Arbeiter:innenmacht

Auf der Lauer: Union und FDP wollen Streikrecht angreifen

Jaqueline Katherina Singh, Neue International 281, April 2024

Alle Motoren stehen still, wenn die Gewerkschaft es nur will. Oder so ähnlich. Stillstanden in den letzten Wochen nämlich die unterschiedlichsten Verkehrsmittel, teilweise kam es zu Überschneidungen mehrerer Arbeitskämpfe. Gestreikt haben nämlich GDL, Cockpit und kommunale Verkehrsbetriebe. Höchste Zeit, könnte man angesichts der steigenden Preise der letzten Jahre meinen. Aber das sehen natürlich nicht alle so.

Mythos Streiknation

Begleitet wurden die Streiks von einem medialen Orchester, das – wie zu erwarten – die Töne nicht ganz traf. Gefühlt läuft es in diversen Redaktionen so ab: Streiks von der GdL, von Cockpit? Endlich mal wieder den eigenen Frust kompensieren, indem man über genervte Fahrgäste schreiben kann! Zwar gibt es auch moderate Berichterstattungen, aber der Grundton ist klar. Überraschend ist das wenig, bedenkt man die Hetzkampagnen gegen Weselsky in der Vergangenheit. Trotzdem ist eines auffällig: Es wird das Bild von massenhaften Streiks gezeichnet. Ob Tagessschau, Süddeutsche oder FAZ: Alle haben im letzten Monat attestiert, dass Deutschland ein Streikland ist.

Dass das eine Lüge ist, wird schon im europäischen Vergleich klar: 2020/21 wurde in Frankreich etwa 79 Tage im Jahr aufgrund von Streiks nicht gearbeitet, in Belgien waren es 57 Tage, in Spanien etwa 30 Tage. In Deutschland dagegen waren es nur etwa 13 Tage – 4 Tage weniger als im Zeitabschnitt von 2010 – 2019 laut dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI). Dies bezieht sich dabei auf den Jahresdurchschnitt der Ausfalltage pro 1.000 Beschäftigte und bezieht Streiks oder Aussperrungen mit ein. Doch nicht nur medial wird Stimmung gemacht. Dass Union und FDP da nicht lange auf sich warten lassen, ist klar. Insbesondere die Streiks von ver.di und der GDL haben es ihnen angetan.

Drohende Einschränkungen

Dabei ist sich Gitta Connemann, Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion nicht zu schade, in populistischer Manier gegen die Kampagne #wirfahrenzusammen zu wettern. So im Artikel „Braucht es andere Streikregeln?“ auf der Website der CDU: „Ver.di streikt. Fridays for Future streikt. Offiziell geht es um unser Klima. Doch stimmt das wirklich? […] Es geht nur sehr vordergründig um das Klima – und schon gar nicht um Gehälter oder Arbeitszeiten. Das sind politische Streiks. Diese aber sind unzulässig.“ Dass das nicht stimmt, ist klar. Doch diese Kampagne dient mehr war als Mittel, um einen anderen Vorstoß populär zu machen: weitere Einschränkungen des Streikrechts.

Die Töne Connemanns, kritische Infrastruktur müsse geschützt werden, stoßen auch in der FDP auf offene Ohren. Laut Generalsekretär Bijan Djir-Sarai müsse dafür gesorgt werden, „dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt und eine maßlose Streikgier, wie wir sie erlebt haben, in Zukunft unterbunden wird“. Dass die freiheitlichen Werte der Liberalen nur für die Arbeit„geber“:innen zählen, überrascht wenig. Doch was bedeutet das konkret? Ein Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Bisher heißt es, dass in der Zukunft eine Initiative im Bundestag geplant werden solle. Dabei vertritt die CSU die Ansicht, dass Streiks in Bereichen der kritischen Infrastruktur und der öffentlichen Daseinsvorsorge an Bedingungen geknüpft werden sollten:

  • ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorab,
  • eine Mindestfrist für die Ankündigung eines Streiks,
  • verpflichtende Vereinbarungen der Tarifparteien zur Mindestversorgung und von Notdiensten.

Das soll nicht nur den Transportsektor treffen, sondern auch den Gesundheitsbereich, die Energie- und Wassersorgung. Als Inspiration dienen hierbei die Einschränkungen in Spanien, die dazu führen, dass zu Stoßzeiten 75 % (!) aller Züge fahren müssen und sonst 50 %, oder das italienische Streikrecht, was seit den 1990er Jahren besteht und massive Eingriffe und Verbote mit sich zieht. So wurde beispielsweise ein geplanter 24-stündiger Generalstreik im November 2023 auf  vier Stunden heruntergekürzt und teilweise ein Streikverbot ausgesprochen.

Was bedeutet das konkret?

Dass Deutschland – neben Großbritannien – bereits jetzt eine der restriktivsten Streikregelungen hat, spielt im Interesse der Arbeit„geber“:innen eine Nebenrolle. Hierzulande ist Streikrecht vor allem Richter:innenrecht – und da diese im Falle der EVG, aber auch GDL anscheinend zu lasch reagiert haben (also die Streiks nicht verboten haben), braucht es nun ein konkretes Gesetz. Den krassesten Angriff stellt dabei das verpflichtende Schlichtungsverfahren dar.

Die bremsende Rolle von Schlichtungsverfahren wurde zuletzt bei der TVöD-Runde 2023 deutlich. Hier trafen ver.di und der VKA eine Vereinbarung, die eine der beiden Seiten dazu verpflichtet, einer Schlichtung zuzustimmen, wenn es die andere wünscht. Wie schon bei der Konzertierten Aktion spielte diese in den Köpfen der ver.di-Verhandlungsführer:innen eine Rolle bei ihrer „Taktikfindung“. Gleichzeitig ermöglichte sie ihnen auch, sich rhetorisch bis zur Schlichtung kämpferischer darzustellen, um danach durch sie den sozialpartner:innenschaftlichen Kompromiss auszuhandeln. Da während des Zeitraums der Schlichtung keine Streiks stattfinden dürfen, kann diesen mit der Zeit die Luft ausgehen. Doch das Perfide am Vorstoß der CSU ist das obigatorische Element. Während die Schlichtungsverfahren aktuell durch vorauseilenden Gehorsam der Gewerkschaftsbürokratie zustande kommen – und theoretisch aufgekündigt werden können –, kann eine verpflichtende Schlichtung dazu führen, dass die Arbeit„geber“:innenseite die Verhandlungen auflaufen lassen kann – nur um dann in die Schlichtung gehen zu können.

Kein Zufall, sondern Klassenkampf von oben

Diese Vorstöße tragen einen klaren Charakter. Auch wenn sie nicht unmittelbar umgesetzt werden, zeigen sie die Linie klar auf, die sich ein Teil des deutschen Kapitals wünscht. Während in der Pandemie „wir alle zusammenhalten mussten“, sollen Reallohnverluste die dadurch, sowie durch die Inflation und gestiegenen Energiepreise entstanden sind, nicht wieder ausgeglichen werden.

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Schieflage ist das nicht verwunderlich. Dabei sollte nicht davon ausgegangen werden, dass diese ein kurzes Intermezzo bleibt, sondern Teil einer globalen Entwicklung als Folge der Wirtschaftskrise nach der Pandemie ist. (Siehe den Artikel zur deutschen Wirtschaft in dieser Ausgabe der NI). Zentral ist, dass der Verteilungsrahmen insgesamt knapper wird – und das Modell der Sozialpartnerschaft, welches seit Jahrzehnten der SPD als Erfolgsrezept gilt, nicht für immer in der aktuellen Form aufrechterhalten werden kann. Dementsprechend braucht es andere Lösungen fürs Kapital.

Unzureichende Antworten

Angesichts dieser Situation braucht es eine klare Linie. Dass der DGB sich gegen weitere Einschränkung des Streikrechts ausspricht, ist positiv (und auch nicht selbstverständlich, wenn man seine Rolle beim Tarifeinheitsgesetz betrachtet). Doch die sonstige Linie Yasmin Fahimis lässt Schlimmeres befürchten. Es scheint so, dass die Augen davor verschlossen werden (sollen) in welcher politischen Situation man sich befindet. So betonte die DGB-Vorsitzende, in Deutschland gelte ein „restriktives Streikrecht“. Auch wenn dies eine Antwort auf Connemanns Unterstellung ist, dass die Kampagne #wirfahrenzusammen ein politischer Streik sei, so zeigt diese, womit man rechnen kann, wenn es zu Angriffen darauf kommt: „Politische Streiks wie in Frankreich sind bei uns ausgeschlossen“, sagte sie. „Wenn jetzt also das Streikrecht in Frage gestellt wird, ist das entweder reiner Populismus oder ein leichtfertiges Spiel mit Verfassungsrechten.“

Auch hier wird der vorauseilende Kotau deutlich. Statt klarer Kampfansagen gegen drohende Eingriffe gibt es vorab Beschwichtigung. Schließlich ist man selbst ja vernünftig – und die anderen eben nicht. Gegenüber tatsächlichen Angriffen bringt so eine Strategie letzen Endes nichts.

Politische Antwort notwendig

Deswegen braucht es zum einen klare Ablehnung, zum anderen aber auch erste Schritte zur Organisation der Gegenwehr. Hierbei müssen die aktuellen Angriffe aufs Streikrecht kollektiv diskutiert – und Gegenmaßnahmen koordiniert – werden. Denn was in Deutschland nun lose angekündigt worden ist, wurde letztes Jahr im Juli in Britannien unterm „Strikes (Minimum Service Level) Act“ teilweise umgesetzt. Proteste dagegen gibt es weiterhin und eine europäische Initiative nicht nur gegen diese Angriffe, sondern für Verbesserungen des Streikrechts. Alle fortschrittlichen Kräfte sollten sich in so einem Rahmen nicht nur für gemeinsame Aktionstage aussprechen und die vollständige Aufkündigung von Schlichtungsverfahren, sondern auch entschieden dafür eintreten, dass Streiks gegen diese Angriffe notwendig sind. Dies würde sie dann zu politischen Streiks machen, was an der Stelle nicht nur Fahimi nicht gefallen würde. Schließlich heißt es auch: Alle Gesetzentwürfe stehen still, wenn die Gewerkschaft es nur will.

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