Tom Burns, Workers Power USA, Infomail 1146, 23. April
Derek Chauvin wurde am 20. April 2021 in allen Anklagepunkten des Mordes an George Floyd für schuldig befunden. Seine Schuld war so offensichtlich und seine Verteidigung so dreist, dass die soziale Explosion in ihren Folgen unabsehbar gewesen wäre, wenn er nicht verurteilt worden wäre. Es ist ein Sieg für seine Familie und für „Black Lives Matter“-UnterstützerInnen und AntirassistInnen in den USA und in vielen anderen Ländern. Aber es ist nur ein erster Schritt, um gegen die rassistische Polizei des Landes vorzugehen.
Chauvin wurde des Mordes zweiten und dritten Grades sowie des Totschlags zweiten Grades für schuldig befunden, aber die Bedeutung des Richterspruchs liegt darin, dass es sich nicht um einen isolierten Frevel handelte. Das Urteil kommt fast dreißig Jahre nach dem Freispruch der PolizeibeamtInnen von Los Angeles am 29. April 1992, die Rodney King in einem der eklatantesten Fälle von Polizeibrutalität geschlagen hatten. Der Freispruch dieser BeamtInnen löste einen Aufstand in Los Angeles aus. Das Gerichtsurteil kommt auch fast sieben Jahre nach dem Ferguson-Aufstand, der am 10. August 2014 nach der Tötung von Michael Brown durch den Polizisten Darren Wilson begann.
Der Mord an George Floyd löste eine landesweite Erhebung aus. Märsche und Proteste fanden in jedem Bundesstaat statt. Es gab eine breite Koalition, die Menschen aller rassistisch unterdrückten Communities einschloss. In vielerlei Hinsicht ist es der Druck durch diese Vielfalt an Menschen, der zum Prozess gegen Derek Chauvin und zum Urteil selbst führte. Angesichts des Ausmaßes der Einsätze der Nationalgarde war es klar, dass die KapitalistInnenklasse sich darauf vorbereitete, weitere Proteste niederzuschlagen.
Im Prozess sagten PolizeibeamtInnen im Zeugenstand gegen Derek Chauvin aus. Das Motiv war klar. Auszusagen, dass Chauvin ein „böser Cop“ war. Damit versuchten sie, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. „Derek Chauvin war ein böser Polizist, aber nicht alle von uns sind böse.“ Das war ihre Botschaft. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die schiere Anzahl der Tötungen von schwarzen Menschen und People of Color durch die Hände der Polizei zeigt deren rassistischen Charakter. Terror und Brutalität gegen DemonstrantInnen offenbaren den Charakter dieser „Arbeit“.
Die Polizei existiert, um die herrschende Klasse, die MilliardärInnen und ihre PolitikerInnen zu schützen, ihr Eigentum an den Fabriken, Büros und Krankenhäusern, in denen wir, die ArbeiterInnenklasse, ihre Profite erwirtschaften. Die Repressionskräfte bilden eine unreformierbare Frontlinie des von Natur aus rassistischen und korrupten Systems, das uns täglich unterdrückt und ausbeutet und für das die „amerikanische Demokratie“ nur eine Fassade ist. Es ist dasselbe System, gegen das sich die ArbeiterInnen in Bessemer zu organisieren versuchten, als sie für eine Gewerkschaft bei Amazon stimmten. Die Bosse haben vereiteln können, dass jede/r ArbeiterIn ein Grundrecht auf gewerkschaftliche Organisierung ausüben kann, ohne Furcht vor Entlassung haben zu müssen.
Die Bourgeoisie und ihr Staat versuchen, die Erhebung zu stoppen, die kürzlich durch den Tod von Daunte Wright und Adam Toledo durch die Hände der Polizei ausgelöst wurde. Sie hoffen, dass dieser eine Schuldspruch uns davon überzeugen wird, dass Veränderungen innerhalb des Systems funktionieren; dass wir sehen können, wie PolizistInnen, die routinemäßig Brutalität und Terror ausüben, vor Gericht gebracht werden. Das ist weit von der Wahrheit entfernt. Seit Beginn des Prozesses gegen Derek Chauvin sind nach Angaben der „New York Times“ 64 Menschen durch die Hand von PolizistInnen gestorben. Die überwältigende Zahl ihrer Opfer waren schwarze oder Latino-Männer und -Frauen. Keine/r dieser BeamtInnen wurde vor Gericht gestellt.
Chauvin existiert als „Knochen“, der uns hingeworfen wird, um uns zu beschwichtigen. Schon malen die bürgerlichen Medien dies als einen „Wendepunkt“ aus. Einen Wendepunkt von was? Die Mörder von Adam Toledo und Daunte Wright sind immer noch frei. Die PolizistInnen, die uns letztes Jahr verprügelt haben, sind immer noch auf den Straßen. Ein Schuldspruch ändert wenig an der Situation. Der Polizeirassismus wird nicht aufhören, weil ein Polizist für schuldig befunden wird.
Vielmehr gibt es kaum Zweifel daran, dass ein mordender Polizist ohne den Mut der Umstehenden, die den neun Minuten und 29 Sekunden dauernden Mord an einem mit Handschellen gefesselten George Floyd auf Video aufnahmen und ohne die stadtweite, landesweite und dann weltweite Reaktion auch diesmal straffrei geblieben wäre.
Jetzt hat auch Präsident Biden George Floyds Tod „einen Mord, der im vollen Licht des Tages auftrat“, genannt. Er versprach: „Es kann nicht hier aufhören“ und forderte einen Moment der „signifikanten Veränderung“. Er verwies auf die „George Floyd Justice in Policing Bill“ (Gesetzesvorlage für Gerechtigkeit in der Polizei), die jetzt dem Senat vorliegt und forderte die republikanischen Abgeordneten auf, sie zu verabschieden. In der Tat haben die PräsidentInnen, GouverneurInnen und BürgermeisterInnen der Demokratischen Partei während ihres politischen Lebens immer wieder zugesehen, wie etwas derartiges geschah. Sie haben unzählige Massenproteste ignoriert und, schlimmer noch, sie oft als gesetzlose RandaliererInnen und PlündererInnen verleumdet.
Das George-Floyd-Gesetz soll das Verbot von Racial Profiling, von Würgegriffen und von Durchsuchungen ohne Anordnung beinhalten und die Verwendung von Körperkameras der Polizei vorschreiben. Ein nationales Register von polizeilichem Fehlverhalten würde Berichterstattung über deren Gewaltanwendung verlangen. Es würde die „qualifizierte Immunität“ von PolizistInnen vor zivilrechtlicher Verfolgung „reformieren“, nicht abschaffen. Natürlich sollten diese obszönen Handlungen und Straflosigkeiten abgeschafft werden. Aber sie werden nicht einmal annähernd die Schreckensherrschaft stoppen, die Polizeikräfte in Gemeinden von Schwarzen und People of Color und gegen alle Menschen der ArbeiterInnenklasse, die für ihre Rechte kämpfen, ausüben.
Die DemonstrantInnen im letzten Sommer, die „Schafft die Polizei ab!“ riefen und ihre gewählten VertreterInnen auf Landes- und Stadtebene aufforderten, sie nicht mehr zu bezahlen, hatten insofern Recht, als die Polizeikräfte des Landes die BürgerInnen nicht vor Kriminellen oder wirklich asozialen Handlungen schützen. Sie können nicht durch die oben genannten Kontrollen und Einschränkungen reformiert werden. Der Grund dafür ist einfach: Sie stehen nicht unter der Kontrolle der BewohnerInnen der Gemeinden, in denen sie Dienst tun, sie werden nicht aus den Klassen und Gemeinschaften rekrutiert, die sie schützen sollen, und vor allem sind sie ihnen gegenüber nicht demokratisch verantwortlich für ihre Handlungen. Sie sind eine militarisierte, schwer bewaffnete, Besatzungsmacht.
Wieder einmal, worauf BLM-DemonstrantInnen hinwiesen, werden riesige Ressourcen für Waffen der „Sicherheitsorgane’“ausgegeben, einschließlich gepanzerter Fahrzeuge. Währenddessen werden unsere Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser vernachlässigt, und die Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet. Und sogenannte Kleinkriminalität wird immer noch von der Polizei benutzt, um ihre Autokontrollen und unangekündigten Einbrüche in die Häuser der Menschen zu entschuldigen, wie der, der zur Tötung von Breonna Taylor führte.
Armut und illegaler Drogenhandel sind eine reale Ursache für einen Großteil der so genannten Kleinkriminalität. Sei sind sicherlich unbedeutend im Vergleich zur massiven Korruption und Steuerhinterziehung der Superreichen, aber natürlich nicht in ihren Auswirkungen auf die Masse der Menschen. Ja, wir müssen vor echten antisozialen Kriminellen geschützt werden, ebenso wie vor den uniformierten Kräften der „Gesetzlosigkeit und Unordnung“. Aber dafür brauchen wir Selbstverteidigungskräfte, die innerhalb unserer Gemeinden und unter unserer demokratischen Kontrolle arbeiten. Wenn dies der Fall wäre, dann würde das Ausmaß der Kriminalität massiv gesenkt werden.
Wir müssen erkennen, dass nur Massenaktionen der ArbeiterInnenklasse und aller Unterdrückten zusammen einen echten Wandel herbeiführen können. Wir können dies tun, indem wir mit der Aufdeckung und dem Widerstand gegen das Töten durch die Polizei fortfahren, indem wir uns weiterhin mit den DemonstrantInnen in Minnesota und Chicago solidarisch zeigen. Wir müssen die Selbstverteidigung unserer Gemeinden und der ArbeiterInnen, die für ihre Rechte kämpfen, organisieren. Dabei müssen wir die Polizeikräfte durch Selbstverteidigungsorgane der ArbeiterInnen, der schwarzen Gemeinden und aller rassistisch Unterdrückten ersetzen.
Das muss alle Organisationen einbeziehen, die die Macht der ArbeiterInnenklasse verkörpern, wie die Gewerkschaften, aber auch die Ortsgruppen der größten linken Partei des Landes, der Demokratischen SozialistInnen Amerikas (DSA). Gemeinsam müssen sie dazu aufrufen, dass am 1. Mai alle auf die Straße gehen und ihre Arbeitsplätze verlassen.
Möge dieses Schuldurteil, ein Sieg, der durch unseren Aufstand in Solidarität mit den vielen durch die Polizei verlorenen Leben errungen wurde, sich als Katalysator für noch größere und dauerhaftere Siege über den Rassismus und den Kapitalismus, der ihn hervorbringt, erweisen.