Arbeiter:innenmacht

Kambodscha: Textilboom und Massenstreiks

Tobi Hansen, Neue Internationale 186, Februar 2014

Südostasien ist eines der Zentren des internationalen Klassenkampfes. Während in Thailand die rechte Opposition derzeit die parlamentarische Demokratie abschaffen will, wird Kambodscha von Massenstreiks der TextilarbeiterInnen erschüttert. Schon seit Frühjahr 2013 sind sie mehrfach in Aktion getreten, die Zahl der Streiks in der Textilbranche stieg bis November auf 131.

Bedeutung der Branche

Die Textilbranche ist der Hauptarbeitgeber in der kambodschanischen Industrie. In etwa 800 Textil- und Schuhfabriken arbeiten ca. 700.000 fast nur weibliche Beschäftigte. In den letzten 10 Jahren gab es viele ausländische Investitionen in die Textilindustrie, speziell, seitdem in China die Löhne gestiegen sind, ist Kambodscha ein neuer Standort für Billigarbeit in der Textilproduktion. Die Branche machte 2013 3,7 Mrd. Euro Umsatz, 22% mehr als 2012, was den Boom dieser Branche in Kambodscha widerspiegelt.

International gesehen ist das Land zwar weiterhin eher ein kleiner Textilstandort, der in direkter Konkurrenz zu Bangladesch, Pakistan und China steht. Viele Produktionsstätten wurden in ländlichen Regionen angesiedelt und sind dort teilweise die einzigen Arbeit“geber“. Bereits im Mai 2013 führten Streiks und Proteste zu einer Erhöhung des Mindestlohns in der Textilbranche von 80 auf 100 Dollar im Monat. Diese Erhöhung wurde von der Regierung der PCC (Kambodschanische Volkspartei) und Ministerpräsident Hu-Sen als Reaktion auf die Proteste festgelegt. Die Erhöhung wurde aber inzwischen von der Inflation aufgefressen, die 2013 bei knapp 8%, in den Vorjahren sogar noch höher lag, so z.B. 2007 bei über 30%. So haben haben sich die Lebensbedingungen der Beschäftigten trotz der Lohnerhöhung eher verschlechtert.

Die Hauptforderung des Streiks ist daher die Erhöhung des Mindestlohns auf 160 Dollar im Monat und die Bezahlung von Überstunden, denn viele Beschäftigte kommen auf eine Arbeitszeit von über 60 Stunden pro Woche – und die Überstunden werden noch nicht einmal bezahlt.

Aufruf zum Massenstreik

Seit dem 24. Dezember 2013 hatten die Textilgewerkschaften CCAWDU (Demokratische Gewerkschaft der kambodschanischen Bekleidungsbeschäftigten) und NIFTUC (Nationale unabhängige Föderation der Textilgewerkschaften) zum Massenstreik aufgerufen. Nach verschiedenen Quellen beteiligten sich daran bis zu 400.000 Beschäftigte, die mehr als 80% aller Produktionsstandorte lahmlegten, v.a. die größeren Standorte waren vom Streik betroffen. Am 3. Januar protestierten mehr als 100.000 Streikende in der Hauptstadt Phnom Penh. Polizei und Militär antworteten mit Gewalt, 5 Streikende starben, mehr als 20 wurden schwer verletzt und hunderte eingesperrt.

Anfang Januar folgte dann die nächste Streikwelle. Die Kapitalisten hatten im Dezember aufgrund des Streiks keine Gehälter mehr bezahlt und dadurch die Existenz vieler Streikender massiv gefährdet. Danach wurde der Streik zunächst beendet und die Gewerkschaftsführung unter Ath Thon verhandelte mit dem Kapitalverband GMAC und der Regierung – allerdings unter Androhung weiterer Massenstreiks.

Dieser Streik zeigte auf jeden Fall, dass die kambodschanische Arbeiterklasse zu großen Mobilisierungen und Kämpfen in der Lage ist.

Die Lage in der Branche

Die Massenstreiks haben wieder einmal das internationale Interesse auf die Arbeitsbedingungen in der Textilbranche gelenkt. Auch in Kambodscha geht es dabei um Global Player wie Nike, Gap, H&M, Walmart, Puma und Adidas, die unter erbärmlichen Verhältnissen produzieren lassen. Speziell in der Schuhbranche ist auch Kinderarbeit weit verbreitet. Mädchen zwischen 10-14 Jahren werden in Schichten von 10-15 Stunden überausgebeutet. Oft sind sie zusammen mit ihrer Mutter die Haupteinnahmequelle der Familie. Die Produktionsstätten erinnern mehr an Arbeitslager, in denen unterernährte NäherInnen arbeiten. Sicherheitsvorkehrungen gibt es fast nicht. Eine Katastrophe wie in Bangladesch, wo 2013 mehr als tausend Beschäftigte starben, als ihre Fabrik  brennend zusammenstürzte, kann sich auch in Kambodscha jederzeit wiederholen. So zeigt sich der globalisierte Kapitalismus in Südostasien von einer Seite, die in Europa und den USA eher an die Anfänge dieser Wirtschaftsordnung erinnern.

Es ist ein Merkmal der imperialistischen Epoche, dass alle Regionen und Staaten dem Diktat der Investition und der Profiterwartung unterworfen werden. Damit einher geht eine Proletarisierung jener Länder, die vordem noch nicht so direkt in den Weltmarkt integriert waren. Speziell die Textilbranche ist ein Beispiel hoher internationaler Arbeitsteilung im Sinne des Kapitals. In verschiedenen Wellen wurde nach 1990 die Textilindustrie in den westlichen kapitalistischen Staaten abgebaut und verlagert. In der BRD begann dieser Prozess in den 1970er Jahren, damals wurde zunächst nach Süd- und Südosteuropa verlagert. Nach 1990 verlagerten dann US-Konzerne wie Nike und Gap ihre Produktion nach Mexiko und Mittelamerika, die Maquiladoras (Montagefabriken) sind ähnlich strukturiert wie die Produktion in Südostasien. Diese Verlagerung wurde durch die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) aus dem Jahr 1994 sehr erleichtert, die Konzerne konnten direkt bestimmen, unter welchen Verhältnissen produziert wird. Einige dieser Maquiladoras sind mit Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen umgeben. Gewerkschaftliche Aktivitäten werden verhindert, z.T. mit brutalen Methoden bis hin zum Mord.

Nach dem Muster dieser Freihandelszonen sind heute auch viele Standorte in Asien aufgebaut. Dort gilt kein Arbeitsrecht, meist ist die Fabrik überhaupt ein rechtsfreier Raum, in dem keine Mindestvoraussetzungen des internationalen Arbeitsrechts gelten. Es gibt keine allgemein gültigen Arbeitsverträge, kein Koalitionsrecht, geschweige denn das Recht zu streiken oder ausstehende Löhne einzuklagen.

Das Fehlen einer internationalen klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung hat mit dazu geführt, das heute NGOs und deren AktivistInnen oft mehr Informationen und auch Zugang zu dieser Branche haben, als gewerkschaftliche Vertretungen. Im besten Fall kann dies dazu führen, dass die NGOs beginnen, ArbeiterInnen zu organisieren und somit eine Keimform von Gewerkschaften aufzubauen. In vielen Fällen bleibt es aber bei journalistischen Bestrebungen, es werden Berichte verfasst und Infokampagnen durchgeführt, welche oft zu Boykotten von bestimmten Firmen aufrufen (zuletzt in der BRD KiK und H&M) aber letztlich wenig Verbindung zu Gewerkschaften herstellen bzw. in den Produktionsländern kaum Veränderungen herbeiführen können. Dazu sind letzten Endes nur starke Gewerkschaften, die international vernetzt agieren. Sie können auch durch die beste NGO nicht ersetzt werden.

Die Massenstreiks und Massenmobilisierungen in den letzten zwei Monaten haben gezeigt: die kambodschanische Arbeiterklasse ist erwacht und hat – zumindest in der Textilbranche – das Werkzeug des Generalstreiks angewendet. Die Gewerkschaftsverbände CCAWDU und NIFTUC sind Massenorganisationen geworden, die Textilgewerkschaften sind heute die stärkste und bewussteste Kraft in der kambodschanischen Arbeiterklasse.

Perspektiven

Wie in vielen halbkolonialen Ländern fehlt aber auch in Kambodscha eine politische Organisation, eine ArbeiterInnenpartei, welche die gesamte Klasse auch über die betrieblich-gewerkschaftliche Ebene hinaus vertreten und organisieren kann. Die bisherige Oppositionspartei SRP (Sam Raimsy Partei, Sam Raimsy ist der Vorsitzende) ist eine offen nationale und bürgerliche Partei, die sich zwar offiziell mit den Streiks solidarisierte, aber keine Alternative für die Streikenden darstellen kann. Die beiden großen bürgerlichen Parteien sind beide Handlager der imperialen Investitionen und versuchen, ihre Pfründe im Vergleich zu anderen südostasiatischen Standorten zu verteidigen und auszubauen. Auch eine Gewerkschaftsbewegung, die zwar die Streiks organisiert hat und zum Generalstreik aufrief, kann nicht die Lösung für die Streikenden darstellen – schon gar nicht, wenn die Führung der Gewerkschaften heute den Streik für Verhandlungen mit den Mördern des 3. Januars aussetzt, ohne einen Sieg errungen zu haben.

Diese schmerzhaften, aber auch heroischen Erfahrungen der kambodschanischen Arbeiterklasse können aber die Voraussetzung für den Aufbau einer Arbeiterpartei darstellen. Dafür muss es in den Gewerkschaften, bei den Streikenden und deren Familien eine Bewegung geben, die den Arbeitskampf auch auf eine politische Ebene hebt. Ebenso müsste eine solche Arbeiterpartei das Bündnis mit den BäuerInnen suchen, die in Kambodscha teils noch unter vorkapitalistischen Bedingungen und Formen der Ausbeutung leben und keinerlei Organisation besitzen.

Die aktuelle Lage in Südostasien zeigt, dass die Zeit einer unabhängigen Klassenpolitik, das Ziel des Aufbaus einer Arbeiterpartei näher rückt und eben nicht vorbei ist, wie es manch postmoderne Strömungen in Europa gern suggerieren. Der Imperialismus als Weltsystem wirft immer brisanter  die Frage auf, wie die Lohnabhängigen und Unterdrückten sich politisch befreien können und welche Organisation dafür notwendig ist – diese Frage ist aktueller denn je.

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