Arbeiter:innenmacht

Nein zur Annexion der Westbank!

Martin Suchanek, Neue Internationale 296, November 2026

Friedensprozess hin oder her – die zionistische Rechte forciert weiter die Annexion der Westbank. Am 22. Oktober stimmte eine Mehrheit der Knesset, des israelischen Parlaments, für einen Gesetzesentwurf des rechtsextremen Avi Maoz (No’am-Partei). Der Antrag wurde mit 25:24 Stimmen angenommen, obwohl sich Likud, die Regierungspartei Netanjahus, gegen den Entwurf ausgesprochen hatte. Zahlreiche Abgeordnete waren der Abstimmung ferngeblieben, dennoch zeigt das Votum recht deutlich, wohin die zionistische Rechte will.

Dummer Scherz???

Bei der Abstimmung handelt es sich keineswegs um einen „dummen Scherz“, wie Netanjahu und seine Partei Likud verharmlosend erklären. Der Gesetzesentwurf mag zwar in den weiteren Lesungen scheitern, aber er wird das sog. Friedensabkommen, vor allem aber die guten Beziehungen mit den USA nicht gefährden. Trump und Vance reagierten auf den „blöden Scherz“ nämlich wenig amüsiert und drohten gar mit einem Entzug der Unterstützung für Israel, wenn ihr Plan zur Reorganisation des Nahen Ostens und eine „Normalisierung“ der Beziehungen Israels zu den arabischen Staaten sabotiert würden.

Es ist nur der Druck der USA, der Netanjahu und seine Partei davon abhielt, für einen solchen Antrag zu stimmen. Es ist letztlich nur die politische, wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit von der imperialistischen Schutzmacht, die Netanjahu und einen bedeutenden Teil des zionistischen Establishments seit 2020 dazu bringt, die offenen Annexionspläne der Westbank auf Eis zu legen. Schließlich hatte Netanjahu 2019 selbst den Anschluss der verbliebenen palästinensischen Gebiete an das israelische Staatsgebiet versprochen und 2020 wegen der Abraham Accords (Abkommen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten) ausgesetzt. Nun fürchten die USA, dass eine Annexion der Westbank oder auch nur deren offenes Verfolgen den ganzen Deal um Gaza und um eine US-orchestrierte Befriedung des Nahen Ostens zunichtemachen könnte. Und natürlich wäre eine solche Annexion das endgültige Aus für die Fiktion der sog. Zweistaatenlösung.

Auch wenn dieses Versprechen von Oslo unter den Trümmern der zionistischen Bomben, der Besatzung, der ständigen Vertreibung und Landnahme durch die Siedler:innen in der Westbank längst gestorben ist, so lebt es als politischer Zombie in der internationalen Diplomatie weiter. Die Beschwörung einer fiktiven palästinensischen Staatlichkeit neben dem weiter expandierenden siedlerkolonialen Staat dient seit Jahren einzig dazu, den Führungen aller imperialistischen Staaten des Westens wie des Ostens und vor allem der arabischen Länder ein billiges Alibi für ihre Unterstützung oder billigende Inkaufnahme der zionistischen Aggression und Expansion zu liefern. Den bürgerlichen Medien dient sie dazu, die Öffentlichkeit zu täuschen. Den reformistischen Apparaten schließlich hilft sie, so zu tun, als wäre die Anerkennung des zionistischen Staates irgendwie von dessen kolonialistischer Expansion und der fortgesetzten Verbreitung der Palästinenser:innen, die im Genozid ihren barbarischsten Ausdruck findet, zu trennen.

Während in Gaza bis gestern eine brüchige Waffenruhe herrscht und die „Staatengemeinschaft“ inkl. der USA so tut, als wäre ein vollständiger Anschluss der Westbank für sie absolut nicht hinnehmbar, so schreitet auch dort die zionistische Vertreibungspolitik seit dem Oktober 2023 massiv voran.

Systematische Kolonisierung

Bei Abschluss der Osloer Verträge 1993 lebten rund 280.000 Siedler:innen in der Westbank und Ostjerusalem, heute sind es über 750.000. Wirklich Kontrolle über die Westbank hatten die Palästinenser:innen, also auch die korrupte, eng mit Israel kooperierende Autonomiebehörde, nie, denn die Grenzen, die Währung, die Finanzflüsse, das Wirtschaftsleben und der gesamte Staats- und Sicherheitsapparat werden letztlich von Israel bestimmt. Systematisch werden Palästinenser:innen aus Ostjerusalem vertrieben. In der Westbank kontrolliert faktisch der israelische Staat seit Jahren rund 60 % des Gebietes, nachdem das Land in A-, B- und C-Zonen unterteilt wurde. Das heißt, diese 60 % des Gebietes unterstehen der israelischen Armee, in den anderen Zonen teilt sie sich die Gewalt mit der PA, aber im Konfliktfall bestimmt die Besatzungsmacht.

Die Expansion der Siedlungen verlief immer, ob vor oder nach Oslo, gewaltsam. Bei Zusammenstößen mit Palästinenser:innen und den reaktionären, teilweise faschistischen Siedler:innen war es jedoch vor dem Oktober 2023 zumeist die zionistische Armee, die gewaltsam gegen die Palästinenser:innen vorging, nachdem sie von „Zivilist:innen“, also den Siedler:innen, zu Hilfe geholt wurde.

Bewaffnet waren dies auch schon vor 2023, aber nicht so sehr wie heute. Vom Oktober 2023 bis zum Oktober 2024 wurden 120.000 Feuerwaffen (inkl. automatischer Maschinengewehre) an die „Zivilist:innen“ in der Westbank übergeben und 230.000 neue Waffenscheine ausgegeben. Außerdem erhielten sie eigene „Sicherheitsbefugnisse“, konnten also auf bestimmten Gebieten auch offiziell als quasi-staatliche Macht auftreten.

Die organisierte Gewalt der Siedler:innenbewegung, die ihrerseits einen faschistischen oder halb-faschistischen Charakter trägt, hat seit 2023 massiv zugenommen. 2023 wurden lt. UN 403 Palästiner:innen infolge von Siedler:innengewalt getötet oder schwer verletzt, 2024 waren es 362. Sichtbar wird dabei auch, dass diese Gewalt schon im Jahr 2022 massiv angestiegen war, also keinesfalls als reaktionäre Reaktion auf den 6. Oktober interpretiert werden kann.

Neben der direkten Vertreibung geht es dabei auch um die Demoralisierung der Bevölkerung und darum, wirtschaftlichen Schaden anzurichten, z. B. durch gezielte Angriffe auf die Palästinenser:innen bei der Olivenernte.

Diese Zahlen und Beispiele verdeutlichen, dass die Annexion der Westbank ein Ziel der rechten Regierungskoalition darstellt, das seit Jahren im Verbund mit den Siedler:innen und der Armee gezielt verfolgt wird.

Auch wenn sich Trump und Merz, diese bedingungslosen Unterstützer des Genozids, über den „dummen Scherz“ vom 22. Oktober aufregen, wenn Netanjahu so tut, als hätte er damit nichts zu schaffen, so straft sie nicht nur die Realität Lügen. Schließlich verabschiedete die israelische Knesset schon am 23. Juli mit 71 zu 13 Stimmen eine symbolische Resolution unter dem Titel „Anwendung der israelischen Souveränität in Judäa, Samaria und im Jordantal“ und erklärte darin die Westbank „zu einem untrennbaren Teil des Landes Israel“. Auch wenn man sich heute diplomatisch-zurückhaltender gibt – das Ziel wird weiter verfolgt, darüber sollte sich niemand hinwegtäuschen. Und vor allem wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keinen wirklichen Frieden, keine Gerechtigkeit geben kann, ohne dass ganz Palästina frei ist – frei von Zionismus und Imperialismus.

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