Dave Stockton, Infomail 1291, 8. September 2025
Seit fast zwei Jahren führt Israel einen Vernichtungskrieg gegen die 2,3 Millionen Palästinenser:innen im Gazastreifen. Seit Oktober 2023 wurden über 90 % der Bewohner:innen mehrfach aus einer sog. Sicherheitszone in eine andere vertrieben.
Im Mai dieses Jahres genehmigte Netanjahus Sicherheitskabinett die Operation „Gideon’s Chariots“ (Gideons Streitwagen), die darauf abzielt, 75 % Gaza wieder zu besetzen und die verbleibende Bevölkerung von Gaza-Stadt zur Flucht nach Süden zu zwingen. Im August wurde diese Operation unter Ausnutzung der uneingeschränkten Unterstützung durch Trump noch intensiviert („Gideon’s Chariots II“).
Ein israelischer Beamter erklärte, dies würde „die Eroberung des Gazastreifens und die Besetzung der Gebiete“ bedeuten, dass „Gaza vollständig zerstört“ und die palästinensische Bevölkerung „in großer Zahl in Drittländer auswandern“ werde.
US-Präsident Donald Trump ist an diesem Genozid mitschuldig. Kurz nach seinem Amtsantritt im Weißen Haus kündigte er einen Plan an, Gaza von seiner Bevölkerung zu säubern und seine „sehr wertvollen Grundstücke am Wasser“ in eine „Riviera des Nahen Ostens“ zu verwandeln.
Am 27. August fand im Weißen Haus eine Konferenz mit Tony Blair, dem früheren britischen Premierminister und nun in Ungnade gefallenen Mitinitiator des Irakkriegs, und Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, Immobilienspekulant und Verhandlungsführer der Abraham-Abkommen (Friedensvertrag zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten), statt. Bei dieser Veranstaltung zeigte Trump ein KI-generiertes Video, in dem der Gazastreifen als luxuriöser Badeort namens „Trump Gaza“ dargestellt wurde, komplett mit Wolkenkratzern, palastartigen Hotels und einer hoch aufragenden goldenen Statue von ihm selbst.
Währenddessen wird die Bevölkerung im echten Gaza absichtlich von Nahrung und sauberem Wasser abgeschnitten, was zu Hungersnöten und der Ausbreitung von durch Wasser übertragenen Krankheiten führt. Laut der Integrated Food Policy Classification (IPC-Skala; ein Instrument zur Einstufung der Ernährungssicherheit, des Ausmaßes von Unterernährung und Hunger, sowie zur Ableitung notwendiger Hilfsmaßnahmen und zur Verbesserung der Entscheidungsfindung bzw. Triage von Hilfskräften) sind über eine halbe Million Menschen von „Hungersnot, Elend und Tod“ bedroht.
Bis Juni 2026 dürften mindestens 132.000 Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden. In diesem Herbst „wird voraussichtlich fast ein Drittel der Bevölkerung (641.000 Menschen) katastrophalen Bedingungen ausgesetzt sein“ (IPC-Phase 5), während die Zahl der Menschen in Notlagen (IPC-Phase 4) wahrscheinlich auf 1,14 Millionen (58 %) steigen wird. Die Lage könnte sich vermutlich schnell verschlechtern.
In den immer kleiner werdenden Gebieten, in denen sie laut IDF (Israelische Armee) Zuflucht suchen sollen, sind Frauen, Kinder und ältere Menschen durch Drohnen, die ohne Vorwarnung Bomben auf sie werfen können, bedroht und total traumatisiert. Die IDF hat Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen angegriffen und dabei ganz bewusst medizinisches Personal, Helfer:innen und Journalist:innen getötet. Sie hat Lastkraftwagen mit Hilfsgütern von verschiedenen internationalen Organisationen aufgehalten.
Durch die Sperrung von UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East; Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) und anderen Organisationen und die erzwungene Schließung von 400 Essensausgabestellen, die zynischerweise als Deckmantel für die Hamas beschuldigt wurden, breitet sich eine absichtliche Hungersnot aus. Die vier Zentren der israelisch-amerikanischen Gaza Humanitarian Foundation (GHF), die an ihre Stelle traten, wurden bald zu Todeszonen. Seit dem 27. Mai wurden mehr als 1.300 Menschen an GHF-Standorten von der IDF und amerikanischen Söldner:innen erschossen – 729 davon allein im Juli.
Unterdessen vertreiben bewaffnete Siedler:innen mit Unterstützung der IDF in der Westbank und in Jerusalem palästinensische Dorfbewohner:innen, verbrennen ihre Ernten, fällen Olivenhaine und ermorden diejenigen, die protestieren. Der E1-Plan zur ethnischen Säuberung Jerusalems wurde von Bezalel Smotrich (Finanzminister und zuständig für den Siedlungsausbau im Westjordanland im Kabinett Netanjahu VI) wiederbelebt und in die Tat umgesetzt, wodurch ein Halbmond aus israelischen Siedlungen um Ostjerusalem entsteht, um es vom Rest der Westbank und ihrer palästinensischen Bevölkerung zu trennen.
Smotrich reagierte auf die Drohung Frankreichs, Australiens, Großbritanniens und Kanadas, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, mit den Worten: „Sie werden über einen palästinensischen Traum reden, und wir werden weiter eine jüdische Realität aufbauen. Diese Realität wird die Idee eines palästinensischen Staates für immer begraben, denn es gibt nichts anzuerkennen und niemanden, der anerkennen könnte.“
Die Trump-Regierung ist offen mitschuldig und legt bei jedem Versuch der UNO, Israel wegen seiner eklatanten Verstöße gegen das Völkerrecht und die UN-Charta zu verurteilen oder zu sanktionieren, ihr Veto ein. Unterdessen machen die europäischen imperialistischen Staaten weiterhin Geschäfte mit Trump und Israel. Deutschland und andere Staaten unterstützen weiter den Genozid und blockieren selbst symbolische Maßnahmen der EU.
Doch selbst ihre halbherzigen Verurteilungen und symbolischen Gesten sind nichts anderes als ein Versuch, sich selbst zu schützen, damit sie etwas zu sagen haben, wenn das ganze Ausmaß ihrer Komplizenschaft und Beteiligung am zionistischen Völkermord in zukünftigen Kriegsverbrechertribunalen ans Licht kommt.
Natürlich gab es Dutzende von Massendemonstrationen in Großbritannien und anderen Ländern, die Israel verurteilten und oft der Unterdrückung durch die Polizei und schmutzigen Medienverleumdungen wegen Antisemitismus trotzten. Aber in den kommenden Monaten macht es die Dringlichkeit der letzten und mörderischsten Phase des Völkermords unerlässlich, alle Mittel einzusetzen, um ihm ein Ende zu setzen.
Am 31. August stachen mehrere Duzend Boote aus 44 Ländern von Spanien aus in See, um Israels Seeblockade zu durchbrechen und humanitäre Hilfe zu liefern. Weitere Boote stachen von Tunesien aus in See. Diese Aktionen orientieren sich an früheren Versuchen wie der Freedom Flotilla (Freiheitsflottille) von 2010 und dem Landkonvoi Maghreb Steadfastness (Standhaftigkeit des Maghreb) nach Rafah Anfang dieses Jahres.
Diese mutigen und vorbildhaften Aktionen zivilen Ungehorsams sind eine Inspiration für unsere Bewegung. Zugleich ist auch klar, dass nur massive direkte Aktionen, die über Proteste hinausgehen, die aktive Unterstützung der Regierungen für Israel brechen können.
Wir müssen dafür kämpfen, dass die Gewerkschaften in den Häfen und Flughäfen Schiffe mit Ziel oder Herkunft Israel mit einem Embargo belegen und dass die Arbeiter:innen in Rüstungsfabriken und Flugzeugkomponentenproduktionsstätten, die mit der IDF in Verbindung stehen, die Arbeit niederlegen. Wir müssen die Parlamente belagern und fordern, dass die Länder ihre diplomatischen, kulturellen und Handelsbeziehungen zu den Völkermörder:innen abbrechen. Im Mittelmeerraum und in den arabischen Ländern müssen wir Massenaktionen gegen alle Regierungen fördern, die Beziehungen zu dem zionistischen Siedlerkolonialstaat unterhalten.
Unsere Forderungen müssen sich sofort auf ein bedingungsloses Ende der mörderischen Ausschreitungen der IDF in Gaza und ihren vollständigen und bedingungslosen Rückzug konzentrieren. Alle Geiseln sollten freigelassen werden, nicht nur die 20 Israelis, die sich noch in Gaza befinden, sondern auch die 10.000 Palästinenser:innen, die in israelischen Gefängnissen schrecklich misshandelt werden.
Wir müssen fordern, dass die Belagerung beendet, alle Landgrenzen geöffnet und die Häfen wiederhergestellt werden, damit jede Menge Hilfe ankommen kann: Lebensmittel, Wasser, Medikamente, Treibstoff und Material für den Wiederaufbau von Notunterkünften, Krankenhäusern und Schulen. Außerdem müssen wir fordern, dass die ethnischen Säuberungen und Morde der Siedler:innen aufhören, sie entwaffnet werden und die IDF aus dem illegal besetzten Westjordanland und Ostjerusalem abgezogen wird.
Die USA und die EU-Staaten, die Israel so lange finanziell unterstützt haben, müssen zusammen mit dem zionistischen Staat die gesamten Kosten für den Wiederaufbau des Gazastreifens und der Städte im Westjordanland tragen, die bombardiert und deren Straßen und Infrastruktur von der IDF zerstört wurden.
Die Liga für die Fünfte Internationale hat immer gesagt, dass es keine dauerhafte Lösung geben kann, solange Israel als rassistisch privilegierter „jüdischer Staat“ existiert, in dem Palästinenser:innen bestenfalls als Bürger:innen zweiter Klasse unter einer neuen Apartheid leben und Millionen weitere dazu verdammt sind, als Flüchtlinge zu leben.
Wir akzeptieren nicht, wie es die zionistische Propaganda behauptet, dass ein säkularer, demokratischer und sozialistischer Staat die Vertreibung der jüdischen Israelis aus Palästina erfordert – eine Verleumdung, die sowohl rassistisch gegenüber den Palästinenser:innen als auch antisemitisch ist. Die Gleichberechtigung aller Menschen, die auf dem Gebiet Palästinas leben, setzt die Zerstörung des Apparats der Kolonialherrschaft und Unterdrückung voraus, der den zionistischen Staat ausmacht. Die nationale Selbstbestimmung aller Völker der Region ist untrennbar mit einer sozialistischen Revolution verbunden, die die Grenzen aus der Kolonialzeit aufhebt, die vom Westen unterstützten Diktaturen stürzt und ein demokratisches und sozialistisches Palästina als Teil einer freiwillige Föderation sozialistischer Republiken im Nahen Osten errichtet.