Arbeiter:innenmacht

Betriebsratswahlen: Mittel zum Klassenkampf?

Mattis Molde, Infomail 1181, 11. März 2022

Vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 finden in zehntausenden Betrieben in ganz Deutschland Betriebsratswahlen statt. Es könnten viel mehr sein. Nur noch 41 % der Beschäftigten in Westdeutschland und 36 % im Osten arbeiten in Betrieben mit Betriebsrat.

In vielen Unternehmen bekämpfen die Kapitalist:innen schon die Gründung von Betriebsräten mit Schikanen, Kündigungen, Mobbing und viel Geld für eklige Anwaltskanzleien. In Großkonzernen korrumpieren sie gerne die Spitzen der Betriebsräte, nutzen sie zur Kontrolle der Belegschaft. Diese sehen sich selbst dann auch gerne als Teil des Managements. Lohnt es sich also, selbst zu wählen oder zu kandidieren?

Alles „Sozialparter:innenschaft“?

Die Rechte der Betriebsräte sind bescheiden. „Mitbestimmung“ gibt es nur in drittrangigen Fragen. Was die Kapitalseite nervt, ist schon die Tatsache, dass sie sie zu allen Themen, die die Beschäftigten betreffen, informieren, ihre formelle Zustimmung abholen und sich mit deren Vorschlägen auseinandersetzen müssen. Sie würden lieber von oben kommandieren und durchgreifen.

Im Betriebsalltag ist es aber durchaus für uns Beschäftigte wichtig, gegen dieses Durchgreifen, das selbstverständlich mit Willkür verbunden ist, vorgehen zu können und Fragen der Arbeitszeit oder der Bezahlung nicht allein regeln zu müssen. Dieser Betriebsalltag ist Ausdruck der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und der Klassenherrschaft der Bourgeoisie – auch wenn das nicht immer offensichtlich ist und eher als Willkür einzelner Vorgesetzten erscheint.

In harten Konflikten fällt dann den Betriebsräten die Aufgabe zu, mit Entlassungen, Verlagerungen oder Stilllegungen umgehen zu müssen. Dafür sind die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes völlig ungeeignet: Betriebsräte dürfen keine Arbeitskämpfe organisieren, geschweige denn Streiks. Da sind dann Gewerkschaften gefragt.

Streiks dürfen in Deutschland nur diese organisieren, und das nur zu „tariflichen“ Themen und nicht innerhalb der Friedenspflicht laufender Tarifverträge. Das wäre kein Grund, dass nicht doch welche stattfinden könnten. Wenn die Kraft eines Streiks groß genug ist, kann er sich durchsetzen. Nur durch verbotene Streiks wurde das erreicht, was wir heute an Streikrecht haben. Aber die Gewerkschaften akzeptieren die Gesetze, vor allem weil ihre Führungen Streiks vermeiden, wo es irgendwie geht.

Die Mehrzahl der Kapitalist:innen halten sich ungern an Gesetze. Sie behindern und verhindern Betriebsratswahlen, entlassen Beschäftigte, die versuchen, solche zu organisieren oder auch zu kandidieren. Das „Union Busting“ ist inzwischen so verbreitet, dass die neue Regierung die Gesetzesverstöße der Bosse stärker bestrafen will. Aber, bisher sind die Strafen lächerlich und der Staat verfolgt diese Vergehen auch nicht aus eigenem Antrieb.

Für alle, die in der Arbeiter:innenklasse in Deutschland politisch aktiv sein wollen, führt kein Weg daran vorbei, sich irgendwann mit Betriebsräten auseinanderzusetzen: die bestehenden zu kritisieren, Forderungen an sie zu stellen, selbst zu kandidieren oder neue Strukturen aufzubauen, wo keine bestehen.

Für Revolutionär:innen ist die Aufgabe umfangreicher. Es gilt, die Klassenzusammenarbeit der Betriebsräte zu bekämpfen, die vom Gesetz gewollt ist und von den Gewerkschaftsführungen als „Sozialpartner:innenschaft“ propagiert wird. Sie ordnet die Interessen der Beschäftigten denen des Betriebs und der herrschenden Klasse insgesamt unter. Es gilt den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kampf zu fördern, die verschiedenen Positionen als Klasseninteressen zu erklären und praktische Vorschläge zu machen, wie Beschäftigte gegen das Kapital und seine direkten Vertreter:innen vorgehen und dabei die Hindernisse der reformistischen Bürokrat:innen bekämpfen können.

Betriebsräte und Klassenkampf

Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, VKG, in der auch Mitglieder unserer Gruppe aktiv sind, hat einen Flyer zu den Betriebsratswahlen veröffentlicht (https://www.vernetzung.org/betriebsratswahlen-nutzen-fuer-verankerung-klassenkaempferischer-positionen/). Wir haben Teile davon bearbeitet und ergänzt.

Es ist oft enttäuschend, was Betriebsräte tun – oder was sie nicht tun, obwohl sie es sollten. Deshalb überlegen manche, es selbst zu versuchen, es besser zu machen. Diese Gelegenheit bietet sich bei den anstehenden Betriebsratswahlen.

Es gibt es zwei Wahlverfahren:

  • Personenwahl (im gewerkschaftlichen Sprachgebrauch Persönlichkeitswahl) heißt, dass alle Wähler und Wählerinnen aus allen Kandidat:innen auswählen können und so viele Stimmen haben, wie Betriebsratsplätze zu vergeben sind. Voraussetzung dafür ist, dass auch alle auf einer gemeinsamen Liste kandidieren.
  • Listenwahl kommt zustande, wenn mehrere Listen eingereicht werden. Das bewirkt, dass dann jede/r Beschäftige nur eine Stimme hat und nur zwischen den Listen auswählen kann. Die Stimmen verteilen Wähler:innen nach sehr unterschiedlichen Motiven. Da spielt Bekanntheit eine Rolle, aber auch Zustimmung und Protest zu der letzten Amtszeit. Auch persönliche Merkmale wie Alter, Beruf, Geschlecht oder Herkunft können die Wahlentscheidung beeinflussen.

Wer aber kandidiert, um was zu ändern, sollte das klar zum Ausdruck bringen! Fairer, sachlicher Wahlkampf ist das Recht jeder/s Kandidat:in – auch wenn dieser demokratische Wettbewerb um die beste Interessenvertretung aller Kolleg:innen nicht allen schmeckt.

Also überlegen:

  • Was lief gut oder schlecht in den letzten Jahren? Wo hat der Betriebsrat versagt? Wo hat er Probleme ignoriert oder Unverschämtheiten der Unternehmensspitze durchgehen lassen?
  • Was hätte stattdessen passieren sollen? Welche Maßnahmen hätte der Betriebsrat ergreifen müssen?

Hier ein paar Möglichkeiten, was Betriebsräte tun können:

  • Nicht einfach zustimmen und abhaken, was die Unternehmensleitung als „unumgänglich“ bezeichnet.
  • Die Belegschaft rechtzeitig und ausführlich informieren, Betriebs- oder Abteilungsversammlungen durchführen, damit alle informiert werden und ihre Meinung und Ideen einbringen können. Sich also nicht als „Geheimrät:in“ aufführen. Dabei sind auch Betriebszeitungen hilfreich.
  • Zugeständnisse verweigern: Also keine Anträge des Unternehmens/der Personalabteilung genehmigen, solange die Missstände bestehen oder Angriffe nicht zurückgenommen werden. Zum Beispiel: Umstrukturierungen blockieren bzw. verzögern, Überstunden ablehnen. Da gibt es einige rechtliche Regeln zu beachten, aber es gibt Handlungsspielraum.
  • Solcher Widerstand funktioniert nur, wenn er von der Belegschaft unterstützt wird. Also ständige Information und Beratung mit den Betroffenen! Keine Alleingänge des Betriebsrates!

Sich auf Gegenwind vorbereiten!

Wer frisch in den Betriebsrat gewählt wird – egal über Liste oder als Person – fühlt sich da erst mal fremd: Die „alten Hasen“ wissen alles und lassen das einen auch manchmal spüren. Sie werfen mit Begriffen und Paragraphen um sich. Sie wollen nichts ändern. Wenn es dumm läuft, wird man schnell ausgegrenzt. Deshalb geben viele wieder auf. Also standhaft bleiben!

Verbündete im Umfeld organisieren!

Es ist wichtig, Verbündete zu haben, um zusammen für Veränderungen zu kämpfen und sich den Rücken stärken. Eigentlich wären dazu die Vertrauensleute der Gewerkschaft oder eine Betriebsgruppe da. Aber die gibt´s oft nicht. Oder sie machen nicht viel. Oder nur das, was die Betriebsratsspitze und die Gewerkschaftssekretär:innen wollen. Aber für Veränderung braucht es ein Team, das gemeinsam Probleme diskutiert, Vorschläge erarbeitet und mit den Kolleg:innen bespricht und diese nach ihrer Meinung befragt. So eine Gruppe ist besonders wichtig, wenn die Mehrheit des Betriebsrats glaubt, alles am besten zu wissen, als „Geheimrat“ handelt oder mit der Geschäftsführung klüngelt.

Netzwerke bilden! Solidarität stärken!

Also muss man versuchen, Gleichgesinnte zu finden. Notfalls selbst Treffen organisieren und sich gemeinsam beraten, Betriebsgruppen bilden. Das hilft im Betrieb, die Interessen der Beschäftigten durchzusetzen, die Angriffe des Kapitals abzuwehren. Oder auch mit Interessierten aus anderen Werken in demselben Konzern Netzwerke bilden. Dies verhindert, dass Belegschaften gegenseitig ausgespielt werden, sich Standortdenken durchsetzt. Oder sich mit Kolleg:innen aus anderen Unternehmen vor Ort austauschen, gegenseitig unterstützen, solidarisieren. Gemeinsame Aktionen durchführen. Die Ortsgruppen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) können dafür genutzt bzw. können mit der VKG neue Gruppen aufgebaut werden.

Erlaubtes und nicht Erlaubtes …

In harten Zeiten oder gegen schwere Angriffe reichen solche Regeln nicht. Dann sind Maßnahmen gefordert, die über die gesetzlichen Rechte hinausgehen. Darf man das? Man muss es! Alle Rechte, die Betriebsräte heute haben, gibt es nur, weil gewerkschaftlich Aktive zu früheren Zeiten sich Rechte genommen haben. Sie haben gestreikt, auch wenn das verboten war. Die meisten Rechte für Betriebsräte wurden im Zuge der Novemberrevolution 1918 eingeführt bzw. nach dem Ende des Faschismus 1945. Damals ging es eigentlich um mehr: 1918 wurde das Kaiserreich abgeschafft. Es ging darum, Sozialismus und Demokratie durchzusetzen. Nach 1945 sollten die Großindustriellen für immer entmachtet werden. Das heutige Betriebsverfassungsgesetz ist ein trauriger, reformistisch integrierter und verbogener Rest der damaligen Ziele.

Das belegt, dass der Kampf nicht nur die Schranke des Einzelbetriebs überwinden und ein gewerkschaftlicher werden muss. Er muss auch immer politisch sein. Er muss die reformistische Politik der Gewerkschaftsführungen bekämpfen und so auch dem natürlichen Reformismus des gewerkschaftlichen Kampfes entgegenwirken, der sich immer nur auf eine Verbesserung der Verhältnisse bezieht, ohne den Kapitalismus als Ganzes anzugreifen. Er muss sich bemühen, die besonders Unterdrückten, die auch schlechter bezahlt werden, in die Kämpfe einzubeziehen und ihre spezifischen Forderungen zu unterstützen. Der Kampf gegen Nationalismus, Rassismus und Sexismus spaltet nicht die Arbeiter:innenklasse, sondern macht sie stärker, auch wenn er nicht nur gegen die Bosse, sondern auch unter den Beschäftigten geführt werden muss.

Der Kampf für internationale Solidarität innerhalb eines Konzerns, einer Branche oder allgemein ist ein wichtiges Mittel gegen die Unterordnung der Gewerkschaftsbürokratie nicht nur unter einzelne Kapitalist:innen, sondern auch den bürgerlichen Staat und das „nationale“ Interesse. Immerhin erleben wir gerade einen Krieg, der fortschrittlich – also gegen jeden Nationalchauvinismus – nur an der Seite unserer ukrainischen, russischen und aller anderen Kolleg:innen in Europa und den USA bekämpft werden kann! In Betrieben und Gewerkschaften findet dieser Kampf auf praktische Weise statt. Auch wenn das nicht immer einfach ist, kann er aber tatsächlich Massen in Aktionen hineinziehen und das Bewusstsein in der Breite verändern. Denn schließlich und endlich wird das nur auf der Basis eines Kampfes der gesamten Belegschaft selbst möglich sein, wovor sich viele der heutigen Betriebsräte zusammen mit den Bossen fürchten: Räte der Arbeiter:innenklasse selbst, die demokratisch das Geschick und die Kontrolle über die Produktion übernehmen.

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