Bild: Simon Zamora Martin, https://www.klassegegenklasse.org/
Bruno Tesch, Neue Internationale 294, September 2025
Die Bourgeoisie hat sich propagandistisch aufmunitioniert. Der internationale imperialistische Konkurrenzkampf erfordert den Umbau der Gesellschaft. Dazu gehören Militarisierung, Einschränkungen von demokratischen Rechten und insbesondere Angriffe auf Errungenschaften der Arbeiter:innenbewegung.
War man es früher gewöhnt, in der parlamentarischen Sommerpause politisch eingelullt zu werden, um der Bevölkerung die Urlaubslaune nicht zu verderben, hat sich die Großwetterlage nun deutlich geändert. Die neue CDU/SPD-Regierung hat sich dem Stil der Administration des vormalig engsten Bündnispartners USA, der nun weiter abgerückt ist, angepasst und lässt im beinahe täglichen Takt gezielte Nachrichten vom Stapel. Das imitierte Trump-Trommelfeuer soll nicht aufhören, Schrecken verbreiten, reaktionäre Stimmungen weiter aufheizen und Widerstände dagegen diskriminieren und ihnen die Spitze nehmen.
Neben den Geschossen, die v. a. aus den Rohren des Wirtschaftsministeriums unter Katherina Reiche (CDU) und natürlich aus den diversen Arbeit„geber“:innenverbänden, z. B. mit ihrem neusten Kassenschlager, der Wiedereinführung von Praxisgebühren, abgefeuert werden, bringen sich auch Heckenschütz:innen aus dem Hinterhalt in Stellung, die im Tarnanzug der seriösen Wirtschaftsexpertise flanieren.
In jüngster Zeit ist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mehrfach auffällig geworden.
Im zweiten Quartal ist die deutsche Wirtschaft entgegen der Prognose um 0,3 % geschrumpft. Das DIW will den Konsument:innen die Schuld dafür in die Schuhe schieben, indem es die privaten Haushalte der Zurückhaltung bezichtigt. Diese Behauptung ist mit Zahlen des Statistischen Bundesamtes nicht nachweisbar, die dem privaten Konsum bescheinigen, eher zugelegt zu haben. Die Mehrausgaben sind durch den weiterhin über dem Schnitt der offiziellen Inflationsrate liegenden Anteil an täglichen Bedarfsgütern bedingt.
Der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, verlangt einen „neuen Generationenvertrag“ und wirft eine Forderung in die Debatte, wonach ein sozialer Pflichtdienst für die aus dem normalen Arbeitsleben Ausgeschiedenen zu Beginn des „Ruhestands“ eingerichtet werden soll. So neu ist der Vorschlag jedoch nicht, kam er doch bereits vor einem Jahr von der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) und angeblich auch von der damals noch im Amt befindlichen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Begründet wird dies mit einem abgestandenen Gebräu aus sozioökonomischer Faktizität, politischen Handlungszwängen und Moralappell. Da wird die sich umstülpende Alterspyramide bemüht, daraus gefolgert, dass die Rentensicherung nur gewährleistet werden könne, wenn neue Quellen aufgeschlossen werden, die in den brachliegenden Potenzialen der Rentner:innenschicht selber zu suchen sei. Als Schaumkrone wird diesem Gesöff dann die Mahnung zu einem Solidaritätsbeitrag der älteren Generation aufgesetzt.
Das ruft Erinnerungen an den einstigen, allen Naturgesetzen trotzenden Werbespruch eines Schokoriegel-Herstellers wach: „Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück“, der jede/n Physiklehrer:in an seiner/ihrer Berufseignung zweifeln lassen musste.
Diese Argumentation marschiert auf Linie von Regierung und Kapital und reiht sich in die von Reichen geforderte Verlängerung der Lebensarbeitszeit ein. Die Herabsetzung des Messbetrags für die Besteuerung von Renten ist ein weiterer Angriffspunkt auf die Lebensleistung der arbeitenden Bevölkerung.
Die Klammer zwischen Notwendigkeit von Militarisierung und Arbeitsprozess hat Fratzscher dann in seinem weiteren Vorstoß untergebracht, dessen Kern einen Wehrbeitrag
der Älteren beinhaltet. So meint er in einem Interview mit der Zeitschrift „Spiegel“: „Die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht verengt sich häufig auf die junge Generation. Ebenso muss sich die ältere Generation gesellschaftlich stärker einbringen, beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung. Die Bundeswehr könnte von den technischen Fähigkeiten vieler Rentner profitieren. Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?“
Die Jugend wird vor die Wahl gestellt: entweder Dienst an der Waffe oder soziales Pflichtjahr. Warum dann auch nicht für die Senior:innen zwecks „ausgleichender Gerechtigkeit“?
Hier werden Attacken geritten auf die weichen Flanken der Arbeiter:innenklasse, die (noch nicht) oder (nicht mehr) organisierten Teile, der nachwachsenden und der bereits im langen Arbeitsprozess ausgepressten Generation.
Dazu passt auch, dass auf der weltgrößten Computerspielemesse Gamescom in Köln Bundeswehr, staatliche Geheim- und private Sicherheitsdienste ungehindert und ungeniert gezielte Personalköderung betreiben durften. Kriegsgewinnler Rheinmetall baute einen eigenen Lobbystand mit realer Anschauung zur Affinität von Waffensystemen und gewaltbereiter Spielwelt auf.
Auch das Heer der Arbeitslosen lässt die Strateg:innen der Bourgeoisie nicht ruhen. Die Debatte um das Bürgergeld wird gerade weiter befeuert. Wenn es schon nicht abgeschafft werden kann, sollen wenigstens die Zügel für die Bedingungen seiner Vergabe angezogen werden. Der von CDU-Generalsekretär Linnemann angekündigte „Paradigmenwechsel“ soll die Zwangsmittel zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess verschärfen. Die Vorwürfe gegen die Arbeitslosen sind ebenso populistisch wie erpresserisch: „Das Land stehe mit dem Rücken zur Wand, weil der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar geworden ist.“ Die Ausgaben für das Bürgergeld betrugen im ersten Halbjahr 17,52 Milliarden Euro, das sind lediglich 0,2 % mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
An der Gewerkschaftsfront herrscht angesichts all dieser arbeiter:innenfeindlichen Offensiven, wie auch schon zur reaktionären Migrationspolitik, dumpfe Stille. Nicht einmal zur Ankündigung eines heißen Herbstes – der früheren Standardfloskel für nachfolgendes heißes Luftablassen – können sich diese Jammergestalten an Gewerkschafts- und Betriebsratsspitze aufraffen.
Die SPD ist ja an der Regierung, und die wird das Ärgste ja schon verhindern. Getreu der alten reformistischen Arbeitsteilung wird sich im ökonomischen Kerngeschäft eingebunkert.
Doch nicht einmal mehr zu Abwehrkämpfen auf ihrem ureigenen Scheuklappengelände, den tariflichen Belangen, scheinen sie imstande zu sein, wie die Ausverkaufsverhandlungen v. a. im Automobilsektor gezeigt haben.
Dies alles darf die fortgeschrittenen Kräfte der Arbeiter:innenbewegung allerdings keineswegs entmutigen. Es muss eine bundesweite Kampagne angestrebt werden, die als Schlüsselforderung die Abwehr aller Versuche zur Ausweitung der Lebens- und Wochenarbeitszeit bzw. deren Intensivierung erhebt und mit Forderungen nach deren Senkung auf Rente mit 60, Erhöhung der Mindestrente und 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich nach vorn geht. Verbunden werden muss dies mit der Forderung nach Sicherung der Rentenbezüge durch Besteuerung der Reichen, was unter Kontrolle von aktiven Arbeiter:innen und Rentner:innen geschehen muss.