Arbeiter:innenmacht

Bericht: Internationalismus 2024

Leo Drais, Neue Internationale 285, September 2024

Eine Woche revolutionäres Sommercamp „Internationalismus 2024“ liegt hinter uns. Sechs Tage, vom 6. – 11. August, Welt verstehen zu ihrer Veränderung. Vor dem Hintergrund zahlreicher Krisen beschäftigten wir uns mit genau diesen.

Zuerst – eine Welt zu gewinnen, heißt, sie zusammenzubringen. Revolutionäre Kommunist:innen aus Italien, Argentinien, Dänemark, Schweden, der Schweiz, Deutschland, Großbritannien und Österreich kamen zusammen. Insgesamt 10 Organisationen, vier Strömungen. Kennenlernen, Wiedersehen; ein genossenfreundschaftliches „Hey, wer bist du? / Wie geht’s, schön dich zu sehen. / Cool, dass du da bist“; auf einer großen Sandfläche ein zufälliges Begegnen. Trotzkist:innen aus mehreren Kontinenten sortieren sich nach Wohnort und Alter, sehr jung, Schwerpunkt Mitteleuropa.

Über 70 Workshops und Podien standen auf dem Plan. Grundlagen des Marxismus, politische  Ökonomie, wie gegen die Rechte kämpfen (der Weg zum Camp war von Straßenlaternen beleuchtet, die an die rassistischsten Wahlkämpfe seit den 1990er Jahren mahnen). In sechs Tagen um die Welt: Argentinien – USA – Russland – Schweiz – Dänemark – Italien – Portugal – China – Sudan – Indien – Iran, kurzfristig eingeschoben noch: die Revolution in Bangladesch, die rechten Riots in Großbritannien.

Ein Campname ist Programm

Einen Tag lang Diskussionen und solidarische Auseinandersetzung um die revolutionäre Strategie und Programmatik, um die Entwicklung der Palästian-Solidarität. Unwirklich weit weg wirkte die Hölle von Gaza auf diesem von sanft wogenden Kiefern umstandenen Camp. Und trotzdem war Gaza viel näher als in jeder Nachricht, die über den Bildschirm flackert, weil verständlich, begreifbar; weil es nicht unausweichlich so beschissen weiter gehen muss. Sozialistische Zukunft ist vorstell- und erkämpfbar. Workshops zur Ökonomie der Besatzung, Kritik des Zionismus, Kampf Permanente Revolution vs. Etappentheorie (gewinnt erstere, kann Palästina frei sein), sozialistische Einstaatenlösung. Am Ende des Camps ein Solibild: From the _ to the _, fuck you Germany.

In der gleichen dialektisch-materialistischen Sprache diskutierten wir über Katastrophen wie Gaza oder die Ukraine, über die Kritik unterschiedlicher Sprachen selbst, von den Interpretationen der Quantenmechanik bis zum dekonstruktivistischen Idealismus.

Workshops zu Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Populismus und Bonapartimus. Das Triumvirat in den Werkzeugkästen von Meloni bis Trump, wir müssen es verstehen, um es zu bekämpfen: von der Einheitsfronttaktik bis zum Aktionsprogramm gegen die Rechten.

Überhaupt – neben dem internationalistischen Ausblick auf die Welt und ihre Ideen stellten wir die Ziele, Strategien und Taktiken des Marxismus vor: Arbeiter:innenregierung, revolutionärer Defätismus, nationale Befreiung, Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit. Ein Blick auf andere Strömungen: Die Selbsternennung der IMT zur Internationalen fernab der Arbeiter:innenklasse, die Aufgaben der FIT-U in Argentinien, der neue alte Reformismus der KPÖ, die unendliche Geschichte der Krise der Linkspartei.

Ausloten der Möglichkeiten praktischer Arbeit an Schule, Uni und Betrieb. Außerdem Treffen und Caucuses zu den Themen Sexismus, Rassismus und Neurodivergenz und dabei reflektierende Arbeit an uns selbst.

Vorstellbar machen einer anderen Welt: Wie kann eine Planwirtschaft aussehen, das Recht auf Rückkehr für die Palästinenser:innen verwirklicht werden ohne eine umgekehrte Geschichte der Vertreibung, Kindererziehung und psychiatrische Versorgung jenseits des Kapitalismus, transformative Justice, eine wirkliche Verkehrs- und Energiewende.

Selten reichte die Zeit der Workshops, um auf alles eingehen zu können. Manchmal nur ein Ankratzen, ein erstes Verstehen, dann eine Inspiration oder der Aufschlag zu einer vertiefenden Arbeit. Wer noch konnte und wollte, diskutierte in den Pausen und am Abend weiter. Andere spazierten zum See, gingen zum Geigenkonzert, machten ein Kneipenquiz oder saßen einfach nur zusammen: Schwelgen in Erinnerung, politischer bis privater Austausch. Wieder andere waren dran mit der Kioskschicht oder Nachtwache – Mitmachcamp. Am letzten Abend Party, einhundertfünfzigundnochwas Kommunist:innen feierten am Rande eines brandenburgischen Dorfes wie am Rande der Gesellschaft, die sie verändern wollen, über die sie viel gelernt haben.

Internationalismus

Dass wir ein internationales Camp waren, erfolgte nicht einfach nur, um etwas aus anderen Ländern zu erfahren oder sich ein bisschen zu vernetzen. Es geht konkret darum, die Grenzen zwischen uns zu überwinden, zusammenzuwachsen. Denn die Linke ist ein Berg Pflastersteine, irgendwann aus großen, kleineren und noch winzigeren Blöcken an der Geschichte zersprungen. Sie tragen alle ihre Abkürzungen, Namen und Programme. Sie müssen den Weg zu einer neuen revolutionären Internationalen finden. Solidarischer Streit, Diskussion über das Programm, feste Prinzipien und gemeinsame Positionierung statt isolierte Selbstpostulation bilden den Weg zum Erfolg.

Wir wissen, dass wir einen langen Weg vor uns haben, sie zu erschüttern, die Welt. Sie erschüttert heute vor allem uns. Vor uns liegen riesige Herausforderungen: der Aufstieg der Rechten und des Faschismus, Verelendung und reaktionäre Krieg gegen Millionen in den Halbkolonien, die Klimakatastrophe und ihre zunehmend eskalierenden Auswirkungen, drohender Dritter Weltkrieg. Und – wir sind klein, haben auf die Arbeiter:innenklasse und das, was passiert, keinen entscheidenden Einfluss, allenfalls Nadelstiche zu bieten. Aber wir sind da, ein kollektiver Kompass, der sich ständig nach einer befreiten Welt ausrichtet. Natürlich können wir dabei noch viel besser werden, wie auch unser Camp. Aber, in einer Welt, wo viele auf irrationale Pfade abbiegen, sind wir auf einem richtigen, einem vernünftigen Weg. Eine Idee, die überlebt hat – weiterlebt, solange sie sich in der Realität verwirklichen kann. Eine Analyse von der Welt, Fähigkeit zur Selbstkorrektur sind die Voraussetzungen nicht nur für den Aufbau einer neuen Weltpartei, sondern auch dafür, im entscheidenden Moment, in einer revolutionären Situation, eine Revolution erfolgreich anführen zu können. Sie sind nicht verstummt, unsere Stimmen, sie reichen zum Erzittern eines Saals: Völker, hört die Signale!

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One thought on “Bericht: Internationalismus 2024”

  1. Diethelm Lazar sagt:

    Genosse Drais hat sehr emotional und dadurch mitreißend geschrieben!

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