Ronja Keller, Neue Internationale 297, Dezember 2025 / Januar 2026
7 %, aber mindestens 300 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Das ist die Forderung, welche die Bundestarifkommission für die Verhandlung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) beschlossen hat. Daneben sollen die Vergütung für Auszubildende um 200 Euro steigen und eine Übernahmegarantie durchgesetzt werden. Außerdem sollen Zeitzuschläge um 20 % steigen. Eine weitere Forderung stellt der Abschluss eines Tarifvertrags studentische Beschäftigte (TVStud) dar. Bisher arbeiten diese Kolleg:innen in den meisten Bundesländern ohne Tarifvertrag. Dem Beschluss ging eine Befragung der Landesbeschäftigten voraus, bei welcher sich bis Ende Oktober über 68.000 der rund 2,6 Millionen Beschäftigten beteiligten.
Dass bei der Aufstellung der Forderung die Beschäftigten befragt werden, wirkt zunächst fortschrittlich, doch schaut man sich diese Befragung genauer an, hat das doch recht wenig mit einer offenen gewerkschaftlichen Demokratie zu tun. Bereits die Auswahl der Fragen wurde vom ver.di-Apparat vorbestimmt, was dazu führte, dass bestimmte Inhalte von Anfang an aus der Befragung ausgeklammert wurden, wie z. B. die Laufzeit. Außerdem hat die Befragung keinerlei Bindung oder Auswirkung auf die tatsächliche Aufstellung der Forderung. Dies hat sich auch damals bei der Befragung im Rahmen der Forderungsaufstellung für den TVöD gezeigt. Der Beschluss der Forderung wird von der von der Bürokratie kontrollierten und faktisch bestimmten Tarifkommission beschlossen. Eine Mitbestimmung durch die Beschäftigten aufgrund der Umfrage ist letztendlich mehr Schein als Sein.
Um nun diese Forderung einzuordnen, ist es sinnvoll, sich die Inflation bzw. Kaufkraft anzuschauen. Hier dient als Indikator der Warenkorb des Statistischen Bundesamts. Dieser bildet die Preisentwicklung für den durchschnittlichen Haushalt ab und dient zur Messung der Inflation. Vergleicht man nun die Entwicklung des Indikators Warenkorb mit der Entwicklung der Löhne in den letzten fünf Jahren, erkennt man, dass seit 2021 die Preise im Warenkorb wesentlich mehr gestiegen sind als die Löhne. So stiegen sie laut Statistischem Bundesamt zwischen 2019 und 2024 um etwa 22 %. Die Löhne im öffentlichen Dienst der Länder stiegen im selben Zeitraum nur um etwa 12 %.
Dieser Trend betrifft nicht nur den öffentlichen Dienst, sondern zeigt sich auch branchenübergreifend, wenn man die Entwicklung des Durchschnittsentgelts der Rentenversicherung betrachtet, welches als Indikator für die Entwicklung der Arbeit„nehmer“:innenentgelte über alle Branchen hinweg dient. Im selben Zeitraum ist dieses Durchschnittsentgelt um etwa 15 % gestiegen und bleibt somit auch hinter der Entwicklung der Preisentwicklung im Warenkorb zurück. Auffällig ist allerdings, dass die Löhne im öffentlichen Dienst – sowohl Bund und Gemeinden als auch Länder – hinter dem durchschnittlichen Entgelt von lohnabhängigen Beschäftigten liegen.
Die aufgestellte Forderung schafft es also nicht, die Nachwirkungen der Inflation auszugleichen. Würden die sieben Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr durchgesetzt, so würde nur die Lücke etwas kleiner werden. Endet die Auseinandersetzung wie viele andere der letzten Jahre in längeren Laufzeiten und bescheidenen Einkommenserhöhungen, würde das einen bestehenden Reallohnverlust fortschreiben und festigen. Die Bundestarifkommission will sich hier nicht auf eine klare und harte Forderungsrunde festlegen lassen – und setzt damit eine Politik der Anpassung an die Bundesregierung fort, welche das Geld viel dringender für Aufrüstung, Militär und Subventionen für das Kapital benötigt.
Trotz der Kritik an der Höhe der Forderung und der Art und Weise, wie diese zustande kam, müssen wir in den Betrieben Kolleg:innen organisieren und für die Durchsetzung der vollen Forderung durch Erzwingungsstreiks kämpfen. Gleichzeitig müssen wir unsere Kritik offen äußern und kritische Kolleg:innen für unseren Kampf gewinnen. Dass sich die Forderung stark an der des TVöD orientiert, ist natürlich kein Zufall. Da beim TVöD eine Laufzeit von 2 Jahren beschlossen wurde, muss auch damit gerechnet werden, dass beim TV-L wohl diese geplant wird.
Daher ist es jetzt wichtig, die Forderung mit einer Laufzeit von 12 Monaten voll durchzusetzen. Wir müssen damit rechnen, dass es im Rahmen der Verhandlungsrunden zu keinem Ergebnis kommt, welches diese Laufzeitforderung beinhaltet. Denn die sog. Arbeitgeber:innenseite lehnt die Forderung bereits als nicht zu verantworten ab und deren Vorsitzender Dr. Dressel (Finanzsenator Hamburg, SPD) meint, die ritualisierten „astronomischen“ Forderungen würden nicht erfüllbare Erwartungen bei den Beschäftigten wecken. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass es wieder zu einer Schlichtung kommen könnte.
Wir müssen uns jetzt schon darauf vorbereiten, mit Erzwingungsstreiks die aufgestellte Forderung voll durchzusetzen – und das heißt auch, eine Kampagne gegen die mögliche Schlichtung zu führen. Wenn wir diese Forderung ernst nehmen, müssen wir gemeinsam dagegen kämpfen, dass sich auch diese Tarifrunde nicht in eine Reihe von Tarifritualen einreiht und mit einer Hand voll Warnstreiks und anschließendem schlechten Abschluss im Rahmen der Schlichtung besiegelt wird. Nur durch Erzwingungsstreiks können wir genug Druck ausüben, um die aufgestellte Forderung auch voll durchzusetzen und schlechte Kompromisse abzuwehren. Dazu braucht es eine baldmöglichste Urabstimmung und Arbeitskampfleitungen, die von der Basis gewählt werden und jederzeit abwählbar sind. In den Betriebsgruppen, Arbeitskampfleitungen und Vollversammlungen muss dieses Vorgehen bereits jetzt diskutiert und beschlossen werden. Auch für die Wählbarkeit, Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der Tarifkommission müssen wir in diesen Strukturen kämpfen.
Wie auch beim TVöD wird auch hier den Beschäftigten wieder erzählt, dass diese einen längeren, entschlossenen Tarifkampf um reale Verbesserungen ohnehin nicht durchhalten würden. Dem müssen wir entschlossen mit der Vorbereitung auf Erzwingungsstreiks entgegentreten. Wir müssen diesen zugleich auch in den Rahmen eines gemeinsamen Abwehrkampfes gegen die Krise, gegen Massenentlassungen, Rassismus, Militarisierung und Aufrüstung stellen.
Der Kampf um die volle Durchsetzung der Forderung muss auch damit verbunden werden, dass sich Tarifpolitik nicht vom politischen Klassenkampf trennen lässt. Es braucht in den Gremien und Betrieben nicht nur eine Diskussion über die tariflichen Ziele und darüber, wie wir sie erreichen können, sondern auch über die politischen Hindernisse. Es braucht eine Kampagne aller DGB-Gewerkschaften gegen Sozialkürzungen und Militarisierung sowie für eine massive Besteuerung von Kapital und Vermögen. Dieser politische Kampf muss gerade in den Gewerkschaften geführt werden. Denn eine Kraft in ver.di, GEW und den anderen Gewerkschaften, welche erklären kann, warum und wie die Führung in den Gewerkschaften die Interessen der Beschäftigten denen des Staates und der Kapitalist:innen unterordnet, ist ein wichtiger Faktor, um in Tarifkämpfen auch wieder zu siegen. Daher ist es gerade jetzt wichtig, Kolleg:innen als Mitglieder zu gewinnen, in Betriebsgruppen und in der Vereinigung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) zu organisieren.