich zu nerven.

Die ratlosen Gesichter der AfD-Heinis zu sehen, die nicht genau wissen, wann es denn nun mal losgeht und wie sie zu ihrem Parteitag kommen sollen, erfreut wohl alle. Oder die Wutausbrüche von anderen, wenn sie realisieren, dass es für sie kein Durchkommen gibt. Doch das eigentliche Ziel der Blockaden und Demonstrationen, dass die Konferenz tatsächlich verhindert wird, verhindert wiederum der Staatsapparat mit den Freund:innen und Helfer:innen der deutschen Polizei. Konkret in Form seiner uniformierten Prügeleinheiten, mit Schlagstock, Pfefferspray, Wasserwerfern und einigem mehr bewaffnet.

Es ist nämlich nicht in seinem Interesse, die AfD zu besiegen, egal wie oft Spitzenpolitiker:innen von „Brandmauer“ oder „Verteidigung der Demokratie“ reden. Im Gegenteil, die AfD ist als „Oppositionspartei“ extrem nützlich. Zurzeit in erster Linie als Motor des Rechtsrucks. So kann man bei CDU, Grünen oder auch SPD ganz einfach rechtfertigen, man müsse leider selber noch ein bisschen reaktionäre Politik, noch mehr Rassismus bedienen, noch mehr abschieben, noch mehr demokratische Rechte aushebeln, um den „rechtschaffenen“ Teil der AfD-Wähler:innen wieder zurückzuholen.

Die Mär von der „Rückgewinnung“ von Wähler:innen der AfD, wenn die CDU zu deren geistiger Schwesterpartei würde, ist der konkrete Ausdruck davon. Für CDU/CSU fungiert die AfD außerdem als Disziplinierungsmittel gegenüber der SPD und auch den Gewerkschaftsführungen. Selbst die konservative Beschwörung der sog. Brandmauer gegen die AfD dient dabei vorrangig als Drohkulisse, falls sich SPD und Gewerkschaften „ernsten“ Verhandlungen – also Verschlechterungen – bei der Rente und anderen „Reformen“ verschließen sollten. Und sollte das nicht reichen, könnte die AfD als reaktionärste Speerspitze für Angriffe auf die Arbeiter:innenbewegung auch als Regierungspartei herhalten. Dass diese, wenn auch noch unter Protest, häufiger von Wirtschaftsverbänden, v. a. aus dem Kleingewerbe und dem sog. Mittelstand, eingeladen wird, deutet auf eine veränderte Haltung unter Teilen der Unternehmer:innenschaft hin. Nicht jedoch gilt das bisher für das Großkapital. Die Anti-EU-Position der AfD steht ihren Klassenfraktionsinteressen und der aktuellen strategischen Ausrichtung des deutschen Imperialismus zurzeit eindeutig entgegen – auch wenn Teile der AfD die EU-Position zu „überdenken“ bereit sein mögen.

Natürlich kann eine zukünftige CDU/CSU-AfD-Regierung nicht ausgeschlossen werden. Sie stellt aber zurzeit sicher nicht die bevorzugte Option des deutschen Kapitals dar, das vielmehr mit einer demokratisch-imperialistischen Regierung das größte Aufrüstungsprogramm und massive Angriffe auf die Lohnabhängigen autoritär und „sozialpartnerschaftlich“ durchsetzen will. Die AfD dient hier als politische Vogelscheuche im Garten der bürgerlichen Demokratie.

Wie können wir die AfD wirklich besiegen?

Wer die AfD wirklich besiegen will, muss daher auch, ja vor allem den Kampf gegen den aktuellen geschäftsführenden Ausschuss des deutschen Kapitals, also gegen die Bundesregierung, vorantreiben.

Hier liegt eine zentrale Schwäche der Mobilisierung gegen die AfD. Indem eine mögliche zukünftige AfD-Regierung als das größte aller Übel beschworen wird, sucht man in der Mobilisierung auch den Schulterschluss mit dem „linken“ oder „demokratischen“ Flügel des Kapitals. Man versucht zwar richtigerweise, die Masse der Gewerkschaften und der SPD für den Kampf gegen rechts auf die Straße zu bringen und somit die Einheit der Arbeiter:innenbewegung in der Aktion herzustellen. Aber man geht auch darüber hinaus und begibt sich auf die Suche nach einem „linken“ oder „demokratischen“ Flügel von CDU/CSU. Statt Arbeiter:inneneinheitsfront heißt es Volksfront.

Damit wird eine klassenübergreifende Einheit im Kampf gegen AfD und GD angestrebt, die in letzter Instanz dem Rechtspopulismus und auch den Rechtsradikalen mehr nützt als schadet. Diese klassenübergreifende, im Grunde bürgerliche antifaschistische Politik erlaubt es nämlich der AfD, sich den Millionen Lohnabhängigen, die sie aus einer Mischung aus Existenzangst, Verzweiflung, Rassismus und politischer Rückständigkeit gewählt haben, als einzige wirkliche Alternative zur Regierung zu präsentieren. Sie kann nämlich darauf verweisen, dass selbst die Linken – ob Linkspartei oder die Antifa – mit den Kriegstreiber:innen, „demokratischen“ Abschieber:innen und Sozialabbauer:innen gemeinsame Sache machen, wenn es gegen rechts ginge. Und ginge es nach den Strateg:innen dieser „Volksfront“ gegen die AfD, so wäre auch die Polizei dabei, wenn sie nicht gerade mit dem Wasserwerfer Sitzblockaden räumen würde.

Der Kampf gegen die AfD, gegen Rassismus darf nicht weiter als gesonderte Auseinandersetzung „aller Demokrat:innen“ gegen rechts verstanden werden, sondern als integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Nötig ist es stattdessen, eine in den Betrieben, an Universitäten und Schulen verwurzelte Bewegung zu schaffen! Eine Bewegung, die klarmacht, dass die AfD einzig und alleine eine Alternative für die Bosse ist, eine rassistische und ultranationale Partei für den Angriff des Großkapitals auf die Arbeiter:innen!

Daher müssen wir den Kampf gegen Aufrüstung, die Solidarität mit Palästina und die Tarifkämpfe allesamt in den Kontext des Kampfes gegen die Rechten und gegen die Regierung und Kapitalverbände stellen. Mit „Studis gegen Rechts“ (Eigenschreibweise) gibt es an zahlreichen Universitäten bereits Strukturen, die große Teile der Mobilisierung zu den Blockaden getragen haben. Und auch die Gewerkschaften und vor allem Gewerkschaftsjugenden waren vertreten.

Nun gilt es aber für all diese Strukturen, ihre Stärke nicht bloß auf ein oder zwei Großmobilisierungen im Jahr zu beschränken, sondern kontinuierliche Betriebs- und Hochschulgruppen zu schaffen, die offen diskutieren, wie man die AfD schlagen und mit welcher echten Alternative man die Krise lösen kann! Nur so kann man der AfD den Wind aus den Segeln nehmen, indem die Arbeiter:innen und Jugendlichen erkennen, dass ihre Feind:innen nicht ihre migrantischen Kolleg:innen und Nachbar:innen sind, sondern ihre Bosse! Und dass sie dagegen etwas tun und eine bessere Zukunft für sich selber und für die gesamte Gesellschaft erkämpfen können!

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