Arbeiter:innenmacht

Aus dem Archiv: Gracchus Babeuf und die Verschwörung der Gleichen

Flameng, Léopold (Bruxelles, 22–11–1831 - Paris, 04–09–1911), graveur, CC0, via Wikimedia Commons

Anders Hagström (Arbetarmakt), Infomail 1290, 29. August 2025

Wir haben diesen Artikel ursprünglich 1996 in der vierten Ausgabe des Arbeitermarkt-Magazins veröffentlicht, das damals unser Magazin für tiefgründigere Artikel war. Das Magazin gibt’s immer noch, heißt jetzt aber „Revolutionärer Marxismus“. Hier fassen wir die Geschichte von Gracchus Babeuf und der Verschwörung der Gleichen zusammen, der ersten kommunistischen Bewegung im eigentlichen Sinne.

Die Redaktion

Gracchus Babeuf und die Verschwörung der Gleichen

Anfang 1796 wurde General Napoleon Bonaparte vom regierenden Direktorium angewiesen, die Panthéon-Klub (Vereinigung der Freunde der Republik) aufzulösen und ihre Anführer zu verhaften, die eine geheime Verschwörung gegen das gemäßigte bürgerliche Regime, das damals Frankreich regierte, inszeniert hatten. Diese Verschwörung früherer Kommunist:innen und radikaler Jakobiner bedeutete den Eintritt des Kommunismus in die moderne politische Geschichte als gesellschaftsverändernde Bewegung.

Im Juli 1794 war der Vorsitzende des regierenden Wohlfahrtsausschusses, Maximilien Robespierre, durch eine unheilige Allianz aus gemäßigten Jakobinern, konservativen Republikanern und anderen Kräften gestürzt worden. Das Jakobinerregime hatte sich einfach zu Tode regiert. Nachdem sie die junge Republik aus einer verzweifelten Lage gerettet hatten, wurden die Jakobiner von der Bourgeoisie, die sie gerettet, aber gleichzeitig durch ihren hartnäckigen kleinbürgerlichen Radikalismus erschreckt hatten, mit der Hinrichtung ihres Anführers an der Guillotine belohnt.

Der Sturz und die Hinrichtung des „Unbestechlichen“ (Robespierre) waren der Startschuss für eine scharfe politische Gegenbewegung, die nach dem französischen Revolutionskalender den Namen Thermidor bekam (am 9. Thermidor des Jahres II – dem 27. Juli 1794 – wurden Robespierre und seine Anhänger:innen verhaftet). Innerhalb weniger Jahre wurde nicht nur die Regierungsmaschinerie der radikalen Republik abgeschafft, sondern auch die gemäßigten Jakobiner:innen wurden aus allen einflussreichen Positionen verdrängt und der Jakobinerklub unterdrückt. Der puritanische Geist und das soziale Pathos, die die Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses geprägt hatten, wurden beiseite gefegt.

Der Prairialaufstand

Während die Bourgeoisie offen mit ihrem Reichtum prahlte, verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage. Im Spätwinter und Frühjahr 1795 erlebte das Land die schlimmste Hungersnot der gesamten Revolution.

Der Hunger und die Repressionen weckten neues Leben in den Sansculott:innen, die den Sturz der Jakobiner mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen hatten, obwohl es eigentlich in ihrem Interesse gelegen hätte, das robespierreistische Regime gegen die Thermidorianer zu verteidigen. Aber die Robespierreist:innen hatten sie vom Regime entfremdet, indem sie ihre Anführer:innen aus dem Verkehr gezogen und sie unter jakobinische Vormundschaft gestellt hatten.

Als im Frühjahr außerdem klar wurde, dass die Thermidorianer die demokratische – aber nie umgesetzte – Verfassung von 1793 überarbeiten wollten, erreichte die Verbitterung ihren Höhepunkt. Im Mai 1795 stürmten die Sansculott:innen das Konvent, um es zu zwingen, eine Politik in ihrem Interesse zu betreiben. Aber ohne Anführer:innen wurde ihr Aufstand schnell niedergeschlagen. Der Prairialaufstand (20.–23. Mai 1795) – benannt nach dem Monat Prairial im Revolutionskalender – bedeutete das Ende der Sansculott:innen-Bewegung. Auf die Niederlage folgten massive Säuberungen von Anhänger:innen des Aufstands und von denen, die sich ihnen gegenüber versöhnlich gezeigt hatten.

Die neue Verfassung, die ausgearbeitet wurde, war bewusst so gestaltet, dass sie die Kontrolle der republikanischen Bourgeoisie über die politischen Institutionen sicherstellte. Das Ergebnis war ein kompliziertes Zweikammersystem, an dessen Spitze ein fünfköpfiges Direktorium stand, das dem neuen Regime den Namen gab, unter dem es in den Geschichtsbüchern bekannt ist.

Aufgrund seiner schmalen sozialen Basis musste sich das Direktorium aber immer mehr auf die republikanisch gesinnten Streitkräfte und ihre Generäle verlassen, um an der Macht zu bleiben. Mit der Zeit bekamen die Generäle immer mehr zu sagen.

Babeuf

Einer der schärfsten Kritiker:innen der neuen Machthaber:innen war François Noël „Gracchus“ Babeuf, Redakteur der radikalen Zeitung „Tribun du peuple“.

Babeuf wurde 1760 in Saint-Quentin als Sohn eines Zöllners und einer Dienstmagd geboren.

Babeuf war Autodidakt und seine Ideen waren von Rousseau, Mably, Morelly und anderen Denker:innen der Aufklärung inspiriert. Seine Ideen waren aber auch von seinen Erfahrungen als Landvermesser und Experte für das Feudalrecht in der Picardie (Provinz im Norden) geprägt.

Die Bäuer:innen kämpften dort hart gegen die Abschaffung alter kollektiver Rechte und Bräuche. Schon vor der Revolution war Babeuf gegen privaten Landbesitz und -nutzung und begann, sich für kollektive Landwirtschaft einzusetzen.

Der Beiname Gracchus, den er sich gegeben hatte, spielte auf die römischen Brüder Tiberius und Gaius Gracchus an, die für eine Umverteilung des Landes in der römischen Republik gekämpft hatten.

Die Klassenkämpfe der Revolution radikalisierten Babeufs Ideen weiter und veranlassten ihn, die Abschaffung jeglichen Eigentumsrechts an der Produktion zu befürworten.

Programm

Babeuf, der in den letzten Monaten der Robespierre-Herrschaft inhaftiert worden war, hatte zunächst den Sturz der Jakobiner begrüßt, der nicht zuletzt zu seiner eigenen Freilassung geführt hatte, änderte jedoch schnell seine Meinung, als die Folgen offensichtlich wurden.

Im Mai 1795 wurde er aufgrund seiner Kritik an den Thermidorianern erneut inhaftiert. Im Gefängnis kamen Babeuf, radikale Jakobiner und Sansculott:innen einander näher, und aus ihren Diskussionen entstand die Idee eines revolutionären Aufstands gegen das Direktorium. Ende März 1796 waren die Vorbereitungen so weit fortgeschritten, dass ein Aufstandskomitee gebildet und eine Propagandakampagne gestartet wurde. Hier zeigt sich aber ein echter Widerspruch in Babeufs Sichtweise. Die Verschwörer:innen pläsierten offen für eine Rückkehr zur Verfassung von 1793 mit allgemeinem Wahlrecht, während Babeuf und seine Leute eigentlich eine revolutionäre Diktatur aufbauen wollten.

Babeuf und seine Gleichgesinnten konnten nämlich kaum damit rechnen, dass die Handwerker:innen, Lehrlinge, Kleinbäuer:innen und Kleinunternehmer:innen, die die soziale Basis der Sansculott:innen und Jakobiner bildeten, sich hinter ein kommunistisches Programm stellen würden – ein Begriff, der damals noch gar nicht existierte –, geschweige denn der Rest der Nation. Außerdem hatten sie noch gut im Kopf, wie Robespierre von den moderaten Kräften im Konvent gestürzt worden war. Die revolutionäre Diktatur sollte also das Mittel sein, um die Nation zum Kommunismus zu erziehen. Diese Diktatur der Aufgeklärten sollte erst mit der „nationalen Erneuerung“ gelockert werden.

Heute lässt sich leicht feststellen, dass die Anhänger:innen Babeufs, selbst wenn der Aufstand erfolgreich gewesen wäre, ihr Programm niemals hätten durchsetzen können. Voluntarismus kann niemals das Fehlen einer lebendigen sozialen Basis ersetzen. Die Diktatur der Anhänger:innen Babeufs wäre, wenn sie überhaupt hätte errichtet werden können, kurz nach ihrer Errichtung gestürzt worden oder zusammengebrochen, da sie sich praktisch die gesamte Bevölkerung zum Feind gemacht hätte.

Erst das Aufkommen der modernen Arbeiter:innenklasse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte den Kommunismus zu einer echten Möglichkeit. Die revolutionäre Minderheitsdiktatur von Babeuf war im Grunde ein von vornherein zum Scheitern verurteilter Versuch, die Tatsache zu überspielen, dass er zu früh zur Begegnung mit der Geschichte gekommen war.

Untersuchung

Die Agitation der Verschwörung stieß jedoch nur auf begrenzte Resonanz, obwohl die Armut laut einer polizeilichen Notiz, die vom britischen Historiker George Rudé wiedergegeben wird, „auf ihrem Tiefpunkt“ war. Aber die Jakobiner und Sansculott:innen waren viel zu demoralisiert, um den Kampf wieder aufzunehmen.

Trotzdem zögerten die Behörden zunächst einzugreifen, da sie sich nicht sicher waren, was die Verschwörer:innen eigentlich wollten, und nicht in etwas hineinsteigen wollten, das sich als Wespennest herausstellen könnte. Die Verschwörung wurde aber von einem gewissen Kapitän Grisel verraten, und so war es für das ehemalige Mitglied des Wohlfahrtsausschusses und mittlerweile immer konservativer werdende Direktoriumsmitglied Lazare Carnot ein Leichtes, die Verhaftung und Gerichtsverhandlung der Anführer des Panthéon-Klubs durchzusetzen. In einer seltsamen Ironie der Geschichte entschied sich Carnot, den jungen General Napoleon Bonaparte für die Verhaftung von Babeuf und seinen Gleichgesinnten verantwortlich zu machen.

Erst im Februar 1797 begann der Prozess gegen die Verschwörer:innen. Aus Angst vor Protesten der Bevölkerung wurde der Prozess nach Vendôme (Stadt in Zentralfrankreich) verlegt, wohin die verhafteten Verschwörer:innen in Eisenkäfigen gebracht worden waren. Babeuf zeigte sich sehr würdevoll und versuchte, so viel Verantwortung wie möglich auf sich zu nehmen, um seine Mitverschwörer:innen zu schützen. Am 27. Mai fielen die Urteile. Babeuf und sein Mitstreiter Augustin Darthé wurden zum Tode verurteilt, während eine Reihe anderer zur Verbannung verurteilt wurde. Babeuf und Darthé versuchten, Selbstmord zu begehen, wurden aber daran gehindert. Am 28. Mai wurden sie beide in ihren blutbefleckten Kleidern zur Guillotine gebracht.

Der Verräter Grisel wurde später von Babeufs ältestem Sohn Jean-Baptiste („Camille“) erschossen.

Buonarroti

Es war Filippo Buonarroti, der die Ideen der Gleichheit an eine neue Generation von Revolutionär:innen weitergab.

Filippo Buonarroti stammte aus einer italienischen Adelsfamilie, die sich auf Michelangelos Bruder zurückführte. Er hatte sich der Revolution angeschlossen und war unter anderem als Vertreter des Wohlfahrtsausschusses auf Korsika tätig. Als Gefangener nach dem Thermidor hatte dieser überzeugte Anhänger Robespierres Babeuf getroffen und sich für dessen Ideen begeistern können.

Auf Korsika hatte Buonarroti übrigens Napoleon kennengelernt. Zwei Jahre nach Babeufs Hinrichtung hatte Napoleon einen Staatsstreich gegen das damals zutiefst diskreditierte Direktorium angeführt. Nachdem er sich an der Macht festgesetzt hatte, bot Napoleon Buonarroti einen hohen Posten im neuen Regime an, weil er dachte, dass dieser, wie so viele andere mit einer radikalen Vergangenheit, bereit wäre, sich mit der Macht zu arrangieren. Buonarroti lehnte Napoleons Angebot aber mit Verachtung ab. Erst 1807 wurde er freigelassen und wanderte dann nach Belgien aus, wo er weiterhin politisch aktiv war. Nach der Revolution von 1830, die Karl X. stürzte und die Bourbonen-Restauration beendete, kehrte er nach Frankreich zurück.

In der belgischen Hauptstadt Brüssel veröffentlichte er 1828 den Bericht über die Verschwörung der Gleichen, Conspiration pour L’Egalité dite de Babeuf, der zu einem revolutionären Klassiker werden sollte. Das Buch hatte einen enormen Einfluss auf die Revolutionär:innen der 1830er und 1840er Jahre, darunter auch den bekanntesten von ihnen, Auguste Blanqui, der später eine Reihe kommunistischer Verschwörungen anführte und einen Großteil seines Lebens im Gefängnis verbrachte.

Eintritt

Die Verschwörung der Gleichen war gleichzeitig das Nachspiel der besiegten Volksbewegung und der Beginn von etwas Neuem. Obwohl Babeuf zu früh zur Begegnung mit der Geschichte kam, bedeutete der Babeufismus dennoch, dass der Kommunismus als revolutionäre Kraft mit dem Sturz der bürgerlichen Gesellschaft auf seinem Programm in die moderne politische und soziale Geschichte eintrat. In diesem Bewusstsein erklärte der erste Kongress der Kommunistischen Internationale 1919 in seinem Manifest an die Arbeiter:innen der Welt (verfasst von Trotzki) in einem scharfen Angriff auf die Vorläufer der heutigen Sozialdemokratie stolz:

„Wir, die in der Dritten Internationale vereinigten Kommunist:innen, lehnen die Halbherzigkeit, die Verlogenheit und die Trägheit der überlebten sozialistischen Parteien ab und verstehen uns als direkte Fortführer:innen der heldenhaften Anstrengungen und des Martyriums einer langen Reihe revolutionärer Generationen, von Babeuf bis Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.“

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