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USA: Präsident Biden verspricht „besser wiederaufzubauen“

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Joe_Biden_(48554137807).jpg

Dave Stockton, Infomail 1139, 20. Februar 2021

Die meisten politischen FührerInnen der Welt jubeln über die Ablösung von Donald Trump. Sie haben es als eine tröstliche Wiederbehauptung der amerikanischen Demokratie gefeiert, nach vier Jahren Zerrüttung der internationalen Institutionen, die die zunehmend widersprüchlichen Interessen der großen imperialistischen Mächte verwalten.

Zu Trumps „Errungenschaften“ gehörte die Weigerung, ernsthafte Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu ergreifen. Infolgedessen hat die Zahl der Todesopfer in den USA bereits 400.000 erreicht, während die Aussetzung der US-Mitgliedschaft bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deren Gesamtbudget um 20 Prozent reduzierte.

Dann gab es den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und die einseitige Aufkündigung des Iran-Atomabkommens. Diejenigen, die sich auf die „Weltpolizistin“ verlassen, fanden ihre Annäherungsversuche an die chinesischen und nordkoreanischen Diktatoren alarmierend. Gleiches gilt für ihren „Deal des Jahrhunderts“, die Abkehr von der Zweistaatenlösung für Palästina bei gleichzeitiger Anerkennung der israelischen Siedlungen, auch wenn letzterer nur eine De-facto-Situation offenlegte.

Trumpismus und die Republikanische Partei

Während viele Menschen in den USA und auf der ganzen Welt seinen demütigenden Abgang feiern, dominiert der Trumpismus noch immer die Republikanische Partei.

Eine Umfrage des Hörfunk- und Fernsehsenders NBC, die nach dem gescheiterten Putschversuch im Januar durchgeführt wurde, zeigt, dass 28 Prozent der Befragten sagten, Trumps Worte und Taten an diesem Tag hätten ihre Unterstützung für ihn tatsächlich verstärkt. Nur 5 Prozent sagten, sie bedauerten nun ihre Unterstützung, und zwei Drittel sagten, diese habe sich nicht geändert. Nur 11 Prozent machten Trump für die Gewalt verantwortlich, während etwa die Hälfte die Verantwortung auf „Social-Media-Unternehmen“ und „Antifa“ schob.

190 RepublikanerInnen aus dem RepräsentantInnenhaus stimmten gegen Trumps Amtsenthebungsverfahren wegen Anstiftung zum Aufruhr. Nur 10 schlossen sich den Abgeordneten der Demokratischen Partei an, um es zu durchzubringen. Auch 45 republikanische SenatorInnen votierten gegen einen Amtsenthebungsprozess, genug, um die für eine Verurteilung benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit zu blockieren. Dies geschah trotz der eklatantesten Verletzung der US-Verfassung in ihrer über zweihundertjährigen Geschichte.

Die zwei Monate, in denen der unterlegene Amtsinhaber versuchte, das Wahlergebnis vom November zu kippen, gipfelten darin, dass seine UnterstützerInnen den Kongress stürmten, um die Amtseinführung des gewählten Präsidenten zu verhindern. Am Inaugurationstag verwandelte sich Washington in ein bewaffnetes Lager mit 26.000 eingesetzten NationalgardistInnen, von denen 5.000 bis Mitte März bleiben werden.

Trotz Bidens Appellen zur Einigkeit und Heilung werden die DemokratInnen mit Obstruktion und Sabotage ihres Gesetzgebungsprogramms konfrontiert sein, sobald sich der Staub des 6. Januar gelegt hat. Die Republikanische Partei wird darauf hoffen, bei den Zwischenwahlen im November 2022 die Kontrolle über den Senat zurückzuerlangen. Zwar sind eine Handvoll SenatorInnen und Abgeordnete des RepräsentantInnenhauses aus der Reihe getanzt, was sein Gesetzgebungsprogramm ein wenig erleichtern könnte, doch werden sie zweifellos die Verschleppungstaktik (Filibuster: endloses Reden im Senat zur Verhinderung einer Beschlussfassung) mit maximaler Wirkung einsetzen, um Kürzungen bei Ausgabenprogrammen und faule Kompromisse bei Sozial- und BürgerInnenrechtsfragen zu erzwingen.

Das Putsch-Abenteuer scheiterte jedoch, weil kein ernst zu nehmendes Element innerhalb des Staatsapparates, der Justiz, der Legislative oder des Militärs einen Staatsstreich dulden würde, und deshalb wäre es, selbst wenn es sein Ziel, die SenatorInnen und RepräsentantInnenhaus-Abgeordneten zu vertreiben oder als Geiseln zu nehmen, erreicht hätte, ins soziale Nichts gefallen. Damit ein echter Putsch etwas bewirken kann, muss sich ein Teil des staatlichen Repressionsapparates auf seine Seite schlagen und der Rest neutral bleiben.

Diejenigen, die zum Kapitol marschierten und es stürmten – wer auch immer für den lächerlich unzureichenden Schutz des Parlamentsgebäudes verantwortlich war –, hatten jedoch voll und ganz die Absicht, Letzteres zu erzwingen und Trump verfassungswidrig an der Macht zu lassen, also einen Staatsstreich durchzuführen. Am Ende stellte sich heraus, dass es ein miserabler Putsch war.

Doch angesichts der Kontrolle der Republikanischen Partei über so viele GouverneurInnenämter und Hauptstädte und einer rechten Mehrheit im Obersten Gerichtshof wird Bidens berühmtes Verhandlungsgeschick sehr gefragt sein, und die radikaleren Teile dieses Programms werden vom ersten Tag an unter Beschuss stehen.

Konfrontiert mit einem lautstarken linken Flügel in seiner eigenen Partei, wird er den Vorwand der republikanischen Obstruktion brauchen, um Forderungen nach „Gesundheitsversorgung für alle“ oder einem „grünen New Deal“ abzuwehren. Wer glaubt, die Achse der Politik drücke Joe nach links, ist genau auf dem Holzweg.

Biden, der Retter?

Biden kommt nun ins Amt und posiert als Retter der Demokratie, als Bewahrer der Republik und als Wiederhersteller der verfassungsmäßigen Ordnung. Er hat versprochen, die von Trump vernachlässigten Themen aufzugreifen: Amerikas grassierende Covid-19-Epidemie zu bekämpfen, die Klimakatastrophe, die steigende Arbeitslosigkeit und Armut anzugehen, das Gesundheitssystem zu reparieren und die führende Position der USA in der Welt wiederherzustellen. Außerdem hat er versprochen, sich mit Polizeirassismus, Einwanderung und der verfallenden Infrastruktur zu befassen.

Das Konjunkturprogramm beinhaltet eine Zahlung von 1.400 US-Dollar an jede/n Einzelne/n, Hilfe für finanzschwache Bundesstaaten und lokale Regierungen, die Verlängerung des Arbeitslosengeldes mit 400 US-Dollar pro Woche, Mittel zur Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten, mehr Steuergutschriften für Kinder, Zugang zu Qualität und die Anhebung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar pro Stunde.

Sein Programm ist sicherlich lang an Versprechen. Auf seiner Website kann man über „höhere Löhne, stärkere Sozialleistungen und faire und sichere Arbeitsplätze“ lesen und ein Versprechen, „die Gewerkschaften und die Macht der Arbeit,nehmer’Innen zu stärken“, indem „das Gesetz zum Schutz des Rechts auf Organisierung (PRO), die Gewährleistung von Card Check (Beitragseinzug an der Quelle), Gewerkschafts- und Verhandlungsrechte für Beschäftigte im öffentlichen Dienst“ und eine erschwingliche Gesundheitsversorgung aufgenommen werden.

Der Senat, mit nur einer Stimme (Vizepräsidentin Kamala Harris hat das ausschlaggebende Votum) Mehrheit für die Demokratische Partei, kann sich als echtes Hindernis für die weitreichenderen Versprechen Bidens erweisen. Ohne eine deutliche Mehrheit können durch Verschleppungstaktik Gesetze blockiert werden. Das ist an sich schon undemokratisch, aber der Senat selbst ist ein grob undemokratisches Gremium. Zwei SenatorInnen vertreten jeden Bundesstaat, unabhängig von der Größe seiner Bevölkerung. Die 39 Millionen EinwohnerInnen Kaliforniens erhalten die gleiche Stimmkraft wie die 578.000 BewohnerInnen Wyomings.

Was die Versprechungen angeht, wird dies jedoch zweifellos Millionen als das weitreichendste Programm seit den 1960er Jahren erscheinen. Abhängig von der erfolgreichen Einführung von Impfungen und Tests zur Kontrolle von Covid-19 wird es Biden wahrscheinlich eine Sympathiewelle bescheren und bildet die Grundlage für ein Intervall labilen Gleichgewichts, bis die nächste Krise am Horizont erscheint.

Revolutionären MarxistInnen kommt die Aufgabe zu, die Unzulänglichkeiten und Schwächen von Bidens Maßnahmen aufzuzeigen:

  • „Gesundheitsversorgung für alle“, aber nicht kostenlos am Ort der Nutzung und daher nicht für alle.
  • Erleichterung für diejenigen, die in Gefahr sind, ihre Häuser zu verlieren, aber kein Erlass ihrer Schulden.
  • Ein Stopp von Trumps Mauer und von Lagern für Kinder von MigrantInnen, aber kein Ende der Abschiebungen.

Immerhin hat Barack Obama jährlich mehr „Illegale“ abgeschoben als Trump. Und wahrscheinlich wird es trotz Kamala Harris‘ und Joes Lob für „Black Lives Matter“ keinen ernsthaften Versuch geben, den Rassismus der Polizeidienststellen aufzudecken oder die Straffreiheit für mordende PolizistInnen zu beenden, geschweige denn sie „abzuschaffen“.

Bidens Kabinett besteht größtenteils aus rechtsgerichteten DemokratInnen, die aus den Regierungen Obama und Clinton stammen. Im Finanzministerium sitzt Janet Yellen, die als Neoliberale und Freihändlerin bekannt ist; im Außenministerium Antony Blinken, ein Serienbefürworter von US-Militärinterventionen; im Handelsministerium Gina Raimondo, eine Risikokapitalgeberin, die in die private Gesundheitsversorgung investiert und eine Gegnerin von Einzahlungssystemen ist; und als Justizminister Merrick Garland, der von den Polizeigewerkschaften unterstützt wird.

Trotz der Ernennung von John Kerry zum Sondergesandten für das Klima wird diese Regierung kein wirklich radikales Programm für eine grüne industrielle Revolution entwickeln. Auch wird es nichts in der Größenordnung von F. D. Roosevelts New Deal geben, wenn es um ein Programm zum Aufbau der Infrastruktur geht. Während er einige Begriffe von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez geklaut hat, würde es eine massive Kampagne der Gewerkschaften, der Schwarzen und anderer rassistisch Unterdrückter erfordern, um einen substanziellen Schritt in diese Richtung zu initiieren.

Das große Thema des Jahres 2020, die anhaltenden Polizeimorde an Schwarzen und anderen Menschen, ist nicht gelöst. Trotz symbolischer Gesten von Biden, wie Obama wird er wenig oder nichts tun.

Aktionsprogramm

Die Antwort der ArbeiterInnenbewegung auf Bidens Versprechen sollte darin bestehen, ihre eigenen Ziele zu formulieren und sich darauf vorzubereiten, für sie durch Massenmobilisierungen und Arbeitskämpfe zu streiten. Nur durch eine solche Klassenunabhängigkeit von der offen bürgerlichen Demokratischen Partei könnte Biden dazu gezwungen werden, einige seiner Verpflichtungen zu erfüllen.

In keinem Bereich wäre dies notwendiger als bei den ArbeiterInnenrechten: das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, auf einen Tarifvertrag für alle Beschäftigten usw. Hier reicht ein Lobbyistenkongress nicht aus; diese Rechte werden nur auf dem industriellen Schlachtfeld gewonnen, obwohl sie gesetzlich anerkannt werden können.

Die Mittel, um einen existenzsichernden Lohn und „Medicare for All“ zu finanzieren, würden massive Eingriffe in den Reichtum der MilliardärInnen erfordern, angefangen bei den 400 reichsten AmerikanerInnen, deren Gesamtvermögen laut Forbes-Rangliste dem der ärmsten 64 Prozent der amerikanischen Haushalte entspricht. Von einer Partei des Finanzkapitals und der MilliardärInnen zu erwarten, dass sie dies tut, führt nur die arbeitslose Jugend, die schwarzen und Minderheitengemeinschaften und die Gewerkschaftsbewegung an der Nase herum.

Die Aufgabe besteht darin, von der Basis ausgehend einen Kampf für ein Aktionsprogramm mit Maßnahmen zu organisieren, die die Krisen im Gesundheitswesen, in der Bildung, im Wohnungswesen, die private Verschuldung, die Umweltkatastrophe, aber auch den mörderischen Rassismus der Polizei und das neue Gefängnissystem, das v. a. Schwarze inkriminiert (ein neues Jim-Crow-System), lösen können.

Nicht zuletzt ist es wichtig, die massenhafte Antikriegsbewegung der frühen 2000er Jahre wiederzubeleben, wann immer es zu neuen Interventionskriegen kommt, als welch menschenrechtlicher Unsinn auch immer sie getarnt sind.

Dann gibt es den Kampf der ArbeiterInnen für die Kontrolle über Sicherheitsmaßnahmen, für eine deutliche Anhebung der Löhne, Gesundheits- und Rentenansprüche. Vor kurzem hat ein Streik in New York City, von den Hunts-Point-LagerarbeiterInnen, ihre Forderung nach einer Lohnerhöhung von 1 US-Dollar pro Stunde gewonnen. Auch die Chicagoer LehrerInnen bereiten sich auf Aktionen vor. Das zeigt, dass der Klassenkampf wieder aufleben wird, besonders wenn die Aussperrungen nachlassen.

All diese Fronten des Kampfes müssen einen Schwerpunkt im Aufbau einer kämpfenden ArbeiterInnenpartei, einer Partei des Klassenkampfes, finden, indem sie sich von der Demokratischen Partei lösen. Das schnelle Wachstum der Demokratischen SozialistInnen (DSA) in den letzten fünf Jahren und die Siege der „demokratischen SozialistInnen“ auf den Wahlzetteln der Demokratischen Partei zeigen eine wachsende Offenheit der Jugend, der ArbeiterInnen und von People of Color (PoC) für die Idee des Sozialismus. Doch die DSA hat Angst, einen sauberen Bruch mit der zweiten Partei des US-Imperialismus zu vollziehen.

Auf dem diesjährigen DSA-Kongress müssen die Kräfte, die die Organisation bereits zu größerer Unabhängigkeit gedrängt haben, hart daran arbeiten, einen wirklichen Bruch vorzunehmen. Damit einher geht die Notwendigkeit eines offen antikapitalistischen Programms. Andernfalls wird die Partei eine schlechte Imitation des europäischen Reformismus bleiben, eingelullt in Passivität durch Wahlkampf und demokratische Illusionen.

Anstatt vier Jahre darauf zu warten, dass die ganze Bandbreite des undemokratischen Charakters der US-Verfassung aufgedeckt wird, sollten die DSA-Ortsverbände dem Aufbau von Einheitsfronten im Kampf gegen weiße RassistInnen, der Unterstützung von gewerkschaftlichen Rekrutierungs- und Organisierungskampagnen und der Kampagne für das Recht von Frauen auf Abtreibungseinrichtungen Vorrang einräumen.

All diese Themen und mehr müssen in einem Aktionsprogramm zusammengefasst werden, das den Sozialismus als die totale Ablösung des Kapitalismus versteht, der durch revolutionäre ArbeiterInnenaktionen errungen wird.

Die DSA ist bereits 70-80.000 Mitglieder stark und wächst weiter. Um ihren Übergang zu einer Partei der ArbeiterInnenklasse zu vollenden, sollte sie ihre Türen für neue KämpferInnen öffnen, sich entschieden von der Demokratischen Partei lösen und für ein revolutionäres antikapitalistisches Programm kämpfen.

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