Arbeiter:innenmacht

Streiks in Britannien: Wie können wir gewinnen?

Workers Power Britannien, Infomail 1213, 7. Februar 2023

Die derzeitige Streikwelle ist der größte und am weitesten verbreitete Widerstand gegen das Kapital seit den 1980er Jahren, mit bis zu 3 Millionen Streiktagen zwischen Juni 2022 und Anfang dieses Monats.

Die Bahn, die Post, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Hochschulen und der öffentliche Dienst haben Streiks durchgeführt oder angekündigt. Lokale Streiks, wie bei Abellio-Bussen in London, haben zu dem allgemeinen Gefühl beigetragen, dass sich eine Klasse wehrt.

Die Feuerwehrleute haben gerade ihre Urabstimmung mit 88 % Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 73 % gewonnen und werden sich sicherlich dem Kampf anschließen, ebenso wie die Ärzt:innen in der Ausbildung, die derzeit ihre Stimme abgeben. Der gemeinsame Streik vom 1. Februar, der von jungen Lehrer:innen vor Ort angeführt wurde, war die erste koordinierte Aktion mit einer halben Million Streikenden und die größte Arbeitsniederlegung seit 12 Jahren.

Es steht viel auf dem Spiel. Wenn wir verlieren, wenn die Gewerkschaftsführer:innen sich mit der Art von Vereinbarung zufrieden geben, die angeboten wird, nämlich 4,5 % in diesem Jahr und 4,5 % für 2023-24, wie sie beim Schienenverkehr angepriesen wird, dann würde die Arbeiter:innenklasse eine große Niederlage erleiden, einen Rückgang des Realeinkommens um 12-15 %. Vor diesem Hintergrund wäre es schwer vorstellbar, dass die Gewerkschaften mobilisieren, um das neue Antistreikgesetz zu verhindern.

Wenn wir andererseits inflationsgleiche Lohnerhöhungen oder mehr durchsetzen, dann stellt sich die Frage, ob wir diese Errungenschaften dauerhaft machen können.

Das macht die aktuelle Situation zu einem potenziellen Wendepunkt für den Klassenkampf in Großbritannien. Und nicht nur hier, denn Arbeiter:innen in ganz Europa und Nordamerika beobachten Großbritannien als Land, in dem die weltweite Offensive der Bosse gebrochen werden könnte.

Streikwelle

Die vorherrschende Gewerkschaftsstrategie besteht in ein- oder zweitägigen Streiks, die manchmal kurz hintereinander stattfinden, gefolgt von langen Perioden, in denen geheime Verhandlungen geführt werden.

Das funktioniert nicht. Das einzige, was hilft, ist die Entschlossenheit, auf der vollen Forderung zu bestehen und daraus die Schlussfolgerungen zu ziehen – und das muss von den Gewerkschaftsführungen eingefordert werden, auch von den Linken wie Mick Lynch (RMT, Schienen-, Wasser- Straßentransport) und Pat Cullen (RCN, Pflegepersonal). Wenn isolierte, nicht eskalierende Warnstreiks Erfolg versprächen, hätten sie das schon längst getan.

Die Gefahr besteht darin, dass die Belegschaft durch die Strategie „Wir machen das so lange, wie es nötig ist“ schneller zermürbt wird als die Regierung oder die „Arbeitgeber:innen“ des privaten Sektors. Es droht dann, eine „Wir nehmen alles an, was uns angeboten wird“- Haltung stärker wird oder die Zahl der Nichtstreikenden wächst.

Jetzt gibt es jedoch immer noch eine starke Begeisterung für die Streiks, sowohl unter der Basis als auch in den Unterstützungsgruppen, die in etwa der Hälfte der Londoner Stadtbezirke und über „Enough is Enough“ („Genug ist Genug“) im Süden Manchesters entstanden sind.

Auf nationaler Ebene sind „Enough is Enough“ und People’s Assembly (Volksversammlung) gescheitert, weil die Gewerkschaftsbürokrat:innen (oder ihre politischen Wasser:innen im Falle der People’s Assembly) die Entwicklung eines Klassenkampfes im realen und nicht nur rhetorischen Sinne des Wortes fürchten. Sie wollen die Hände frei haben, um sich bei der ersten Gelegenheit zu einigen. Eine breite, organisierte Militanz in der Arbeiter:innenbewegung könnte sie nämlich zwingen, weiter zu kämpfen und weiterzugehen, als sie wollen.

Die Basis

Der Schlüssel zur aktuellen Streikwelle liegt in der Organisierung der Basis, und zwar sowohl innerhalb der Gewerkschaften als auch – was ebenso wichtig ist – gewerkschaftsübergreifend. Mit „Basis“ meinen wir die Aktivist:innen am Arbeitsplatz, die sich an den Streiks und Urabstimmungen beteiligt oder sie unterstützt haben. Die war deutlich sichtbar bei den Schulkontingenten der NEU (Nationale Gewerkschaft Bildungswesen) am 1. Februar. Andere Gewerkschaften sollten es ihnen gleichtun und in den Betrieben den alten Slogan „Educate, Agitate, Organise (Aufklären, Agitieren, Organisieren)“ befolgen.

Die Aktivist:innen müssen auf lokaler Ebene über bestehende Solidaritätsnetze oder durch den Aufbau eines solchen Netzes sowie auf nationaler Ebene miteinander in Kontakt gebracht werden, damit sie ihre Führung kontrollieren und zur Rechenschaft ziehen können.

Es geht aber nicht nur darum, Erfahrungen auszutauschen, moralische und sogar finanzielle Unterstützung zu gewähren und Streikposten nicht zu übertreten, sondern auch Aktionen zu organisieren. Es gibt z. B. hunderte Vorfälle, von Maßregelungen örtlicher Militanter. Wir brauchen sofortige Streiks, wilde oder inoffizielle, wenn es sein muss, um zu verhindern, dass die Bosse führende Aktivist:innen herausgreifen und unter Druck setzen.

Es sollte nicht unterschätzt werden, wie die Streikwelle – bei der Stimmabgabe, der Organisation von Streikposten und Demos, beim Streik und bei der Teilnahme an Streikposten – beiträgt, neue Gewerkschaftsaktivist:innen zu gewinnen und bestehende zu verändern und politisch weiterzuentwickeln. Das Bewusstsein der Gewerkschaften ist jetzt auf einem Höhepunkt, und das muss zu dauerhaften Ergebnissen führen. Generalsekretär Kevin Courtney berichtet, dass die Bildungsgewerkschaft NEU (National Education Union) in den zwei Wochen seit Ankündigung der Streiks 40.000 neue Mitglieder rekrutiert hat.

Generalstreik

Die NEU hat für den 15. März zum nächsten landesweiten Streik aufgerufen. Mark Serwotka (Vorsitzender der PCS; Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Handel) hat den Aufruf unterstützt und andere Gewerkschaften dazu aufgerufen, sich anzuschließen. Um den Schwung zu steigern, muss der Streik größer geraten als am 1. Februar, eine Million oder mehr.

Die Basis der Gewerkschaften, Solidaritätsgruppen und Sozialist:innen müssen sich auf dieses Datum vorbereiten, indem sie von ihrer Führung verlangen, dem Aufruf Folge zu leisten, und indem sie inoffizielle Aktionen organisieren, falls sie dies nicht tun. Das bedeutet die Bildung von Aktionsräten mit Delegierten aus lokalen Betrieben, Gewerkschaftszweigen und anderen Organisationen der Arbeiter:innenklasse, um für den Tag zu mobilisieren und zu planen.

Die objektive Situation, einschließlich, aber nicht ausschließlich, des neuen Antistreikgesetzes, wirft sicherlich die Frage nach einem Generalstreik auf. Einige Linke haben zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen, und insofern dies den Willen zur Einheit widerspiegelt, ist dies verständlich. In der Tat sollten wir alles in unserer Macht Stehende tun, um den 15. März zu einem solchen zu machen. Dann käme es darauf an, was am Tag danach passiert. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass die Kundgebungen einen Aufruf zu unbefristeten Massenstreiks beinhalten, so dass die Gewerkschaftsführer:innen ihn nicht ignorieren können.

Es ist klar, dass der Sieg über die Bosse und ihre Regierung nicht durch einen eintägigen Proteststreik errungen werden kann, egal wie groß er auch ausfallen mag.  Was wir mehr als alles andere brauchen, ist, die Gewerkschaften dazu zu zwingen, zu stark eskalierenden Maßnahmen bis hin zu einem Generalstreik aufzurufen.

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