Arbeiter:innenmacht

Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – bedingungslos gut?

Martin Suchanek, Neue Internationale 269, November 2022

Im September 2022 votierte eine Mehrheit der Mitglieder der Linkspartei dafür, die Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in das Programm aufzunehmen. 18.667 Menschen – also rund ein Drittel – beteiligte sich an der Abstimmung, 56,64 % sprachen sich für die Forderung aus, 38,43 % stimmten dagegen.

Für manche Gewerkschafter:innen war es ein weiteres Signal, der Partei den Rücken zu kehren, der sog. emanzipatorische Flügel feiert einen weiteren Erfolg. Wie das BGE der Linkspartei zufolge genau ausgestaltet werden soll, muss der Vorstand zum nächsten Parteitag ausformulieren.

Mit anderen Worten, das beschlossene „Modell“ der Linkspartei unterscheidet sich von anderen dadurch, dass es erst konkretisiert werden muss – es soll aber bedingungslos, armutssicher, nicht neoliberal und außerdem bei der gemeinsamen Durchsetzung mit anderen gesellschaftlichen Kräften nicht verwässert werden.

Dabei ist die Forderung nach einem BGE bekanntlich nicht neu. Seit über zwei Jahrzehnten wird sie wieder in sozialen Bewegungen diskutiert, aber auch von bürgerlichen Kräften als Mittel zur „Reform“ der Sozialsysteme in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung ins Feld geführt. Den Argumenten linker Befürworter:innen hat DIE LINKE nichts hinzugefügt. Wenn überhaupt, zeichnet sich der Beschluss dadurch aus, unklarer als andere Modelle zu sein. Wir konzentrieren uns dabei im folgenden Beitrag auf grundsätzliche Überlegungen zum BGE und werden darlegen, warum diese Forderung zurückgewiesen werden muss und für die Arbeiter:innenklasse keinen Segen, sondern einen Fallstrick darstellt.

Versprechen

Auf den ersten Blick scheint die Frage nach dem BGE  einfach zu sein, zumal wenn wir von den sehr verschieden Vorschlägen absehen, wie es finanziert werden soll oder womit es begründet wird.

Das Grundeinkommen verspricht schließlich eine Reihe unmittelbarer Verbesserungen für Menschen ohne Arbeit, mit geringen Einkommen und jene, die unter Schikanen der Ämter zu leiden haben.

Grundsätzlich versprechen alle Modelle für das Grundeinkommen eine staatliche Transferleistung, die Personen – unabhängig davon, ob sie eine Bedürftigkeit vorweisen können oder nicht – erhalten sollen. D. h. es sollen ALLE kriegen, ob nun Obdachlose, prekär Beschäftigte, Facharbeiter:innen, Professor:inen oder Konzerneigentümer:innen. Staffelungen sind zumeist nur bei Kindern und Jugendlichen vorgesehen, bei manchen Modellen auch für gering Qualifizierte. Eine Reihe von Vorschlägen beschränkt die Bezugsberechtigung allerdings nur auf Staatsbürger:innen, schließt also einen großen Teil der Migrant:innen und alle Geflüchteten aus.

Alle Modelle versprechen zudem, reale Probleme zu lösen: Arbeitslosigkeit, Umstrukturierung der Arbeitswelt, den Zwang, Billigjobs anzunehmen, die gesellschaftliche Abwertung nicht entlohnter Beschäftigung wie z. B. von privater Hausarbeit.

Und alle versprechen mehr Selbstständigkeit und Freiheit des Individuums, weil dieses mit einem garantierten Einkommen abgesichert sei, da es ein Grundeinkommen von 800 –1.500 Euro/Monat ohne Bedingungen zur freien Verfügung hätte und sich dann auch noch etwas „dazuverdienen“ könne oder eben nicht.

Bürgerliche Modelle

Für viele auf den ersten Blick überraschend, vertritt eine Reihe offen bürgerlicher Ökonom:innen, Politiker:innen und auch Unternehmer:innen das BGE.

Hier sei zuerst die sog. negative Einkommensteuer erwähnt. Sie geht auf Milton Friedman zurück, einen der Begründer des Neoliberalismus, und bildet die Grundlage verschiedener Modelle des Bürgergeldes, aber auch etlicher Finanzierungsmodelle des BGE. Der Staat sichert praktisch jedem/r einen festzulegenden Geldbetrag, der in Friedmans Vorstellung mit der Einkommensteuerschuld verrechnet wird. Für Menschen mit keinen oder geringen Steuern ergibt sich daraus ein Plus, daher auch der Terminus negative Einkommensteuer.

Friedman koppelt seinen Vorschlag an die Abschaffung anderer staatlicher Transferleistungen, verspricht Bürokratieabbau samt Einsparung der in der Sozialverwaltung Beschäftigten. Ähnliche Vorstellungen finden wir bei verschiedenen bürgerlichen Konzepten des BGE.

So z. B. beim „Althaus-Modell“, benannt nach dem ehemaligen Thüringer CDU-Ministerpräsidenten. Dieses wurde von der Adenauer-Stiftung schon vor gut 10 Jahren für Beträge von 800 bzw. 400 Euro berechnet und als „kostenneutral“ befunden. Warum? Weil es mit der Abschaffung der Sozialversicherung für Alter und Krankheit einhergeht, diese müsste also privat bezahlt werden. Daher wäre es auch durch Bürokratieabbau und massive Reduktion der sog. Lohnnebenkosten, also eigentlich von Lohnbestandteilen, gegenfinanzierbar.

Götz Werner, Gründer der Drogeriemarktkette dm und mittlerweile tot, sprach sich ebenfalls für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, in der Höhe von zuerst 900, dann ansteigend auf 1.500 Euro. Auch er will zugleich Sozialabgaben und andere Transferleistungen abschaffen. Finanziert werden soll sein Modell durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 48 %, also v. a. Massensteuern. Auch dies soll kostenneutral sein.

Werner meinte außerdem, dass sein Modell den Zwang zur Annahme niedrig entlohnter Arbeit abschaffen würde. Die Unternehmen würden vielmehr zur Rationalisierung und zum Ersetzen unqualifizierter Arbeit durch Maschinen gezwungen. „Angebot und Nachfrage“ würden, so versprach er, gar zu höher qualifizierten Angeboten für Beschäftigte führen. Zugleich hatte er auch eine frohe Botschaft für das Kapital – die Gewerkschaften würden überflüssig, weil die Menschen nur noch die Arbeit annehmen müssten, die sie annehmen wollten.

Dies ist jedoch albern. Selbst ein BGE von 1.500 Euro verbleibt unter der Höhe des von vielen Gewerkschaften geforderten Mindestlohns. Zieht man private Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge und Mieten ab, so kommt man rasch an die Grenze der Reproduktionskosten, die notwendig sind, um die Ware Arbeitskraft zu erhalten und auch zukünftige Generationen auszubilden. Wenn wir die durchschnittlichen Kosten für Lebensmittel, Wohnung, Miete, Bildung, Kindererziehung, Betreuung von Angehörigen usw. in Rechnung stellen, bleibt von 1.500 Euro gerade genug zum Überleben – und das galt schon vor der aktuellen Inflation.

Kritik am bürgerlichen BGE

Faktisch laufen alle diese Modelle auf Kombilohn hinaus, also darauf, dass Menschen zum BGE „dazuverdienen“ müssen. Der Zwang, die Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, bleibt also bestehen.

Die Kapitalist:innen werden bei diesen Modellen von den sogenannten Lohnnebenkosten befreit. Da diese in Wirklichkeit nur als Arbeit„geber“:innenanteile deklariert verklärte Lohnbestandteile darstellen, sinken also faktisch die Lohnkosten. Zweitens ermöglicht das Modell eine Ausweitung von schlecht bezahlter Arbeit, Minijobs usw., gerade weil ein Teil der Reproduktionskosten schon staatlich ausbezahlt wird.

Natürlich werden schon jetzt bestimmte Teile des Arbeitslohns über Transferleistungen (Sozialversicherung) bestritten bzw. wird ein Teil der Reproduktionskosten durch staatliche Einrichtungen (Schulen, Jugendfreizeiteinrichtungen … ), also über Steuern, finanziert, von denen einen immer größeren Anteil die Lohnabhängigen bezahlen.

Mit dem Grundeinkommen oder Bürger:innengeld soll das vereinfacht, sollen also die Verwaltungskosten gespart werden. Alle kriegen das BGE, dafür entfallen möglichst alle Formen der Transferleistungen und damit auch die Rechtsansprüche auf diese. Der neoliberale Trend zur Privatisierung und Individualisierung von Vorsorgeleistungen würde somit forciert. Bisher an den Staat gerichtete Ansprüche wie Bildung, Kita, … könnten so der privaten Wahl der Einkommensbezieher:innen überlassen werden.

Ideologisch wird das Ganze als Zugewinn von Freiheit und Selbstbestimmung verbrämt.

In Wirklichkeit wird der Zwang zum Verkauf der Ware Arbeitskraft jedoch nur in andere, letztlich sehr viel nachteiligere Formen gegossen.

Außerdem wird eine mehr oder minder große Masse an Arbeitslosen und Unterbeschäftigten dauerhaft in Rechnung gestellt.

Seit Jahrzehnten wird in vielen Analysen das angebliche Verschwinden der Arbeit, die mehr oder minder vollständige Ersetzung menschlicher Arbeitskraft beschworen. Diese Behauptungen haben sich nicht nur empirisch als falsch erwiesen, erst recht, wenn wir das Wachstum der globalen Arbeiter:innenklasse in den letzten Jahrzehnten betrachten.

Das Auf-die.Straße-Setzen lebendiger Arbeit wird auch noch als eine unvermeidliche „natürliche“ Entwicklungstendenz dargestellt, als „Sachzwang“ und Automatismus, nicht als Folge der Kapitalakkumulation, also eines gesellschaftlichen Verhältnisses.

Akzeptiert man aber die Verklärung zur unvermeidlichen, „natürlichen“ Entwicklung, so erscheint das BGE als humanere Alternative zu Hartz IV alternativlos. Es bildet daher ein bürgerliches Programm, das nur auf eine andere Form der Verwaltung der Erwerbslosen und prekär Beschäftigten hinausläuft. Am meisten wird das vom Anthroposophen und Humanisten Götz Werner verkleistert. Leute wie Althaus, die CDU-Anhänger:innen von Bürger:innengeld oder Friedman machen das nicht. Sie sind gewissermaßen ehrlicher, jedenfalls offener bezüglich ihrer Klassenziele, aber auch realistischer, was die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus betrifft.

Aus dem Gesagten wird auch schon deutlich, dass das bürgerliche BGE an grundlegenden Verhältnissen nichts verändert:

  • Die Struktur der gesellschaftlichen Arbeit, die Arbeitsteilung, das Verhältnis von Beschäftigten und Arbeitslosen, die Verteilung über die Branchen, aber auch das Verhältnis von Mann und Frau bleiben grundsätzlich unberührt, eventuell verstärkt das BGE z. B. die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sogar.
  • Die Ungleichheit zwischen Staats- und Nichtstaatsbürger:innen wird verfestigt. Alle bürgerlichen Modelle und auch viele andere, die Transferleistungen durch BGE ersetzen wollen, würden die Lage nichtdeutscher Menschen massiv verschlechtern, weil diese vom BGE ausgeschlossen wären.
  • Als Gesellschaftsmodelle verfestigen und verschärfen die unterschiedlichen Entwürfe die Spaltung der Arbeiter:innenklasse – insbesondere zwischen Beschäftigten und Unbeschäftigten. Sie laufen nämlich auf eine Umverteilung des Einkommens innerhalb der Klasse hinaus. Ein mehr oder minder großer Teil der Finanzierung würde durch Lohnabhängige für andere Lohnabhängige über Steuern oder andere Mittel erbracht werden.
  • Alle BGE-Modelle setzen voraus, dass die Zahl der Beschäftigten von den Akkumulationsbedürfnissen des Kapitals bestimmt wird. Es geht einzig um eine Umverteilung von Einkommen, die möglichst „kostenneutral“, also ohne Kosten für das Kapital, vonstattengehen soll. Die Verteilung der Produktionsmittel in der Gesellschaft, deren Besitz von der Kapitalist:innenklasse monopolisiert ist, bleibt außen vor.

Linke Modelle

Neben denen von offen Bürgerlichen gibt es zahlreiche, im weitesten Sinn linke Modelle. Bei der Finanzierung streben die meisten – im Gegensatz zu Althaus oder Friedman – eine Umverteilung von oben nach unten an.

So sollen manche über Steuern – einschließlich einer Teilfinanzierung über eine Vermögensteuer – finanziert werden, andere über Änderung der Sozialabgaben. Die vorgeschlagene Höhe des BGE reicht von 1.000 bis 1.500 Euro, etliche machen dazu auch keine Angaben. Politisch kommen sie von Teilen der SPD, Grünen, Kirchen,

 Sozialinitiativen/Verbünden, attac oder – der Linkspartei.

Ronald Blaschke und Katja Kipping betätigten sich über Jahre als Befürworter:innen in der Linkspartei und waren auch wichtige Unterstützer:innen des BGE bei der Urabstimmung. Außerdem wird das BGE von Gruppierungen und Theoretiker:innen des Postautonomismus (z. B. Negri und Hardt im „Empire“) favorisiert und zu einem Mittel zur Schaffung einer anderen, postkapitalistischen Gesellschaft stilisiert.

Die linken Modelle versuchen, die Defizite der bürgerlichen zu überwinden, indem sie die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen an bestimmte Ziele binden:

a) Es soll wirklich bedingungslos sein – d. h. wirklich keine Form der Bedürftigkeitsprüfung inkludieren (d. h. es gibt natürlich auch Geld für Reiche, die aber insgesamt mehr einzahlen als erhalten sollen).

b) Es muss unabhängig von der Staatsangehörigkeit allen zukommen, die hier leben. Bei manchen wird es auch als „globales soziales Recht“ gefordert. Die Begründung zum Antrag der Linkspartei stellt ein „identitätsstiftendes“ BGE für die gesamte EU in Aussicht.

c) Es soll armutsfest sein – daher auch eine Mindesthöhe haben, die zum Leben in Würde reicht.

Da der Begriff der „Würde“ ökonomisch vage und unbestimmt ist, dient er mehr als Wunsch denn als reale Bestimmung. Im Grund sollen auch die linken BGEs die Reproduktionskosten decken, genauer das notwendige Minimum, um unter den gegebenen Bedingungen die Kosten für Grundbedürfnisse einer Person (Essen, Wohnen, Ausbildung, Freizeit) sowie  zukünftiger Generationen zu sichern.

Was die Höhe angeht, unterscheiden sich die linken Modelle daher nicht substantiell von den Vorschlägen eines Götz Werner. Ihr Unterschied liegt wohl eher in den zahlreichen Heilsversprechen, die zur Begründung des BGE herhalten sollen. In ihrer Gesamtheit stellen sie kein schlüssiges Konzept dar. Gerade die zahlreichen ideologischen Überhöhungen entsprechen aber dem Klassenstandpunkt ihrer Vertreter:innen. So verweist das „Netzwerk Grundeinkommen“ (Blaschke) darauf, dass für ein BGE spräche:

„- mehr Autonomie für Unternehmer:innen durch deren Befreiung von der Verantwortung als Arbeit„geber“:innen,

– mehr Autonomie für Arbeit„nehmer“:innen durch die grundsätzliche Möglichkeit der Nichterwerbstätigkeit bzw. einer sinnvollen Tätigkeit außerhalb der Erwerbsarbeit,

– mehr Autonomie für alle durch die Sicherung von Existenz und Beteiligung am gesellschaftlichen Leben ohne Wenn und Aber,

– größere Unabhängigkeit bei der Suche nach einem Erwerbseinkommen,

– größere Verteilungsgerechtigkeit,

– Anreiz zu größerer Wertschöpfung und Rationalisierung,

– Flexibilität des Arbeitsmarktes,

größere Effizienz des „Sozialstaates“,

– Wahrung der Würde aller Menschen und Beseitigung von Stigmatisierungen vor allem bei den gegenwärtig Erwerbslosen und Sozialhilfebezieher:innen,

– Humanisierung der Arbeit,

– Förderung der Bildung,

– Stärkung der Familien,

– Förderung von Existenzgründungen wie auch von ehrenamtlichen Tätigkeiten,

– Förderung von Kreativitätspotenzialen durch die Möglichkeit der Muße.

Dieser Gemischtwarenladen entspricht der zumeist kleinbürgerlichen Ausrichtung der Initiativen. Er zeigt aber außerdem, dass auch die „linken“ Initiativen keineswegs unbedingt fortschrittliche Begründungen anführen.

Vor allem ist hier nichts von einem bestimmten, proletarischen Klassenstandpunkt zu merken. Im Gegenteil, das BGE wird auch in seinen linken Varianten als „Menschheitsmodell“ angepriesen, das allen Klassen, Beschäftigten wie Unternehmer:innen zugutekommen und zugleich den schrittweisen Aufbau eines nicht auf Lohnarbeit basierenden Sektors erlauben würde.

Bei den linkesten Modellen/Initiativen verknüpft sich das mit bestimmten ideologischen Zielen/Werten, die mit dem BGE durchgesetzt würden:

  • Entkoppelung vom Zwang zur Lohnarbeit oder gar vom „Arbeitszwang“; Einstieg in eine neue Form der Vergesellschaftung;
  • Kritik an der Arbeitsgesellschaft, Umbewertung der Nichtlohnarbeit;
  • Veränderung geschlechtsspezifischer Teilnahme am (Arbeits-) Leben.

Dies alles wird aber nicht als Kampfziele formuliert, sondern als quasi automatische Folge des BGE suggeriert.

Kritik an „linken“ Vorstellungen

Schon sehr früh in der Debatte wurde von sozialistischen, feministischen, operaistischen linken Strömungen massiver und oft auch richtiger Widerspruch gegen das BGE eingelegt. Die Kritik bezog sich sowohl darauf, dass das BGE seine Versprechen nicht einlösen könne, wie auch auf die negativen Folgen der zugrundeliegenden politischen Zielvorstellungen.

Wir wollen hier unsere wichtigsten Einwände darstellen:

1. Die Modelle des BGE werden als sozialpolitische staatliche Reformmodelle vorgetragen. Sie erscheinen nicht als Kampfziele in der Auseinandersetzung gegensätzlicher Klassen, sondern als Abfederung  negativer Auswirkungen des kapitalistischen Systems selbst. „Gerechtigkeit“ wird als Rechenaufgabe, weniger als Kampfauftrag verstanden. Das BGE soll gewissermaßen alle Klassen, abzüglich ihrer „uneinsichtigsten“ Teile, glücklich machen. Es ist daher kein Zufall, dass sich die Kritik der Vertreter:innen des BGE nicht nur an staatlichen Zwangsmaßnahmen festmacht und gegen die bürgerlichen Gegner:innen ihrer Konzeption richtet, sondern auch gegen große Teile der organisierten Arbeiter:innenbewegung und die sozialistische Linke.

2. Im Grunde wird die Existenz einer industriellen Reservearmee (Arbeitslosenmasse) als feststehendes Faktum nicht nur akzeptiert, sondern auch schöngeredet, indem unterstellt wird, dass die weniger repressive oder „repressionsfreie“ Alimentierung des Arbeitslosengeldes, von Hartz IV usw. zu einer schrittweisen, wenn nicht gar automatischen Überwindung des Systems der Lohnarbeit führen würde.

3. Die Ursachen von Armut usw. werden als Verteilungsproblem aufgefasst. Es wird daher auch bei allen Modellen eine Lösung vorgestellt, die Einkommen der Gesellschaft einfach nur umzuverteilen. Damit würden die Auswirkungen der Ausbeutung, Arbeitslosigkeit  usw. nicht nur vermindert. In den scheinbar radikalsten Begründungen wird auch behauptet, dass so das Privateigentum an Produktionsmitteln immer nebensächlicher werde, weil ja immer mehr im Sektor geschaffen würde, der nicht durch das Verhältnis von Lohnarbeit zu Kapital geprägt wäre. Andersrum: Wozu sich noch der Mühe unterziehen, das Kapital zu enteignen, wenn im BGE-Sektor ohnedies „neue“ Formen des Zusammenlebens aufgebaut werden?

4. Die verschiedenen Einkommensarten der Klassen (Lohn, Profit, Grundrente) erscheinen beim BGE nur als Mehr oder Weniger an Geld, also rein quantitativ verschieden. Sie sitzen damit dem Schein der bürgerlichen Gesellschaft auf, wie er sich auf der Ebene der Warenzirkulation aufdrängt. Ob das Geld aus Lohnarbeit oder Profit, aus Erbschaft oder Lottogewinn stammt, sieht man ihm nicht an. Daher erscheint es auch als nebensächlich, ob Menschen als Lohnarbeiter:innen beschäftigt oder freigesetzt sind, solange sie die gleiche Summe als BGE beziehen. Dabei verkennen die BGE-Anhänger:innen aber das Spezifische des Arbeitslohns im Unterschied zu anderen Einnahmequellen.

5. Der Arbeitslohn ist nichts anderes als die Erscheinungsform des Werts der Ware Arbeitskraft, ihr Tauschwert, genauer dessen Preisform. Hinter dieser Erscheinungsform verschwindet jedoch das Spezifische der Ware Arbeitskraft im Kapitalismus, nämlich ihr Gebrauchswert, Mehrwert für das Kapital zu schaffen.

Auf der gesellschaftlichen Oberfläche, in der alltäglichen Wahrnehmung und damit auch im spontanen Bewusstsein aller Klassen erscheint die Mehrwert schaffende Arbeit als eine Tätigkeit unter vielen anderen. Die Lohnabhängigen stellen auf dieser Ebene nur eine besondere Gruppe von Einkommensbezieher:innen dar.

Daher kann es auch so erscheinen, als würde eine Umverteilung der Einkommen, also eine immer größere Einkommensangleichung auch zur graduellen Abschaffung der Zwangsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft führen können, insbesondere auch zur Abschaffung des Zwangs zum Verkauf der Ware Arbeitskraft.

Das gerät illusionär und gefährlich, weil die realen gesellschaftlichen Verhältnisse verkannt und auf den Kopf gestellt werden. Im Kapitalismus bestimmt die Produktionssphäre die Verteilung, nicht umgekehrt. Aus deren Eigendynamik heraus muss ein BGE also gerade zum gegenteiligen Resultat führen als dem, das von seinen Fürsprecher:innen angestrebt wird. Es tendiert unter kapitalistischen Verhältnissen nämlich immer zum Kombilohn. Insofern ist es kein Zufall, dass sich in Zeiten von Krisen Teile der Bourgeoisie und bürgerliche Regierungen zu „Reformmodellen“ wie dem BGE entschließen. So wird dies z. Zt. in Spanien und Irland erwogen.

Die „linken“ Vertreter:innen des BGE erweisen sich hier als blauäugig und utopistisch, weil sie selbst der Oberflächenerscheinung der gesellschaftlichen Ungleichheit aufsitzen, diese wesentlich als ungerechte Verteilung auffassen und darauf verkürzen.

6.  Tatsächlich sind Lohn, Profit, Grundrente unterschiedliche Einkommensquellen unterschiedlicher gesellschaftlicher Klassen, die durch ihre Stellung im Produktionsprozess bestimmt werden – die Produktionssphäre bestimmt die Verteilung von Einkommen. Diese stellt also einen vom Gang der Kapitalakkumulation abhängigen Faktor dar. Bloß, in der Geldform erscheint dieser qualitative Unterschied ausgelöscht, nur als ein quantitativer.

7. Das ist auch ein Grund, warum andere Formen der Ungleichheit und Unterdrückung durch bloße Veränderungen an der Einkommensverteilung nicht überwunden werden können. Denn das Kapitalverhältnis stellt das wesentliche gesellschaftliche Verhältnis dar, weil es alle anderen in ihren Ausformungen unterordnet, bestimmt.

8. Marx machte in „Kapital Band 1“ darauf aufmerksam, dass es einen Unterschied macht, ob wir das Kapitalverhältnis nur vom Standpunkt des/r einzelnen Kapitalist:in zum/r einzelnen Arbeiter:in betrachten oder als Verhältnis zwischen Klassen. Solange wir es als Verhältnis zweier Individuen analysieren, erscheint die Zeit außerhalb der Arbeitszeit als „frei“. Betrachten wir Kapital und Arbeit jedoch unter Klassenbedingungen in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich, dass selbst die Sphäre der Reproduktion und individuellen Konsumption der Arbeitenden noch vom Kapital bestimmt wird – und damit natürlich auch die Reproduktion der Lohnabhängigen, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen können, unabhängig davon, ob diese ALG 1, Hartz IV, Bürger:innengeld, BGE oder gar nichts kriegen.

9. Die Bewegung des Gesamtlohns der Arbeiter:innenklasse in seinen verschiedenen Bestandteilen (Nettolohn, indirekte Lohnbestandteile, staatliche Transferzahlungen …) hängt dabei maßgeblich von der Akkumulationsbewegung des Kapitals ab. Sie reguliert die Höhe des Gesamtlohns je nach konjunkturellen und längerfristigen strukturellen Profitabilitätsbedingungen. Daher findet darin auch die Höhe des BGE der Lohnarbeiter:innen – als eine Form des Gesamtlohns betrachtet – ihre Grenzen.

10. Im Rahmen des Kapitalismus gibt es nur eine Weise, wie die Arbeiter:innenklasse die Höhe des Arbeitslohns verteidigen oder ausdehnen kann – durch organisierten betrieblichen, gewerkschaftlichen und politischen Kampf.

11. Die Zahl der Arbeitslosen – der industriellen Reservearmee – ist dabei eine zentrale Größe für die Erfolgsaussichten der Klasse. Je größer der Anteil der Beschäftigten, desto stärker die Kampfkraft, die ins Feld geführt werden kann. Je größer die Anzahl der Arbeitslosen, umso schwieriger wird die Verteidigung der Einkommen, Lebensbedingungen usw.

12. Den Kampf auf ein BGE zu konzentrieren und dieses zu einem Allheilmittel für eine andere Gesellschaft zu stilisieren, bedeutet bestenfalls, ihn auf die Sicherung der Existenz der Reservearmee auszurichten. Es bedeutet allerdings auch, sich dauerhaft mit einer Millionenmasse von Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten, also einer weniger kampfstarken Klasse abzufinden. Es schwächt sie letztlich – und ein BGE, das die Existenz von Millionen sichert, wird so auch nicht aufrechterhalten werden können.

13. Hier kommt eine weitere zentrale Schwäche aller linken Vertreter:innen des BGE ins Spiel. Die Frage, wie die Klasse zu einer kämpfenden Einheit werden kann, wie sie sich als Arbeiter:innenklasse überhaupt konstituiert, sich Klassenbewusstsein bildet, existiert für sie erst gar nicht. Bestenfalls bestehen die Lohnabhängigen als eine Gruppe schlechter verdienender Einkommensbezieher:innen neben anderen. Die Vertreter:innen des BGE verfolgen daher auch keine klassenpolitische Ausrichtung, sondern stellen vielmehr eine kleinbürgerliche Strömung dar, die die zentrale Bedeutung des Klassenkampfes für das Erringen von Verbesserungen wie für eine andere Gesellschaft durch Hoffnungen in den Selbstlauf eines Reformmodells ersetzt.

14. Der Klassenkampf kann und muss jedoch geführt werden und auch im Zentrum unserer politischen Perspektive stehen, wenn Erwerbslosigkeit, Entlassungen und damit weitere Verschlechterungen für beschäftigte und unbeschäftigte Lohnarbeiter:innen verhindert werden sollen. Dass die Gewerkschaftsführungen den Kampf nicht oder nur auf extremer Sparflamme führen, heißt nicht, dass er nicht geführt werden kann. Es bedeutet aber, dass wir selbst eine klassenkämpferische Bewegung aufbauen müssen – in den Betrieben, aber auch unter den nicht beschäftigten Teilen der Arbeiter:innenklasse.

15. Für Arbeitslose, Rentner:innen, Studis usw. treten wir für eine Mindesthöhe ihrer Leistungsbezüge ein – und zwar in der Höhe des Mindestlohns und ohne Schikanen, Zwang vom Arbeitsamt, irgendeine Arbeit anzunehmen usw. Zur Zeit wären das mindestens 1.600 Euro/Monat. Dies soll für alle Betroffenen dieser Gruppen unabhängig von ihrer Staatsbürger:innenschaft gelten. Das scheint manchen einem bedingungslosen Grundeinkommen nahezukommen – aber es unterscheidet sich grundsätzlich durch die politische Stoßrichtung, die damit verbunden wird.

16. Beim BGE bildet nämlich die Verteilung der Transferleistungen den Hauptaspekt. Für uns steht hingegen der Kampf für folgende Forderungen im Zentrum, die unmittelbar das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital berühren:

  • gegen alle Entlassungen und Schließungen;
  • für Arbeitszeitverkürzung, um alle beschäftigen zu können. Der Kampf für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich stellt einen wichtigen ersten Schritt dar zur Aufteilung der Arbeit auf alle;
  • für einen Mindestlohn von 15 Euro/Stunde; Erhöhung der Tariflöhne, automatische Anpassung der Löhne und Einkommen an die Inflation.

17. Diese Losungen verbinden wir mit der Forderung nach Enteignung der Unternehmen, die mit Kürzungen, Massenentlassungen, Schließungen drohen; mit dem Kampf für Fortführung und Reorganisation der Produktion und Dienstleistungen unter Kontrolle der Arbeitenden und für die Umstrukturierung der Produktion gemäß den Bedürfnissen der Gesellschaft und ökologischer Nachhaltigkeit.

18. Wenn wir nämlich, wie manche linke Anhänger:innen des BGE proklamieren, das System der Lohnarbeit und den Kapitalismus überwinden wollen, wird das nicht dadurch geschehen, dass BGE-Bezieher:innen scheinbar selbstbestimmt in Nischen alternative Produkte schaffen, sich um andere kümmern usw. Dabei mögen nützliche Dinge produziert werden, aber die Gesellschaft verändert das nicht. Es müssen die schon geschaffenen sachlichen Produktionsmittel, die heute Eigentum der Kapitalist:innenklasse bilden und für deren Profitzwecke produzieren, unter die Kontrolle der Produzent:innen, also der Gesellschaft gestellt werden. Das ist jedoch nur möglich, wenn die Arbeiter:innenklasse über eine möglichst große Kampfkraft und Bewusstheit verfügt, um die Herrschaft des Kapitals zu brechen und selbst die politische Macht zu erringen. Nur so ist es möglich, die Gesellschaft grundsätzlich umzustrukturieren und erste Schritte zu einer sozialistischen Planwirtschaft zu setzen.

19. Einige scheinbar radikale Vertreter:innen des BGE stellen dieses als Vorwegnahme einer zukünftigen, klassenlosen Gesellschaft dar, weil mit dem BGE der Arbeitszwang entfallen würde. In Wirklichkeit tritt bei diesen Heilsversprechen vor allem ein radikaler Grad an Verwirrung und Utopismus zutage. Grundsätzlich besteht für jede menschliche Gesellschaft ein Zwang zur Arbeit, also zur zielgerichteten, auf einen bestimmten Zweck gerichteten Tätigkeit zur Umwandlung von Rohstoffen zu Gebrauchsgütern zwecks Befriedigung menschlicher Bedürfnisse mithilfe mehr oder weniger entwickelter Arbeitsmittel (Werkzeuge, Maschinen). Natürlich wird eine zukünftige Gesellschaft die Masse gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit massiv reduzieren und die frei verfügbare Zeit der Individuen ausweiten. Sie wird insbesondere auch anstrengende, eintönige Arbeit auf ein Mindestmaß zu reduzieren suchen. Aber auch im Sozialismus und Kommunismus – von der Übergangsperiode zum Sozialismus ganz zu schweigen – wird die zum Leben notwendige Arbeit im Bereich der Produktion wie Reproduktion nicht verschwinden. Das kommunistische Ziel besteht nicht darin, den Zwang zur notwendigen Arbeit „abzuschaffen“, denn das ist unmöglich, sondern diese auf alle Gesellschaftsmitglieder gleich aufzuteilen, so dass niemand Zeit seines Lebens allein oder auch nur vornehmlich diese verrichten muss, und zweitens die Arbeit so zu gestalten, dass die Trennung von Zwang und Freizeit relativiert, tendenziell aufgehoben wird.

Der Unterschied zum Kapitalismus besteht also nicht in der Abschaffung des Zwangs zur Arbeit an sich – das ist für jede menschliche Gesellschaft unmöglich, wenn sie nicht verhungern und aussterben will – sondern erstens darin, dass er für alle gilt (auch für Angehörige der ehemaligen Kapitalist:innenklasse, die es im Kommunismus natürlich nicht mehr gibt), und darin, dass die notwendige Arbeit bewusst und geplant unter den Gesellschaftsmitgliedern aufgeteilt wird.

Wenn wir das BGE kritisieren, so lehnen wir Konzept und Absichten seiner bürgerlichen und auch vieler kleinbürgerlichen Vertreter:innen ab. Mit einer revolutionären Klassenpolitik ist das BGE – auch in seinen linken oder scheinbar linken Varianten – unvereinbar, denn gegen die Krise braucht es eine Strategie, ein Programm, das den Kampf gegen Entlassungen, Schließungen, für Mindestlohn und Einkommen ins Zentrum rückt und mit dem für die Enteignung des Kapitals verbindet.

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