Arbeiter:innenmacht

Politisch-ökonomische Perspektiven für Deutschland

Jahreskonferenz der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Oktober 2020, Revolutionärerer Marxismus 53, November 2020

Vorbemerkung

Der folgende Text beginnt mit einer ausführlicheren Darstellung der internationalen Lage und von Schlüsselfragen für die ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten. Wir halten dies aus mehreren Gründen für geboten.

Erstens muss jede politisch-ökonomische Perspektive vom kapitalistischen Gesamtsystem, also von der internationalen Lage ausgehen. Das trifft auf eine Krisenperiode, in der sich die gesamte Weltwirtschaft, alle Nationalökonomien in einer Rezession befinden und wo es keinen rein nationalen Ausweg geben kann, erst recht zu. Drittens gilt das noch viel mehr für eine imperialistische Exportnation und Führungsmacht einer krisengeschüttelten EU.

Viertens werden erst aus der internationalen Betrachtung die Unterschiede, Besonderheiten, aber auch die Relativität der „nationalen“ Verhältnisse deutlich. Die internationale Lage bildet letztlich den entscheidenden Gesamtrahmen auch für den deutschen Imperialismus und damit für alle gesellschaftlichen Verhältnisse.

1. Internationale Lage und Schlüsselaufgaben

Die Weltlage ist von einer akuten globalen Krise gekennzeichnet. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 erlebten alle Länder einen massiven Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Industrieproduktion. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzte im Juni 2020, dass das globale BIP im Laufe des Jahres um 4,9 Prozent schrumpfen wird. Jenes der USA würde um rund 8 Prozent zurückgehen, das der Europäischen Union (EU) um durchschnittlich 10,2 Prozent. Das chinesische Wachstum wird für 2020 auf 1,0 Prozent geschätzt. All dies basiert auf der eher fragwürdigen Annahme, dass es keine zweite Welle der SARS-CoV-2-Pandemie geben wird.

Eine solche ist jedoch durchaus wahrscheinlich. Ende August waren mehr als 25 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert. Die Pandemie breitet sich weiter aus – und zwar immer stärker in den halbkolonialen Ländern. Nach offiziellen Zahlen sind diesen Infektionen mittlerweile rund 850.000 Menschen zum Opfer gefallen. Die Dunkelziffer liegt sicher deutlich höher. Auch wenn das Virus die globale ökonomische Krise nicht verursacht hat, so hat es diese befeuert und vor allem auch dazu beigetragen, dass praktisch alle Länder von ihr gleichzeitig erfasst wurden (anders als bei der letzten globalen Krise). Folgerichtig kam es zu einem massiven Niedergang des Welthandels und des Weltmarktes. Somit brach einer der wichtigsten Faktoren weg, der die Weltwirtschaft trotz struktureller Überakkumulation in den letzten Jahren am Laufen hielt.

In dieser Situation versuchen die Regierungen und Zentralbanken der reichen, imperialistischen Länder, das Schlimmste mit Milliarden von Dollar, Euro oder Yuan (Renminbi) zu verhindern, um ihre Wirtschaft anzukurbeln – mit anderen Worten, um die Großindustrie, den Handel und das Finanzkapital vor dem Zusammenbruch zu schützen.

Zur Zeit bremsen die Konjunkturpakete der großen Mächte noch die verheerenden Effekte der Krise. Teile dieser Pakete werden auch verwendet, um die Auswirkungen auf Teile der Mittelschicht, der Kleinbourgeoisie und selbst auf die ArbeiterInnenklasse abzufedern. Es ist jedoch klar, dass die Kosten für diese Maßnahmen von den Lohnabhängigen, ja selbst den Mittelschichten und dem KleinbürgerInnentum, der Bevölkerung der halbkolonialen Welt bezahlt werden und dass große Mengen überschüssigen Kapitals vernichtet werden müssen. Das heißt, wir stehen erst am Beginn einer Krise, deren negative Auswirkungen auf die Massen noch weit dramatischer geraten werden, obwohl sie teilweise schon jetzt historische Dimensionen annehmen.

Prägendes Merkmal wird in nächster Zeit der Kampf unter den imperialistischen bzw. Regionalmächten um die Neuaufteilung von Märkten sein und letztlich um die Frage, wer post-Covid-19 im globalen Wettbewerb den Hut auf hat. Dieser Kampf ist naturgemäß destruktiv und kann die Krise ökonomisch und politisch zuspitzen, ein Beispiel ist der Ölpreiskrieg zwischen Russland und Saudi-Arabien. Dieser Konflikt verschärfte auch die Lage an den Ölmärkten. Es war aber vor allem die massive Überproduktion von Rohöl in den USA, die am 19./20. April den Kurs für WTI-Futures (Terminkontrakte für ein eine Sorte von leichtem, an den US-Börsen gehandeltem Rohöl, die einen wichtigen Index für den Rohölpreis in den USA darstellen) zeitweise unter Null gedrückt hat und weitere Erschütterungen an den Finanzmärkten auslöste.

Folgen für die Lohnabhängigen

Ganz sicher werden die Herrschenden nicht die Einkommen und das Leben der Masse der ArbeiteInnenklasse schützen, ganz zu schweigen von ihren am meisten unterdrückten Teilen wie der Schwarzen und People of Colour in den USA oder den ArbeitsmigrantInnen in Europa. Mehr als 40 Millionen Arbeitslose in den USA machen deutlich, womit wir es zu tun haben. In Großbritannien berichtete das Amt für nationale Statistik am 15. Mai, dass die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung auf 2,1 Millionen gestiegen ist, den höchsten Stand seit 1996. Am 14. Juni arbeiteten rund 9,1 Millionen Beschäftigte nicht, sondern waren im Rahmen des Arbeitsbeibehaltungsprogramms der Regierung „beurlaubt“.

Lohnkürzungen und verstärkte Ausbeutung wie die Verlängerung des Arbeitstages werden für diejenigen, die noch arbeiten, die Norm sein. Dramatische Kürzungen bei Löhnen, Transferleistungen und sozialen Diensten: so sieht die Zukunft für Arbeitslose und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen aus. Für die KapitalistInnen stehen der Schutz der Bevölkerung, die Sicherung von Einkommen und Gesundheit, nicht im Vordergrund. Ganz im Gegenteil, die schwarze Bevölkerung in den USA hat die höchste Todesrate des Coronavirus zu tragen. Die Bourgeoisie drängt darauf, die Wirtschaft für ihre Profitmacherei um fast jeden Preis wieder zu öffnen.

Ende April warnte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), dass 1,6 Milliarden Beschäftigte in der informellen Wirtschaft, fast die Hälfte der weltweiten Erwerbsbevölkerung, unmittelbar von der Zerstörung ihrer Existenzgrundlage bedroht seien. „Der erste Monat der Krise hat schätzungsweise zu einem Rückgang des Einkommens der informellen ArbeiterInnen weltweit um 60 Prozent geführt. Von diesem Rückgang sind 81 Prozent in Afrika und Amerika, 21,6 Prozent in Asien und dem Pazifik und 70 Prozent in Europa und Zentralasien betroffen.“

Dabei bedeutet all das keinesfalls, dass es überhaupt keine Maßnahmen gäbe, die Last der Krise und der Pandemie für die ArbeiterInnenklasse zu mildern. Viele imperialistische Länder haben Kurzarbeit oder Zwangsbeurlaubung für 2020 zu 60 bis 80 Prozent des vorherigen Lohns angesetzt; ebenso haben einige Länder Formen der staatlichen Planung im Gesundheitssektor eingeführt, um das Schlimmste zu verhindern.

Solche Maßnahmen sollten jedoch nicht mit einer Hinwendung zur Umverteilung von Reichtum verwechselt, sondern müssen vielmehr als Teil einer Politik zur Verteidigung des längerfristigen allgemeinen Interesses des Kapitals verstanden werden. Der normale Kapitalkreislauf ist unterbrochen worden und wird wahrscheinlich wieder unterbrochen werden, so dass ein „freies“ Spiel der Marktkräfte die Sache noch verschlimmern würde. In dieser Situation muss der Staat eingreifen. Aber es ist klar, dass dies nur vorübergehend sein wird.

Wir können bereits jetzt Schlüsselelemente beobachten, wie die ArbeiterInnenklasse die Kosten zu tragen hat, sogar in den imperialistischen Kerngebieten: Forderungen nach einer Durchlöcherung der arbeitsrechtlichen Standards; Schließung ganzer Standorte; weitere Verlagerungen ganzer Standorte in sogenannte Best Cost Countries; Massenentlassungen bzw. die Drohung mit diesen; Reduzierung der Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen und Kultur und schließlich neue Privatisierungswellen. Aber es ist auch klar, dass die Krise nicht nur die Widersprüche zwischen den GroßkapitalistInnen in der imperialistischen Welt und ihren Staaten massiv verschärfen wird, sondern auch den Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Lage in den Halbkolonien und der Unterdrückten

Die Pandemie und die Wirtschaftskrise werden die halbkolonialen Länder dabei noch härter treffen als die imperialistischen Kernländer.

Erstens sind ihre Gesundheitssysteme durch Neoliberalismus, Sparmaßnahmen und imperialistische Ausplünderung noch stärker als in den kapitalistischen Zentren heruntergewirtschaftet worden. In den meisten dieser Länder gibt es kaum ein Gesundheitssystem für die Armen, die ArbeiterInnenklasse, die Bauern/Bäuerinnen oder sogar große Teile der Kleinbourgeoisie.

Zweitens ist die ArbeiterInnenklasse mit einem anderen System der Ausbeutung konfrontiert. Die meisten LohnarbeiterInnen werden in ein Vertragssystem gezwungen, in unsichere, prekäre Arbeitsverhältnisse, oft ohne jegliche Kranken- und Sozialversicherung. Das bedeutet, dass Millionen und Abermillionen mit Armut, Hunger und Unterernährung konfrontiert oder gezwungen sind, weiterhin unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen zu arbeiten.

Drittens wird die Landfrage (und damit implizit auch die Umweltfrage) eine noch schärfere Form annehmen. Die extreme Ungleichmäßigkeit der kapitalistischen Entwicklung wird die Situation in einer Reihe der fortgeschrittensten Halbkolonien mit großen ArbeiterInnenklassen und gleichzeitig einer riesigen Landbevölkerung und Agrarsektoren, die selbst voller innerer Widersprüche sind, sehr explosiv machen. Selbst in China kann diese extreme Form der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung eine explosive und destabilisierende Form annehmen, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhält.

Wie in jeder solchen Krise sind die am stärksten unterdrückten Schichten und Teile der ArbeiterInnenklasse und Bauern/Bäuerinnen am härtesten betroffen, d. h. die MigrantInnen, die rassisch und national Unterdrückten, die Jugend, die Frauen, die älteren Menschen. Während der Pandemie haben wir eine massive Zunahme der Doppelbelastung erlebt, der Frauen als Lohnarbeiterinnen ausgesetzt sind, oft in gesellschaftlich äußerst wichtigen Berufen wie dem Gesundheitssektor, und zusätzlich in der Hausarbeit, die durch die Schließung von Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen zugenommen hat. Diese Entwicklung geht mit einem dramatischen Anstieg häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie oder „PartnerInnenschaft“ einher.

In der letzten globalen Rezession war die Reaktion auf die Krise durch einen Anstieg der Revolutionen, wie im Arabischen Frühling, sowie der ArbeiterInnenklasse und der Linken, vor allem in Griechenland, gekennzeichnet. Dieses Mal ist es anders. In den letzten Jahren hat es einen Aufstieg der Rechten in verschiedenen Formen gegeben: autoritäre, rechte oder bonapartistische Regime und reaktionäre Massenbewegungen des Rechtspopulismus, des Rassismus und sogar des (Halb-)Faschismus. Während die internationale Bourgeoisie in der Zeit nach 2007/2008 befürchtete, dass die (äußerste) Linke politisch aus der Krise Vorteile ziehen könnte, leben wir jetzt in einer Situation, in der rechte, antidemokratische Kräfte die Krise ausnutzen können. Diese ist Ausdruck einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses in den letzten Jahren.

Der Nahe Osten ist weiterhin Konfliktherd und zunehmend in einer sozial sehr fragilen Lage. Der Iran wurde durch verschärfte Sanktionen und durch einen außer Kontrolle geratenen Covid-19-Ausbruch wirtschaftlich verwüstet, das Regime hat sein Pulver längst verschossen. Die Frage ist nicht, ob es erneut zu einer revolutionären Zuspitzung kommt, sondern ob die Linke und die Arbeiterinnenbewegung programmatische Antworten finden, um spontanen Bewegungen eine Richtung zu geben. Der Irak gehört zu den vom Ölpreiseinbruch stark betroffenen Ländern. Die verschärfte soziale Misere trifft auf eine bereits vorhandene Diskreditierung des konfessionalistischen Post-Besatzungs-Systems. Verheerend ist die Krise für die migrantischen Arbeiterinnen in den Golfstaaten.

Saudi-Arabien versucht vergeblich, sich von einer Öl exportierenden Rentenökonomie in eine „normale“ kapitalistische zu transformieren, ohne dabei seinen despotischen Überbau und seine soziale Basis wirklich anzutasten. Die verstärkte Konkurrenz auf dem Ölmarkt und die Ölpreiskrise haben dieses Vorhaben quasi verunmöglicht. Das Königshaus ist zu weitreichenden sozialen Angriffen gezwungen, um sein Budgetdefizit zu reduzieren. Ein zentraler US-Verbündeter und damit das Kräftegleichgewicht im Nahen Osten drohen ins Wanken zu geraten. U. a. deshalb soll Saudi-Arabien durch „Normalisierung“ der Beziehungen zu Israel aufgefangen werden. Ähnliches gilt für andere Golfstaaten.

Es liegt auf der Hand, dass wir vor einer Situation stehen, in der die gesamte Phase der Globalisierung nach den 1980er Jahren weltweit in eine historischen Krise geraten ist, eine Krise des gesamten Systems der Bourgeoisie. Es gibt weder in ihren internationalen Institutionen, der UNO, dem IWF, der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltbank, ja nicht einmal in der Weltgesundheitsorganisation (WHO), noch innerhalb der einzelnen Staaten eine einvernehmliche oder einheitliche strategische Antwort. In der Tat hat die Krise an vielen Orten (USA, Brasilien, die meisten europäischen Länder …) innere Spaltungen aufgezeigt, und diese werden wahrscheinlich auch in der nächsten Zeit anhalten.

Reformismus, Populismus, Gewerkschaftsbürokratien als Hindernisse

In den meisten Ländern haben die etablierten Führungen der ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Labour, viele „Kommunistische Parteien“, linksreformistische Parteien, GewerkschaftsführerInnen und LinkspopulistInnen) im Allgemeinen nach einem Bündnis mit dem „vernünftigen“ Teil der herrschenden Klasse gesucht und (informelle) Koalitionen unter dem Banner der nationalen Einheit und SozialpartnerInnenschaft angestrebt. In Ländern wie Deutschland nimmt dies weiterhin eine Regierungsform an. In anderen, wie den USA, bedeutet es, dass GewerkschaftsführerInnen oder LinkspopulistInnen wie Sanders versuchen, die ArbeiterInnenklasse an vermeintlich fortschrittlichere Flügel der Bourgeoisie zu binden, in diesem Fall den Präsidentschaftskandidaten Biden, und ihm gegen die Bedrohung durch Trump Wahlunterstützung geben.

Dies ist im Allgemeinen die Politik der offiziellen Führungen der ArbeiterInnenbewegung. Der Aufstieg der Rechten, selbst ein Ergebnis früherer Zugeständnisse und von Bewegungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie nach rechts, fließt auf tragische Weise in die Politik der „nationalen Einheit“ ein, d. h. in die Pakte mit den „antipopulistischen“, „demokratischen“ Teilen der Bourgeoisie.

Dies erklärt, warum die FührerInnen der ArbeiterInnenbewegung (einschließlich der meisten linken ReformistInnen) und ihre Kontrolle über die Gewerkschaften sich als Hindernis für Kampfmaßnahmen der ArbeiterInnenklasse erwiesen haben. Wo sie z .B. in Italien stattfanden, um Sicherheit am Arbeitsplatz zu fordern, wurden sie oft von der Basis, von oppositionellen oder lokalen Sektoren initiiert, die keine Unterstützung von ihren nationalen Führungen erhielten, selbst wenn sie wichtige Streiks durchgeführt haben. Dies zeigt auch, dass es starken Druck und Schläge entweder vom Feind oder von der Linken und den Massenbewegungen braucht, um die reformistischen oder bürokratisierten ArbeiterInnenbewegungen zum Handeln zu zwingen.

Bedeutung der USA

Die scharfen Widersprüche und Wucht der Konfrontation werden jedoch zu Widerstand, Gegenwehr und spontanen Ausbrüchen des Klassenkampfes führen.

Gerade in den letzten Monaten haben wir auch die Wut und explosive Kraft dieser Bewegung erleben können.

Die Rebellion in den USA und die weltweite Ausbreitung der „Black Lives Matter“-Bewegung zeigen dies. Sie verdeutlichen das Potential, das in der gegenwärtigen globalen Situation steckt. Die Ausbreitung dieser Massenbewegung der Unterdrückten mit Millionen von Menschen auf den Straßen und Millionen von Menschen der ArbeiterInnenklasse und insbesondere der Jugend, die weltweit solidarisch mobilisiert werden, kann in dieser Situation eine echte Veränderung bewirken.

Die Revolte der rassistisch unterdrückten schwarzen Bevölkerung hat in den USA eine vorrevolutionäre Krise geschaffen, die sich über eine längere Periode hinziehen wird. Die US-Wirtschaft steckt in einer tiefen Rezession, die herrschende Klasse ist tief gespalten, der Wahlkampf nimmt die Form eines Richtungsstreits an. Im Fall einer Niederlage von Trump könnte es zu einer Verfassungskrise kommen, wenn er sich weigert, eine solche anzuerkennen. Im Falle seines Sieges würde er seinen Kurs verschärfen.

Die Entwicklung in den USA steht daher im Fokus der internationalen Politik und der Weltöffentlichkeit in den nächsten Monaten. Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl wird für die internationalen Beziehungen eine enorme Rolle spielen, auch wenn die grundlegenden Konfliktlinien zwischen den Großmächten unabhängig davon existieren, wer im Weißen Haus regiert.

In jedem Fall können wir mit einer fortgesetzten Periode der Instabilität in den USA rechnen. Während Trump ein aggressives Programm der Konfrontation v. a. mit den unterdrücktesten Teilen der ArbeiterInnenklasse fährt und dabei auf Rassismus und eine Mobilisierung seiner reaktionären Basis setzt, präsentieren sich die DemokratInnen als Partei der „Einheit“ über Klassengrenzen hinweg. Sie versprechen einmal mehr, die rassistische Unterdrückung anzugehen, Sexismus zu bekämpfen oder zumindest ein kleineres Übel als Trump darzustellen.

Doch die Unterstützung der Demokratischen Partei durch Sanders und selbst Teile der linken ReformistInnen und ZentristInnen wird die durchaus reale Bedrohung durch Trump nicht stoppen. Die Unterstützung des vermeintlich kleineren Übels Biden wird sich vielmehr als politische Fessel für die ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten weisen. Sie wirkt desorientierend, indem sie einerseits Trump sein demagogisches Spiel und seine Anti-Establishment-Rhetorik erleichtert, anderseits Bewegungen wie BLM, den Women’s March und v. a. die Gewerkschaften an die demokratischen Teile des Kapitals bindet und deren Interessen letztlich denen der weißen herrschenden Klasse unterordnet.

Die zentrale Bedeutung der Lage in den USA für die weitere internationale Entwicklung ergibt sich aus der zentralen Bedeutung einer, wenn auch niedergehenden, Hegemonialmacht.

Die Entwicklungen im Libanon und Belarus zeigen freilich auch, wie fragil, wie explosiv die Lage in praktisch allen Ländern, insbesondere den halbkolonialen aussieht. Wir müssen uns darauf einstellen, dass solche Massenbewegungen auch in anderen Regionen der Welt entstehen können, ja werden. Zugleich sind auch diese von der Führungskrise der ArbeiterInnenklasse in einer dramatischen Form geprägt, weil entweder die Diktatur und Repression oder die Zerfallskrise der Gesellschaft selbst die Entstehung proletarischer Massenorganisationen wie z. B. vom Staat unabhängiger Gewerkschaften (und erst recht von ArbeiterInnenparteien) über Jahrzehnte blockiert haben. Unter den dortigen Bedingungen eines revolutionären Aufbegehrens geht daher die Frage der Schaffung einer revolutionären Partei mit der der Bildung von elementaren proletarischen Organisationsformen wie auch von räteähnlichen Strukturen, also von Doppelmachtorganen, einher.

Aufgaben für die Liga und ihre Sektionen

In dieser Situation müssen selbst kleine kämpferische Propagandagruppen Wege finden, um in solche Bewegungen oder Kämpfe der ArbeiterInnenklasse dort einzugreifen, wo sie ausbrechen. Das bedeutet, dass wir strategische, programmatische Antworten für die Bewegungen geben müssen. Wir müssen die Einheitsfronten, Forderungen und Organisationsformen, die notwendig sind, um die Bewegungen und Kämpfe der Unterdrückten mit der ArbeiterInnenklasse zu vereinen, präsentieren und dafür argumentieren. Dazu gehört eindeutig eine offene und scharfe Kritik an den Führungen der ArbeiterInnenbewegung sowie der Unterdrückten.

Der Schlüssel dazu werden der Aufruf und die Argumente für Kampfformen sein, die die Masse der ArbeiterInnen, der Jugend und der Unterdrückten einbeziehen können. Wir müssen uns auch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir sicherstellen können, dass die Verbindung zwischen der ArbeiterInnenbewegung und den Unterdrückten auf einer Grundlage stattfindet, die das Selbstvertrauen, die Kampfmoral, die Organisiertheit und das Bewusstsein der rassisch, national, geschlechtlich und sexuell Unterdrückten dieser Welt, d. h. der Mehrheit unserer Klasse, stärkt – und zwar gegenüber dem/r gemeinsamen GegnerIn wie auch innerhalb unserer Klasse.

Während in der gegenwärtigen Situation Bewegungen spontan und in Sektoren entstehen können, in denen die reformistische oder bürokratische Kontrolle schwächer ist, so kann und wird die weitere Entwicklung auch bedeutende Teile der industriellen Kernschichten der Klasse – sei es in imperialistischen oder halbkolonialen Ländern – zum Kampf zwingen. Um die Verbindung zwischen den verschiedenen Schichten herzustellen und eine revolutionäre Strategie in der Klasse zu verankern, führt jedoch kein Weg daran vorbei, dass diese Bewegungen vernetzt und in den Kampf für den Aufbau neuer ArbeiterInnenparteien und -führungen integriert werden müssen.

Die Bewältigung der Führungskrise wird von entscheidender Bedeutung sein, und dies muss innerhalb der Bewegung aufgegriffen werden, mit dem Ziel, die engagiertesten und politisch fortschrittlichsten KämpferInnen zu vereinen. Dies wird die flexible Anwendung von Taktiken wie des Entrismus, der Umgruppierungstaktik und des Eintretens für revolutionäre Einheit, der ArbeiterInnenpartei erfordern. Es wird den Kampf gegen eine Wirtschaftskrise durch ein Programm von Übergangsforderungen sowie die Aufdeckung von Verbindungen zwischen kapitalistischer Ausbeutung und sozialer Unterdrückung, einschließlich einer Kritik an falschen Ideologien und Irreführung, erfordern.

Die kommenden Monate werden durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet sein:

  • Weitere Erschütterung der Macht des US-Imperialismus und eine offenkundige politische Krise, eine vorrevolutionäre Situation, im Herzen der Bestie. Die USA werden der Schlüssel für die globale Situation sein. Die BLM-Bewegung und die Rebellion werden nicht nur zentral für die politische Entwicklung der US-ArbeiterInnenklasse und der Linken sein, sondern auch ein globaler Bezugspunkt.
  • Vertiefung der Weltwirtschaftskrise und weitere Ausbreitung der Pandemie, vor allem in der halbkolonialen Welt. Dadurch werden Länder wie Brasilien oder Indien zu wichtigen Schauplätzen des globalen Kampfes.
  • Anhaltende interne Spaltungen innerhalb der Bourgeoisien der meisten imperialistischen Mächte. Nicht nur die Wahlen in den USA, sondern auch die Krise in der EU werden dabei eine Schlüsselarena sein, auch wenn Länder wie Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen der Welt kurzfristig relativ stabil sein mögen.
  • Aufrechterhaltung der Strategie der Klassenzusammenarbeit, der nationalen Einheit und der Pakte mit den verschiedenen Flügeln der Bourgeoisie durch den rechten Flügel und die FührerInnen der „Mitte“ der ArbeiterInnenbewegung. Sogar die linken Parteien und die linken PopulistInnen befürworten im Wesentlichen die gleiche Strategie, wenn auch mit einer eher linken Färbung, wie z. B. Forderungen nach einer „echten“ transformatorischen Politik, nach einem „echten“ grünen und sozialen New Deal. Der „Green New Deal“ mutierte schon seit einiger Zeit von einer ideologisch-strategischen Klammer zwischen reformistischen und linksbürgerlichen Parteien zu einem (hinsichtlich seiner ökologischen und sozialen Seiten weiter verwässerten) „Modernisierungsversprechen“ eines Flügels des Kapitals.
  • Gleichzeitig können und werden sich auch Teile des Linksreformismus und des radikaleren Kleinbürgertums, zum Beispiel die linken Flügel des Feminismus oder der BLM-Bewegung und des Zentrismus, unter dem Einfluss, dem Druck und der echten Inspiration durch die Massenrebellion und ähnliche Bewegungen nach links bewegen. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Gruppen, die diese Richtung einschlagen, mit ihrer Vergangenheit brechen und für revolutionäre Politik und Programme gewonnen werden können, sondern dass sie auch der ideologischer Ausdruck eines Linksrucks viel breiterer Schichten, ganzer Flügel oder Strömungen innerhalb der Massenbewegungen sind.
  • Das bedeutet, dass unsere Sektionen und unsere Propaganda diese Schichten in einer Weise ansprechen müssen, die sie zu einem weiteren Linksruck ermuntern. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Kritik verbergen oder herunterspielen oder irgendwelche theoretischen oder programmatischen Zugeständnisse machen, aber es bedeutet, dass wir unsere Kritik in einer ermutigenden, engagierten und „pädagogischen“ Weise vortragen. Gleichzeitig müssen wir sehr scharf rechtsgerichtete oder passive Strömungen und die klassenkollaborationistischen FührerInnen der Massenorganisationen angreifen und zugleich die Notwendigkeit erklären, auch an diese FunktionsträgerInnen Forderungen zu stellen.

Die gegenwärtige, sich entfaltende Krisenperiode stellt alle politischen Strömungen auf die Probe. Sie stellt uns vor die historische Alternative Sozialismus oder Barbarei. Sie zugunsten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten zu lösen, erfordert eine revolutionäre Antwort – ein revolutionäres Programm, revolutionäre Parteien und eine neue, Fünfte Internationale.

2. Wirtschaftliche Lage in Deutschland und Konjunkturpakete

Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und jener der EU sehen auch die Konjunkturprognosen für die deutsche Ökonomie alles andere als rosig aus. Das unternehmensnahe Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet für 2020 mit nachlassender Wirtschaftsleistung von 9,4 % und für 2021 mit einem Wirtschaftswachstum von lediglich 3 %. Die Arbeitslosenquote soll auf 5 – 6 % steigen. Nach Bekanntgabe der ersten 130 Mrd. Euro fürs Konjunkturpaket mit einem geschätzten Effekt von 1,3 % wurde der Einbruch also auf 8,1 % taxiert, immer noch weitaus mehr als 2009.

Die Bundesregierung ist da optimistischer (2020: – 6,3 %; 2021: + 5,2 %). Diesen Optimismus teilt auch die Industriestaatenorganisation OECD nicht: – 6,6 bis 8,8 % sagt sie für 2020 voraus.

Das DIW geht in seiner pessimistischen Prognose von keiner zweiten Pandemiewelle im Herbst aus. Die Ausrüstungsinvestitionen werden laut seiner Schätzung dieses Jahr um ein Fünftel (!) geringer als 2019 ausfallen, der Konsum wird um 8,5 % nachgeben. Im Gegensatz zur letzten Krise wird sich die deutsche Wirtschaft aus der „Coronakrise“ nicht herausexportieren können, denn im Unterschied zu 2009 schrumpfte der Welthandel dramatisch um rund ein Drittel.

Das eher pessimistische Szenario ergänzt der BRD-Außenhandel im Mai. Er lag mit 80,3 Mrd. Euro um 29,7 % unter dem Vorjahresmonat. Besonders rückläufig waren die Exporte in die stark von der Pandemie betroffenen USA und nach Großbritannien. Gegenüber April 2020 stiegen sie allerdings wieder um 9 %. Die Importe lagen mit einem Gesamtwert von 73,2 Mrd. Euro um 21,7 % niedriger als im Mai 2019.

An der düsteren Lage und an der schlechten bis unsicheren Prognose wird auch die Tatsache nichts ändern, dass sich der DAX (wie auch andere Börsen) nach einer ersten Talfahrt wieder einigermaßen erholt hat/haben (Absacken von 13.800 Punkten auf 8.450 im April; Erholung auf rund 13.000 Punkte Anfang September). Insgesamt ist selbst auch an den Börsen die Lage weiter sehr unbeständig, wie die rückläufige Kurse an der Wall Street in der ersten Septemberwoche zeigten. Auch das Konjunkturpaket der Bundesregierung wird mit Sicherheit nicht ausreichen. Weitere werden, wie Olaf Scholz schon angekündigt hat, folgen müssen, um den Auswirkungen der Pandemie und der Rezession auf ökonomischer Ebene entgegenzuwirken. Auch die Wirtschaftsforschungsinstitute fordern solche Pakete – sie müssten aber vor allem „der Wirtschaft“ helfen, sei es durch Steuererleichterungen, Subventionen wie auch durch strategische Investitionen in Digitalisierung und Bildung.

Von entscheidender Bedeutung für die weitere Zukunft des deutschen Kapitalismus wird freilich nicht nur die eigene Wirtschaftspolitik, sondern vor allem die weitere Entwicklung in Europa sein. Die EU könnte zum nächsten Corona-Opfer werden. Ihre inneren Widersprüche sind in dieser Lage kaum auszugleichen, wie das Gezerre um den EU-Haushalt und die Stützung der europäischen Wirtschaft deutlich zeigt. Der Kompromiss beim letzten EU-Gipfel befriedete zwar die Staats- und RegierungschefInnen einigermaßen – aber schon die Verhandlungen im EU-Parlament werden neue Probleme heraufbeschwören, auch wenn es wahrscheinlich zu einem Haushalt und einem, gegenüber den Vorschlägen von Merkel und Macron ohnedies schon abgespeckten, Konjunkturpaket kommen wird.

Gegenüber den USA und China hat die EU im letzten Jahrzehnt nicht nur weiter an Boden verloren, sie ist unter den größeren imperialistischen Mächten nach wie vor strukturell der schwächste und verwundbarste Block, weil sie keinen einheitlichen Staat darstellt, weil es kein europäisches Gesamtkapital gibt, sondern die EU weiter ein Staatenbund ist. Der Brexit bedeutet eine wichtige Schwächung der EU, auch wenn er längerfristige die Vereinheitlichung der Union begünstigen könnte. Aber das ist keineswegs ausgemacht.

Die EU ist ein Bund einschließlich historisch gewachsener imperialistischer Staaten, die um die Vorherrschaft konkurrieren. Eine Vereinheitlichung der EU auf kapitalistischer Basis würde daher auch eine dauerhafte Festlegung dieses Verhältnisses erfordern, also Unterordnung der schwächeren Nationen vor allem unter den deutschen Imperialismus. Ihre Partnerschaft ist daher immer auch krisenbehaftet, zumal sich neben Frankreich und Deutschland mit Italien, Spanien und den Niederlanden veritable weitere imperialistische Staaten in der Union befinden. Die Auseinandersetzung um EU-Haushalt und die Frage der Gemeinschaftsverschuldung verdeutlicht, dass auch Staaten wie die Niederlande in der Lage sind, einen Block kleinerer imperialistischer Länder um sich aufzubauen.

Die Krise der EU wird sich 2020 und 2021 weiter verschärfen. Damit ist aber auch ein strategisches, vitales Interesse des deutschen Imperialismus betroffen, der seit Jahren zwar die EU ökonomisch dominiert, sich aber als unfähig erweist, die EU zu einem stärkeren, globalen Block unter seiner Führung zusammenzuschmieden. In der nächsten Zukunft wird der deutsche Imperialismus versuchen, die EU zusammenzuhalten und die kapitalistische Vereinheitlichung voranzutreiben. Das brachte auch der Merkel-Macron-Vorschlag zur Finanzpolitik zum Ausdruck, der anders als in der letzten globalen Krise praktisch ohne nennenswerte öffentliche Kritik aus den Reihen der Union und der Unternehmerverbände über die Bühne ging. Doch dies bedeutet keinesfalls, dass die EU-skeptischen Stimmen im deutschen Kapital und unter dem KleinbürgerInnentum verschwinden werden. Scheitern die Antikrisenmaßnahmen der EU, so sind weitere Konflikte vorprogrammiert.

Hinzu kommt, dass sich die EU und die verschiedenen Nationalstaaten in einer geostrategischen Zwickmühle befinden bezüglich ihres Verhältnisses zu den USA, Russland und China. Die Frage von Sanktionen gegen Russland und die Infragestellung von Nord Stream 2 verdeutlichen das einmal mehr. Ähnliche Probleme werden in der Frage der Krise im Mittelmeer (Türkei – Griechenland) oder generell im Nahen Osten auftauchen. Von einer einheitlichen EU-Außenpolitik kann nur in jenen Fällen die Rede sein, wo es einen etablierten Konsens (inklusive mehr oder weniger abgestimmter militärischer Interventionen gibt). Auch wenn die deutsche Europapolitik zur Zeit auf die EU setzt, so wird diese nicht nur weitere Krisen durchmachen, sondern eine Neubestimmung von Allianzen zwischen verschiedenen Staaten erleben. Ein Scheitern des Projekts ist in der kommenden Krisenperiode weiter leicht möglich.

Was Deutschland betrifft, so können wir von einer tiefen Krise 2020 ausgehen. Der Aufschwung 2021 wird keinesfalls wie der große „Wumms“ ausfallen, den Olaf Scholz verspricht, sondern er wird von einer weiter instabilen Weltwirtschaft, einer bis ins Jahr 2021 hinein wirkenden Pandemie und zusätzlichen Verwerfungen in der EU geprägt sein.

3. Lebensbedingungen, zentrale Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten

Gleichzeitig werden sich die Klassenkämpfe um die Kosten der Krisenlasten verschärfen, auch wenn die Bundesregierung und die Gewerkschaften versuchen werden, diese abzufedern, jedenfalls bis zur Bundestagswahl 2021. Trotzdem gibt es untrügliche bedeutende Zeichen für massive Angriffe. Schon jetzt müssen wir eine massive Verschlechterung der Lebenslage der ArbeiterInnenklasse, der Mittelschichten und des KleinbürgerInnentums konstatieren. Zu dieser kommen Auswirkungen der Krise hinzu, die von sich aus den Druck auf Arbeitsbedingungen, Löhne, Einkommen verschärfen werden.

Kurzarbeit, Personalabbau, Massenarbeitslosigkeit

Im Mai erreichte die Zahl der KurzarbeiterInnen mit 7,3 Millionen ihren bisherigen Höhepunkt, doch selbst im Juli war sie mit 5,6 Millionen um ein Vielfaches größer als auf dem Höhepunkt der letzten Krise (Mai 2009 mit 1,44 Millionen). Anders als in der letzten Krise sind nicht vorwiegend IndustriearbeiterInnen davon betroffen, sondern auch viele Beschäftigte in kleineren Unternehmen. Trotz der Millionen KurzarbeiterInnen meldeten sich im August 2020 600.000 Menschen mehr arbeitslos als im Vergleichzeitraum des letzen Jahres.

Die Bundesregierung hat im August eine Verlängerung der Kurzarbeiterregelungen beschlossen. Damit sollen einerseits ArbeiterInnenklasse und Gewerkschaften befriedet werden. Andererseits kommt die Regelung auch einer Lohnsubvention der KapitalistInnen gleich, was die Zustimmung aus dem UnternehmerInnenlager erklärt. Schließlich wird damit sowohl etwaiger Personalabbau leichter durchführbar werden (wenn die Beschäftigten faktisch schon länger aus dem Betrieb verschwunden sind) wie auch ein, im Vergleich zur internationalen Konkurrenz, rascheres Regieren auf einen etwaigen Aufschwung.

Es wird auch versucht, Entlassungen sozial abzufedern und betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Das stellt sich aber als immer schwieriger dar. In etlichen Branchen wurden selbst bei voller Konjunktur massive Überkapazitäten aufgebaut. Der Kapitalstock muss in wichtigen Bereichen erneuert werden, die Wettbewerbsfähigkeit soll durch Produktivitätszuwächse, Verlagerungen, Umstrukturierungen gesichert werden.

Gerade die Ver- als auch Auslagerungen an externe Dienstleistungsunternehmen in Deutschland oder in andere Länder (Halbkolonien, teilweise imperialistische Länder) werden die bereits existierenden Spaltungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse sowohl hierzulande wie auch in den anderen Ländern weiter verschärfen und das Konkurrenzdenken innerhalb der Belegschaften eines Unternehmens (meist bei Großkonzernen, die international agieren) befördern. Die Politik der Industriegewerkschaften, die dieses Konkurrenzdenken durch ihre Standortlogik ebenfalls fördern und verteidigen, leisten dabei einen erheblichen Anteil wie durch die Verhinderung praktischer internationaler Solidarität (Beispiele bei der Schließung von Mahle-Werken in UK, Italien … ). Andererseits trägt auch, wie schon am Anfang kurz skizziert, die Auslagerung weiterer zentraler Bereiche nicht nur handwerklicher Tätigkeiten oder der Müllentsorgung, Reinigung usw., sondern auch von IT, Finanzbuchhaltungen, Entwicklungstätigkeiten etc. entweder an externe Firmen oder konzernintern in Dienstleistungszentren in Halbkolonien zu einer weiteren Zerfaserung der Belegschaften bei. Diese meist hochbezahlten Tätigkeiten werden gerade dann gerne verlagert, wenn es um eine Reduzierung der Kosten geht. In diesen Bereichen eine gewerkschaftliche Organisierung gegen weitere Angriffe zu erreichen, ist extrem schwer, da dort ArbeiterInnen unter prekären Bedingungen arbeiten und gerade in Halbkolonien gewerkschaftliche Organisierung nicht selten schweren Repressionsschlägen ausgesetzt ist. In Deutschland wird dabei eher das Modell des „Union Busting“, also der Zerschlagung gewerkschaftlicher Strukturen auf juristischer Ebene, angewendet.

Dass die Wirtschaftskrise ihre unmittelbare Auslösung durch eine Pandemie fand, verschleiert ihre eigentlichen ökonomischen Ursachen und erleichtert daher ideologisch die Angriffe auf Lohnabhängige durch das Kapital. Die Krise erscheint als Ergebnis einer Fremdeinwirkung, gegen die sich die Nation – also Kapital und Arbeit – vereint wehren müsste, wobei natürlich auch etwaige Verluste alle zu tragen hätten, was realiter einen massiven Angriff der Kapitals bedeutet.

Wir werden es also faktisch mit massenhaftem Personalabbau zu tun haben, der Millionen betrifft. Er trifft sie aber zersplittert in einzelnen Betrieben oder Bereichen. Die sozialen Abfederungen der Prozesse und sozialpartnerschaftliche Regulierungen halten ihn zwar nicht auf, verlangsamen und fragmentieren ihn jedoch und führen dazu, dass die eigentlich kampfstärkeren Bereiche eher befriedet werden können. Daher hat auch das Kapital oder jedenfalls ein bestimmter Teile der KapitalistInnenklasse daran ein Interesse und fordert im Gegenzug für sozialverträglichen Umbau eine WettbewerbspartnerInnenschaft von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen in der internationalen Konkurrenz, wozu die Industriegewerkschaften auch nur allzu gern bereit sind.

Einkommen, Löhne und Arbeitsbedingungen

Mit der Kurzarbeit, einer steigenden Arbeitslosigkeit und den Einbußen großer Teile des KleinbürgerInnentums mussten in den letzten Monaten auch fast alle Schichten der Bevölkerung große Einkommensverluste hinnehmen. Bei einer vergleichenden Untersuchung in den USA, GB und der BRD gaben im Mai 2020 5 % der Befragten an, in den letzten vier Wochen Einkommensverluste in der Höhe von 100 % erlitten zu haben (in den USA 13 %). Weitere 5 % gaben an, 75 % ihres Einkommens verloren zu haben, 6 % zwischen 50 und 75 %. Auch wenn das nur eine Momentaufnahme ist, so sind allein diese Verluste beachtlich. 29 % der Befragten gaben an, zwischen 25 und 50 % ihres Einkommens verloren zu haben, 41 % verloren zwischen 10 und 25 %. Nur 14 % gaben an, nicht mehr als 10 % an Einbußen erlitten zu haben.

Die zur Zeit des Höhepunkt der Schließungen der Wirtschaft erhobenen Daten (im April 2020) verdeutlichen den enormen Einschnitt bei den Einkommen der Masse der Bevölkerung – nicht nur der ArbeiterInnenklasse, sondern auch der Mehrheit des KleinbürgerInnentums, der Mittelschichten und selbst der kleineren KapitalistInnen.

Dieser Einbruch befördert einerseits eine imaginäre Einheit aller Klassen, von fleißigen UnternehmerInnen und Beschäftigen, als Opfer der Krise und der Pandemie. Dies kommt sowohl bei der Politik des nationalen Schulterschlusses wie auch bei den rechtspopulistischen reaktionären Hygiene-Demos zum Ausdruck. Diese sind auch deshalb gefährlich, weil in Wirklichkeit die ArbeiterInnenklasse und das KleinunternehmerInnentum gegensätzliche Antworten auf die Krise haben. Letztere drängen nicht nur auf Öffnung ihrer Geschäfte, auf Steuererleichterungen, Stützung usw. – sie fordern vor allem auch eine Senkung der Löhne bis hin zur Infragestellung des Mindestlohns, dem Ruf nach Aussetzung von Tarifverträgen, Arbeitsschutz, Arbeitszeitbeschränkungen.

Gesundheit und soziale Vorsorge, Renten, Bildung, Wohnen

Die Corona-Krise verdeutlichte auch, dass das Gesundheitssystem eines Landes wie Deutschland schlecht bis gar nicht auf die Krise vorbereitet war. Sie führte uns auch vor Augen, dass das privatkapitalistische System versagt hat.

Erst recht trifft dies auf andere Bereiche der Pflege, der Kranken- und Altenbetreuung, auf die Hilfe für Menschen mit Behinderungen zu. In der Not mussten einzelne Bereiche des Gesundheitssystems unter staatliche Aufsicht gestellt werden. Aber sdies stellte keineswegs einen Schritt in ein neues System dar, sondern Krisenmaßnahmen, von denen das Kapital schon bald nichts mehr wissen will.

Das hat seine Gründe. Die Kosten für soziale Maßnahmen, Gesundheit etc. mussten natürlich auch aus Schulden finanziert werden, die in den nächsten Jahren bedient werden wollen.

Zweitens erscheinen die Kosten für Bildung, Ausbildung, Gesundheit, Altersvorsorge, Kultur und Freizeit – auch wenn sie eigentlich für die Reproduktion der ArbeiterInnenklasse notwendig sind und direkte oder umverteilte Lohnbestandteile darstellen – vom Standpunkt des einzelnen Kapitals als Abzug vom Profit, als unnütze Kosten. Wir können daher mit einem wachsenden Druck des Kapitals rechnen, diese zu reduzieren, Einrichtungen oder Leitungsbezug zu privatisieren oder die Kosten der „Allgemeinheit“, also der ArbeiterInnenklasse, über Steuern aufzudrücken.

Hinzu kommt, dass Arbeitslosigkeit, Einkommensverluste … auch die Lage der Lohnabhängigen als KonsumentInnen weiter verschlechtern. Das trifft schon seit Jahren auf den Wohnungsmarkt zu. Angesichts drohender massiver Einkommenseinbußen würde sich die Lage der Lohnabhängigen auf dem Wohnungsmarkt sogar verschlechtern, wenn es keine Mietpreiserhöhungen gäbe. Kurzfristige Stundungen helfen hier allenfalls im Einzelfall, strukturell haben sie minimale Auswirkungen.

Angriffe auf Jobs, Arbeitsbedingungen, Löhne werden also mit einem gleichzeitigen Angriff auf den „Soziallohn“ und auf die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen (z. B. Wohnen) einhergehen.

Sozialer Abstieg, Differenzierung und die gesellschaftlich Unterdrückten

Die Angriffe gelten einerseits zwar allen Teilen der ArbeiterInnenklasse – inklusive ihrer industriellen Kernschichten. Andererseits treffen sie verschiedene Sektoren sehr unterschiedlich. Schon jetzt erfasst die Krise die gesellschaftlich Unterdrückten sowie die schlecht bezahlten und prekär beschäftigen Teile der Klasse besonders hart. Hinzu kommt aber auch, dass sie bedeutende Teile der produktiven, industriellen ArbeiterInnenklasse treffen wird, wenn auch zuerst oft in sozialpartnerschaftlich vermittelter Form. Auch wenn in einzelnen Bereichen durchaus neue Schichten der ArbeiterInnenaristokratie entstehen können, so werden wichtige Teile dieser relativ privilegierten Lohnabhängigen existenziell getroffen werden, in einem bedeutenden Umfang sogar härter als die Masse der Klasse.

Die generelle Tendenz für die Klasse bedeutet sozialen Abstieg, Erhöhung der Ausbeutungsrate und Verschlechterung der Lage der gesellschaftlich Unterdrückten, besonders von Jugend, MigrantInnen und Frauen sowie – auch wenn sie keine sozial Unterdrückten im engen Sinn darstellen – der RentnerInnen. Zudem werden die prekären Schichten wie auch die Masse der Klasse in Industrie und Dienstleitungen weiter nach unten gedrückt.

Diese allgemeine objektive Verschlechterung führt jedoch keineswegs automatisch zur Vereinheitlichung von Kämpfen und Bewegungen. Dies können wir schon seit Jahren bei der Umweltbewegung und bei antirassistischen Kämpfen beobachten. Umgekehrt trifft das aber auch auf Abwehrkämpfe der ArbeiterInnenklasse zu (denken wir z. B. nur an die Beschäftigten bei Fluglinien und Flughäfen einerseits und Umweltbewegungen wie FFF, EG oder XR andererseits).

Die Tatsache, dass besonders Unterdrückte von den Angriffe extrem betroffen sind, äußert sich in einer Zunahme der doppelten Belastung von proletarischen Frauen in Haushalt und Beruf, einer erschreckenden Zunahme von Gewalt und sexuellen Übergriffen gegen Frauen und LGBTIAQ-Menschen. Rassistische Angriffe nehmen ebenso zu – begleitet und oft noch verschärft durch staatlichen Rassismus in seinen verschiedensten Formen.

Massive Angriffe werden auch RentnerInnen zu erleiden haben und Jugendliche. Diese sind von Billigjobs, Prekarisierung usw. besonders betroffen. Ausbildungsplätze sind rar, Übernahmen erst recht ungewiss. All dies führt aber auch dazu, dass die berufstätigen Teile der Klasse größere Teile ihres Einkommens und ihrer Zeit für Kinder (und tendenziell auch für die Pflege von Kranke und Alten) aufwenden werden müssen.

All dies sind Formen eines gezielten Angriffs auf Lohnabhängige, die auch die Spaltung in der Klasse, innere Gegensätze verschärfen und staatlicherseits auch direkt verschärfen sollen, selbst wenn gern das Gegenteil behauptet wird.

Wir können zugleich davon ausgehen, dass die MigrantInnen, Frauen und Jugendliche wegen ihrer Betroffenheit, aber auch weil sich in den letzten Jahren immer wieder Bewegungen, Bündnisse, Aktionen gebildet haben, wichtige Mobilisierungen initiieren werden, in die wir eingreifen können und müssen. Hinzu kommt, dass die kleinbürgerlichen und reformistischen, teilweise auch direkt bürgerlichen Führungen weniger strukturierte und damit Handlungen bestimmende Kontrollmacht ausüben als die Bürokratie im Betrieb und in den Gewerkschaften. Hinzu kommt, dass sie anders als die LohnarbeiterInnen nicht der, in letzter Instanz despotischen, Herrschaft des Privateigentums im Betrieb ausgesetzt sind. Aus diesen beiden Gründen können auch eher spontane Bewegungen entstehen.

Umgekehrt müssen wir uns davor hüten, aus der größeren Wahrscheinlichkeit von unmittelbaren Mobilisierungen in obigen Bereichen ein Schema für die ganze vor uns liegende Periode zu machen. Erstens stehen schon jetzt wichtige Großunternehmen oder Sparten im Fokus von Krise, Schließungen, Personalabbau oder steuern darauf zu (Flughäfen, Luftfahrt, Automobilindustrie, Handel …). Das heißt, dass die Krise auch Kernschichten der Klasse massiv treffen wird – und in bestimmten Sparten und Regionen sogar besonders hart treffen kann, wenn Abfederungsmaßnahmen auslaufen oder nicht mehr greifen. Zweitens kommt diesen Sektoren der ArbeiterInnenklasse, gerade im Bereich der industriellen Arbeit, eine Schlüsselposition für einen erfolgreichen Abwehrkampf zu. Die aktuellen Angriffe können nicht durch Straßenaktionen gestoppt werden. Diese sind, selbst in ihrer militanten Form, letztlich symbolische Maßnahmen des Protests. Es braucht politische Massenstreiks und diese müssen die Kernsektoren der produktiven Arbeit umfassen. Daher ist es, unabhängig von deren aktueller Friedhofsruhe, notwendig, diesen Sektoren der Klasse vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken, sich auf diese zu beziehen und, wo möglich, dort einzugreifen.

Umwelt, Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen

Die kapitalistische Krise wirkt sich fortgesetzt und letztlich verschärfend auf die ökologische aus. Die von der herrschenden Klasse selbst einst proklamierten Klimaziele sind in weite Ferne gerückt. Die kurzzeitige Reduktion von umweltschädlichen Emissionen und anderen die Natur belastenden Stoffen im Zuge des Produktions- und Handelseinbruchs hat allenfalls kurzfristigen Wert, dient im Grunde mehr der statistischen Beschönigung als der realen Verbesserung.

Dabei haben große Teil der bürgerlichen Parteien und sogar die EU-Kommission den „Green New Deal“ proklamiert. Letztere verkündet gar: „Der europäische Grüne Deal ist unser Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft.“

In Wirklichkeit bedeutet der Green New Deal E-Auto, E-Commerz, E-Logistik. Der „Kompromiss“ um den Braunkohleausstieg verdeutlicht die Realität der aktuellen Umweltpolitik, mag sie sich auch gern ökologisch nennen. Der bürgerliche Ökologismus erweist sich als völlig unfähig, ein anderes Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu etablieren, weil er die gesellschaftlichen Verhältnisse ausblendet, ja ausblenden muss, die den metabolischen Riss zwischen Mensch und Natur unvermeidlich vertiefen.

Die Krise wird den Gegensatz zwischen Markt und Profit einerseits und ökologischer Nachhaltigkeit andererseits verschärfen. Daher werden wir es weiter mit großen Mobilisierungen in diesem Bereich, v. a. unter der Jugend, zu tun haben. Zum anderen hat sich – siehe FFF – in der letzten Periode auch eine direkt bürgerliche Führungsschicht herausgebildet, die eng mit der grünen Partei verbunden ist, während bei EG und XR eher kleinbürgerliche Führungsgruppen vorherrschen.

Rechtspopulismus, Faschismus, Autoritarismus

Eine weitere, durch die Krise und die Pandemie befeuerte Gefahr stellen Rechtspopulismus, Rassismus und Faschismus dar. Wir erleben seit Jahren einen Rechtsruck, der sich in verschiedenen Formen manifestiert.

Einerseits stellt er sich als rechtspopulistische Absetzbewegung von den etablierten Parteien dar, die sich um die AfD oder um Bewegungen wie „Querdenken 711“ und die Hygiene-Demos schart. Politisch bildet der Rechtspopulismus dabei eine zentrale Kraft, dessen Ziel letztlich eine Rechtsverschiebung des politischen Spektrums ausmacht, wo Parteien wie die AfD gewissermaßen als Pressure Group auf CDU und FDP wirken. Dem Rechtspopulismus geht es trotz der ständigen Beteuerung von Freiheit und Demokratie letztlich um die Freiheit des/r egoistischen, rücksichtslosen KleinproduzentIn, die/der mit dem Rücken zur Wand steht, andererseits um eine autoritäre Umstrukturierung der Demokratie, staatlicher Herrschaft mit Tendenz zum Bonapartismus. Die eigentliche Demokratie bildet die plebiszitäre Zustimmung zur autoritären Führung. Es ist kein Zufall, dass Trump und Putin als Vorbilder diese „DemokratInnen“ gelten. Der Populismus appelliert zwar an das Volk – also an die Masse des KleinbürgerInnentums, der Mittelschichten und rückständige und demoralisierte Lohnabhängige. Letztlich zielt er aber auf eine Veränderung der bürgerlichen Herrschaft. Nationalismus, Rassismus, Chauvinismus bilden ebenso wie Verschwörungstheorien und Irrationalismus notwendige Bestandteile seiner politischen Ideologie.

Den anderen, extremen Pol der rechten Mobilisierungen stellen faschistische und protofaschistische Kräfte dar. Zu diesen Gruppierungen zählen auch jede Menge Übergangsformationen und Überlappungen, die teilweise selbst Bewegungsform annehmen (z. B. Pegida). Die offen faschistischen Kräfte stellen sicher noch eine Minderheit dar, haben sich aber stärken können und sind deutlich anerkannter. Die Demonstrationen von „Querdenken“ im August 2020 (1. und 29.8.) haben verdeutlicht, dass nicht nur wenig „Berührungsängste“, sondern eine regelmäßige, organisierte Kooperation besteht/bestehen, bei der sicher beide Teile – RechtspopulistInnen wie FaschistInnen – darauf spekulieren, ihre Verbündeten letztlich für ihre Zwecke ausnützen zu können.

Diese Kräfte konnten in der Krise Zehntausende mobilisieren. Die von „Querdenken 711“ und anderen initiierten Proteste haben einen Bewegungscharakter angenommen. Die AfD konnte – auch aufgrund ihrer aktuellen inneren Konflikte, aber auch wegen Richtungswechsel in der Corona-Politik – bei den Umfragen davon noch nicht profitieren. Es ist jedoch zu befürchten, dass dies in den nächsten Monaten und bei den kommenden Wahlen der Fall sein wird.

Unabhängig von Umfragen und Momentaufnahmen im rechten Spektrum hat sich eine rechte, rassistische und populistische Bewegung formiert, die ihre Basis im KleinbürgerInnentum zweifellos stärken konnte und der die Krise automatisch weitere AnhängerInnen zuführen wird, solange die Masse der ArbeiterInnenklasse, die Gewerkschaften, SPD und Linkspartei an SozialpartnerInnenschaft und „nationale Einheit“ gebunden sind. Anders als bisherige rechte Bewegungen, die Massenzulauf vor allem in ökonomisch schlechter gestellten Regionen hatten, entwickelt sich mit „Querdenken“ auch in einem der ökonomisch stärksten Bundesländer eine solche Bewegung, was verdeutlicht, dass es ihr mittlerweile gelingt, in das traditionelle westdeutsche KleinbürgerInnentum und die Mittelschichten einzudringen, die um ihr „normales Leben“ fürchten.

Zugleich darf auch nicht unterschätzt werden, dass die Rechten (nicht nur die direkten Nazis) zu einer immer größeren Gefahr für Flüchtlinge, MigrantInnen, MuslimInnen, Linke, Juden/Jüdinnen werden, was sich auch eindeutig an einer Zunahme rechter Gewalt zeigt.

Dies zeigen vor allem auch die rechten Gruppierungen innerhalb verschiedener Teile des Repressionsapparates, die sich bisweilen zu Terrornetzwerken zusammenschließen und verschiedene Aktionen (Anschläge etc.) planen. Aber auch außerhalb des Repressionsapparates formieren sich militante, faschistische Gruppierungen, welche ähnliche Pläne entwickeln (Provokation von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, Erstellung von Todeslisten, Beschaffung von Waffen, Sprengstoffen etc.). Hier sticht bisweilen auch die sog. „Reichsbürgerszene“ heraus, der nach verschiedenen Schätzungen ca. 20.000 Personen in Deutschland angehören.

Angriff auf demokratische Rechte

Mit dem Rechtsruck eng verbunden ist die Stärkung der autoritären, antidemokratischen Elemente bürgerlicher Herrschaft, des Staatsapparates. Diese muss jedoch vom Entstehen des Faschismus unterschieden werden (wie wir auch kategorisch alle Thesen der Faschisierung des Staates zurückweisen müssen).

Die Einschränkung demokratischer Rechte stellt einen zentralen Aspekt des zunehmenden Autoritarismus dar, der in der Corona-Zeit faktisch mit einer Lähmung großer Teile der organisierten ArbeiterInnenklasse einherging. Die meisten Rechte wurden nicht gegen den Willen von Gewerkschaften und reformistischen Parteien eingeschränkt, sondern mit deren Zustimmung. Diese selbst demobilisierten in den letzten Monaten. In der kommenden Periode wird die Bedeutung dieser Frage noch weit dringlicher werden. Wir müssen die Notwendigkeit der Verteidigung und Ausweitung solcher Rechte – insbesondere auch bezüglich des Streikrechts und des Rechts auf politische Betätigung im Betrieb – hervorheben.

Die Aufgabe wird in den Augen vieler ArbeiterInnen und Linker dadurch verkompliziert, dass die Pandemie tatsächlich Einschränkungen von Freiheiten oder die Durchsetzung bestimmter Verhaltensregeln (z. B. Maskenpflicht, Abstandsregeln) erfordert. Aber damit ist – siehe die Begrüßung von Demonstrationsverboten für Corona-LeugnerInnen und andere SpinnerInnen – durch große Teile der reformistischen und kleinbürgerlichen Linken die Gefahr eines Schulterschlusses mit bürgerlichen Kräften und Zustimmung zu staatlichen Verbotsmaßnahmen verbunden, die sich in der Realität nicht nur als unwirksam erweisen, sondern auch leicht zum Mittel gegen linken Aktionen und die ArbeiterInnenklasse werden können.

Der Angriff auf demokratische Rechte geht mit einer weiteren Ausdehnung staatlicher Überwachung einher und umfasst auch eine ideologische Bekämpfung von Widerstand. Diese ist umso gefährlicher, als Teile der ArbeiterInnenbewegung und der Pseudolinken hier direkt in staatliche Repression und Überwachung integriert sind. Dies inkludiert nicht nur Bespitzelung und Kriminalisierung (siehe den Verfassungsschutzbericht), sondern auch Verleumdung und politische Ausgrenzung (z. B. „Antisemitismusvorwurf“ von ZionistInnen, Antideutschen, deutscher Außenpolitik). Sie erstreckt sich auf scheinbar harmlose Fahnen- und Propagandaverbote gegen organisierte Linke aus trotzkistischer oder stalinistischer Tradition. Letztlich geht es dabei jedoch um die Monopolisierung der linken Öffentlichkeit durch alle jene, die verbindliche kommunistische und revolutionäre Organisierung ablehnen. Staatlicherseits geht der „Antisemitismusvorwurf“ untrennbar mit der Einschränkung demokratischer Rechte und des öffentlichen Raums für alle antiimperialistischen und internationalistischen Organisationen – nicht zuletzt auch von uns – einher.

Neben dem Kampf um eigene demokratische Rechte und politischen Spielraum kann der für demokratische Rechte und gegen Autoritarismus in der nächsten Periode einige Mobilisierungskraft entfalten – und zwar weit über die Linke hinaus, wie auch in den letzten Jahren immer wieder zu sehen war.

Krieg/Militarisierung/Außenpolitik

Die Frage der ideologischen Diffamierung (siehe oben), aber auch wachsender Rassismus und Nationalismus hängen eng mit den imperialistischen Ambitionen Deutschlands im Kampf um die Neuaufteilung der Weilt zusammen. Das betrifft auch die positive Besetzung des „wehrhaften“ Nationalismus‘. Aktuell wird das vorzugsweise im demokratischen Gewand versucht. Die Bundeswehr firmiert als Friedensstifterin, Auslandeinsätze werden als humanitäre Aktionen präsentiert.

Zunehmend wird aber auch offen verteidigt, was ohnedies längst außen- und verteidigungspolitische Doktrin ist – die ökonomischen und geostrategischen Interessen. Angesichts des Führungspersonals der imperialistischen Konkurrenz (Trump, Putin, Xi, Johnson) und etlicher regionalpolitisch ambitionierter Mächte der halbkolonialen Welt werden die „Übernahme von Verantwortung“ durch Deutschland und eine von Deutschland geführte EU als Segen für die Welt verkauft.

Die Bundesregierung hat es bisher recht gut verstanden, die reale, wenn auch längst nicht abgeschlossene Aufrüstung der Bundeswehr, die Beschaffung neuer Ausrüstung und Waffensysteme usw. relativ widerstandslos durchzusetzen. Die Ausweitung des Budgets für die Armee trifft auf keinen größeren Widerstand, die laufenden Auslandseinsätze werden mittlerweile routinemäßig bewilligt. Mittelfristig können wir allerdings einen weiteren Schub an Aufrüstung und Militarisierung erwarten, da ansonsten die EU und Deutschland noch mehr hinter der US-amerikanischen, chinesischen und russischen Konkurrenz zurückbleiben werden.

Wie die letzten Jahre immer wieder gezeigt haben, wird sich eine Massenbewegung gegen Aufrüstung und Krieg wahrscheinlich erst an Fragen eines größeren Einsatzes entzünden, also bei drohenden größeren kriegerischen Auseinandersetzungen und Einsätzen (wie früher zu Jugoslawien, Afghanistan und Irak).

4. Nationaler Konsens und Sozialpartnerschaft – (noch) bevorzugte Politik der herrschenden Klasse

Angesichts der tiefen Krise und der Pandemie, der Notwendigkeit von Staatseingriffen zur Sicherung des Gesamtinteresse des Kapitals, der EU-Krise und der, eine einigermaßen klare Außenpolitik zu formulieren, erlebte die Große Koalition 2020 eine unerwartete Stabilisierung.

Galt sie infolge der Krise der SPD, der Wahl von Walter-Borjans und Esken zu Parteivorsitzenden sowie angesichts der noch immer nicht gelösten Kanzlerkandidatur bei der Union als Auslaufmodell, das noch vor Ende der Legislaturperiode das Zeitliche segnen könnte, so gilt es als wahrscheinlich, dass die Regierung Merkel bis zum Ende dieser Legislaturperiode durchhält.

CDU/CSU konnten parteipolitisch von der Krise profitieren und liegen in den Umfragen mittlerweile stabil über 35 %. Die SPD konnte zwar bei den Umfragen nicht zulegen, hat sich aber auf Olaf Scholz, den personifizierten Vizekanzler, als Spitzenkandidaten festgelegt. Die Grünen sind etwas abgefallen und müssen sich nun mit der SPD um den Platz 2 in den Umfragen streiten, statt die CDU/CSU herauszufordern.

Die AfD hat von der Krise bislang nicht profitieren, sich aber bei 10 % stabilisieren können. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Probleme der kommenden Monate kann man davon ausgehen, dass sie eher zulegen wird (sofern sie sich nicht spaltet, was unwahrscheinlich ist).

Unter den Parlamentsparteien stellen FDP und Linkspartei bislang die eindeutigen Verliererinnen der Corona-Zeit dar.

2021 wird nicht nur das Jahr der Bundestagswahlen. Das politische Leben bis dahin wird von mehreren wichtigen Landtags- und Kommunalwahlen geprägt werden, die auch ein Barometer für die Stimmung im Bundesgebiet abgeben und noch vor den Bundestagswahlen stattfinden: Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie Kommunalwahlen in Hessen am 14. März 2021, Landtagswahlen in Thüringen im April, in Sachsen-Anhalt im Juni sowie im Berlin im Herbst 2021.

Hinzu kommt, dass, abgesehen von der SPD, noch alle Parteien ihre SpitzenkandidatInnen für die Bundestagswahlen küren müssen. Für die FDP und die Grünen wird das relativ konfliktfrei zu bewerkstelligen sein. Bei AfD, Linkspartei, vor allem aber bei der CDU/CSU kann das durchaus zu größeren inneren Konflikten führen.

Bei der CDU sind die drei möglichen Vorsitzendenkandidaten (und damit potentielle Kanzlerkandidaten) in der Corona-Krise entweder kaum in Erscheinung getreten oder haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Der lange als Favorit gehandelte Laschet versuchte sich wohl zu früh als populistischer Beendiger der Corona-Maßnahmen. Merz und der ohnedies chancenlose Röttgen traten kaum in Erscheinung, auch wenn sich letzter jüngst als außenpolitischer Scharfmacher gegen Russland zu profilieren versucht. Dafür spielte sich Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Söder in den Vordergrund. Auch Gesundheitsminister Spahn konnte sich gegenüber Laschet und Merz profilieren und kommt nun seinerseits als möglicher Kanzlerkandidat (evtl. in Verbindung mit Laschet als Vorsitzendem) in Frage.

In jedem Fall hat die CDU noch keine Entscheidung getroffen. Angesichts der bevorstehenden Agenda eines neuen Anlaufs auf eine stärkere EU-Integration, einer veränderten EU-Finanz- und Kreditpolitik sowie der Notwendigkeit einer gewissen Integration von Gewerkschaften und einer Pseudoklimapolitik, die allesamt auf eine Koalition mit den Grünen (oder als unwahrscheinlichere Option mit der SPD) hinauslaufen, scheint Merz als Vorsitzender oder Kanzlerkandidat unwahrscheinlich.

In jedem Fall wird eine CDU/CSU-Politik auch nach den Wahlen auf eine Stärkung der EU und damit auch eine strategische Partnerschaft mit Frankreich (sowie eine Stabilisierung derer mit Italien und Spanien) zielen. Diese Politik kann außerdem auf Unterstützung durch Grüne und SPD setzen und stößt somit auf wenige parlamentarische Hindernisse. Hinzu kommt, dass die aktuelle Krise das überlegene relative Gewicht des deutschen Kapitalismus gegenüber dem französischen noch einmal deutlich gemacht, was eine Allianz in gewisser Weise erleichtert, solange Deutschland auch gewisse Zugeständnisse an den Partner macht.

Doch diese Politik wird selbst bei einem „dynamischeren“ Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich auf enorme Schwierigkeiten stoßen und die EU wird weiter heftige Krisen durchlaufen. Zum anderen erhöhen die gegenwärtige Krise und die verschärfte internationale Konkurrenz auch den Druck zur Blockbildung bei Strafe des weiteren Zurückfallens.

Daher ist bis zur Bundestagswahl eine Fortführung der Politik der Klassenzusammenarbeit und des nationalen Konsenses wahrscheinlich.

  • Auf politischer Ebene bedeutet das eine Fortsetzung der Großen Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode.
  • Die großen Kapitale und die von ihnen dominierten Unternehmerverbände, Stiftungen und Institutionen setzen ihrerseits darauf. Das schließt beginnende, teilweise massive Umstrukturierungen nicht aus. Aber sie sind dabei auf staatliche Unterstützung in gigantischem Ausmaß angewiesen und die Kollaboration mit den Gewerkschaften (insb. IG Metall, BCE, EVG, aber letztlich auch ver.di und andere).
  • Damit soll auch eine relativ einheitliche Außenpolitik gewährleistet werden, eine Fortsetzung der Europapolitik von Merkel/von der Leyen mit Unterstützung von Sozialdemokratie (und Grünen). Auf europäischer Ebene entspricht dem eine fragile Koalition von Konservativen (EVP), Sozialdemokratie, Grünen und Liberalen.
  • Deren politisch-ideologische Klammer bildet ein „Modernisierungsprogramm“, eine Art „Grüner New Deal“ auf europäischer Ebene, dem auf Seiten von Gewerkschaften und reformistischen Apparaten ironischerweise ein Verzicht selbst auf verhaltene Mobilisierungen (also auf ökonomischen Kampf) auf europäischer Ebene entspricht.

Eine Fortsetzung des nationalen Konsenses, der StandortpartnerInnenschaft und der SozialpartnerInnenschaft im Betrieb stößt zugleich auf massive Hindernisse auf internationaler wie nationaler Ebene, die diese Politik zunehmend auch in Frage stellen werden:

  • Dauer und Tiefe der Krise. Je länger diese dauert, umso größer und härter wird der Kampf um eine Neuaufteilung der Märkte und geostrategische Einflusszonen, umso schwerer jede Zusammenarbeit gegen die Krise. Je länger und tiefer die Krise, umso mehr werden die Gegensätze in der EU hervortreten, umso schwieriger das Aushandeln ohnedies schon schwer findbarer Kompromisse.
  • Je länger diese dauert, umso kostspieliger, schwieriger wird die Aufrechterhaltung einer klassenkollaborationistischen Strategie, umso schwerer wird es auf allen Seiten, die eigenen AnhängerInnen, also die Klassen bei der Stange zu halten, die verschiedene Parteien vertreten oder zu vertreten vorgeben. Der Aufstieg des Rechtspopulismus verdeutlicht dieses Problem.
  • Zur Zeit wird die Politik der Zusammenarbeit in Deutschland von der Rechten weitaus heftiger und deutlicher angegriffen als von der Linken und der ArbeiterInnenbewegung. Das liegt zum einen daran, dass Teile des KleinbürgerInnentums, kleine UnternehmerInnen oder Mittelschichten von der Krise sehr heftig betroffen sind, aber auch die schlechter organisierten und daher von Schutzmaßnahmen wie KurzarbeiterInnengeld weniger abgedeckten Schichten der ArbeiterInnenklasse. Zum anderen ist es darin begründet, dass die Rechten eine, wenn auch reaktionäre, populistische, scheinbar radikale Antwort auf die Krise präsentieren.
  • Hinzu kommt, dass wir schon in den letzten Jahren einen Rechtsruck erleben konnten, der politische Antielitenrhetorik, Rassismus mit Nationalismus, Angriffen auf soziale Sicherungsleistungen und andere Einschränkungen der Unternehmerfreiheit verbindet. Wie bei der AfD fungieren Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus als Kitt, der eine imaginäre Einheit von deutschem Kapital und deutscher Arbeit verspricht.
  • Die Mobilisierungen der Umweltbewegung oder gegen Rassismus signalisieren zwar ein Potential einer Gegenbewegung, müssten sich aber mit der organisierten, betrieblichen ArbeiterInnenklasse verbinden. Bei dieser manifestieren sich Ansätze von Gegenwehr bei einzelnen betrieblichen Auseinandersetzungen, möglicherweise in Tarifrunden.
  • Auch wenn die Kernparteien des „nationalen Konsenses“ (CDU/CSU, SPD, Grüne) bei den Umfragen über eine klare Mehrheit verfügen, so dürfen wir angesichts der wirtschaftlichen und politischen Instabilität des kommenden Jahres keineswegs auf eine Extrapolation der aktuellen Umfragen bis zu den Wahlen zählen oder mit einer einfachen Regierungsbildung rechnen, auch wenn zur Zeit eine Koalition aus CDU/CSU und Grünen am wahrscheinlichsten erscheint.

5. Die bürgerlichen Parteien

Die offen bürgerlichen Parteien reflektieren entweder in Parteiform oder in inneren Auseinandersetzungen verschiedene Frontstellungen.

Die CDU/CSU setzt zur Zeit mehrheitlich auf eine Strategie, Kapitalinteressen mit einer gewissen Einbeziehung der ArbeiterInnenklasse (also über Gewerkschaften und Betriebsräte sowie die SPD) zu sichern. Das heißt, sie verleiht sich eine gewisse „soziale“ oder auch „ökologische“ Seite.

In der Substanz kommt für die Lohnabhängigen allenfalls eine mildere Form der Umverteilung von unten nach oben rum, also eine sozial abgefederte Formen der „Sanierung“ von Unternehmen.

Die rechte Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik aus der Union, die Manöver mit der AfD in Thüringen und Sachsen, die offene Kritik am Merkel-Kurs noch im letzten Jahr und deren erzwungener Rücktritt vom Parteivorsitz dürfen trotz günstiger Umfragen nicht vergessen lassen, dass die Gegensätze in der CDU (und CSU) keineswegs beseitigt sind, nur weil die Merkel-KritikerInnen zur Zeit kaum offen auftreten. Die Auseinandersetzungen haben gezeigt, dass es in der Union einen durchaus beachtlichen rechten Flügel gibt, der sich die Option auf eine Koalition mit der AfD als Regierungsalternative zumindest offenhalten will. Die „Querdenken“-Demos werden zweifellos auch einen Einfluss auf die Union in dieser Hinsicht ausüben.

CDU/CSU werden versuchen, die Wahl von CDU-Vorsitz und die Kür des/der KanzlerkandidatIn ohne zu große öffentliche Konflikte zu lösen. Ob und wie das gelingt, ist unklar. Es wäre aber letztlich nur möglich, wenn Merz die Wahlen klar verliert oder aufgibt. Eventuell könnten eine Wahl Spahns oder dessen Aufbau als zukünftige Führungsfigur die Lage in der CDU bis zu einem gewissen Grad befrieden. Umgekehrt aber wird keine Entscheidung verhindern können, dass die Flügelkämpfe in der CDU/CSU an einem gewissen Punkt neu aufbrechen, weil ihnen unterschiedliche Ausrichtungen bürgerlicher Politik zugrunde liegen.

Wir sollten also den derzeitigen Höhenflug der Union in den Umfragen keineswegs als Lösung ihrer Probleme betrachten. Letztlich sind die grundlegenden Schwierigkeiten – das Fehlen einer einheitlichen, längerfristigen Strategie für das deutsche Kapital – nicht gelöst, auch wenn die Notwendigkeit von deren Lösung bewusster sein mag.

Die Grünen versuchen, sich in dieser Lage weiter als Nummer 2 im bürgerlichen Lager zu etablieren. Ihre Transformation von einer kleinbürgerlichen Bewegungspartei zu einer offen bürgerlichen ist längst abgeschlossen, auch wenn sie bis heute nicht auf so viele direkte Unterstützung aus der KapitalistInnenklasse und enge, organisierte Verbindungen verweisen können wie CDU/CSU oder FDP. Im Unterschied zur Union verfügen sie über eine gemeinsame strategische Antwort oder wenigstens eine Formel für die Zukunft des deutschen Imperialismus und der Welt – den Green New Deal.

Dies macht auch ihre Stärke aus. Sie verfügen über ein Konzept, das eine Reorganisation des Gesamtkapitals und zugleich auch eine gesellschaftliche Perspektive für die Mittelschichten, das KleinbürgerInnentum und die Lohnabhängigen verspricht. Daher erscheinen sie auch vielen als einzige bürgerliche, demokratische Alternative zum Rechtspopulismus, während verschiedene Flügel in der CDU/CSU, FDP, aber auch in SPD, Gewerkschaften und selbst der Linkspartei unterschiedliche, ja gegensätzliche Antworten auf den Aufstieg des Rechtspopulismus und der AfD gaben und geben.

Zudem haben die Grünen bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie auch auf Bundesebene durchaus in der Lage sind, die Interessen des deutschen Kapitals mit umzusetzen, wie etwa die Zustimmungen zum Jugoslawien- oder Afghanistankrieg zeigten. Aber auch in der Gegenwart schaffen es die Grünen, sich als ernsthafte Regierungsoption zu präsentieren wie etwa in Baden-Württemberg, wo sie seit nunmehr neun Jahren den Ministerpräsidenten stellen, welcher die Interessen der Autoindustrie gegen Widerstände aus der eigenen Partei durchsetzt.

Die FDP vertritt eigentlich auch ein Konzept – (Neo-)Liberalismus pur. Auch wenn wichtige Aspekte neoliberaler Doktrin weiter zentrale Bestandteile imperialistischer und kapitalistischer Politik bilden und selbst in scheinbar entgegengesetzte Konzepte aufgenommen werden (selbst in den Green New Deal), so hat die FDP kein wirklich positives Programm. Hinzu kommt, dass der „reine“ Neoliberalismus und das ständige Beschwören des Marktes in der aktuellen Lage keine integrierende Kraft im „Volk“ (also bei der Masse des KleinbürgerInnentums, den Mittelschichten oder in der ArbeiterInnenklasse) entfalten kann.

Ihre langjährige exklusive Stellung als Mehrheitsbeschafferin oder Sprachrohr eines Minderheitsflügels des Kapitals musste die FDP im deutschen bürgerlichen System schon längst abgeben. Auch deshalb verliert sie bei Umfragen. Andererseits wird sie für das deutsche Kapital und die CDU/CSU weiter eine nützlich Rolle spielen, weil sie, trotz des Lobes für Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten, wohl nur für eine Regierung unter CDU/CSU-Führung zur Verfügung steht, also nur als Fortsatz der Unionspolitik vor allem ihres offen neoliberalen Aspekts, in Frage kommt.

Die AfD hat sich als rechtspopulistische, rassistische und nationalistische bürgerliche Oppositionspartei etabliert. Sie ist in praktisch allen Landesparlamenten vertreten. Die Frage ihrer strategischen Ausrichtung hat sie jedoch nicht gelöst. Ein Pol steht für eine Partei, die auf eine Regierungsoption mit der CDU/CSU setzt, der andere fußt auf einem aggressiveren, populistischen Flügel. Das Beispiel Thüringen zeigt, dass auch Teile des „Flügels“ für eine Koalitionsoption zu haben sind. In jedem Fall droht ein weiteres Anwachsen des Rechtspopulismus in Parteiform. Angesichts der aktuellen Politik der Gewerkschaften, der reformistischen Parteien und des Zustands der „radikalen“ Linken ist das fast unvermeidlich. Parallel dazu droht auch eine deutliche stärkere Formierung einer radikaleren, halbfaschistischen und faschistischen Rechten, teilweise in, teilweise außerhalb der AfD.

Bewegungen wie „Querdenken 711“ können eine wichtige Rolle beim Anwachsen beider Kräfte spielen, vor allem aber können sie der AfD, sofern diese in der Lage ist, sich als Wahlalternative für die neue Bewegung zu etablieren, eine ganze Schicht von KleinbürgerInnen und MittelständlerInnen zuführen und damit den genuin kleinunternehmerischen Teil der AfD stärken. Der Zulauf zum Rechtspopulismus nährt sich letztlich aus der Krise des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie.

Die Mittelschichten und das KleinbürgerInnentum bilden zwar in relativ stabilen Perioden die zentralen TrägerInnen der bürgerlichen Demokratie. Aber mit deren drohendem Niedergang schwindet ihr Vertrauen in das politische System. Sie wenden sich Scheinalternativen zu, die ihnen Rettung – und sei es unter der Flagge „echter“ Demokratie, also echten Populismus‘ versprechen. Diesem Scheinradikalismus kann letztlich nur durch ein wirklich radikales, antikapitalistisches Programm der ArbeiterInnenklasse, durch radikale Klassenpolitik der Boden entzogen werden. Nur so kann die ArbeiterInnenklasse zum Pol der revolutionären Hoffnung als Alternative zum scheinradikalen Programm der Konterrevolution werden.

6. ArbeiterInnenklasse und ArbeiterInnenparteien

Der Bewegungsspielraum der herrschenden Klasse hängt zu einem bedeutenden Teil von der Politik der Gewerkschaften und reformistischen Parteien SPD und Linkspartei ab. Im Grunde fungieren Gewerkschaften und SPD als direkte Verbündete der herrschenden Klasse, die selbst eine keynesianische und sozialchauvinistische Politik des deutschen Imperialismus vertreten. Dieser soll im Austausch für die Zusammenarbeit der Klassen und die Unterstützung seiner außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Ziele Zugeständnisse machen, um einen gewissen Mindeststandard für (Teile der) Lohnabhängigen zu sichern.

Diese Politik funktioniert letztlich immer nur auf Kosten der Gesamtinteressen der Klasse, konkret immer auch auf Kosten der schwächer gestellten Lohnabhängigen außerhalb der großen Unternehmen, von MigrantInnen, proletarischen Frauen, Jugendlichen, RentnerInnen. Selbst die Zugeständnisse, die für die Kernschichten der Klasse abfallen, die oft einen wichtigen Teil der ArbeiterInnenaristokratie stellen, sind durch enorme Ausbeutung eben dieser Teile der Klasse erkauft. Hinzu kommt, dass es bei einer solchen Politik gerade in Krisenperioden unmöglich ist, dass die ArbeiterInnenbewegung den lohnabhängigen Mittelschichten und auch den unteren Schichten des KleinbürgerInnentums eine Perspektive bieten und so eine Alternative zum Rechtspopulismus darstellen kann.

Gewerkschaften

Die Absage aller Aktionen am Ersten Mai durch den DGB, die Verschiebung von Tarifrunden, aber auch die Forderungen und Strategien, die von den Führungen erhoben werden, sprechen alle dafür, dass die Gewerkschaften auf eine sozialpartnerschaftliche Strategie in der Krise setzen – teilweise sogar rechts von der SPD, wie die Auseinandersetzung um Kaufprämien für die Autoindustrie zeigte. Dass die Gewerkschaftsspitzen einer Konfrontation aus dem Weg gehen wollen, zeigen u. a. der Verrat der IG Metall-Bürokratie in Sonthofen oder die Abkommen bei Lufthansa oder Galeria Karstadt Kaufhof. Auch in den Tarifrunden werden die Gewerkschaftsführungen auf Kompromisse setzen.

Andererseits ist ihr Spielraum nicht unbeschränkt. Grundsätzlich hängt er davon ab, ob das Versprechen „(zeitweiliger) Verzicht gegen Erhalt der Arbeitsplätze“ aufgeht. Für beachtliche Teile der ArbeiterInnenklasse wird das nicht möglich sein, selbst wenn der deutsche Imperialismus stärker als seine Konkurrenz aus der Krise herauskommt.

Folgerichtig wird sich Widerspruch zwischen den Interessen der Bürokratie und der Klasse in der Krise verschärfen. Dem versuchen die Apparate zwar, durch das Anknüpfen an langjährige Forderungen und Erwartungen (4-Tage-Woche bei IG Metall, 4 Prozent Lohnforderung im ÖD) nachzukommen. Gleichzeitig nehmen sie diesen durch Zugeständnisse an das Kapital (kein Lohn- und Personalausgleich beim IG Metall-Vorschlag einer Arbeitszeitverkürzung; Laufzeit im ÖD) im Voraus die Spitze.

Zugleich werden die Reste innergewerkschaftlicher Demokratie weiter angegriffen oder beschnitten. Dazu wurden auch die Corona-Regeln extensiv genutzt. Der objektiv wachsende Gegensatz zwischen Bürokratie und ArbeiterInnenklasse erfordert auch einen noch härteren Zugriff auf die Gewerkschaften als Organisation.

Angesichts der Passivität im Kampf, des Verzichts auf jede eigenständige politische Mobilisierung der Gewerkschaften hat diese Politik eine demoralisierende Wirkung auf die gesamte Klasse und macht sie für rechte Strömungen, Rassismus und Populismus empfänglich, zumal diese an die nationalistische Standortpolitik und die SozialparterInnenschaft anknüpfen können. Die Bürokratie fesselt die Klasse nicht nur an Kapital und Kabinett, ihre Strategie hat auch verheerende, zerstörerische Auswirkungen auf das Bewusstsein. Die Entsolidarisierung der Lohnabhängigen, die die Bürokratie und auch reformistische PolitikerInnen gern beklagen, haben sie zu einem guten Teil selbst zu verantworten. Es gehört zu den TaschenspielerInnentricks der Apparate, die Verantwortung für die Entpolitisierung der Beschäftigten, die die herrschende Gewerkschaftspolitik aktiv befördert, diesen selbst in die Schuhe zu schieben. Mit der Krise und dem Aufstieg des Rechtspopulismus droht real die Gefahr, dass politisch rückständigere und frustrierte ArbeiterInnen nach rechts gehen, weil sie vom pseudoradikalen Oppositionsversprechen des Populismus anzogen werden. Die Wahlerfolge der AfD unter Lohnabhängigen und auch Gewerkschaftsmitgliedern belegen, wie bedrohlich und real diese Entwicklung geworden ist.

Dessen ungeachtet wird sich der Apparat weiter unvermeidlich gegen linke AbweichlerInnen, Aufbauversuche einer organisierten Opposition und auch gegen Lohnabhängige richten, die aufgrund des Drucks der Verhältnisse aus dem Korsett des Apparats auszubrechen versuchen.

Eine klassenkämpferische Linke muss diese Schichten (wie auch kämpfende, unorganisierte ArbeiterInnen) ansprechen und versuchen, sie zu einer bundesweiten klassenkämpferischen Opposition, einer Basisbewegung zu formieren. In der nächsten Periode werden sich Ansatzpunkte dazu ergeben, die auch in Betrieben auftauchen können, die bisher als unpolitisch galten. Die VKG stellt bei allen unbestreitbaren Schwächen zur Zeit den einzigen bundesweiten Ansatz für die Vernetzung und Organisierung von kämpferischen ArbeiterInnen, linken gewerkschaftlichen und betrieblichen Gruppierungen und linken Organisationen dar. Ihre Bedeutung sollte daher nicht unterschätzt werden. Ein Kurswechsel in den Gewerkschaften und in den Betrieben wird nicht einfach spontan entstehen. Er erfordert den Aufbau einer Opposition, die für Klassenkampf statt Klassenkollaboration und den Bruch der Macht der Bürokratie, also für eine arbeiterInnendemokratische Reorganisation der Gewerkschaften steht.

Die Frage der Kontrolle des Apparates über die Klasse hat noch weitere Seiten. An einem bestimmten Punkt kann auch die Einheit der Bürokratie in Frage gestellt werden, z. B. wenn sich Teile des Apparates genötigt sehen, unter dem Druck der Verhältnisse weiter zu gehen, als sie wollen. Eine solche Entwicklung würde nicht nur enorme Konsequenzen für die Gewerkschaften haben, sie würde eine noch weit größere Umgruppierung der Klasse auf die Tagesordnung setzen, die auch enorme Auswirkungen auf SPD und Linkspartei hätte und die Frage eine revolutionären politischen Neuformierung aufwerfen würde. Auch wenn die Gewerkschaftsbürokratie und die reformistischen Führungen eine solche Entwicklung in jedem Fall vermeiden und verhindern wollen, so kann eine schockartige, dramatische Zuspitzung des Klassenkampfes in der kommenden Periode zu solchen Brüchen führen.

SPD und Linkspartei

Die Kontrolle der sozialdemokratischen Bürokratie über die Gewerkschaften wurde zwar in den letzten Jahren von der Linkspartei etwas relativiert. Sie erhielt aber letztlich nur einen Teil der Apparatbeute. Politisch hat es an der SPD-Kontrolle nichts geändert. Im Gegenteil, die Linkspartei präsentiert sich als Stütze des Apparates in seiner Gesamtheit.

Die relativ stabile Kontrolle der Gewerkschaften durch die Bürokratie und die Bedeutung der sozialdemokratischen Gewerkschaften für die SPD zeigte sich nicht zuletzt in der letzten Parteikrise. Während die Mitglieder der SPD eigentlich mehrmals bei Urabstimmungen ihren Wunsch nach Ende der Großen Koalition zum Ausdruck brachten, stand und steht die Gewerkschaftsbürokratie für eine weitere Beteiligung an ihr. Für die herrschende Klasse erweist sich die Sozialdemokratie gerade deshalb als nützlich, weil ihre Regierungsbeteiligung auch gewährleistet, dass die Gewerkschaften Ruhe halten, als Ordnungsfaktor und Garant des Klassenfriedens wirken.

Die SPD-„Linke“ wiederum hat wenig eigenständige politische Kraft und Basis, wie die Ernennung von Scholz zum Kanzlerkandidaten gezeigt hat. Bis auf wenige Ausnahmen wie Hilde Mattheis (Vorsitzende des Vereins Forum DL 21) hat sie sich mit der Großen Koalition und Scholz als Kanzlerkandidaten abgefunden. Der ehemaliger Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert kann sich u. U. sogar eine Fortsetzung der Großen Koalition vorstellen.

Dahinter steht auch die irrige Vorstellung, dass die SPD in den letzten Monaten, zumal unter der Corona-Krise, die Koalition nach links getrieben hätte. Dabei rechnet sie sich alle Maßnahmen zur Abfederung der Krise als beginnenden „Kurswechsel“ an und wird dabei von Teilen der Gewerkschaftsbürokratie unterstützt.

Zugleich verspricht die SPD eine „Reformkoalition“ unter Olaf Scholz, ein politisches Wunder für den Fall, dass es für Rot-Rot-Grün eine parlamentarische Mehrheit geben sollte und Grüne und Linkspartei dabei mitspielen sollten.

Andererseits hat die SPD ihre kategorische Ablehnung einer Regierung mit der Linkspartei politisch aufgegeben, was nicht nur den linken Flügel befrieden soll, sondern auch die einzige Möglichkeit darstellt, das Ziel einer SPD-geführten Regierung wenigstens rechnerisch zu begründen.

Wie die Landesregierungen schon seit Jahren zeigen, ist eine Zusammenarbeit von SPD und Linkspartei politisch recht problemlos. Hinzu kommt, dass einige Abgeordneten der SPD, Linken und Grünen schon seit Jahren den Boden für eine solche Koalition vorzubereiten versuchen – wahrscheinlicher wird sie deshalb jedoch nicht. Dem deutschen Kapital erscheint das außenpolitische Risiko der Linkspartei an der Regierung zu groß. Grüne und SPD-Rechte ziehen daher eine Koalition mit der Union oder ihre Oppositionsrolle einer „linken“ Regierung vor. Eine rot-rot-grüne Koalition ist daher nicht nur sehr zweifelhaft, weil die drei Parteien zusammen wahrscheinlich keine Mehrheit erringen werden. Selbst im Fall eines Wahlerfolges der drei dürfte sie nicht zustande kommen. Insbesondere die Grünen ziehen eine Koalition mit CDU/CSU einer „linken“ Regierung vor.

Die Linkspartei hadert zwar noch etwas mit der Koalitionsausrichtung. Ihre Führung will diese aber herbeiführen. Im Grunde wäre angesichts des durch und durch reformistischen Programms der Partei auch alles andere unlogisch. Wer den Kapitalismus mithilfe von parlamentarischen Mehrheiten „transformieren“ oder wenigstens bändigen will, der muss auch in bürgerliche Regierungskoalitionen eintreten. Praktisch beweist die Linkspartei ohnedies täglich in Landesregierungen, dass die herrschende Klasse von ihr nicht allzu viel zu befürchten hat.

Auch politisch-ideologisch hat die Linkspartei das Problem eigentlich gelöst mit den Formeln der „Transformationsstrategie“, die ausdrücklich auch Regierungsbeteiligungen einschließt, sofern es eine „gesellschaftliche Mehrheit“ für ein Reformprogramm gibt.

Die Frage, ob sich die Partei eher parlamentarisch oder bewegungsorientiert ausrichten soll, ist praktisch immer schon entschieden gewesen. Seit einigen Jahren ist sie aber auch „theoretisch“ gelöst in der Formel der „verbindenden Partei“, die in Parlament, Regierung und auf der Straße aktiv sein solle und so einen „Transformationsblock“ an der Regierung und, wenn nötig auch in der „begleitenden“ Mobilisierung für diesen, voranbringen soll.

Die Ausrichtung der Linkspartei auf ein Bündnis mit der SPD, das mögliche Drücken beider in die Oppositionsrolle, der gleiche Klassencharakter der Parteien als bürgerliche ArbeiterInnenparteien wirft trotz aller ideologischen Unterschiede und trotz der Tatsache, dass die Linkspartei oft einen Bezugspunkt für politisch fortgeschrittenere ArbeiterInnen und v. a. auch soziale Bewegungen verkörpert, die Frage auf, wozu es eigentlich zwei verschiedene reformistische, bürgerliche ArbeiterInnenpartei gibt.

Diese Frage würde sich sowohl bei einer (unwahrscheinlichen) gemeinsamen Regierung wie auch im Falle einer Opposition stellen. Die nach dem zukünftigen Verhältnis der Parteien wie überhaupt der Gewerkschaften zur ArbeiterInnenklasse könnte sich aber auch bei einer Verschärfung von Konflikten der Gewerkschaften mit (öffentlichen) Arbeit„geber“Innen oder bei Brüchen von Basis und Führung in den Gewerkschaften stellen. So wie sich daraus Spaltungstendenzen in der SPD ergeben können, so können solche Absatzbewegungen auch die Linkspartei (wenn auch vorzugsweise im Osten) treffen.

Umgekehrt werden die Frage der kommenden Wahlen und die der Regierungsbeteiligung in der Linkspartei weit mehr innere Konflikte aufwerfen als in der SPD. Die Kandidatur von Wissler (marx21) und deren Unterstützung durch Lafontaine/Wagenknecht wie von der Thüringer Landesvorsitzenden Hennig-Wellsow stehen deutlicher für die verschiedenen Flügel der Linkspartei als die beiden bisherigen Vorsitzenden. Hinzu kommt, dass bei der Linkspartei ein Flügelkampf um die Frage der Vorsitzenden, der SpitzenkandidatInnen und die zentralen Wahlaussagen entstehen kann, weil sie stärker in linken, sozialen Bewegungen verankert ist, einen vergleichsweise stärkeren und radikaleren linken Flügel als die SPD hat und weit weniger unter Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie steht. Zudem wird die Kandidatur von Wissler auch marx21 unter Druck setzten, und zwar von rechts (z. B. zu Palästina) wie von links (als vorgebliche Revolutionärin, die womöglich eine grün-rot-rote Regierung aushandeln muss).

Auch aus diesem Grund müssen wir den ideologischen und politischen Auseinandersetzungen in den Gewerkschaften, der SPD und vor allem der Linkspartei Aufmerksamkeit schenken, darin eingreifen. Unter Umständen, wenn auch wahrscheinlich nicht vor den Bundestagswahlen, kann es in diesen zu Brüchen kommen. In jedem Fall ist die Linkspartei die unmittelbar instabilste Kraft des reformistischen Spektrums. Zugleich müssen wir uns zur Zeit auf die Frage von Betrieben und Gewerkschaften konzentrieren, weil hier der Gegensatz von bürgerlicher ArbeiterInnenpolitik und den Interessen der Basis deutlicher wird. Diese Probleme wirken außerdem in alle Formen der sozialen Bewegungen oder aus ihnen hervorgehender Gruppierungen hinein – die Grünen in FFF, der Einfluss der Linkspartei in Migrantifa, …

7. Radikale Linke und linke Strömungen

Die radikale Linke – also eine bunte Mischung unterschiedlicher Kräfte, die sich am linken Rand der reformistischen Parteien (EntristInnen in der Linkspartei) oder links von der Linkspartei befinden, steckt selbst in einer tiefen Krise. Aus der Passivität und Stagnation der Linkspartei vermag sie keinen Nutzen zu ziehen. Im Gegenteil, ein großer Teil der „radikalen Linken“ oder radikaler Bewegungselemente ist direkt oder indirekt an reformistische oder linksbürgerliche Kräfte oder Institutionen des ideologischen Staatsapparates (Unis, Stiftungen, NGOs, …) gebunden.

Eine besondere, eigentlich auch im weiteren Sinn nicht zur politischen Linken zählende Form stellen dabei die sog. Antideutschen dar. Ihre gegen alles und jeden, vor allem aber gegen InternationalistInnen und AntiimperialistInnen erhobener Vorwurf „verkürzter“ oder genauer „regressiver“ Kapitalismuskritik und ihr inflationär, demagogisch und denunziatorisch gebrauchter „Antisemitismusvorwurf“ entpuppen sich regelmäßig als staatstragende, proimperialistische Ideologie. Die Antideutschen sind wenig mehr als eine fünfte Kolonne des deutschen und US-amerikanischen Imperialismus‘.

Da sie aber als scheinbar linke KritikerInnen des Kapitalismus auftreten und einen ideologischen Einfluss unter Studierenden, Intellektuellen, aber auch in Gewerkschaften und reformistischen Parteien (v. a. deren Jugendorganisationen) ausüben, braucht es auch eine gezielte, politische Auseinandersetzung mit ihren Ideologien, um ihren Einfluss gezielt zu bekämpfen.

Sie haben sich auch gut in Teilen der reformistischen Apparate eingenistet und betreiben dort wie auch in mehr oder minder offener Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz eine aktive Politik zur Denunziation von antiimperialistischen Linken, um deren Veranstaltungen zu verhindern oder auch Berufsverbote und Entlassungen zu erwirken.

Bewegungen und kleinbürgerliche Strömungen

In der radikalen Linken sind außerdem in den letzten Jahren verschiedene Spielarten des kleinbürgerlichen Radikalismus ideologisch vorherrschend, also von „linken“ Theorien und Konzepten, die sich von Klassenpolitik und marxistischer Theorie mehr oder minder bewusst entfernt haben und diesen eigentlich entgegengesetzt sind.

So herrschen in verschiedenen Bewegungsansätzen und Milieus in der Regel Arten kleinbürgerlicher (tw. auch offen bürgerlicher Ideologie) vor. Politisch ist das eine Strafe für das Versagen und die Anpassung der Führungen der ArbeiterInnenbewegung. Es ist aber auch ein Resultat des Vordringens reaktionärer Weltanschauungen, vor allem des Postmodernismus und des subjektiven Idealismus, also ideologischer Ausdruck von Niederlagen der ArbeiterInnenklasse seit 1990.

In der Umweltbewegung – insbesondere in FFF – können wir einen bedeutenden Einfluss offen bürgerlicher, grüner Politik und Programmatik erkennen. Doch auch die Gruppierungen wie EG oder XR prägenden Theorien und Konzepte sind einer Klassenpolitik direkt entgegengesetzt. XR repräsentiert eine wilde Mischung eines pseudodemokratischem Populismus‘. EG vertritt einen kleinbürgerlichen Antikapitalismus, der anstelle einer demokratischen Planwirtschaft auf das Zauberwort „dezentral“ setzt. Es ist kein Zufall, dass diese Bewegungen und Kräfte nicht in der Produzentin des gesellschaftlichen Reichtums, der ArbeiterInnenklasse, das Subjekt der Veränderung erblicken, sondern in den „kritischen“ KonsumentInnen.

Die Frauenbewegung erlebte im Gefolge der internationalen Frauenstreiks auch einen gewissen Aufschwung, ist jedoch in Deutschland deutlich kleinbürgerlich-feministischer geprägt als in anderen Ländern, wo der Frauenstreik sehr viel mehr einer der ArbeiterInnenklasse war (Schweiz, Spanien) oder wo sozialistisch-feministische Theorien am linken Flügel stärker wurden (z. B. Feminismus für die 99 %) und z. B. in der „Social Reproduction Theory“ einen materialistischen Anspruch erheben.

Eine Dominanz von gegen den Marxismus gerichteten Theorien können wir auch unter Teilen der antirassistischen Mobilisierungen, v. a. im universitären Bereich, feststellen. AnhängerInnen der Postkolonialismustheorie treten dort mit dem Anspruch auf, eine „neue“ Theorie entwickelt und den „eurozentristischen“ Marxismus überwunden zu haben. In Wirklichkeit stellen sie eine politisch-ideologische Regression dar, die, insbesondere gegenüber der halbkolonialen ArbeiterInnenklasse zu extrem reaktionären Schlussfolgerungen führt.

Mit diesen Konzepten sind oft verschiedene Spielarten von Identitätspolitik und Dekonstruktivismus verbunden. Typisch für viele AnhängerInnen oben genannter Ideologien und viele AktivistInnen kleinbürgerlicher Bewegungen werden diese Konzeptionen in den eigentümlichsten Mischungen kombiniert. Dieser Mangel an innerer Folgerichtigkeit erscheint ihren AnhängerInnen oft nicht als Problem, sondern im Gegenteil als Vorzug gegenüber dem „starren“ Marxismus. Theorien, die die Totalität der Verhältnisse in ihrem Zusammenhang schlüssig zu erklären, Programme, die einen klaren Klassenstandpunkt und innere Folgerichtigkeit für sich beanspruchen, erscheinen in der kleinbürgerlichen Linken per se verdächtig, ja geradezu „totalitär“, autoritär, bevormundend.

Geschichte und Gesellschaft werden nicht als Gesamtzusammenhang betrachtet, deren innere Entwicklungslogik und Gesetzmäßigkeiten verstanden werden wollen, um eine konsequente revolutionäre Politik zu begründen. Geschichte wird zum „Narrativ“, zur letztlich subjektiven Erzählung. Der „Erzählung“ der Herrschenden wird allenfalls ein „Gegennarrativ“ entgegengehalten, dem „Diskurs“ ein Gegendiskurs. Die vorherrschende postmoderne Ideologie wärmt letztlich immer den subjektiven Idealismus in der einen oder anderen Form auf und steht in mehr oder weniger offener Gegnerschaft zum historischen und dialektischen Materialismus. Sie reflektiert auf einer ideologischen Ebene den Rechtsruck unserer Zeit und entspricht der Klassenlage einer kleinbürgerlichen Intelligenz, der die ArbeiterInnenklasse in der Regel nur als verbürgerlichte, integrierte Klasse entgegentritt. Letzteres ist sicher nicht Schuld der StudentInnen oder von rassistisch unterdrückten Intellektuellen oder sexistisch unterdrückten Frauen oder LGBTIA-Menschen.

Subjektiv – und durchaus nachvollziehbar – erscheinen ihnen Theorien wie der Postkolonialismus als radikale Kritik an Verhältnissen, als deren integrale Bestandteile die Gewerkschaften und reformistischen Parteien tatsächlich wirken.

Das ändert freilich nichts an ihrem wirklichen Gehalt und Klassencharakter.

Es ist daher auch kein Zufall, dass sich diese Theorien und deren „radikale“ VertreterInnen leicht in gewerkschaftliche, reformistische und bürgerliche Organisationen und Apparate sowie in diverse NGOs integrieren lassen. Dieses Phänomen können wir schon seit Jahren bei Autonomen und Post-Autonomen beobachten. Es erstreckt sich natürlich auch auf andere Spielarten des kleinbürgerlichen Radikalismus.

So wie reformistisches oder radikal syndikalistisches Bewusstsein in allen betrieblichen und gewerkschaftlichen oder auch in sozialen Kämpfen (z. B. Wohnen) naturwüchsig aufkommen und uns entgegentreten werden, prägen verschiedene „radikale“ kleinbürgerliche Ideologien Bewegungen, die im Kampf gegen Unterdrückung oder Umweltzerstörung entstehen.

Das betrifft, als aktuelles, neueres Beispiel, auch die antirassistische Bewegung, in deren Kern eine starke identitätspolitische Ideologie steht. Das gilt auch für deren linken Teil, Migrantifa, wo neben universitären Intellektuellen auch stalinistische (young struggle), reformistische (Linkspartei) und zentristische Kräfte (marx21) eine wichtige Rolle spielen. Migrantifa und vergleichbare politische Strömungen beinhalten außerdem eine berechtige Kritik an der Praxis vieler MigrantInnenorganisationen, die ihre Mitglieder über Jahre aus den Kämpfen in Deutschland eher rausgehalten haben und nur in Bezug auf die Bewegungen in ihren Herkunftsländern mobilisierten. Zugleich stellt das Vordringen postkolonialistischer Theorie eigentlich eine ideologische Rechtsentwicklung dar (auch wenn der Bruch mit den vormals zumeist stalinistischen Befreiungstheorien für sich genommen richtig und notwendig ist).

Wir sollten außerdem auch nicht die weitere Bedeutung der „traditionellen“ linken migrantischen Organisationen unterschätzen, die weiter einige tausend Mitglieder organisieren. Zahlenmäßig am bedeutendsten sind hier sicher die kurdischen Organisationen. Ihr Einfluss schwindet im Moment aber unter den studentischen AnhängerInnen. Jene unter den gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen haben sie oft schon vor etlichen Jahren verloren, insbesondere in jenen Bereichen, wo migrantische Lohnabhängige in die gewerkschaftlichen Strukturen integriert werden konnten.

Eine bedeutende Entwicklung seit einigen Jahren stellt jedoch auch die Migration vieler junger Lohnabhängiger aus der EU, v. a. aus Südeuropa dar, die zunehmend auch in bestimmten Bereichen prekär Beschäftigter aktiv zu werden versuchen.

Die politische Auseinandersetzung und Arbeit mit Kräften aus diesem Spektrum ist jedoch wichtig (a) wegen der enormen Bedeutung des Kampfes gegen Rassismus in der nächsten Periode und (b), weil sich eine subjektiv radikale neue Schicht von migrantischen jungen Intellektuellen heranbildete, die natürlich auch integriert werden kann (und zum Teil auch schon wird), die jedoch auch eine wichtige Kraft für eine Neuformierung einer revolutionären Linken darstellen mag.

Postautonome

Die (post-)autonomen Kräfte bilden wohl den zahlenmäßig größten und am stärksten in Erscheinung tretenden Teil der radikalen Linken. Ihre Einheit ist jedoch überaus brüchig. Sie umfassen verschiedene Milieus, die entweder bezüglich ihrer Aktivität differieren (Hausbesetzung/Stadtteilarbeit versus Kampagnen in bestimmten Politikfeldern) und/oder aufgrund ihrer ideologischen Ausrichtung. Dies umfasst Strömungen, die Versatzstücke aus Autonomismus und Maoismus zu kombinieren trachten, ohne sich jedoch offen stalinistisch zu geben (z. B. die Perspektive Kommunismus). Diese üben regional einen bestimmten Einfluss aus (z. B. die Revolutionäre Aktion Stuttgart, RAS, oder auch der Rote Aufbau Hamburg, beide Teil von Perspektive Kommunismus, oder auch die Organisierte Autonomie in Nürnberg).Insgesamt besitzen sie aber keine wirkliche Aufbauperspektive.

Des Weiteren findet sich ein großes, dem Anarchismus oder „traditionellen“ linksradikalen Autonomismus zugehöriges Milieu (z. B. etliche aus der HausbesetzerInnenszene), das wahlweise auf gewisse Wiederbelebungsversuche von Antifa oder Kiezarbeit setzt. Dieses Milieu versucht, auch in der MieterInnenbewegung tw. zu agieren.

Ein Teil der Szene ist weiter stark von Antideutschen beeinflusst und kann im Grunde als eigentümliche Mischung aus Linksradikalismus und reaktionärer Politik gelten. Er dürfte regional einige Bastionen haben, z. B. in Leipzig. Diese Teile der Autonomen stellen letztlich den verrottetsten und nutzlosesten Teil der „Szene“ dar, der praktisch offen antiinternationalistisch und arbeiterInnenfeindlich auftritt.

Die wichtigsten, weil konzeptionell und organisatorisch wohl hegemonialen Teile der Postautonomen, bilden entweder antinationale Strömungen wie NIKA (darunter TOP in Berlin), die sich als kommunistisch darstellen, im Grunde eine mildere Version der Antideutschen, wenn auch mit einem für die Autonomen relative hohen theoretisch-inhaltlichen Niveau. Sie hegen auch den Anspruch auf eine gewisse innere Folgerichtigkeit ihrer Ideen, sind aber hoffnungslos in eine obskure Mischung aus Wertkritik, Linksradikalismus und Propagandismus verstrickt. Wo sie praktische Forderungen erheben, tun sie das in der Form eines Minimal-Maximal-Programms.

Die weitaus wichtigste Kraft im postautonomen Spektrum ist weiter die IL. Sie ist als einzige dieser Gruppierungen bundesweit kampagnenfähig und dominiert auch seit Jahren bestimmte politische Bündnisse und Bewegungen. So übt die IL einen dominierenden Einfluss auf EG aus.

Allen diesen Kräften gelingt es aber nicht, sich in Betrieben und Gewerkschaften zu verankern. Das liegt bei einem Teil daran, dass der betriebliche oder gewerkschaftliche Kampf als solcher bei vielen keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Zum anderen aber auch daran, dass diese Tätigkeit – insbesondere auch die Arbeit für Gewerkschaftsapparate oder linke Parteien – als Privatsache verstanden wird. So sind eigentlich mittlerweile viele, darunter auch ehemalige Autonome, GewerkschaftsfunktionärInnen geworden oder von Stiftungen der Linkspartei aufgesogen. Aber dies war immer von ihrer autonomen Tätigkeit abgetrennt. So mag die Arbeit bei Gewerkschaften oder in linken Institutionen als „private“ Tätigkeit begonnen haben, faktisch wird ein Teil der Autonomen von diesen absorbiert und so integriert.

Es folgt – trotz aller Beschwörung von „Klassenorientierung“ bei der IL – aus dem Konzept der Postautonomen, dass der betriebliche und gewerkschaftliche, zumal der gesamte antibürokratische Kampf von der politischen Tätigkeit der autonomen Gruppen getrennt konzipiert ist, so dass ihnen sämtliche Elementarformen des Klassenkampfes im Betrieb fremd bleiben oder allenfalls das Privatvergnügen Einzelner oder kleiner Arbeitsgruppen darstellen. Diese faktische Abstinenz von Betrieb und Gewerkschaft reflektiert letztlich den kleinbürgerlichen Charakter der autonomen Szene, eine Schranke, die immer wieder Minderheiten der Autonomen zu überschreiten versuchen. Damit das aber gelingt, ist nicht weniger als ein Bruch mit der (post)autonomen Politik nötig.

Da sich das Gros der Szene aber gerade in die gegenteilige Richtung bewegt, kann davon ausgegangen werden, dass die Autonomen in den kommenden Kämpfen und für die Entwicklung des Klassenkampfes vor allem ein Hindernis darstellen werden.

Stalinismus und Maoismus

Die außerhalb der Linkspartei existierenden reformistischen, stalinistischen und maoistischen Gruppierungen, aber auch die ZentristInnen trotzkistischen Ursprungs stagnieren.

DKP und die SDAJ befinden sich in einem weiteren Niedergang, erstere überaltert immer mehr. Sie verliert auch die letzten Reste ihrer betrieblichen und gewerkschaftlichen Positionen und ihres Einflusses, zugleich hat sie sich eindeutig restalinisiert. Daran ändert die Abspaltung der KO als an der KKE orientierte Strömung auch nichts.

Im Grunde sind beide Gruppen politisch nutz- und perspektivlos. Sie tragen mehr zur Desorientierung bei als zu sonst etwas. Von ihnen ist nicht zu erwarten, dass sie eine bedeutende Rolle in zukünftigen Auseinandersetzungen und, von Individuen abgesehen, in der ArbeiterInnenklasse spielen werden.
Dafür tragen DKP/SDAJ jedoch mehr als die maoistischen Strömungen eine gefährliche Verwirrung in die Linke und die ArbeiterInnenklasse hinein, wenn es um die Einschätzung des russischen und chinesischen Imperialismus oder solch illustrer Massenmörder wie Assad geht.

Immerhin haben DKP und SDAJ anders als andere Medien, Plattformen und Teile der Friedensbewegung bislang keine Abgleitflächen zu den Hygiene-Demos gezeigt, während Sputnik und Nachdenk-Seiten immer mehr in die Verteidigung rechter Umtriebe verstrickt sind. Dass diese Kräfte diesen Weg gingen, hängt aber nicht nur mit einer Leugnung der Corona-Gefahr und einer abenteuerlichen Beschönigung des rechten Charakters der „Querdenken“-Demos zusammen, sondern auch mit ihrer Weltsicht, der zufolge China und Russland Kräfte des Fortschritts darstellen, die die „kosmopolitischen“ Finanzkapitale plattmachen wollen. Daher ergeben sich natürlich gewisse Berührungspunkte zu rechten UnterstützerInnen von Putin und Trump wie dereinst beim „Friedenswinter“.

Die maoistischen Strömungen sind zwar in der Regel deutlich kleiner als die DKP. Aber sie strahlen mehr Dynamik aus und versuchen, mit ihrer Mischung aus Linksradikalismus und Volksfrontpolitik sowie einer mehr oder minder grotesken Selbststilisierung, die an die Dritte Periode des Stalinismus oder an die Hochzeiten des Proletkults anknüpfen soll, zu rekrutieren. Dabei versuchen die MLPD, sicherlich die mit Abstand größte und wichtigste maoistische Gruppierung, oder Gruppen wie Arbeit und Zukunft oder der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD, vor allem als proletarische ArbeiterInnenorganisationen zu erscheinen (was oft ein etwas altbackenes Auftreten mit sich bringt). In jedem Fall versuchen diese Strömungen (ähnlich wie kleiner werdende Teile der DKP, eine kleine Minderheit der Autonomen und etliche trotzkistisch-zentristische Strömungen), Verbindung zu ArbeiterInnen in Kämpfen zu knüpfen, intervenieren bei ihnen jedoch mit einem klassischen Minimal-Maximal-Programm. Einige Organisationen wie Kommunistischer Aufbau versuchen, sich einen linkeren Anstrich zu geben und als jugendlich-dynamisch zu präsentieren. Im Unterschied zu DKP/SDAJ stellen die MaoistInnen mitunter jedoch Formen des Zentrismus, nicht des Reformismus, dar, was sich auch in ihrem allgemein linkeren Auftreten äußert, wenn auch mitunter mit extremen Formen des Opportunismus kombiniert.

Einige maoistische und halbautonome Gruppen bekennen sich zum Aufbau einer Antikrisenbewegung, auch wenn sie von einem korrekten Verständnis von Einheitsfront weit entfernt sind.

Trotzkistischer Zentrismus

Die trotzkistischen zentristischen Gruppierungen befinden sich wie die stalinistischen/maoistischen insgesamt auch in Stagnation bzw. verlieren. Marx21 ist wahrscheinlich die größte, aber auch am stärksten mit dem reformistischen Apparat der Linkspartei verwoben, was insgesamt auch die Frage aufwirft, ob marx21 nicht gänzlich vom Reformismus aufgesogen wird, insbesondere falls J. Wissler Parteivorsitzende der Linkspartei werden sollte. Schon seit Jahren sind die Abgeordneten von marx21 von den anderen Bundestagsabgeordneten nicht zu unterscheiden. Wer nicht weiß, dass diese „RevolutionärInnen“ sein sollen, merkt es einfach nicht. Andererseits kann die Wahl von Wissler auch zu inneren Widersprüchen bei marx21 führen, sollte sie sich als verlässliche reformistische Vorsitzende erweisen.

Die Spaltung von SoL und SAV hat beide deutlich geschwächt, wobei die SoL deutlich dynamischer und aufbauorientierter in Erscheinung tritt und zur Zeit wohl auch eher linker als die SAV ist. Dies dürfte reale Desintegrationstendenzen haben.

Die Sozialistische Gleichheitspartei, SGP, erweist sich als rein elektoraler Sektiererclub. Die ISO bewegt sich im rechten Spektrum des Trotzkismus.

Aufgrund ihrer medialen Präsenz erscheint RIO nach wie vor als dynamische Gruppe, dürfte aber realiter stagnieren und nicht in der Lage sein, aus ihren Vorfeldgruppen Mitglieder zu gewinnen.

Der trotzkistische Zentrismus unterscheidet sich trotz eines formalen Bekenntnisses zum Übergangsprogramm nicht grundlegend von anderen Spielarten des Zentrismus. Er stellt wie jener einen Teil des Problems, nicht der Lösung dar.

Wie manche StalinistInnen weisen aber einige Kräfte des trotzkistischen Zentrismus eine aktive Orientierung zur ArbeiterInnenklasse auf. Es ist kein Zufall, dass bei allen Schwächen der Gewerkschaftslinken SoL und ISO und einige kleinere Gruppierungen in dieser aktiv sind und die Notwendigkeit des Aufbaus einer Opposition in den Gewerkschaften anerkennen, auch wenn sie ein letztlich opportunistisches Verständnis von dieser Aufgabe vertreten.

Radikale Linke und Klassenkampf

Wir müssen allen Gruppen besondere Aufmerksamkeit schenken, die für den Aufbau einer Antikrisenbewegung und einer VKG gewonnen werden können, und versuchen, diese aktiv in gemeinsame Aktionen zu ziehen. Gerade der Aufbau einer Antikrisenbewegung nimmt eine zentrale Bedeutung ein, damit die radikale Linke zur Veränderung der Lage beitragen kann.

Von den Apparaten der ArbeiterInnenbewegung können wir die Initiative dazu nämlich nicht erwarten, so wichtig es auch ist, ihre Mitglieder, ihre Basis zu gewinnen und zu mobilisieren. Dazu muss die „radikale“ Linke, ob nun klassenkämpferische GewerkschafterInnen, MieterInnenbewegung, AntirassistInnen, Umweltbewegung … jedoch selbst eine politische Initiative ergreifen.

An Einzelkämpfen, Mobilisierungen für bestimmte Themen, gegen Räumungen, gegen Braunkohlekraftwerke oder auch rassistische und faschistische Angriffe, selbst an Warnstreiks oder einzelnen betrieblichen Abwehrkämpfen wird es nicht mangeln. Alle diese verdienen und brauchen Solidarität und Unterstützung.

Für sich allein werden sie jedoch das gesellschaftliche Kräfteverhältnis nicht verändern. Das ist angesichts der geringen Größe der Kräfte links von der Linkspartei, der „radikalen Linken“ und linker GewerkschafterInnen auch nicht von diesen zu verlangen.

Aber sie können die Initiative für ein Aktionsbündnis ergreifen, das alle wichtigen politischen, gesellschaftlichen und betrieblichen Aspekte des Kampfes gegen die Krise bündelt und zusammenfasst. Eine solche Kraft wäre natürlich noch immer zu schwach, die Angriffe von Kapital und Regierung zu stoppen, ein Antikrisenprogramm im Interesse der Masse der Bevölkerung durchzusetzen, den Kampf gegen alle Entlassungen zu führen, Betriebsschließungen zu verhindern, gleiche Rechte für alle, die hier leben, durchzusetzen usw. usf.

Aber eine solche Kraft könnte als Hebel fungieren, um den Einfluss des Reformismus und der Gewerkschaftsapparate über die Klasse in Frage zu stellen und die Gewerkschaften, die Linkspartei, ja selbst Teile der SPD und damit ihre AnhängerInnen zur Aktion zu zwingen.

Dass sich die Formierung von Antikrisenbündnissen so schwierig erweist, verdeutlicht freilich die Krise der „radikalen“ Linken selbst. Ihr Verhalten zu dieser Aufgabe ist ein wichtiger Test für die Brauchbarkeit oder Nutzlosigkeit verschiedener Strömungen.

Die knappe Übersicht über die „radikale“ Linke zeigt außerdem, dass diese stagniert. Einerseits aufgrund objektiver Entwicklungen, d. h. der Dominanz der ArbeiterInnenbürokratie über die Klasse und des Rechtsrucks, der auch nicht verschwindet, wenn seine Existenz bestritten wird. Andererseits aber auch aufgrund des Scheiterns opportunistischer oder sektiererischer Konzeptionen, die zu einer Reihe von Spaltungen geführt haben (v. a. unter der organisierten Linken).

Noch weitaus problematischer als die numerische Stagnation oder das Schrumpfen ist freilich die Unfähigkeit und Unwilligkeit der „radikalen“ Linken, einen politischen Ausweg aus der aktuellen Krise zu weisen.

Genau davor drückt sie sich auf verschiedene Weise. Entweder durch Rückzug auf Bereichs-, Kampagnen-, Kiezarbeit, gewerkschaftlichen Ökonomismus, Antifa, Antira usw., ohne die analytischen, theoretischen, politischen und programmatischen Aufgaben der aktuellen Periode anzugehen.

Das ist aber die Vorbedingung für jede revolutionäre Politik. Ein Großteil der „radikalen“ Linken vermeint, überhaupt ohne Programm und ausgewiesene Methodik auskommen zu können – und agiert entsprechend. Er macht dabei aus der Not eine Tugend. Ein Programm von Übergangsforderungen erscheint diesen Strömungen als „abstrakt“, ein mehr oder weniger bornierter Kiezreformismus, der zur „revolutionären“ Verankerung im Stadtteil stilisiert wird, als „konkret“.

Selbst jene Kräfte, die die Notwendigkeit eines Programms proklamieren, erweisen sich als unfähig und unwillig, ein Aktionsprogramm für die aktuelle Periode zu skizzieren und entwickeln. Dies folgt vor allem aus ihrem falschen, ökonomistischen Verständnis von Programm. Den meisten ReformistInnen und ZentristInnen zufolge soll es nämlich nicht von der objektiven Lage, sondern vom aktuellen Bewusstsein der Klasse ausgehen. Darin besteht ein grundlegender Fehler, der notwendigerweise zur Anpassung an deren rückständiges Bewusstsein führen muss. Ein revolutionäres Aktionsprogramm hingegen muss von der objektiven Lage ausgehen. Nur so kann es eine Brücke schlagen von demokratischen, ökonomischen, sozialen Forderungen zum Kampf um die Macht. Nur so vermag es, nicht nur einzelne Übergangsforderungen aufzustellen, sondern diese zu einem System miteinander verbundener Forderungen, zu einem Programm zu verweben.

Ein solches Programmverständnis wie überhaupt politische Klarheit sind in einer Periode wie der aktuellen die unerlässliche und unverzichtbare Voraussetzung für revolutionäre Politik. Ein Programm ist zwar nicht alles, aber ohne revolutionäres Programm ist alles andere letztlich nichts.

Trotzdem wäre es falsch, alle Kräfte der radikalen oder reformistischen Linken als gleich verloren oder gleich interessant zu betrachten. Die kommende Periode wird die verschiedenen Strömungen nicht nur einem politischen Test unterziehen, sie wird auch zu massiven Verschiebungen, Spaltungen, evtl. auch Fusionsprozessen, Veränderungen in der „radikalen“ Linken führen. Als kleine revolutionäre Propagandagruppe müssen wir folgende Aufgaben erfüllen:

a) Eine Hinwendung zur Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit oder zumindest zu den zentralen Problemen der Klasse, zu spontanen Kämpfen und Bewegungen.

b) Exemplarische Intervention in einzelnen Bereichen.

c) Entwicklung, Propagierung, Kampf für ein Programm von Übergangsforderungen.

d) Kritik und Polemik nicht nur gegen die großen Apparate, sondern auch ideologischer Kampf gegen antiproletarische Theorien sowie gegen kleinbürgerlichen Radikalismus, Reformismus und Zentrismus.

e) Auch wenn wir ideologisch weiter gegen den Strom schwimmen müssen, so kann und wird die kommende Periode auch Kämpfe, Bewegungen, Umgruppierungen, Verschiebungen in der Klasse hervorbringen, die es uns in einzelnen Fällen ermöglichen, eine führende Rolle zu spielen. Diese Initiativen müssen wir auch ergreifen.

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