Lucien Jaros/Jürgen Roth, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021
Egal ob Mietpreisbremse, Milieuschutz, Wohnraumversorgungsgesetz oder Mietendeckel: Die Mieten in der Hauptstadt sind in den letzten Jahren trotzdem explodiert. Dass die Idee eines Mietendeckels konkrete Formen annahm, war sicher erstmal ein Erfolg, weniger einer sozialen Politik der Regierungsparteien (SPD, Linke, Grüne), sondern des Druckes der MieterInnenbewegung und Projekte wie des Volksbegehrens zur Vergesellschaftung der größten Wohnkonzerne in Berlin (Deutsche Wohnen & Co. Enteignen) auf diese Parteien.
Bevor der jüngst vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kassierte Landesmietendeckel überhaupt in Kraft trat, hatte der Bund im April 2015 durch das landläufig als Mietpreisbremse bezeichnete Mietrechtsnovellierungsgesetz 3 neue Paragraphen (556d, e und f) in das BGB eingefügt.
Demnach konnten die Landesregierungen bis 2020 „Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten“ für die Dauer von höchstens 5 Jahren festlegen. Dort darf bei Abschluss eines neuen Vertrags der Mietpreis die ortsübliche Vergleichsmiete um max. 10 % übersteigen, falls nicht mit dem/r VormieterIn ein Jahr vor Ende des Mietvertrags eine höhere Miete vereinbart war, die dann die Obergrenze markiert. Die Mietpreisbremse gilt in ca. 300 Gemeinden bzw. Teilen davon, jedoch nicht in allen Bundesländern. MieterInnen müssen gegen eine überhöhte Miete zur Not klagen und eine Senkung beantragen. Oft fehlen ihnen aber schon die Informationen über die Höhe der Vor- oder ortsüblichen Vergleichsmiete. Mehrere Studien belegen, dass die Bremswirkung schwach ist. In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten wurde bei 60 bis über 90 % der Neuvermietungen der Richtsatz überschritten. Neubauten (ab Oktober 2014) und Modernisierungen blieben zudem ausgenommen.
Am 1.1.2019 trat ein neues Mietrechtsanpassungsgesetz in Kraft mit geringfügigen Verbesserungen: Die Mietpreisbremse wurde bis 2025 verlängert; VermieterInnen müssen Auskunft geben, wenn die Vergleichsmiete um mehr als 10 % überschritten wird; die Modernisierungsumlage wurde auf 8 % (statt 11 %) pro Jahr gesenkt; nach Modernisierung darf die Miete binnen 6 Jahren um max. 3 Euro/m2 erhöht werden; MieterInnen können auf Antrag zu viel gezahlte Miete zurückfordern; in die ortsübliche Vergleichsmiete fließen die letzten 6 (statt 4) Jahre ein.
Die Bundesländer haben mit der Kappungsgrenze ein weiteres schwaches Mittel in der Hand. Sie können Gebiete benennen, in denen Mieterhöhungen binnen 3 Jahren nicht mehr als 15 % betragen dürfen (das BGB erlaubt 20 %). Auch dieses Instrument wird nur in wenigen Bundesländern angewandt und die Gemeinden dürfen es nicht selbstständig beschließen. Es soll zudem in NRW und Schleswig-Holstein wieder abgeschafft werden. Auch hier müssen MieterInnen Anträge stellen. Darüber hinaus gilt die Kappungsgrenze wie die Mietpreisbremse auch nur für Bestandsmieten und diese müssen schon deutlich unter der Vergleichsmiete liegen, weil diese eh nicht überschritten werden darf.
2018 wiederum startete die Bundesregierung eine Wohnraumoffensive mit den Zielen: Fertigstellung von 1,5 Millionen Wohnungen im Lauf dieser Legislaturperiode; Maßnahmen zur altersgerechten und energetischen Sanierung; neue Sozialwohnungen; Stärkung der MieterInnenrechte. Die Gewerkschaft BAU rechnet mit max. 1,2 Millionen Neubauwohnungen bis Ende 2021. Die Zahlen würden außerdem durch einen statistischen Trick aufgehübscht, weil Baugenehmigungen und unfertige Bauten mitzählten. Mit den in der Legislaturperiode ausgegebenen 5 Milliarden Euro für Baukindergeld, von dem nur EigenheimbesitzerInnen profitieren, könnten eigentlich 115.000 Sozialwohnungen errichtet werden. Sozialverband VdK und BAU beklagen außerdem völlig zu Recht, dass Bauen allein nicht reicht. Die Mieten gingen durch die Decke, während alle 12 Minuten eine Sozialwohnung durch Fristablauf aus der staatlich begrenzten Mietpreisbindung herausfiele (60.000 pro Jahr). Zwischen 2002 und 2019 seien 1,2 Millionen Sozialwohnungen verloren gegangen, also die Hälfte des Bestandes seit Anfang des Jahrtausends.
Die Mieten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen waren während der Gültigkeit des Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin – vom Volksmund Mietendeckel getauft – seit Ende Februar 2020 für 5 Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes. Bei Mietverträgen, die nach diesem Stichtag abgeschlossen wurden, durfte höchstens die Vormiete derselben Wohnungen bzw. die niedrigere Mietobergrenze verlangt werden oder im Falle, dass die Vormiete darunter lag, die Obergrenze. Ab 2022 hätten die VermieterInnen jährlich 1,3 % mehr kassieren dürfen. Das nannte sich dann „atmender“ Mietendeckel.
Kern des Gesetzes war entsprechend eine Tabelle mit Obergrenzen, die sich von Baujahr und Ausstattungsmerkmalen ableiteten und deren Basis der Mietspiegel von 2013 war, als die Mieten schon deutlich anzogen. Die Obergrenzen umfassten dabei lediglich Neuvermietungen in vor 2014 bezugsfertigen Häusern und ließen auch immer noch gewisse Erhöhungen zu. Ein genereller Mietenstopp war der Deckel also nie.
Ausgenommen vom Gesetz waren Neubauwohnungen, die nach dem Jahr 2014 gebaut wurden und Sozialwohnungen, die besonders bezuschusst werden. Seit vergangenem Herbst durften in einer 2. Stufe sogar überhöhte Mieten abgesenkt werden. Ein weiteres klaffendes Loch im Deckel stellte das individuelle Antragsverfahren bei zu hoher Miete dar, denn natürlich erfolgte der Preisstopp nicht automatisch und von Amts wegen.
Das im Gesetz enthaltene Verbot von Möblierungszuschlägen wurde von manchen VermieterInnen umgangen, indem sie die Einrichtung an das Start-up mbly über eine monatliche Ratenzahlung verkauften, das wiederum einen Vertrag mit dem/r MieterIn über das Mobiliar abschloss. Die Berliner Stadtentwicklungsverwaltung beschloss eine neue Ausführungsverordnung im Februar 2021, die solche Praktiken unterbinden sollte.
Dass die Begrenzung der Modernisierungszulage nichts brachte, zeigte die Praxis Vonovias, als diese z.B. den Ersatz 30 bis 50 Jahre alter Fenster, die ohnehin ausgetauscht werden müssten, also eine nicht umlagefähige Instandhaltung, als Modernisierung mit entsprechendem Aufschlag berechneten.
Was dem Deckel völlig fehlte war, dass Obdachlosigkeit durch Verlust des Wohnraums in Folge von Mietpreissteigerung ausgeschlossen wird. Eine Pflicht, einen Teil der Wohnungen für besonders Bedürftige (Obdachlose, Geflüchtete, sexuell Unterdrückte und Jugendliche) bereitzustellen und leicht zugänglich zu machen, fehlte ebenso.
Bei allen Mängeln stellte der Deckel natürlich eine deutliche Verbesserung ggü. den bisherigen und immer noch in Kraft stehenden Bundesregelungen dar und hat eine, wenn auch viel zu geringe finanzielle Entlassung von immerhin 1,5 Millionen Menschen gebracht.
Doch selbst dies ist nun Vergangenheit. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit des Deckels ging dieser in die Geschichtsbücher über – Deckel auf den Deckel, Klappe zu, die Länder hätten im Mietrecht nichts zu entscheiden.
Und was lernen wir daraus? Dass es fatal ist, den Kampf der MieterInnenbewegung auf rein rechtlicher Ebene zu führen, um Gesetze und Parlamentsbeschlüsse, so wichtig diese in Teilen auch sein mögen. Aber ohne die direkte demokratische Kontrolle über den Wohnraum durch MieterInnen und die ArbeiterInnenklasse selbst, z.B. durch Wohnhauskomitees oder Stadtteilräte wird auch der dichteste Deckel durch Staat und Immobilienkonzerne mit Leichtigkeit vom Topf gehoben…