Arbeiter:innenmacht

E-Auto statt Verkehrswende?

Mattis Molde, Neue Internationale 284, Juli/August 2024

Die Zulassungszahlen für Elektroautos sind im ersten Quartal um 30 % gefallen. Hinter dieser Randnotiz verbirgt sich eine Krise des gesamten klimapolitischen Szenarios.

Das E-Auto geriet in den letzten Jahren zur Schlüsselfigur im Konzept der deutschen Regierungen, mit der Klimakrise umzugehen. Nachdem es vor rund 10 – 15 Jahren immer schwerer wurde, die Klimakrise zu leugnen, Massenbewegungen wie Fridays for Future auftraten und Umweltkatastrophen zunahmen, versuchten die politischen und wirtschaftlichen Entscheider:innen, daraus ein neues Geschäftsmodell zu konstruieren. Die deutsche – und im Gefolge europäische Industrie – sollten mit umweltgerechten, klimafreundlichen Innovationen ihre Weltmarktanteile verteidigen, Arbeitsplätze und Wohlstand in Deutschland sichern und nebenbei die (Um-)Welt retten.

Große Koalition fürs Exportkapital

Die ganz große Koalition aus Exportkapital, Kleinunternehmen, offiziellen Umweltverbänden und Gewerkschaftsbürokratie und deren politische Parteien fanden sich da zusammen und wurden alle irgendwie „grün“, d. h. sie verbreiteten Ideen und Ideologien, dass sie die Welt auf kapitalistischer Basis neu gestalten könnten.

Hinzu kam, dass die deutsche Autoindustrie selbst den Einstieg in die E-Mobilität lange hinausgezögert hatte und hinter die chinesische und US-amerikanische Konkurrenz zurückzufallen begann – ein Trend, der auch bis heute nicht gebrochen werden konnte.

Gerade für die deutsche Variante des „Green New Deal“ war das Elektroauto das Herzstück dieses Modells, da die Autoindustrie eine zentrale Rolle für die Position Deutschlands auf dem Weltmarkt und in der Kette der führenden imperialistischen Staaten spielt. Profite aus Autos – mit, aber vor den Branchen Maschinenbau, Chemie oder Rüstung – sichern nicht nur „unsern Wohlstand“, sondern auch die politische Dominanz in Europa. Hohe Exportüberschüsse bringen Verschuldung. Schuldner:innen sind erpressbar. Wir haben Griechenland nicht vergessen.

Widersprüche

In dieser großen Koalition waren Widersprüche angelegt. Für die Autokonzerne zählen nur Profite und für sie hieß E-Auto nicht umweltschonend produzieren oder fahren, sondern möglichst große, also schwere und teuere, E-SUV für die Reichen dieser Welt, die – trotz oder wegen der multiplen Krisen – immer reicher geworden sind, zu fertigen. Begrenzte Ressourcen – egal, wenn es für uns reicht. Fehlende Ladeinfrastruktur, zu schmale Straßen, zu wenig Parkraum in den Städten – alles Probleme und Aufgaben des Staates. Und die Regierungen subventionierten die Autokonzerne wie noch nie: Kaufprämien, Forschungungsgelder, Kurzarbeitszuschüsse, ein Transformationsfonds nach dem anderen.

Diese spiegelt wider, dass „der Markt“ selbst keineswegs eine technologische Umstellung garantiert, zumal wenn große Teile des fixen Kapitals stofflich in einer bestimmten Produktionstechnik gebunden sind. Unter den Bedingungen der Vorherrschaft großer, monopolisierter Branchen erfordert eine solche geradezu massive Staatsintervention, sei es durch den deutschen Imperialismus oder die EU, um die Milliardenkosten für die Transformation anderen – und das heißt zuerst der Arbeiter:innenklasse, teilweise aber auch anderen Kapitalfraktionen – aufzuhalsen. Daraus speisen sich nicht nur linke, sondern letztlich auch rechte Kritik am „Green New Deal“, Letztere auf unterschiedliche Weise von AfD und FDP verkörpert.

Die linken Kritiker:innen dieses deutschen Modells, das nie eine Verkehrs-, sondern nur eine Antriebswende werden sollte, für die weiter Autobahnen gebaut werden, aber keine Schienen verlegt werden müssen, konnten sich über die Jahre kaum Gehör verschaffen. Sie sind am radikalen Rand der Umwelt-, antikolonialistischen Bewegung oder antikapitalistischen Linken zu verorten. Ihre Argumente, dass die CO2-Belastung aus Verkehr zu- statt wie geplant abnimmt, ihr Hinweis auf die horrenden sozialen und Umweltschäden, beispielsweise durch Lithiumabbau, aber auch den Abbau von Arbeitsplätzen oder die Verlagerung von Produktionsanlagen, die für klimagerechte Fahrzeuge benötigt würden, wurden von Hauptträger:innen dieser Koalition ignoriert.

Es stellt keine Überraschung dar, dass Großkapital und seine Vertretung in CDU/CSU und FDP die grüne Schminke eh nie ernst genommen haben. Im Grunde stimmt das auch für die Grünen, aber ihr Schwenk zu immer offener imperialistischer Politk an der Regierung hat großen Anteil an der Diskreditierung der Umweltbewegung. Besonders übel ist aber die Politik der Gewerkschaften, vor allem der IG Metall, die die Frage der Konversion, also der Umwidmung von Produktion aus der Autoindustrie völlig den einzelnen Betrieben, also letztlich dem Kapital überlässt. Dieses hat vor allem die Verbrennerproduktion ins Ausland verlagert und produziert die E-Motorenteile von vorneherein überwiegend dort. Die bedrohten und arbeitslosen Metaller:innen werden so den Klimaleugner:innen und Rassist:innen geradezu zugetrieben.

Kollaps

Der Einbruch bei den Zulassungszahlen ist vordergründig veranlasst durch das Auslaufen der Kaufprämie für E-Autos, liegt aber völlig im Trend. Seit Jahren läuft die Bundesregierung dem Ziel, bis 2030 15 Mio. E-Autos auf deutschen Straßen verkehren zu lassen, meilenweit hinterher. Derzeit sind es etwas über eine Million, was schon vor 4 Jahren hätte erreicht werden sollen.

Weil das E-Auto nicht läuft, will VW 60 Milliarden in die (Weiter)-Entwicklung von Verbrennungsmotoren investieren. Daimlerchef Källenius verkündet, dass „wir auch unsere Hightech-Verbrenner auf dem neuesten technologischen Stand halten.“ In der EU wurde das an sich anvisierte Verbrenneraus bis 2035 auf dem letzten Meter durch die deutsche Regierung gekippt.

Das Großkapital hat also den E-Autokonsens gesprengt. Die Aussicht heißt: vorwärts in die Klimakatastrophe, mit den Glaubenssätzen und Techniken von gestern und den Modellgrößen und Stückzahlen von heute.

Grüne und reformistische Verteidigung

In dieser Situation verteidigen die Grünen und Reformist:innen das E-Auto. Das hat die IG Metall bereits in ihrem 11-Punkte Papier getan. Allerdings gibt es dort aus den Reihen der Auto-und Zulieferindustrie Betriebsräte, die für die Rückkehr zum Verbrenner eintreten – in der „grünen“ Wasserstoff-Variante.

Auf der Mobilitiätswendekonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ende Mai sprach sich der Soziologe Klaus Dörre ebenso dafür aus, das E-Auto zu verteidigen, weil es auch gerade die Arbeitsplätze in den ostdeutschen Standorten sichere. Vehement griff er diejenigen an, die mit Blockaden und anderen Protesten gegen die Erweiterung von Tesla östlich von Berlin protestieren.

Verkehrswende statt E-Auto

Dem reaktionären Schwenk der deutschen Bourgeoisie folgt also ein Rechtsruck der Grünen und Reformist:innen. Klimabewegung, (Öko-)Sozialist:innen und kämpferische Gewerkschafter:innen dürfen diesem nicht nachtraben. Im Gegenteil!

Der E-Autokonsens hat sich entlarvt als das, was er schon immer war: ein Bündnis für den Exportschlager Privat-PkW, der eine so wichtige Rolle für den deutschen Imperialismus spielt. Die reine Antriebsdebatte war schon immer eine Sackgasse, jetzt wäre sie eine üble Falle.

Umso wichtiger ist es, den Kampf für die Beschränkung des Autoverkehrs insgesamt zu führen:

  • Massiver Ausbau des Bahnverkehrs und von Busstrecken.
  • Verringerung des Autoverkehrs in den Städten durch Größe- und Gewichtsbeschränkung der Fahrzeuge. Kostenloser öffentlicher Nahverkehr.
  • Verstaatlichung aller Fernverkehrsbetreiber:innen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Klimabewegung.
  • Finanzierung dieser Maßnahmen durch Besteuerung der Konzerne und privaten Vermögen.

Wir schlagen eine Konferenz zu diesem Thema vor, um sich gemeinsam über die Inhalte, z. B. eine gemeinsame Erklärung, und über Aktionen zu verständigen.

Praktische Ansätze können Betriebe liefern, in denen die Belegschaft gegen die Stilllegung kämpft oder gekämpft hat, wie Ford Saarlouis, wo bis 2025 die Produktion eingestellt werden soll und bis 2032 die 3.700 Arbeitsplätze wegfallen sollen.

Ein zweiter guter Ansatz liegt darin, die Belegschaft des besetzten (Ex-)GKN-Werkes bei Florenz zu unterstützen. Diese muss jetzt zwar die Konversion als Genossenschaft betreiben, aber bildet ein gutes Beispiel dafür, dass eine Belegschaft Alternativen zum Betteln nach „neuen Investor:innen“ oder Sozialplänen entwickeln kann.

Drittens müssen wir dafür sorgen, dass Gewerkschaften und Beschäftigte Hand in Hand mit Umweltaktivist:innen wie z. B. den Protesten gegen Tesla kämpfen.

Eigentumsfrage

Nachdem das Großkapital als stärkste Kraft der deutschen Bourgeoisie gezeigt hat, dass seine Interessen und die Zwänge des Weltmarktes nicht mal eine grün geschminkte Verkehrswende zulassen, sollten die antikapitalistischen und radikalen Kräfte, die schon immer das E-Auto kritisiert haben, die Chance nutzen für eine Offensive.

Eine Verkehrswende, die diesen Namen verdient, kann allenfalls Stückwerk bleiben, wenn die großen Produktionsunternehmen weiter privatkapitalistisch betrieben werden. Die großen Automobilkonzerne und Zulieferindustrien müssen entschädigungslos enteignet werden. Nur auf dieser Grundlage können die vorhandenen Produktionskapazitäten für eine geplante Transformation von Produktion und Verkehrssystem unter Arbeiter:innenkontrolle verwendet werden. Nur so können alle Entlassungen und jeder Lohnverlust verhindert und die Beschäftigten selbst umgeschult werden auf ökologisch nachhaltige Produktion. Dazu brauchen wir eine über Teilkämpfe hinausgehende, antikapitalistische Strategie, denn eine ökologische Transformation im Verkehrssektor (oder jeder anderen einzelnen Branche) ist letztlich nur möglich, wenn sie in eine grundsätzliche, sozialistische Umgestaltung eingebunden ist.

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One thought on “E-Auto statt Verkehrswende?”

  1. Paul Pfundt sagt:

    „und Umweltkatastrophen zunahmen“. Falsch! Alle internationalen Daten zeigen das Gegenteil. Sogar der IPCC hat in seinem AR 5 eingestanden, dass es eine globale Zunahme von Extremwetterereignissen nicht gibt. MfG

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