Arbeiter:innenmacht

AfD stoppen! Aber wie?

Lukas Pfaff, Neue Internationale 283, Juni 2024

Alle Jahre wieder kommt der AfD-Bundesparteitag. Ende Juni diesen Jahres treffen sich Vertreter:innen der rechtsextremen Partei in Essen – quasi zum zehnjährigen Parteijubiläum. Die Stimmung scheint gut – trotz einiger Rückschläge wie der Spionageaffäre um Maximilian Krah und der andauernden Verbotsdebatten, die sich sicher auch auf den internen Machtkampf auswirken werden. Denn für Juni gilt: Die Wahl des Bundesvorstands steht bevor. Der formal aufgelöste, jedoch programmatisch derzeit tonangebende „rechte Flügel“ um Björn Höcke wird wohl bei den Personalabstimmungen einen weiteren Vorstoß zur innerparteilichen Machtübernahme unternehmen. Ob dies so einfach wird, ist jedoch fraglich. Außerdem steht die Vorbereitung der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September an.

Mit CDU und Rave-Demo gegen die Remigrationspartei

Während die Proteste mit Blick auf die Teilnehmer:innenzahl in den vergangenen Jahren eher geschrumpft sind, stellt die derzeitige Mobilisierung einen Aufwind dar. Verschiedene Organisationen rufen auf zum Gegenprotest – die Stadt Essen geht derzeit von ca. 73.000 Gegendemonstrant:innen auf zehn angemeldeten Versammlungen aus. Ähnlich wie bei den großen Protesten in Reaktion auf die Correctiv-Enthüllungen im Januar sind weite Teile des politischen Spektrums vertreten: Von der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“, der „Essener Allianz für Weltoffenheit“ (inklusive Essener Unternehmer:innenverband), dem lokalen Anti-Rechts-Bündnis „Essen stellt sich quer“, Kirchenvertreter:innen, dem DGB bis hin zum Essener CDU-OB. Wie zuletzt im Februar wird man sich hier wohl ein weiteres Mal selbst beglückwünschen – dafür, dass man ein gemeinsames Zeichen „für Demokratie, Vielfalt und Toleranz“ und „gegen Hass und Hetze“ gesetzt hat.

Wie genau das funktionieren soll, steht auch schon fest – man gibt sich kuschelig statt kämpferisch: „Markt der Möglichkeiten“ und Rave-Demo werden durch ein Bühnenprogramm mit „hochkarätigen“ Redner:innen ergänzt. Hochkarätig heißt hier: Der CDU-OB darf sich über die Möglichkeit freuen, ein Grußwort an die Teilnehmer:innen zu richten – und dabei gleich seine erzrassistische Partei als Teil der moralisch wertvollen Brandmauer verkaufen. Und auch das deutsche Kapital, für dessen Profite derzeit der sog. Sozialstaat zur Schlachtbank geführt wird, darf sich in Gestalt des Vorstandschefs von Evonik Industries als Verbündeter der Anwesenden präsentieren und die Massen auf die ach so liberale deutsche Wirtschaft einschwören. Abgerundet wird das Programm mit einem Konzert. Ernsthaftes politisches Fazit: „Dadurch wird deutlich: Wir sind mehr!“ (Essener Allianz für Weltoffenheit). Das ist die Antwort auf eine Partei, deren rassistische Kader die Deportation von Millionen von Menschen planen.

Rassismus als moralisches Versagen

Trotzdem: Diese große Mobilisierung, die Zehntausende gegen die AfD auf die Straße bringen wird, ist gut und wichtig. Sie geht bei vielen Teilnehmer:innen hervor aus einem richtigen Impuls gegen die rassistische Spaltung, die die AfD vorantreibt. Doch so richtig dieser Impuls ist, so unvollständig und naiv ist die zugrundeliegende politische Analyse. Der Antirassismus, der stets betont wird, bleibt solange unvollständig, wie er sich nicht auch gegen alle bürgerlichen Parteien richtet, die de facto bereits eine rassistische Politik umsetzen. Er bleibt solange unvollständig, wie Parteien wie Grüne oder CDU noch auf Veranstaltungen willkommen sind und dort zusammen mit Konzernchef:innen Selbstbeweihräucherung betreiben können.

Rassismus ist nicht, wie hier der Eindruck vermittelt wird, bloßer Ausdruck moralischer Verfehlung, die Abwesenheit sauberen liberal-demokratischen Denkens. Rassismus ist Ausdruck einer von der Barbarei der Klassengesellschaft gezüchteten Wahnvorstellung. Er ist Ausdruck einer politisch absichtlich durchgesetzten Verschärfung von Armut und Prekarisierung als Antwort auf eine wirtschaftliche Krisensituation. Es sind Kürzungen bei Bildung, Gesundheit, Klima und Sozialem, die die Menschen im Angesicht einer tristen Zukunft und mangels einer klassenkämpferischen, wirklich oppositionellen linken Alternative zur AfD treiben. Die Krise ist deutlich zu spüren – und wer im Supermarkt vor explodierenden Preisen steht oder die Miete nicht mehr zahlen kann, wird natürlich empfänglicher für eine Ideologie, die konkrete, sichtbare Feind:innen, ja Verantwortliche benennt und sagt: „Ja, dir steht das Wasser bis zum Hals, aber schau mal, den anderen – Geflüchteten, Arbeitslosen, Queers – machen wir das Leben jetzt noch schwerer!“ Sozialpopulistische Rhetorik ist spätestens seit dem Ukrainekrieg fester Bestandteil des AfD-Wahlkampfs. Die AfD gibt rassistische Antworten auf die Verteilungsfrage. Von Ursachenbekämpfung auch hier natürlich nicht die geringste Spur, im Gegenteil. Eine Umsetzung ihres neoliberalen Programms, das sozialpolitisch irgendwo zwischen CDU und FDP steht, würde wohl eine Verschlechterung des Lebensstandards der meisten AfD-Wähler:innen, ja des Großteils der Bevölkerung verursachen, zugunsten einer weiteren Umverteilung nach oben.

Die Brandmauer ist für die AfD kein Hindernis

Die AfD versteht sich bestens darauf, die sozioökonomische Realität in reaktionärer Weise anzusprechen und gibt rassistische, sozialchauvinistische, sexistische und andere Scheinantworten, die den anderen Parteien immer mehr Wählerstimmen abgraben. Eine echte Antwort auf die Krise, eine Alternative zum derzeitigen Gewaltprogramm gegen die Massen liefern jedoch auch Ampel und CDU nicht. Genau aus diesem Grund vermag es auch ein derartiges Bündnis nicht, den wirklichen Ursachen für den Aufstieg der AfD Einhalt zu gebieten. Der wirksame Kampf gegen die AfD ruft notwendigerweise die Klassenfrage auf den Plan – und die würde das Bündnis sprengen.

Die Brandmauer der Demokrat:innen stellt für die AfD kein Hindernis da. Im Gegenteil: Diese Mauer wird im Rahmen der politischen Krisenverwaltung (heißt: Abwälzung der Kosten von Aufrüstung und Krise auf die Arbeiter:innenklasse) immer weiter nach rechts verschoben – und die AfD spielt gerne mit. Das, was sie vor Jahren forderte, ist inzwischen gängige politische Praxis. Der herbeifantasierte, progressive Gegenpol, der auf den Kundgebungen gegen die AfD sprechen darf, macht faktisch rechte Politik. Und die Wahlversprechen der AfD stellen, entgegen allen vorgeschobenen moralischen Empörungen, keinen inhaltlichen Bruch mehr mit der deutschen Politik von Grünen bis CDU dar. Im Gegenteil – die AfD ist systemkonform. Sobald sie stark genug ist, wird die deutsche Parteienlandschaft wie so oft „Realpolitik“ machen und sich mit ihr arrangieren, ähnlich wie es bereits zwischen Sozialdemokrat:innen und FPÖ in Österreich geschah. Hierfür wird Ende Juni erneut wichtige Vorarbeit betrieben. Das „mehr“ in „Wir sind mehr“ wird stetig dünner.

Arbeiter:inneneinheitsfront statt Einheit der Demokrat:innen

Um der AfD tatsächlich etwas entgegenzusetzen, braucht es deshalb statt einer Einheit der Demokrat:innen eine Einheitsfront der organisierten Arbeiter:innenklasse – gegen die AfD, aber eben auch gegen all die anderen bürgerlichen Akteur:innen, die sich im Zweifelsfall schützend vor ein System stellen, das strukturell immer wieder die Grundlagen für den Erfolg und das anhaltende Wachstum der AfD hervorbringt. Der klassenübergreifende Charakter dieser Mobilisierung ist nicht ihre Stärke, sondern ihre fatale Schwäche, und er bleibt es auch.

Linke Akteur:innen müssen deshalb klare Grenzen in der Bewegung ziehen, alle bürgerlichen „Partner:innen“ als das entlarven, was sie sind – nämlich die willigen Mitverwalter:innen dieses rassistischen Systems. Sie müssen SPD und LINKE in Zugzwang bringen, entweder tatsächliche Politik im Sinne der Arbeiter:innenklasse zu betreiben oder sich zu diskreditieren, wenn sie die Impulse der Massen gegen das Erstarken der AfD in effektive Politik umsetzen wollen.

Den Gewerkschaften kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Es ist ein wichtiger Schritt, dass ver.di die Mobilisierung finanziell mit 10.000 Euro unterstützt, um die bundesweite Anreise zu finanzieren, und Gewerkschaftsmitglieder Tickets subventioniert bekommen. Doch um das aktuelle Kräfteverhältnis tatsächlich zu ändern, reicht das nicht. Praktisch müssten aktive Mitglieder unterstützt werden, Versammlungen und Info-Veranstaltungen zur Mobilisierung in ihren Betrieben zu organisieren und aktiv die Debatte um Rassismus – und die ökonomische Krise, die diesen befeuert – zu führen. Doch derzeit sind die Gewerkschaften eher Teil des Problems – sie sind personell eng mit SPD und Linkspartei verwoben und decken zum Selbsterhalt ihrer Bürokratie wie eh und je deren Politik. Damit muss Schluss sein! Sie dürfen sich nicht länger an der sozialpartnerschaftlichen Verwaltung der Krise mitbeteiligen! Sie müssen stattdessen für echte Verbesserungen kämpfen, gegen Sparpolitik und Sozialabbau und diesen Kampf aktiv mit jenem gegen Rassismus verbinden. Sprich: auch dafür einzustehen, dass Geflüchtete in die Gewerkschaften integriert werden, und sich offen gegen alle Abschiebungen und Abkommen, die die Festung Europa aufrechterhalten, aussprechen. Nur so lässt sich Rassismus effektiv bekämpfen, nur so rechten Ideologien der Nährboden entziehen. Diejenigen, die die AfD als Feind:innen aufbaut, müssen in den Kampf umso mehr integriert werden. Deshalb: Arbeitslose und Geflüchtete in die Gewerkschaften! Schluss mit der Spaltung der Arbeiter:innenklasse!

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