Arbeiter:innenmacht

Widersprüche des Queerfeminismus

Larissa Kaché, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Der Queerfeminismus begründet sich durch die Queer-Theorie, welche eine in den 90er Jahren entstandene Kulturtheorie aus den USA ist. Diese zeigt die Zusammenhänge von sexuellem Begehren, sozialem (gender) und biologischem Geschlecht (sex) auf und hinterfragt diese kritisch. Dazu bedient sie sich dreierlei Methoden: der Dekonstruktion, dem Poststrukturalismus und den Gender Studies.

Dekonstruktion

Einordnung und Definition von sozialen Zusammenhängen, nicht einseitig, sondern  umgekehrt betrachtet, um dem Schwerpunkt entgegenzuwirken. Das bedeutet, dass das Augenmerk den außerhalb der Normen Angesiedelten gilt, denn diese beweisen, dass soziale Gegebenheiten nicht generalisierbar sind.

Poststrukturalismus

Sprache wird als formende Kategorie angesehen, sie gibt also nicht die Realität wieder, sondern formt diese selber. Dementsprechend werden soziale Normen nicht mehr als selbstverständlich wahrgenommen, sondern als durch die Sprache geformt.

Gender Studies

Die Geschlechterforschung beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geschlecht zu Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft. Dabei legt sie ihr Hauptaugenmerk darauf, wie sich Geschlecht und Gemeinschaft gegenseitig bedingen. Es wird die Differenzierung in die Geschlechterrollen männlich und weiblich als Stereotypen kritisch hinterfragt sowie die damit einhergehenden Hierarchien.

Die Anwendung dieser Methoden sind die Queer Studies. Das Ziel des Queerfeminismus ist es, die sexuellen Identitäten, Machtformen und Normen zu analysieren und entsprechend ihrer Analyse zu dekonstruieren.

Die neueren Ideen der Queer-Theorie heben sich insofern von den vorigen ab, dass sie nicht nur auf die Aufhebung des Rollenbildes der Heterosexualität aus sind, sondern allgemein den Bezug von Kultur auf Geschlechter und die damit verbundenen Ausbeutungsverhältnisse in Rechnung stellen. Denn indem das Individuum in eine bestimmte Rolle gedrängt wird, entsteht bereits eine Ungleichheit. Deshalb ist es eine notwendige Voraussetzung, dass sich das Wort queer als ein radikal offenes definiert. Das bedeutet, dass jeglicher Mensch oder Gruppe von Menschen den Begriff auf sein Geschlechtsempfinden oder sexuelle Orientierung anwenden könne, um sich so zu inkludieren. Damit wird die Queer-Theorie immer weiterentwickelt und bleibt endlos.

Geschichte

Die ersten Vordenker_innen der Queer Theorie versuchten die naturgemäße Zweigeschlechtlichkeit zu widerlegen und einen Beweis dafür zu finden, dass Geschlechter rein gesellschaftlich anerzogen seien.

Die tatsächliche Bewegung hat ihre Ursprünge in den Kämpfen der 60er Jahre um die Bar Stonewall Inn/Christopher Street/New York. Hier trafen sich diejenigen, die auch in den angesehenen Schwulen- und Lesbenbars nicht willkommen waren, besonders Menschen anderer Hautfarbe, Jugendliche, Obdachlose und Trans-Personen. Sie waren es, die die Kämpfe mit der Polizei ausfochten, denn sie hatten nichts mehr zu verlieren, allerdings brachte dies ihnen auch nicht die Rechte, die sie sich wünschten. Es war die erste Bewegung dieser Form, die sich in tagelangen Straßenkämpfen gegen die Willkür der Polizei zur Wehr setzte. Daraus ist die Tradition des Christopher Street Days (CSD) geworden, der in vielen Städten international auch unter dem Namen Gay Pride, als Parade für Menschen, die für ihre Sexualität und auch andere Faktoren, wie Herkunft, Behinderung oder soziale Stellung, diskriminiert werden, zelebriert wird. Dennoch kam es auch in dieser Bewegung zu unterdrückerischen Mustern, denn sie merkten bald, dass sie als einheitliche Masse auftreten mussten, um Schlagkraft zu besitzen. Dafür schlossen sie diejenigen aus, die nicht eindeutig als einem Geschlecht zugehörig definiert werden konnten. Dennoch versammelten sich hier die Vorläufer der Queer-Bewegung, diejenigen, die vom lesbischen und schwulen Mainstream ausgeschlossen waren.

Die Bewegung stellte einige zentrale Forderungen auf. Dazu gehörte unter anderem die Selbstdefinition, die auch auf den Konstruktivismus Bezug nahm. Diese besagt, dass die einzige gültige Identitätsklärung durch die Definition des eigenen Selbst geschehen könne. Als sie begannen, ihre Ideen konstruktivistisch zu begründen, also nach der Auffassung, dass jedes Individuum sich durch alle seine Sinneseindrücke/Erfahrungen seine eigene Weltanschauung zusammenschustert und damit kein Mensch dem anderen gleicht, mussten sie sich eingestehen, dass es auch nicht die Lesbe oder den Schwulen gibt, sondern auch in Geschlechtszugehörigkeit und sexueller Orientierung jede/jeder unterschiedlich ist. Dies kam infolge eines gesellschaftlichen Wandels, der eine sehr viel tolerantere Einstellung gegenüber sexuell anders Orientierten mit sich brachte. Jetzt traten andere diskriminierende Faktoren wie Ethnie, Klasse oder Religion in den Vordergrund.

Die Bewegung wurde einerseits für bis dahin Ausgeschlossene geöffnet, andererseits wurde sie dadurch auch gespalten, denn es wurde möglich, von innen offen Kritik an der Bewegung zu äußern. Mehrfach Diskriminierte, insbesondere schwarze, homosexuelle Frauen, kritisierten die bestehenden Hierarchien in den Gruppen, wonach meist weiße homosexuelle Männer die Leitung übernahmen. Diese Vormachtstellung wurde scharf kritisiert, denn wie sollten sich Frauen befreien, wenn sie weiterhin unter der Fuchtel des Mannes standen, während dieser ihre Unterdrückung nicht einmal nachvollziehen konnte. Daraus entstand wiederum die Idee der Intersektionalität, die versucht, alle Unterdrückungsmuster zu analysieren und ihre Verknüpfungen aufzuzeigen, anstatt den Ursprung derer zu suchen.

Diese neue Situation, in der die Bewegung nicht mehr als eine homogene Masse betrachtet werden konnte, machte auch einen neuen Denkanstoß notwendig.

Judith Butler

Judith Butler eröffnet eine ganz neue Diskussion, indem sie die Dualität der Begriffe sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht) anzweifelt. Ihr Ziel ist es zu zeigen, dass es kein biologisches Geschlecht gibt, sondern dieses wie das soziale Geschlecht nur eine Konstruktion ist, es also eigentlich nur den gender gibt, welcher gesellschaftlich anerzogen sei. Durch die Differenzierung der Begriffe zeigt sie, dass die geschlechtliche Rollenzuschreibung nicht gottgegeben ist. Sie knüpft damit an die Aussage von Simone de Beauvoir an: Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. Die geschlechtliche Rollenzuschreibung soll damit aufgezeigt werden, besonders für Frauen. Denn gemäß ihrem feministischen Denken hat sich die Philosophie nie mit den Differenzen der Geschlechter auseinandergesetzt, sondern diese vorausgesetzt. Damit hätten die Philosophen jedoch den Menschen mit dem Mann gleichgesetzt. Es würde überhaupt nicht auf das Verhältnis von Mann zu Frau eingegangen. Der Mann sei sozusagen Mensch, ohne sich mit anderen Menschen vergleichen zu müssen. Die Frau hingegen definiere sich ausschließlich über ihre Unterschiede zum Mann.

Butler stellt hierzu die Theorie der performativen Geschlechtsidentität auf. Diese besagt, dass das Geschlecht, mit dem sich ein Individuum identifiziert, allein Produkt von Handlungen, Sprache und körperlichem Verhalten sei. Wir bekommen unser Geschlecht von Anfang an beigebracht, dies beginnt mit der Aussage direkt nach der Geburt: „Es ist ein Mädchen/Junge“. Am Körper sei eigentlich kein Geschlecht festzumachen. Wenn die Eltern also davon ausgehen, dass ihr Kind männlich ist, erziehen sie es entsprechend der gesellschaftlichen Normen, die dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden. Die Fremddarstellung bewirkt die resultierende Selbstdarstellung. Auch die entsprechenden Aktivitäten, die für Mädchen und Jungen bereitgestellt würden, sorgen für die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale.

Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Geschlechtszuweisung irrelevant sei, sondern ganz im Gegenteil, dass daraus eine klare Machtstruktur resultieren würde. Denn die Unterscheidung in Frau und Mann sowie die Heterosexualität sorgen für den Erhalt der patriarchalen Gesellschaftsstruktur, einer absolut männerdominierten Gesellschaftsform. Die Zwangsheterosexualität begründet die Unterscheidung zwischen Frau und Mann, deshalb müssen die Geschlechterrollen mit dieser in Zusammenhang gesetzt werden. Nur durch diese kann der Mann wiederum seine privilegierte Stellung wahren. Um diese Stellung zu sichern, muss eine Kategorisierung in verständliche und unverständliche Geschlechter vorgenommen werden. Alle, die klar einem Mann oder einer Frau zugeordnet werden können, sind verständlich, alle, die aus dieser Norm herausfallen, sind unverständlich. Butler legt ihr Augenmerk deshalb absichtlich auf die Menschen, die nicht klar geschlechtlich zuzuordnen sind. Diejenigen, die kein heterosexuelles Begehren verspüren, die körperlich nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können und/oder die nicht mit dem Geschlecht, das ihnen gesellschaftlich zugeordnet wird, leben wollen. Dadurch verschiebt sich auch die Zuordnung von Macht der Männer über Frauen auf diejenigen, die nicht der Einordnung in die zwei definierten Geschlechter folgen, also den eben genannten. Dann muss davon ausgegangen werden, dass der kulturelle Status der Geschlechter, also männlich überlegen und weiblich unterlegen, komplett unabhängig von dem Körper ist und demnach männliche Rollenzuweisungen genauso gut Frauen zugeschrieben werden können wie weibliche Männern. Die Geschlechtsidentität ist Resultat von Äußerungen und den darauf folgenden Handlungen, die anhand von gesellschaftlichen Normen getätigt werden.

Die Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen äußert sich oft in sowohl körperlicher als auch in sprachlicher Gewalt, welche sie als genauso körperlich verletzend definiert. Dabei stellt sich Butler gegen die Zensur von Pornografie oder alltäglichen sexistischen und homophoben Äußerungen. Es gilt diese radikal öffentlich aufzuzeigen, um sie zu isolieren und eine Stellungnahme zu erzwingen. Denn sie sagt, dass nicht das Zeigen sexueller Erniedrigung die eigentliche Gewalt sei, sondern dass die gesellschaftliche sexuelle Praxis Machtverhältnisse demonstriert, deren verletzender Charakter in ihrer unausgesprochenen Zustimmung liege.

Die genannten Verhältnisse sind zwar ungerecht, aber vor allem sorgen die lebenslänglich zugewiesenen gesellschaftlichen Rollen und entsprechenden Körper für eine Unfreiheit,  durch die Identitäten sich nicht frei entfalten können. Deshalb gilt es, diese dekonstruktiv zu unterwandern.

Diese Normen stellen ein unerreichbares Ideal dar, das sich durch die unendliche Vielfalt von Variationen  wiederlegt. In der Geschlechtsparodie, dem Cross-Dressing (das Tragen der typischen Kleidung des anderen Geschlechts) und der Travestie (dem Verkleiden als das jeweils andere Geschlecht) äußern sich die Variationen. Wenn jedoch die Geschlechtsidentitäten nur gesellschaftliche Fiktion sind, um das etablierte System aufrechtzuerhalten und durch Bestrafung durchgesetzt werden, dann können die Träger_innen durch das Unglaubwürdigmachen diesem Widerstand leisten. Es geht dabei nicht um die Imitation von echten Frauen- oder Männerbildern, sondern um das Aufzeigen, dass diese nur eine Konstruktion sind, die es gilt, als solche zu enttarnen.

Butler sagt von sich selbst deshalb, dass es ihr nicht darum geht, als Frau zu kämpfen, sondern immer wieder aufzuzeigen, dass Frau-Sein nur Konstruktion ist!

Butlers Theorie kann die Begrenzungen des Postmodernismus nicht überwinden. Einerseits erkennt sie das poststrukturalistische Theorem Foucaults an, dass strukturelle Macht eine anthropologische Konstante (Matrix) sei, also auch in klassenlosen Gesellschaften vorkomme und durch Verhalten und Sprache zwangsläufig weitergegeben werde. Andererseits begründet sich ihre Gegenstrategie aus dem Dekonstruktivismus entlehnten idealistischen Elementen. Dieser leugnet, dass Menschen die objektive Realität erkennen können (Agnostizismus). Seine Anhänger_innen gehen davon aus, dass Wahrheit letztlich nur diskursiv (und damit subjektiv) im Rahmen von Machtverhältnissen existiert, dass ebenfalls nicht gesagt werden kann, ob es ein Ding an sich gibt, weil wir nie wissen können, ob wir es erkennen. Alle Theorien sind unwahr, nur Narrative (subjektiv gefärbte Erzählungen). Es gehe bestenfalls darum, diese Narrative anzugreifen, sie zu zerstören, zu dekonstruieren, weil sie nur subjektive Meinungen widerspiegeln. Somit stehen die DekonstruktivistInnen dem Idealismus eines Kant oder Fichte nahe.

Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus sind reaktionäre, also rückschrittliche Ideologien, die erste eine idealistische, die zweite eine mechanisch-materialistische. Der Dekonstruktivismus ist eine Art Sophismus (Leugnen des Absoluten, der Objektivität von Erkenntnis), nur das Relative ist für ihn absolut. In Bezug auf seine Wirksamkeit für Gesellschaftsveränderung steht er den Junghegelianern kaum nach, mit denen Marx und Engels sich bereits in ihren Frühschriften auseinandergesetzt haben.

Im Unterschied zu den Postmodernist_innen geht es diesen „kritischen Kritikern“ (wie z.B. der Gruppe „Gegenstandpunkt“) aber darum, dass „revolutionäre Tätigkeit“ darin besteht, die Wirklichkeit und die Vorstellungen über sie richtig zu kritisieren und auf den Punkt zu bringen. Insofern ist der kritischste Kritiker als einziger im Besitz der Wahrheit – bis ein noch kritischererdaherkommt. Sind die „falschen Vorstellungen“ richtig kritisiert und denken alle die Wirklichkeit richtig, steht der Veränderung der Gesellschaft nichts mehr im Wege.

Demgegenüber steht der Poststrukturalismus Foucaults in der Tradition des mechanischen Materialismus‘ Feuerbachs, zu dessen Gattungswesen Mensch unabänderlich die Religion gehört. Bei Foucault sind es die Macht und ihre unausweichliche Vermittlung durch Sprache und Verhalten.

Mechanischer und historischer Materialismus sowie der absolute Idealismus Hegels und der „kritischen Kritiker_innen“ erkennen im Gegensatz zu Kant, Fichte und der postmodernen Philosophie die Existenz und Erkennbarkeit einer objektiven Welt außer uns also an.

Der marxistische historische Materialismus überwindet diese Dichotomie (unvermeidliches Auseinanderfallen in zwei Bestandteile) zwischen subjektiv-gedanklicher Konstruktion der Wirklichkeit einer- (Dekonstruktivismus) und schicksalhafter Unveränderlichkeit der objektiven Realität andererseits (Foucault) dialektisch durch die Entdeckung des geschichts- und erkenntnisstiftenden Elements in der gesellschaftlichen Arbeit und ihren Wandlungen. Sein Materialismus ist ein tätiger, kein bloß anschauender, sein Gattungswesen die steter Veränderung unterworfene menschliche Gesellschaft. In Klassengesellschaften muss er folglich den Schlüssel auch zum Verständnis der Entstehung geschichtsstiftender Ideen im Klassenkampf wie ihrer Wirksamkeit in der praktisch-revolutionären Umwälzung der Gesellschaftszustände suchen. Welch Unterschied zu Butlers „Austanzen der Matrix“, einer unfreiwillig komischen Parodie auf Gesellschaftsveränderung!

Kritik an der Queer-Theorie

Oft werden als Kritik an der Queer-Theorie die wissenschaftlichen Erkenntnisse genannt. Dabei wird sich bevorzugt auf die Zweigeschlechtlichkeit bezogen, also dass die Geschlechter eindeutig in zwei Pole, Frau und Mann, zu unterscheiden seien. Queertheoretiker_innen argumentieren dagegen, dass auch naturwissenschaftliche/biologische Erkenntnisse gesellschaftlichen Ursprungs seien. Erst in einem gesellschaftlichen Kontext würde die Kategorisierung schließlich eine Bedeutung erhalten, sie sei also nicht vorgesellschaftlich und damit auch nicht von der Natur vorgegeben. Zusätzlich wird auf einer biologischen Ebene gegenargumentiert. Zur Ausprägung eines biologischen Geschlechts seien viele verschiedene Faktoren nötig. Dazu gehören 19 verschiedene Gene auf mehreren Chromosomen, nicht nur auf X und Y. Auch die Sexualhormone Östrogen und Testosteron kämen bei männlichen und weiblichen Individuen in verschiedenen Konzentrationen vor. Manche vertreten deshalb die Auffassung, wenn ab der Geburt für Mädchen und Jungen gleiche Möglichkeiten des Körperaufbaus (Sport, Ernährung, etc.) gegeben wären, würden sich auch die Körper gleichen. Allerdings ist nicht klar, ob dabei von einer künstlichen Hormonzugabe ausgegangen wird.

Kapitalismuskritische Gruppen warfen Vertreter_innen des Queerfeminismus auch immer wieder vor, sich nicht ausreichend mit ihren Theorien auseinanderzusetzen. Dem steht die Kritik von queeren Zusammenhängen gegenüber, kommunistische Organisationen seien hierarchisch aufgebaut und meistens von weißen Männern dominiert und angeleitet. Queerfeminist_innen befassen sich hingegen mit den Theorien der Triple-Oppression (dreifache Unterdrückung nach Klasse, Geschlecht und Hautfarbe) und der Intersektionalität (Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person). Dementsprechend wird der Kapitalismus nicht als der Ursprung aller unterdrückerischen Faktoren betrachtet, sondern als einer von vielen. Zudem lehnen sie die Vorstellung des Materialismus ab, denn dieser würde als universell vorausgesetzt und dabei Ausnahmen missachten. Doch gerade mit diesen Ausnahmen identifizieren sich queer Denkende.

Tatsächlich schließt die biologische Bipolarität der Geschlechter aber keine dazwischen liegenden aus, sondern besagt, dass es eine Polarisierung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht zum Zweck der Fortpflanzung der Gattung geben muss. Es gilt also nicht diese Polarisierung zu leugnen, sondern aufzuzeigen, wodurch die Diskriminierung aller anderen entsteht. Diese liegt aber nicht in der Biologie der sexuellen Vermehrung und der dazu erforderlichen beiden Geschlechter begründet, die fortschrittliche Menschen deshalb auch gar nicht zu leugnen gezwungen sind, sondern in der Art und Weise der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen eingehen. Folglich können diese auch andere Verhältnisse gestalten, die jegliche Unterdrückung des Menschen durch den Menschen aufheben (Kommunismus).

Meistens wird aber der Ursprung dieser Diskriminierung nicht kritisiert, sondern nur ihr Überbau, die Ideen in den Köpfen von Menschen, die sich in sexistischen und homophoben Äußerungen und gesellschaftlichen Werten und Gesetzen zeigen. Es wird eine Ersatzavantgarde in Form von Kleingruppen, die in mehrfacher Form unterdrückt sind, gebildet, anstatt eine Einheit der Kämpfe anzustreben. So verlieren sich Gruppen in Diskussionen über die Deutungshoheit und die Definitionsmacht beziehungsweise geben sich mit diesen Verbesserungen zufrieden.

In der Radikalen Linken sind die Ideen des Queerfeminismus heute recht weit verbreitet. Sie werden insofern umgesetzt, als dass es auf Partys oft Awareness-Teams gibt. Es besteht also ein Bewusstsein dafür, dass auch in den eigenen Kreisen Sexismus und Homophobie noch vorhanden sind und  die Notwendigkeit besteht, an sich zu arbeiten. Meistens äußern sich solche Probleme schlichtweg in Mackerverhalten und der Tatsache, dass Gruppen männerdominiert sind. Jedoch wird dabei nicht nach der Ursache gesucht, sondern es werden nur Symptome bekämpft, in Form von idealistischen Vorstellungen wie, die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten allein durch Sprache und das Ändern der eigenen Verhaltensweise aufheben zu können. Es werden nicht die ökonomischen Gesellschaftsverhältnisse analysiert, um die Basis ändern zu können, sondern es werden nur dem gegenüberstehende gesellschaftlich vorherrschende Vorstellungen kritisiert. Diese Herangehensweise hat sich in vielen Gruppen festgesetzt, wodurch sie in dem Feld handlungsunfähig werden und nicht mehr progressiv sind.

Unsere Perspektive und Forderungen

Wir sehen den Ursprung aller diskriminierenden Faktoren, und darunter auch der Frauenunterdrückung sowie der Homophobie in dem System der Klassengesellschaft. Im Kapitalismus manifestieren sich diese im besonderen Maße in der bürgerlichen Familie. Hierzu kann man mehr in dem Artikel zum Ursprung sexueller Unterdrückung in dieser Ausgabe lesen.

Der Kapitalismus ist auf das Konstrukt der bürgerlichen Familie angewiesen. Hier wird für die Reproduktion der Arbeitskräfte gesorgt und Erziehung sowie Hausarbeit werden komplett unentgeltlich und widerspruchslos getätigt. Dementsprechend wäre es kontraproduktiv, würde es gestattet, gleichgeschlechtliche Partnerschaften einzugehen, denn diese würden keine neuen Arbeitskräfte zeugen. Genauso ist er auf eine patriarchale Gesellschaftsstruktur angewiesen, durch die klare Machtverhältnisse gegeben sind und bedingungslos Hausarbeit und Erziehung übernommen werden.

Daher fordern wir eine marxistische Analyse der Gesellschaft und dementsprechend eine Verbindung mit der Arbeiter_innenbewegung. Denn wir sehen die Befreiung der Frau nur im Zuge der Befreiung der Gesellschaft als möglich an, genauso wie die Befreiung der Gesellschaft nur möglich ist im Zuge der Befreiung der Frau.

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