Interview mit Aktivist:in der Lützerath-Besetzung, Infomail 1213, 12. Februar 2023
Vor rund drei Wochen wurde Lützerath geräumt. Welche Eindrücke und Gedanken haben Aktivist:innen von dort mitgenommen? Eines unserer Mitglieder war selbst im Dorf und hat sich nach der Räumung und den Aktionen nochmal mit einem Menschen aus seiner Bezugsgruppe getroffen und unterhalten.
S: Also im Großen und Ganzen habe ich eine positive Erinnerung an die Zeit in Lützerath selber. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und hatte sehr gute Gespräche dort. Auch den Kampf habe ich als empowernd wahrgenommen. Wir haben gemeinsam an Barrikaden gebaut und uns zusammen in einem Haus verschanzt, um die Räumung zu verzögern. Mir gibt das generell Energie, dort diese Gemeinschaft gespürt zu haben und in ihr etwas zu erreichen. Wir sind in der ganzen Welt in die Medien gekommen, haben es geschafft, auf Lützerath und das Thema aufmerksam zu machen. Das war auch von Anfang an das Ziel. Ich denke, den meisten Aktivistis war klar, dass es nicht möglich sein wird, die Räumung zu verhindern. Aber wir haben es versucht und alle, die da waren, hatten das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Auch für mich, den Widerstand zu spüren, in dem Haus gewesen zu sein, zusammen zu kochen, zu essen, zu singen, sich auf die Räumung vorzubereiten, sich um einander zu kümmern und dann auch die Räumung gemeinsam durchzustehen. Das sind auf jeden Fall Erfahrungen, die mich weiter prägen und bleiben werden.
S: Ich musste leider auch selbst Polizeigewalt erleben. Am Anfang der Räumung stand ich mit anderen in einer Menschenkette, wo dann ein Polizist auf mich zugerannt ist und mir seine Faust ins Gesicht gehauen hat, wovon ich dann eine blutige Lippe davongetragen habe. Das war unangenehm und im Endeffekt hätte er mich auch einfach zurückdrängen können. Das hätte genau die gleiche Wirkung gehabt. Ich hatte aber den Eindruck, dass er das so machen wollte. Und auch generell hatte ich den Eindruck, dass die Polizei in Lützerath Gewalt angewendet hat, wo es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, es überstürzt um Einschüchterung ging und scheinbar auch einfach darum, Gewalt auszuleben. Für die Räumung selbst war das nicht notwendig.
Auch nach meiner Räumung wurde ich zwei Stunden im kalten Regen festgehalten, was sich auch als Gewalt bezeichnen lässt.
Im späteren Verlauf der Großdemo, nach der Räumung, wurde ich dann mit einem Schlagstock am Kopf getroffen, wovon ich eine sechs Zentimeter lange Platzwunde davongetragen habe, was für mich dann im Krankenhaus endete. Im Großen und Ganzen empfand ich das Auftreten der Polizei also sehr unangenehm und gewaltvoll.
S: Also ich verbuche Lützerath schon als Erfolg, einfach weil es medial weltweit und in Deutschland so stark präsent war. Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass die Räumung durch RWE und Polizei innerhalb kürzester Zeit durchgezogen wurde und auch ohne größere Schwierigkeiten, abgesehen vom Tunnel. Und da kann man sich natürlich die Frage stellen, was hätte helfen können, damit die Räumung hätte verhindert werden können. Einerseits ist da natürlich die Vorstellung, was wäre, wenn Hunderttausende nach Lützerath gekommen wären. Das hätte sicherlich einen Unterschied ausgemacht. Zum andern denke ich aber, dass es einen großen Unterschied machen würde, die Arbeiter:innen von RWE auf unsere Seite zu ziehen und dann gemeinsam mit ihnen diesen Kampf zu führen. Denn sie sind letztlich diejenigen, die im Konzern RWE wirklich was erreichen können. Das wäre natürlich ein Ziel für die Zukunft, mithilfe von Streiks und der Solidarisierung unter Aktivistis und Mitarbeitenden gegen RWE zu kämpfen.
S: Die Nacht vor der Räumung, sich zusammen vorzubereiten und nochmal eine gute Zeit zu haben. Das war natürlich eine aufregende Zeit, eine Achterbahn der Gefühle. Aber es war auch schön und diese Gemeinschaft wünsche ich mir natürlich manchmal zurück.
S: Danke schön!