Georg Ismael und Pat, Infomail 974, 27. November 2017
„Die Proletarier haben nichts (…) zu verlieren als ihre Ketten.“ Diese Schlussfolgerung von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest hatte insbesondere jenen Teil der arbeitenden Bevölkerung im Sinn, der über nichts verfügte außer seiner Arbeitskraft. Freiheit bedeutete eben nichts außer der, einen Arbeitsplatz auf die Gefahr des Hungertodes hin ablehnen zu können. Doch auch diese Freiheit bleibt den heute rund 64.000 GefängnisinsassInnen in Deutschland verwehrt. Auch wenn der Begriff Zuchthaus mittlerweile außer Mode geraten ist: In deutschen Gefängnissen herrscht nach wie vor Arbeitszwang.
Der Staat nennt diesen Umstand „Resozialisierung“. Wir sollten einen Zustand, in dem die inhaftierten ArbeiterInnen für privatwirtschaftliche Unternehmen oft unter 10 Euro am Tag, ohne Kranken- und Rentenversicherung schuften, als das bezeichnen, was er wirklich ist: Ausbeutung. Sicher, in Ländern wie den USA, wo mehr als 2,1 Millionen Menschen in einem wachsenden industriellen Komplex der Gefängnisarbeit tätig sind, mag die Situation schlechter sein. Bisher dient der Knast in Deutschland in erster Linie der Abschreckung und Bestrafung, nicht zur Profitmacherei. Doch finden sich auch hier ambitionierte Büttel. So meinte Mannheims Anstaltsleiter Thomas Weber „Wir bräuchten eigentlich mehr Gefangene mit längeren Haftstrafen“.
Dass diesem Problem kaum Beachtung zuteilwird, liegt auch daran, dass Kriminalität hierzulande vornehmlich als moralische Verkommenheit von Individuen oder von der Mehrheit der Gesellschaft abgegrenzten Gruppen wahrgenommen wird. Dass es sich in der Regel aber um größere soziale Probleme handelt, die diese hervorbringen, spielt eine untergeordnete Rolle. Viel zu groß ist das Vertrauen großer Teile der ArbeiterInnenklasse heute, dass der Schiedsspruch des Richters auch rechtens sei. Der aktuelle Rechtsruck drückt sich auch darin aus, dass Justiz und Gefängnisregime in den Medien, von rechten und konservativen Kräften als zu lasch gebrandmarkt werden und dass dieser Ruf nach mehr „Law and Order“ stärker wird.
Tatsächlich aber beherrschen Strafvollzug und Justiz die gleichen Klassenstrukturen, die alle anderen Sphären der Gesellschaft durchdringen. Während sich MillionärInnen, deren Namen in den Panama oder Paradise Papers auftauchen, von ihren Steuerdelikten freikaufen können, sitzen viele ArbeiterInnen und Arbeitslose Ersatzfreiheitsstrafen ab, weil sie ihr Bußgeld fürs Schwarzfahren nicht begleichen konnten. Jugendliche, die wiederholt im Supermarkt klauen, mögen das mit einer Freiheitsstrafe bezahlen. BankerInnen und ManagerInnen, die ihre Unternehmen in den Ruin führen, werden hingegen mit horrenden Abfindungen und der anschließenden Rettung ihrer Institutionen auf Steuerkosten „bestraft“. Und selbst wenn man einmal als Reicher, wie der gute Uli Hoeneß, im Gefängnis landet, gibt es natürlich eine Extrabehandlung. So ist es kaum verwunderlich, dass ein überproportionaler Teil der Gefangenen aus der ArbeiterInnenklasse stammt. Insbesondere Jugendliche und MigrantInnen sind besonders betroffen, werden auch überdurchschnittlich oft von Gerichten verurteilt.
Die fehlende Unterstützung durch die ArbeiterInnenbewegung in den letzten Jahrzehnten von „außen“ führte daher zunehmend zur Abnahme von Klassenbewusstsein hinter Gittern. Während sich RassistInnen und FaschistInnen sicherer fühlen können, sehen sich linke und revolutionäre Gefangene oft isoliert. Dieser Probleme nahmen sich InsassInnen der JVA Tegel im Mai 2014 an. Sie gründeten eine Gefangenengewerkschaft für das Gefängnis, in dem sie einsaßen. Dass sich die „Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)“ in den vergangenen dreieinhalb Jahren auf 30 Anstalten und 1.500 Mitglieder ausweiten konnte, ist sicher eine Erfolgsgeschichte. Es ist aber auch ein Beleg für die großen Probleme, die Gefangene in ihre Reihen spülen.
Ihre zentralen Forderungen sind dementsprechend auch sehr grundlegend. Sie umfassen die Anerkennung des Rechts auf gewerkschaftliche Organisierung nach § 9 des Grundgesetzes in den Gefängnissen, die Umsetzung des Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde sowie Kranken- und Rentenversicherung für die Inhaftierten. Diese breiten, aber wichtigen Forderungen führen dazu, dass die Isolation zwischen den Gefangenen durchbrochen, dass individuelles Leid auch als Quelle von politischen und sozialen Verhältnissen wahrgenommen werden kann.
Sie bedeuten auch, dass die Klassenfrage gestellt wird. Selbstverständlich ist für jede Organisation der Klasse die Ablehnung von Rassismus, Sexismus und Homophobie eine Grundvoraussetzung. Die GG/BO stellt daher auch Unentschlossene vor die Frage, ob sie mit anderen für ihre gemeinsamen Interessen eintreten wollen oder ob sie lieber mit ChauvinistInnen oder FaschistInnen dafür sorgen, dass es anderen schlechter, ihnen deshalb aber noch lange nicht zwangsläufig besser geht.
Der Erfolg im Aufbau liegt aber sicherlich, wie bei dem vieler anderer Gewerkschaften, im aktiven Aufgreifen unmittelbarer Probleme in den jeweiligen Anstalten begründet. Beispielhaft seien hier nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine/n besonders schikanöse/n BeamtIn, Protest gegen die Lohnverweigerung gegenüber Gefangenen oder die schlechte Verpflegung aller Gefangenen genannt. Die GG/BO versucht, von innen und außen Druck zu erzeugen. Dort wo sie einen hohen Organisationsgrad hat, führt sie auch nach außen wahrnehmbarere kollektive Aktionen durch, zuletzt in Form eines Sitzstreiks von rund 40 Frauen in der JVA Chemnitz. Zwar musste die JVA auf die Forderungen der KollegInnen eingehen, die FührerInnen des Streiks wurden jedoch gewaltsam verlegt. Einige Ratten hatten sich wohl Privilegien oder die Begleichung einer offenen Rechnung erhofft und die „RädelsführerInnen“ der Kämpfenden verpfiffen. Zudem bietet die GG/BO seit neuestem auch kostenfreie juristische Unterstützung bei Asylverfahren für MitinsassInnen an. Wer mehr über andauernde Aktionen erfahren möchte, kann sich darüber jederzeit auf der Seite der GG/BO informieren (www.ggbo.de).
Unterstützt werden die Bestrebungen von Unterstützerkreisen im Freien. Diese führen nicht nur Demonstrationen oder Kampagnen durch, sie sind auch ein wichtiges organisatorisches Rückgrat. Schließlich sind Gefängnisse immer ganz grundlegend undemokratische Institutionen. Politische Aktivität findet hier, wo bereits ein Sitzstreik als Meuterei verstanden wird, im besten Fall unter halblegalen Umständen oder in Grauzonen statt. Doch diese UnterstützerInnenarbeit sollte nicht nur durch Freigelassene und linke AktivistInnen erfolgen. Sie sollte eine Aufgabe der gesamten Gewerkschaftsbewegung und der bestehenden ArbeiterInnenparteien sein. Die GG/BO ihrerseits fordert diese Zusammenarbeit nicht nur ein, sie befördert sie auch aktiv sowohl mit kleineren syndikalistischen Gruppen wie FAU und IWW wie auch mit dem DGB. Sollte letzterer sich jedoch ernsthaft dazu entscheiden, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen, hätte dies eine ungemeine Bedeutung.
Die Unterstützung seitens des DGB brächte nicht nur eine politische und finanzielle Stärkung mit sich. Sie würde auch bedeuten, dass sich die Mitglieder der GG/BO tatsächlich als Teil einer gemeinsamen ArbeiterInnenbewegung begreifen. Sie könnten auch einen guten Beitrag nach ihrer Entlassung leisten, denn wer wäre besser dazu geeignet, unter schwierigen Bedingungen einen Betriebsrat durchzusetzen oder eine Betriebsgruppe aufzubauen, als AktivistInnen, die sich unter den miserabelsten Umständen im Gefängnis als KollegInnen bewährt haben?
Wir unterstützen den Aufbau der GG/BO. Resozialisierung heißt für uns, Teil einer kämpfenden ArbeiterInnenbewegung zu sein, nicht als überausgebeutete Arbeitskraft im Knast und ohne lebenswerte Perspektive im Freien zu schuften.
Georg Ismael ist aktiv in der Gruppe ArbeiterInnenmacht und der Jugendorganisation REVOLUTION,
Pat ist Sprecher der GG/BO in Waldheim (Sachsen)