Veronika Schulz, Infomail 1162, 15. September 2021
Bedenkt man, dass die VeranstalterInnen ausgerechnet wegen der vielfältigen Proteste und massiven Störaktionen rund um die IAA 2019 in Frankfurt einen Umzug nach München unternommen haben, haben die Aktionen der vergangenen Woche bewiesen, dass es für die AutoherstellerInnen und Konzernbosse kein Entkommen vor Widerstand gegen ihre Schau gibt.
Bereits am Dienstag gab es zum Auftakt der Messe Abseilaktionen von Brücken, die den Verkehr auf den Autobahnen um die Landeshauptstadt für mehrere Stunden lahmlegten.
Im weiteren Verlauf der Woche fanden Solidaritätsaktionen mit den Beschäftigten bei Bosch statt, die von einer Werksschließung und Entlassungen bedroht sind. An dieser Stelle zeigt sich ein praktischer Ansatz zur Verbindung der Kämpfe von Klima- und ArbeiterInnenbewegung, ist es doch im Interesse von allen Lohnabhängigen, die notwendige Konversion und/oder Transformation der bisherigen Produktion gemeinsam zu bewerkstelligen, ohne die Themen gegeneinander auszuspielen.
Eine Besetzung von zwei Häusern an der Karlstraße wurde ebenso rigide wie gewaltsam von den Bullen beendet wie die Aktionen am Bosch-Werk; am Einsatz von Pfefferspray und Knüppel wurde nicht gespart.
Parallel zu den vielfältigen Aktionen gab es beim Mobilitätswende-Camp auf der Theresienwiese sowie beim Kontra-IAA-Kongress die Möglichkeit zu inhaltlichen Diskussionen und Austausch.
Die Bündelung der Proteste und damit den Höhepunkt bildeten die Demonstrationen am Samstag. Politische Organisationen und Parteien hatten ebenso aufgerufen wie Umweltverbände, AktivistInnen aus der Klimabewegung und GewerkschafterInnen. Aus dem postautonomen Spektrum waren Kräften wie Ende Gelände, Extinction Rebellion oder Sand im Getriebe maßgeblich beteiligt. Zur Großdemonstration mit 5.000 TeilnehmerInnen kamen sogar noch an die 25.000 RadlerInnen, die sich in einer Sternfahrt aus mehr als 15 Städten im Umland Münchens teils bereits in den frühen Morgenstunden auf den Weg gemacht hatten. Bei allen Unterschieden und Vielfalt in den Protestformen herrschte Einigkeit über die notwendige und überfällige Abkehr vom Individualverkehr – egal ob mit Elektro- oder Verbrennungsmotor – sowie die Forderung nach einem massiven Ausbau des ÖPNV und Schienenverkehrs.
Die nach wie vor hohe Beteiligung von verschiedensten politischen Spektren und Zusammenschlüssen, ebenso wie von vielen Einzelpersonen insbesondere bei der Radldemo, zeigt die Dynamik und den Durchhaltewillen der Klimabewegung.
Wie es auch einer Verbindung der Kämpfe von Klima- und ArbeiterInnenbewegung bedarf, so müssen auch die Aktionen der verschiedenen politischen Spektren künftig besser vernetzt und abgestimmt werden, um eine höhere Durchschlagskraft einerseits zu erzielen, andererseits Hürden und Vorurteile gegenüber den jeweils anderen abzubauen. Umweltverbände, Klimabewegung und Gewerkschaften müssen gemeinsam für eine Überwindung des bisherigen Systems eintreten und Spaltungsversuchen von außen konsequent begegnen.
In der Berichterstattung der großen Medien ging es vorrangig um die Proteste der Klima- und Umweltbewegung gegen die Messe. Eine Hofberichterstattung wie noch vor wenigen Jahren mit verklärten Lobeshymnen auf „Innovationsfähigkeit“ und „Technologiefortschritt“ der Automobilindustrie suchte man vergebens. Auch in dieser Hinsicht ist die Rechnung von Branche und VeranstalterInnen nicht aufgegangen. Es gelang ihnen ebenfalls nicht, durch Aufnahme von Fahrrädern und E-Scootern ins Ausstellungsportfolio „Ergänzungen“ zum weiterhin dominanten Automobil, wenn auch mit Elektroantrieb, zu präsentieren. Derart plumpe PR nehmen selbst die wohlwollendsten ReporterInnen als das wahr, was sie ist: ein grünes Feigenblatt inmitten weiterhin selbstherrlicher Arroganz und Überheblichkeit, hängen doch „Arbeitsplätze“, „Wohlstand“ und überhaupt „die deutsche Wirtschaft“ als Ganzes am Tropf der Autolobby und ihrer Zulieferbetriebe.
So wenig sich mittlerweile selbst PressevertreterInnen der Mainstreammedien von oberflächlich „grünen“ Neuheiten der Autoindustrie blenden lassen, so eng verwoben bleiben Politik und Wirtschaft. Bezeichnend ist einmal mehr nicht nur die Quantität, sondern auch Qualität an Repression. Das Vorgehen der bayerischen Polizei, unterstützt durch USK und BFE-Einheiten aus verschiedenen anderen Bundesländern, war vom bayerischen Innenminister Herrmann (CSU) nicht nur legitimiert, sondern geradezu erwünscht und erwartet. Den „größten Polizeieinsatz seit 20 Jahren“ hatte Herrmann angekündigt, um die 5.000 PolizistInnen standen bereit. Auch wenn derartige Parolen mittlerweile zur Folklore im Vorfeld politischer Großereignisse wie G20-Gipfeln zählen, muten sie vor einer Messe wie der IAA in ihrer Law-and-Order-Rhetorik doch eher wahltaktisch an.
So entblödeten die Bullen sich nicht, Sprühkreide und Transparente zum Anlass für weitere Kontrollen und Schikane zu nehmen und AktivistInnen an der Ausübung ihres Demonstrationsrechts zu hindern. Auch die Regelungen des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes kamen zur Anwendung.
Den GenossInnen, die sich von den Autobahnbrücken abseilten, droht neben diversen Strafanzeigen auch eine Abwälzung der Einsatzkosten zu ihren Lasten, außerdem wurden sie für die gesamte Dauer der IAA in Präventivhaft genommen. Anfang dieser Woche wurde der „Sicherheitsgewahrsam“ von verschiedenen Gerichten als rechtswidrig eingestuft.
Die Grünen im Bayerischen Landtag fordern eine Aufarbeitung der Polizeieinsätze, insbesondere das Eingreifen während der Demonstration, was allerdings ebenfalls nicht ehrlicher Solidarität, sondern eigenem politischen Kalkül geschuldet sein dürfte.
Sämtliche Proteste, die bürgerliches Eigentum in Frage stellen oder die Art und Weise, wie wir produzieren, wie wir wohnen, womit spekuliert wird, werden nicht nur unterbunden, sondern kriminalisiert. Dabei geht die eigentlich Gefahr nicht von den konkreten Aktionen und BesetzerInnen aus, sondern liegt im Aufzeigen von Alternativen zur kapitalistischen Verwertungslogik und damit bei dem Widerstand gegen die herrschende Ideologie.