Arbeiter:innenmacht

Sri Lanka: Präsident verhängt den Notstand

Peter Main, Infomail 1184, 3. April 2022

Zwei Tage, nachdem er sich im Fernsehen an die Nation gewandt hatte, um sein jüngstes Versprechen zur Wiederbelebung der Wirtschaft zu verkünden, hat Präsident Gotabaya Rajapaksa den Notstand ausgerufen. So will er die Flut der Proteste, die seine Herrschaft bedrohen, eindämmen.

Was war der Grund für diese plötzliche Ankündigung? Tausende Verzweifelte demonstrierten vor seinem Haus und forderten nicht nur seinen Sturz als Präsident, sondern auch seine Ausweisung aus dem Land.

Wirtschaftskrise

Ihre Verzweiflung wird durch den faktischen Zusammenbruch der Wirtschaft der Insel angetrieben. Die Währung hat allein in den letzten zwei Wochen mindestens 30 Prozent ihres Wertes verlorgen. Die Devisenreserven waren im Februar auf 2,2 Mrd. US-Dollar gesunken, aber in diesem Jahr müssen 7 Mrd. zurückgezahlt werden. 12-stündige Stromausfälle sind jetzt die Norm. Vier Menschen sind an Erschöpfung gestorben, während sie in immer längeren Schlangen auf Lebensmittel warteten.

Rajapaksa und seine Brüder, der Premierminister und der Finanzminister, sind hauptverantwortlich für diesen raschen Absturz in die Hölle nach Jahren des langsamen, aber unerbittlichen Niedergangs. Diese Schuldenrückzahlungen sind das direkte Ergebnis der Herrschaft von Mahinda Rajapaksa, als er riesige Prestigeprojekte wie den Hafen von Hambantota und einen neuen „internationalen Flughafen“ mit Darlehen aus China finanzierte.

Allein die Zinszahlungen für diese Kredite – 53 Millionen US-Dollar an die China Development Bank, 77 Millionen US-Dollar an die Export Import Bank – zeigen, was diese „weißen Elefanten“, die Monumente ihrer Herrschaft sind, kosten.

Die schiere wirtschaftliche Rücksichtslosigkeit, mit der sie das Land ausgeraubt haben, wird durch eine einzige Statistik unterstrichen: Zwischen Januar 2020 und März 2022 hat die Zentralbank 23 Mal mehr Geld gedruckt als im gesamten Zeitraum 1952 bis 2020! Der Zusammenbruch der Rupie war garantiert, und die große Masse des Volkes sieht sich nun mit der Aussicht auf eine Hyperinflation konfrontiert.

Kein Wunder also, dass Tausende das Haus des Präsidenten belagerten. In den Medienberichten wird betont, dass der Protest „spontan“ war. Es gab keine Parteifahnen, keine Reden von Politiker:innen, nur Tausende von wütenden Einwohner:innen. Aber wie Trotzki über die Februarrevolution von 1917 sagte, bedeutet „spontan“ nur, dass wir nicht wissen, wer ihn organisiert oder zumindest die Initiative ergriffen hat, ihn Freund:innen, Nachbar:innen und Arbeitskolleg:innen vorzuschlagen. Tausende von Menschen beschließen nicht plötzlich, alle zur gleichen Zeit das Gleiche zu tun.

Krise der Arbeiter:innenbewegung

Sicher ist leider, dass es nicht die Arbeiter:innenparteien oder Gewerkschaften waren, die ihn organisiert haben. Das macht nur allzu deutlich, dass es den Sozialist:innen in Sri Lanka trotz der vielen Krisen der letzten Jahrzehnte nicht gelungen ist, die Organisierung der Arbeiter:innenklasse wiederzubeleben. Die Gewerkschaftsbewegung ist in Hunderte von Organisationen zersplittert, von denen die meisten winzig und ineffektiv sind, während diejenigen, die sich mit der revolutionären Tradition identifizieren, in eine Reihe von kleinen Gruppen gespalten sind, auch wenn sie sich oft Parteien nennen.

Dennoch erfordern soziale Krisen des Ausmaßes, mit dem Sri Lanka konfrontiert ist, drastische Lösungen, die zu einer Wiederbelebung der Linken führen könnten. Unter diesen Gruppen und Gewerkschaften gibt es Hunderte, wahrscheinlich Tausende von Menschen, Männer und Frauen, die nicht nur die Notwendigkeit einer Organisation der Arbeiter:innenklasse sehen, sondern auch über eine Fülle von praktischen Erfahrungen verfügen, um diese trotz aller Widrigkeiten aufrechtzuerhalten. Das Gleiche gilt zweifellos für viele lokale Gemeindegruppen, Mieter:innen-, Frauen- und Student:innenorganisationen.

Die Aufgabe der Sozialist:innen besteht jetzt darin, all diese Aktivist:innen zu ermutigen, sich kollektiv und demokratisch zu organisieren, um ihre Interessen und Rechte zu verteidigen, trotz des Notstands und sogar der Gefahr der Verhängung des Kriegsrechts.

Alle diese massenhaften, demokratischen Organisationen sind wichtig, aber am wichtigsten ist die Organisierung am Arbeitsplatz. Die Gewerkschaften sollten sicherlich Rekrutierungskampagnen starten, aber Massenversammlungen aller Beschäftigten sollten die Grundlage für die Wahl von Ausschüssen bilden, die die gesamte Belegschaft vertreten. Wenn sich die Gewerkschaften als effektiv erweisen, werden sie Mitglieder werben, wenn nicht, haben sie keinen Anspruch auf eine automatische Führungsrolle.

Die bestehenden Gewerkschaftsführungen, insbesondere die größeren und einflussreicheren, haben sich oft als Hindernis für wirksame Maßnahmen zur Verteidigung von Löhnen, Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätzen erwiesen. Allzu oft sind sie über politische Parteien, deren einziger Zweck es ist, die Interessen der Geschäftswelt zu vertreten, in Regierungs- und Wirtschaftskreise eingebunden.

Haltung zu Gewerkschaften

Dies ist eine fatale Schwäche der Gewerkschaftsbewegung und hat einige Sozialist:innen zu der Idee geführt, dass die Gewerkschaften ignoriert werden sollten, oder, wie die Socialist Equality Party (Sozialistische Gleichheitspartei), zu dem Glauben, dass die Gewerkschaften nur existieren, um ihre Mitglieder zu betrügen. Ihre Antwort beseht darin, solche Führer:innen zu denunzieren und zu versuchen, eine alternative Arbeiter:innenbewegung aufzubauen.

Das ist eine bankrotte Strategie. Die Denunziation von der Seitenlinie aus ändert nichts an der Fähigkeit dieser Führer:innen, zu betrügen und in die Irre zu führen. Ihre Stärke liegt in der einfachen Tatsache, dass sie wichtige Teile der Klasse kontrollieren, deren Arbeit die Grundlage für die gesamte Gesellschaft stabilisiert. Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass diese Arbeiter:innen einen gewissen Nutzen von ihrer Mitgliedschaft erwarten.

In der gesamten internationalen Geschichte der Arbeiter:innenbewegung hat sich immer wieder gezeigt, dass die Beseitigung solcher Führer:innen am besten durch die Mobilisierung dieser Erwartungen gegen sie erfolgt. Statt zielloser Denunziationen sollten die Arbeiter:innen klare Forderungen an diese Führer:innen stellen, zum Beispiel, wie derzeit, Lohnforderungen, die einen Schutz vor Inflation beinhalten.

Jedes Gewerkschaftsmitglied kann erkennen, wie wichtig das ist. Die entscheidende Rolle des Sozialist:innen besteht darin, die Arbeiter:innen zu warnen, sich nicht auf ihre Führer:innen zu verlassen, sondern sich zu organisieren, um ihre Forderungen selbst durchzusetzen, wenn die Führer:innen nicht liefern, was sie im Allgemeinen nicht tun. Hier zeigt sich der Wert einer demokratischen Betriebsorganisation, die alle über Fortschritte oder deren Ausbleiben informiert, Taktiken erörtert, Aktionen wie Demonstrationen organisiert und eine direkte Vertretung bei Verhandlungen fordert.

Auf diese Weise kann eine andere, zuverlässigere und demokratischere Führung aufgebaut werden – stark genug, um nicht nur die falschen Anführer:innen zu ersetzen, sondern es mit den Bossen selbst aufzunehmen.

Programm

Wo immer möglich, sollten betriebliche Organisationen ihre Aktivitäten koordinieren, mit der Perspektive, andere Massenorganisationen einzubeziehen, um lokale oder städtische Delegiert:innenräte zu bilden. Solche Organisationen sind unerlässlich, aber sie sind kein Selbstzweck. Eine ihrer Hauptaufgaben besteht darin, eine Strategie, ein Programm für die gesamte Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten zu diskutieren und beschließen, um die Offensive der Regierung zu bekämpfen und besiegen.

Ein Vorschlag für ein solches Programm wurde bereits von der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) unterbreitet. Zu Recht fordert sie gegen die Entscheidung Rajapaksas, das Diktat des Internationalen Währungsfonds zu akzeptieren, zum Beispiel den Erlass der Schulden bei den imperialistischen Banken, die Kontrolle des Kapitalverkehrs, Investitionen in wichtige Industrien, die Verstaatlichung von Banken und Schlüsselindustrien unter Arbeiter:innenkontrolle, Preisüberwachung und einen Mindestlohn.

Was jedoch fehlt, ist eine klare politische Strategie für die Umsetzung dieser wesentlichen Maßnahmen – denn Rajapaksa wird sie sicher nicht durchführen. Zwar ruft die VSP zum Sturz der gegenwärtigen Regierung auf, zu Streiks, sogar Generalstreiks durch die Gewerkschaften und sie fordert auch eine „nationale Volksversammlung, um alle am Kampf Beteiligten zusammenzubringen“. Gut, aber wenn ein Generalstreik Rajapaksa zu Fall bringen würde, was dann?

Das VSP-Programm wird als Vorschlag und nicht als Ultimatum präsentiert, und in diesem Sinne schlagen die Unterstützer:innen der Liga für die Fünfte Internationale vor, die Arbeiter:innenkontrolle in alle ihre Forderungen zu integrieren, sowohl um ihre Umsetzung zu gewährleisten als auch um die Fähigkeit der Arbeiter:innen zur Kontrolle der Wirtschaft zu entwickeln. In Anbetracht des Ausnahmezustands möchten wir auch die Notwendigkeit betonen, dass die proletarischen Organisationen die Sicherheit ihrer eigenen Demonstrationen und Versammlungen durch die Bildung und Ausbildung von Selbstverteidigungsstrukturen gewährleisten.

Darüber hinaus sollten wir den Aufbau demokratischer Arbeiter:innenorganisationen, letztendlich von Arbeiter:innenräten, in allen Bezirken betonen, und dass es diese Gremien sind, die ihre eigene „Nationalversammlung“ einberufen sollten, um den Kampf auf nationaler Ebene zu führen. Dieser Kampf wird nicht nur auf den Sturz des Rajapaksa-Clans abzielen, sondern auch darauf, dass der landesweite Arbeiter:innenrat selbst zur Grundlage der Regierung wird und mittels der Organisationen regiert, die in dem aktuellen Kampf aufgebaut wurden, der nicht so schnell vorbei sein wird.

Die Unterstützung für eine solche Strategie zu gewinnen, wird nicht spontan oder automatisch erfolgen, sondern erfordert einen entschlossenen Kampf gegen alternative, vermeintlich sicherere oder schnellere Strategien. Diejenigen, die die Notwendigkeit einer revolutionären Strategie erkennen, müssen sich organisieren, unabhängig davon, welcher Gewerkschaft oder Gruppierung sie heute angehören, um dafür in allen Organisationen der Arbeiter:innenklasse sowie unter den unterdrückten Schichten der Gesellschaft, den Frauen, der Jugend und den nationalen Minderheiten zu kämpfen. Auf diese Weise kann die herannahende Krise zum Dynamo für die Entstehung einer neuen, revolutionären Arbeiter:innenpartei in Sri Lanka werden.

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