Richard Vries, Neue Internationale 263, April 2022
Während es von politischer Seite immer wieder tönt, dass auch unter Krieg und pandemischer Krise noch alles im Sozialen im Lot sei, werden momentan wieder mal den etwa 330.000 kommunal Tätigen im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) zusätzliche Steine in den Weg gelegt.
Diese, unter inadäquaten Beschäftigungsverhältnissen und ausbleibender finanzieller Wertschätzung sowie Überstunden Arbeitenden setzen sich überwiegend aus Frauen zusammen. Tatsächlich besteht der Sozial-und Erziehungsdienst meistenteils aus Erzieher:innen (245.000). Aber auch Sozialarbeiter:innen, Sozialpädagog:innen (z. B. in der Jugendhilfe oder Beratung; 55.000) sowie Heilpädagog:innen und in der Behindertenhilfe Tätige (30.000) gehören mit dazu. Sie alle kämpfen täglich mit einem extremen Mangel an Fachkräften und gegen diesen, der sich definitiv noch fortschreitend verschärfen wird. All das, bei vielen offenen Stellen, während sich Ausbildungsangebote verringern, obwohl sie eigentlich dringend wachsen müssten.
Sträucher bedürfen einer ordentlichen Dosis zusätzlicher Nährstoffe, um überhaupt erst einmal in voller Blüte aufzugehen. In jedem Fall brauchen sie genügend Wasser, um sich überhaupt die für ihr Gedeihen notwendigen Nährstoffe des Bodens zuzuführen. Ohne gießende Gärtner:innen bleibt dem kleinen Gehölz sonst nur die Hoffnung auf baldigen, wiederkehrenden Regen – und wir alle wissen, wie es um diesen in Zeiten des Klimawandels steht. Tritt nun in der Folge Vertrocknung auf, kommt es anschließend häufig zu Erkrankungen sowie großem Schädlingsbefall. Vorbei spazierende Beobachter:innen mögen hierbei vielleicht Abscheu empfinden, weil ihnen der Hintergrund ihres erschreckenden Anblicks verborgen bleibt. Steht jener Strauch aber in einem größer angelegten Garten, scheint sofort klar zu sein, wer da nun zur Verantwortung gezogen werden müsste: nämlich die Gärtner:innen. Blöd nur, wenn denen der Garten gar nicht gehört und ihnen die verantwortlichen Besitzer:innen den Geldhahn zugedreht haben.
Die Lesenden mögen dieses sich aus der Überschrift ergebende Gleichnis nun auch auf die folgenden Perspektiven völlig unverzichtbarer Gärtner:innen übertragen: nämlich auf die der Kindergärtner:innen.
So wird allein in Kitas bis 2025 ein zusätzliches Fehlen von 20.000 – 70.000 ausgebildeten Kräften prognostiziert, vermehrt im Westen der BRD, was allerdings wiederum nur an einem sogar noch schlechteren Personalschlüssel im Osten Deutschlands liegt. Laut der Gewerkschaft ver.di werden dementsprechend jetzt schon 170.000 Fachkräfte zusätzlich benötigt. Gleichzeitig sind Erzieher:innen nur in der niedrigen Entgeltgruppe S8a eingestuft, mit der es sich bei aktueller Inflation von knapp 5 %, unter absehbaren Reallohnverlusten, kaum leben lässt und wo ein Ausblick auf die Altersvorsorge bloß wahre Alpträume auslöst. Für Berufseinsteiger:innen, die ihre Ausbildung unfassbarer Weise sogar noch selbst finanzieren müssen, bestehen zudem nahezu keine Chancen auf wirkliche Aufstiegsmöglichkeiten. Es ist bei diesen düsteren Aussichten also kein Wunder, dass bereits 40 % der an Kitas Tätigen einen Tapetenwechsel in Erwägung ziehen, während ein Viertel gar die Tätigkeit ganz an den Nagel hängen will.
Der Autor möchte nicht nochmal (zu)sehen müssen, wie der Kompromiss einer Sozialpartner:innenschaft der Gewerkschaften mit dem öffentlichen Gegenüber eingegangen wird, nachdem in der Tarifrunde TV-Hessen und der der Länder (TVöD-L) 2021 zum x-ten Mal Abstriche hingenommen werden mussten.
Die neue 1. Verhandlungsrunde um den Tarifvertrag SuE fand unterdessen ab dem 25. Februar 2022 statt, nachdem die Auseinandersetzung vom Sommer 2020 coronabedingt verschoben wurde. Bereits im Vorfeld zur 2. Runde wurde dann jedoch von der Präsidentin der verhandlungsführenden VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände), Karin Welge (SPD) erläutert, dass „Verbesserungen mit der Gießkanne“ sowie eine „pauschale Aufwertung“ nicht angedacht seien. Wie die Junge Welt weiter über ihre Äußerungen berichtet, würden die gewerkschaftlichen Forderungen ganze 500 Millionen Euro in Anspruch nehmen, was ja trotz aller Anerkennung nun wirklich übertrieben sei. An diesem Punkt sei auf das vielfach höhere zusätzliche, gigantische Sondervermögen für Krieg und Greenwashing verwiesen. Von wegen „kein Geld da“!
Es gab einige Lichtblicke, insbesondere am Internationalen Frauenkampftag, dem 08. März 2022, aber auch am 15. März 2022, dem Tag der Sozialen Arbeit. An beiden Tagen gab es nämlich durchaus kämpferisch anmutende Aktionen, wobei explizit beim erstgenannten Termin über 22.000 Beschäftigte beteiligt gewesen sind.
Die 2. Verhandlungsrunde fand unterdessen gerade erst am 21. und 22. März 2022 statt und brachte – wie im Vorfeld bereits deutlich wurde – keine Ergebnisse. Die 3. Verhandlungsrunde wird zum 16./17.Mai fortgesetzt werden.
Selbst gewerkschaftliche Forderungen nach einer höheren Eingruppierung oder Stellenbeschreibungen, welche die erhöhten Anforderungen eines regierungspolitisch groß angekündigten Ganztagsbetriebs in den Blick nehmen, werden weiterhin ausgeschlagen. Dabei handelt es sich eigentlich um solche für eine Alltagspraxis, die etwa Bedingungen an Kitas in Großstädten ähnelt, weshalb hier, auch zusätzlich erschwerend, kaum Mobilisierungen möglich sind, obwohl die Personalstärke dafür gerade dort vorhanden wäre.
Von der Beschäftigtenseite her wird in den Verhandlungsrunden unterdessen vieles von ver.di bestimmt, aber auch die eher schulbezogene GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) schaltet sich permanent mit ein und stößt darüber hinaus u. a. Diskussionen mit der herrschenden Politik zu einem konkreten Kitaqualitätsgesetz und soliden Ganztagsschulen mit genügend Sozialarbeit an.
Bei 4,5-prozentiger Inflation gibt es in Hessen mit 4 Prozent statt der geforderten 5 % einen Reallohnverlust in zwei Schritten: Zum 1.08.22 2,2 Prozent „mehr Geld“ und zum 01.08.23 1,8 Prozent bei 28-monatiger Laufzeit, also bis zum 31. Januar 2024. Außerdem wurden jeweils 500,- Euro Coronaprämie für Ende 2021 und den März 2022 angekündigt. Das Ergebnis der TdL (Tarifrunde der Länder) ist sogar noch schlechter und deshalb hier nicht einmal der Rede wert.
Was Beschäftigten aber an konkreten Forderungen der Gewerkschaften auch in der aktuellen Tarifrunde fehlt, sind diejenigen nach besseren Personalschlüsseln für mehr Platz, Zeit und Gesundheit. Ebenso solche nach Beendigung von Zwangsteilzeit und Befristungen sowie erheblich mehr Investitionen etwa in frühkindliche Bildung. Ohne sie wird der Sozial- und Erziehungsdienst nur stetig weiter ausdörren. Da bringt es leider auch nur wenig, wenn sich z. B. die GEW Hessen – richtigerweise – für die „Rücknahme des Sondervermögens“, den „Verzicht auf die Wehretaterhöhung“ und eine Verwendung der „Mittel für soziale und ökologische Sicherheit“ ausspricht.
Es braucht letztlich öffentlichkeitswirksame Basisstrukturen in den Einrichtungen und Institutionen sowie kämpferische Gewerkschaftsstrukturen und Streikkomitees, die auf den Regeln ständiger Wähl- und Abwählbarkeit fußen. Nur so kann der in Verhandlungen einknickenden Gewerkschaftsbürokratie nachhaltig etwas entgegengesetzt werden. Und nur so können wirkliche Verbesserungen und die Kontrolle über die Kampfführung gelingen.
Es darf folglich auch nicht erneut wie in vergangenen Verhandlungen um den TV-H und TVöD ein völlig unzureichendes Angebot angenommen werden. Die Verhandlungen müssen in diesem Fall als gescheitert gelten und es soll mittels einer Urabstimmung das weitere Vorgehen bestimmt werden. Hierfür gilt es, nachhaltig einzutreten!