Markus Lehner, Neue Internationale 297, Dezember 2025 / Januar 2026
Für Marxist:innen führen die derzeit viel beschriebenen „Multikrisen“ zentral auf die Krisendynamik des Kapitalismus und seine gesellschaftlichen Widersprüche zurück. Selbst wenn die Überwindung des Kapitalismus viele dieser Krisen (z. B. Ökologie, globale Ungleichheiten, geschlechtsbezogene Unterdrückung) nicht automatisch lösen kann, so wird sie immer mehr zur brennend notwendigen Voraussetzung, um Lösungswege überhaupt einleiten zu können.
Die globale Krise des Kapitals wird begleitet von einer politischen Krise, die in den letzten Jahren zu einem enormen Anstieg autoritärer Tendenzen und wieder offen betriebener imperialer Großmachtpolitik geführt hat. Die schulterzuckende Hinnahme von Völkermorden wie in Gaza und dem Sudan sowie neokoloniale Aufteilungspläne für Gaza und die Ukraine, die als „Friedenspläne“ verkauft werden, sind das neue „Normal“ – genauso wie brutalst mögliche Austeritätspolitik, kombiniert mit massiver militärischer Aufrüstung. Es gibt Widerstand, so wie er sich in den Gen-Z-Protesten ebenso wie in der internationalen Gaza-Solidaritätsbewegung gezeigt hat. Es wird darauf ankommen, dass dieser Widerstand begreift, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt, die nur durch den Kampf um die Macht gegen das Kapital durchgesetzt werden kann.
Die kapitalistische Krise ist nichts, was „von außen“ (durch „falsche“ Politik, neue Technologien, Migration etc.) oder wie eine Art Naturgesetz (z. B. als Konjunkturzyklus) in eine an sich nach Gleichgewichten strebende, sich selbst optimierende Marktwirtschaft einbricht. Vielmehr produziert das Kapital seine Krise aus sich selbst heraus – oder wie Marx es ausdrückte: Die wesentliche Schranke des Kapitals ist das Kapital selbst.
Die Grundlage des Kapitalismus ist die Aneignung fremder Arbeit in Form von Mehrwert, dessen Realisierung als Profit und seine Akkumulation durch Reinvestition. Das Wesen kapitalistischer Rationalisierung ist dabei gerade die Ersparnis der Kosten menschlicher Arbeitskraft, was dem Einzelkapital Profitsteigerung bringt, im Ausgleich der gesamtgesellschaftlichen Profitrate diese jedoch senkt (Anstieg des zu investierenden Kapitals in Relation zur eingesetzten Arbeitsstunde). Diese sinkende Profitrate ist der Stachel für den beständigen Zwang zum Wachstum, da so die Gewinne absolut weiter steigen, wenn auch immer mehr Kapitaleinsatz für diese Gewinnsteigerungen nötig wird. Wie Marx im 3. Band des „Kapitals“ gezeigt hat, muss dann aber ein Punkt eintreten („Überakkumulationskrise“), bei dem die Masse des in einer Periode produzierten Profits nicht mehr ausreicht, um die Ausweitung der Produktionsmittel für ein weiteres Produktionswachstum zu finanzieren – dies erscheint wechselseitig als „Überproduktionskrise“ und als „Unterkonsumtionskrise“ für die Produzent:innen, die keine Abnehmer:innen für ihre Waren mehr finden bzw. sich notwendige Investitionen nicht mehr leisten können.
Marx hat natürlich erkannt, dass das Kapital, lange bevor es an diesen Punkt kommt, eine Reihe von Gegenmaßnahmen setzt („entgegenwirkende Ursachen“), die die Profitrate verbessern (Erhöhung der Mehrwertrate, Beschleunigung von Kapitalentwertung, Nutzung der Außenwirtschaft etc.) – die aber langfristig die Tendenz zur Überakkumulation nicht beseitigen. Periodisch wiederkehrende schwere Krisen sind daher unvermeidlich, in denen es nach Marx‘ Erkenntnis nur eine dem Kapital inhärente Lösung gibt: eine nachhaltige Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Profitrate durch massive Vernichtung von überakkumuliertem Kapital in Kombination mit einer wesentlichen Verbesserung der Ausbeutungsbedingungen. Nur massenweise Firmenpleiten, strategische Niederlagen der Lohnabhängigen (von Gewerkschaften, in der Sozialpolitik) u. Ä. schaffen die Voraussetzungen dafür, dass z. B. neue Technologien, neue Branchen in Kombination mit runderneuerten alten Branchen von einem Investitionsboom erfasst werden, die den kapitalistischen Akkumulationsmotor von Neuem in eine Aufschwungsperiode führen.
Wie der marxistische Ökonom Henryk Grossmann gezeigt hat, folgen dabei nicht immer wieder Aufschwungsperiode – Krisenperiode – Kapitalvernichtung in einer Art gleichmäßiger langer Wellenbewegung, sondern von Krisenzyklus zu Krisenzyklus werden die Massen des akkumulierten Kapitals und die dabei entwickelten Destruktionspotenziale ständig größer, so dass in jedem Zyklus die Anforderungen an Kapitalzerstörung und strategische Verbesserung der kapitalistischen Ausbeutungsbedingungen krasser werden („Zusammenbruchstendenz“). Diese Zusammenbruchstendenz erklärt auch die immer verheerender werdenden gesellschaftlichen Konsequenzen bei den zugespitzten Krisenperioden, z. B. Faschismus, Verwobenheit mit anderen gesellschaftlichen und ökologischen Krisen.
Ebenso erklärt sie auch die Tendenz zur Dominanz von Finanz- und Monopolkapital, das einen scheinbar sicheren Monopolprofit insbesondere auf Kosten weniger kapitalisierter Bereiche und Regionen sichert. Die Widersprüche einer solchen internationalen Ordnung lassen sich nur mit einem System imperialistischer Großmächte, die an der Spitze systematischer globaler Ungleichheit stehen, zeitweise befrieden. Die Überakkumulationstendenz und die Konkurrenz zwischen den Großmächten (oder mit solchen, die es werden wollen) führen jedoch zwangsläufig zu sehr einschneidenden Krisenperioden und heftigen Neuordnungskonflikten des imperialistischen Weltsystems. Dies schließt Aufschwungsperioden nicht aus, sofern es eine stabile internationale politische Ordnung unter der Führung einer Hegemonialmacht gibt, die für den Rahmen für Welthandel, Finanztransaktionen und die Aufrechterhaltung der Ausbeutungsverhältnisse im Interesse der imperialistischen Monopole sorgt.
Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich der Krisenzyklus der Kapitalakkumulation inzwischen empirisch sehr gut nachweisen. Durch Etablierung der US-Hegemonie und entsprechender Institutionen (US-Dollar als internationale Reservewährung, WTO, IWF, Weltbank) konnten nach den Kapitalvernichtungen rund um den Weltkrieg und durch die Einbindung der reformistischen Arbeiter:innenbewegungen nach deren Niederlagen die Profitrate auf hohem Niveau stabilisiert und eine langwierige Aufschwungsperiode in den imperialistischen Zentren eingeleitet werden. Allerdings begann die Profitrate ab Mitte der 60er Jahre bereits wieder zu fallen, um in den 70er und Anfang der 80er Jahre zu globalen Rezessionen zu führen. Massive Kapitalvernichtung im Rahmen des „Volcker-Schocks“ und der weltweiten „Schuldenkrise“ sowie Erfolge des Kapitals rund um die Durchsetzung „neoliberaler Wenden“ und den Zusammenbruch von Sowjetunion & Co. im Verlauf der 1980er Jahre führten zur Stabilisierung der Profitraten und zum Einsetzen einer neuen Aufschwungsperiode in den 1990er Jahren, der „Globalisierungsperiode“. Die USA waren die letzte verbliebene Supermacht und demonstrierten dies auch in einer Reihe von „Weltordnungskriegen“. Die „Lösung“ der Schuldenkrise (z. B. Brady-Plan) ermöglichte eine bisher nicht dagewesene Öffnung der weltweiten Märkte („Washington-Konsens“) für das internationale Finanz- und Monopolkapital, mitsamt dem Aufbau internationaler Produktions- und Lieferketten, die ein ungeahntes Wachstum der absoluten Profitmassen ermöglichte.
Allerdings war die Erholung der Profitraten am Beginn der Globalisierungsperiode weit unter dem Level der 1950er Jahre geblieben, so dass insbesondere das produktive Kapital nicht die Gewinnerwartungen einer Aufschwungsperiode erfüllte – was Kapital schnell in riskante Märkte und Finanzblasen fließen ließ. Die Krisen um die Jahrtausendwende (Asien-/Russland-/Dotcom-Krisen) deuteten bereits an, dass die Profitrate wieder zu fallen begann und überakkumuliertes Kapital in solche nicht nachhaltige Anlagen abdriftete. Mit dem Platzen der US-Immobilienblase 2006 und der folgenden Finanzkrise wurde mit der „Großen Rezession“ 2008/2009 die Überakkumulationskrise der westlichen Imperialismen offen zutage gebracht.
Das Verständnis der „Lösung“ der Krise 2008/2009 ist wesentlich für die Entwicklung bis auf den heutigen Tag. Erstens war die Zerstörung von überakkumuliertem Kapital in den westlichen Zentren nie ausreichend, um mehr als die Vermeidung eines neuerlichen Abrutschens in die akute Krise zu erreichen – also langfristig geprägt durch historisch niedrige Wachstumsraten. Die Vernichtung von Kapital betraf vor allem fiktives Kapital, also keine wirklichen Werte – z. B. sind Verluste an der Börse auf lange Sicht nur Gewinne anderer Anleger:innen. Soweit es Produktivkapital betraf, wurden deren für die Finanzierung des Geschäftsbetriebs wesentlichen Anlagen von den Zentralbanken übernommen (ein wesentliches Moment des „Quantitative Easing“ neben niedrigen Zinsen). Im Wesentlichen wurden so Schulden nur umverteilt – und wie bei der Krise zuvor betrafen die harten Umschuldungsmaßnahmen vor allem die schwächsten Glieder. Darunter auch viele Staaten (siehe Euro-Krise) und „nicht systemrelevante“ private Haushalte oder Unternehmen. Insbesondere viele Großunternehmen überlebten trotz geringer Gewinnaussichten, aus denen ihre langfristigen Schulden bezahlt werden können – solche „Zombie-Unternehmen“ machen inzwischen etwa ein Viertel der Geschäftswelt in den westlichen Zentren aus und binden so Massen an Kapital, die tatsächlich für Neuinvestitionen nötig wären.
Der zweite wesentliche Faktor hatte sich schon im Jahrzehnt zuvor angedeutet und wurde nach der Krise 2008/2009 zunächst zum Überlebensgaranten der angeschlagenen Weltwirtschaft: der Aufstieg Chinas und Russlands. Vor allem die chinesischen Wachstumsraten in der Industrie, im Welthandel und beim Aufbau von Kapitalbeständen sicherten das Wachstum auf globaler Ebene in den 2010er Jahren – während billiges Gas und Öl aus Russland wichtig waren, um die exportorientierten Industrien Deutschlands und Japans am Laufen zu halten.
China hatte sich damals schon längst von einem agrarisch dominierten „Schwellenland“ zum größten industriellen Produzenten der Welt entwickelt, dessen Bevölkerung vornehmlich aus dem Kapitalverhältnis unterworfenen Arbeiter:innen besteht. Der staatliche Sektor ist klar dem expansiven Privatkapital untergeordnet und spielt eine Rolle in der Industriepolitik, die den strategischen Interessen des chinesischen Kapitals und der zugehörigen Großmachtpolitik untergeordnet ist. Während die Periode vom WTO-Beitritt bis 2008/2009 noch durch expansive Exportpolitik im Niedriglohnbereich gekennzeichnet war, wurde die Industrie in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre auf intensives Wachstum, die Entwicklung eigener Hochtechnologiebereiche und die Schaffung eigener internationaler Produktionsketten umgestellt. China entwickelte eindeutig die Merkmale imperialistischer Ökonomien – Kapitalexport, Finanzpolitik und Schaffung abhängiger Unternehmen und Staaten im „globalen Süden“ offenbaren seither die klassische Brutalität imperialistischer Ausbeutung (China ist heute unerbittlicher Hauptgläubiger für Afrika).
Russland hat sich nach den Krisenjahren der 1990er Jahre zu einem autoritär geführten Kapitalismus entwickelt, in dem Staat, Banken und großes Kapital aufs Engste miteinander verwoben sind. Aus dem Chaos gingen wiederum sehr große Konzerne hervor, die nicht nur im Öl- und Gassektor auf dem Weltmarkt eine beachtliche Rolle spielen (z. B. auch im Bergbau, der Nuklearindustrie, der Rüstungs- und Luftfahrtindustrie, der Raumfahrt, dem globalen Agro-Business). Wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg des ersten 2000er Jahrzehnts waren die fortbestehenden ökonomischen Beziehungen zu den Oligarchen-Ökonomien vor allem in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Dies betraf z. B. die Rohstoffgeschäfte in Zentralasien genauso wie die Traktoren aus Belarus oder die Kooperation mit dem neuen Agro-Business in der Ukraine und Georgien. Mit dem Wiederaufbau des militärisch-industriellen Komplexes rund um den zweiten Tschetschenien-Krieg war klar, dass die Russische Föderation im gesamten Raum der ehemaligen Sowjetunion wiederum die Rolle als Großmacht zu spielen gedachte, die diese ökonomischen Interessen zu verteidigen bereit wäre. Der Georgien-Krieg 2008 machte dies dann auch direkt aller Welt öffentlich.
Spätestens nach der Krise 2008/2009 war klar, dass der Nachkriegsimperialismus zwei neue Herausforderer bekommen hatte, die sich nur schwer in die „westliche“ US-geführte Weltordnung einbinden ließen. Der US-Imperialismus sah in den 2010er Jahren bereits eine systemische Konkurrenz, in der die EU zunächst eine schwankende Position einnahm. Aufgrund der geschwächten ökonomischen Position und der gesellschaftlichen Spannungen der Obama-Jahre waren die USA zunächst nur zu beschränkten Maßnahmen gegenüber China in der Lage und versuchten, Russland auf Regionalmacht-Niveau kleinzuhalten. Für Letzteres waren die Bewegungen in der Ukraine und in Georgien gegen die korrupte pro-russische Oligarchie nur allzu recht – entsprechende Schritte zur Loslösung vom russischen Einfluss wurden daher von den USA im Gegensatz zur EU deutlich unterstützt (nicht zuletzt wegen starker Interessen an Bodenschätzen in der Ukraine und der geostrategischen Bedeutung von Georgien). Dazu kam, dass die Protestbewegung in Russland selbst um 2012 und die wirtschaftliche Krise aufgrund fallender Öl- und Gaspreise 2014 in der Russischen Föderation zu einer endgültigen Niederlage der „pro-westlichen“ Fraktion führten. Die russische Führung leitete die Wende ein zu einem repressiven nationalistischen Autoritarismus und einer auf Autonomie orientierten Binnenökonomie (praktisch war Russland bereits lange vor dem Ukrainekrieg auf die Sanktionen des Westens vorbereitet). Die Bewegungen in der Ukraine und Georgien mussten daher den Großmachtanspruch Russlands unbedingt herausfordern – mitsamt der Gewissheit, die Konfrontation mit „dem Westen“ zur „Selbsterhaltung“ eingehen zu müssen.
Mitte der 2010er Jahre war also der Krisen-Eindämmungsfaktor China/Russland zu einem neuen Krisen-Beschleunigungsmoment geworden – dies sowohl politisch als auch ökonomisch. China war als entscheidender Wachstumsmotor nach der Großen Rezession Mitte der 2010er Jahre selbst in eine Überakkumulationskrise geraten. Seither ist es, sowohl, was Kapitalexport als auch Handelsauseinandersetzungen betrifft, zu einem harten Konkurrenten des westlichen Imperialismus auf und in fast allen Gebieten geworden. Insbesondere die EU-Ökonomien sind gegenüber den USA und China inzwischen weit in die hinteren Reihen abgehängt worden. Dies wurde zeitweise noch dadurch abgefangen, dass China inzwischen auch einen starken Binnenmarkt entwickelt und der Markt von mehreren Millionen auch nach westlichen Maßstab gut bezahlten urbanen Fachkräften zunächst große Exportchancen für die klassischen westlichen Exportökonomien bot (bis China dies selbst im Wesentlichen weit billiger abdecken konnte und nun seinerseits exportiert). Andererseits wurde Russland aufgrund der politischen Konflikte um die Ukraine und der Autarkiepolitik im Inneren immer schwieriger für europäische Geschäftspartner:innen – und mit dem Verlust des billigen russischen Öls und Gases drohte insbesondere der deutschen Wirtschaft schon länger der Absturz.
Die Corona-Epidemie war zwar ein äußerer Anlass, aber die ökonomischen Indikatoren zeigten bereits vor dem Beginn der 2020er Jahre auf eine kommende weitere globale Rezession – diese trat dann natürlich in Folge der Lockdown-Maßnahmen und der Reduktion von Welthandel und Lieferketten auch tatsächlich ein. Auch diese Krise hat zu keiner Lösung im Sinn von Kapitalvernichtung und den notwendigen Rahmenbedingungen für eine neue Aufschwungbewegung gesorgt. Im Gegenteil: Manche ökonomischen Rahmenbedingungen haben sich weiter nachhaltig verschlechtert. Dies betrifft insbesondere das Ausmaß an öffentlicher und privater Verschuldung – diesmal jetzt auch einhergehend mit Inflation. Zusammen mit weiterhin geringen Wachstumsraten führt dies zum Kreislauf der Stagflation (geringe Spar- und Investitionsneigung, geringes Wachstum, nachfragebedingte Preisanstiege …). Dazu kommt aufgrund der wachsenden Handels- und politischen Konflikte ein Rückbau der globalen Produktionsketten, was auch angebotsseitig die Preise antreibt. Der nunmehr einsetzende neue Hang zu Protektionismus, wie er nicht nur von der US-Regierung (Zollpolitik) betrieben wird, beschleunigt diese Bedingungen der Stagflation nur weiter.
Im gegenwärtigen weltweiten Handelskrieg hat insbesondere China gute Karten, aufgrund der Abhängigkeit der Weltwirtschaft von ihm in vielen Industriebereichen (z. B. Halbleiter) und in Bezug auf kritische Rohstoffe (nicht nur „Seltene Erden“). Außerdem verfügt es inzwischen dank BRICS-Struktur über eigene Handelsplattformen und eine breitere Auswahl von Ersatzabsatzmärkten. Die Rolle Indiens als sektoral starker ökonomischer Player und lavierend zwischen den Blöcken erlaubt es China zusätzlich, Druck auf die USA auszuüben. Im Handelskonflikt mit der EU wurde das Machtgefälle, das sich zwischen China und den Möchtegern-Damen-und-Herren in den europäischen Chef:innensesseln aufgebaut hat, besonders deutlich – Einschränkungen bei Halbleiter- und Rohstofflieferungen drohten, große Teile der europäischen Industrie stillzulegen. In der derzeitigen Runde des globalen Handelskrieges sieht China daher wie der eindeutige Sieger aus. Damit kann das chinesische Kapital mit seiner Überproduktion die Weltmärkte und auch die EU überschwemmen (zumindest ein Faktor, der die Inflation einbremst). Andererseits verfolgen die USA derzeit eine aggressive Industriepolitik, um Importe aus China zu substituieren. Dies betrifft insbesondere kritische Rohstoffe. Zum Teil erklärt dies auch das besondere Augenmerk auf Kanada und Grönland, wo viele davon abbaubar wären. Es erklärt auch das starke Bestreben, zu einer Regelung mit Russland und der Ukraine zu kommen – bei beiden will man ins Rohstoffgeschäft einsteigen und insbesondere bei Russland verhindern, dass dessen Rohstoffpolitik letztlich von China dominiert wird.
Man mag die derzeitige US-Administration für alles Mögliche halten – aber die hinter ihr stehenden Technologie-Oligarch:innen wissen sehr wohl, dass die großen Expansionen im Hochtechnologie-Bereich eine Vielzahl kritischer Rohstoffe benötigen und für deren Gewinnung eine enorme Wiederbelebung des Bergbaus notwendig ist (offenbar unter Inkaufnahme fürchterlicher ökologischer Folgen). Die EU hat zwar eine entsprechende industriepolitische Initiative ergriffen, wird aber wahrscheinlich gegenüber China und den USA um mindestens ein Jahrzehnt zu spät kommen – also insgesamt im Konzert der Großmächte auf den hintersten Plätzen teilnehmen müssen. Dazu kommt noch, dass die chinesische Expansion im Südchinesischen Meer wohl nur die Vorbereitung eines Taiwan-Krieges ist – und sollte dieser Krieg zu früh kommen, wäre dies ein extrem gefährlicher Stoß gegen die US- und EU-Technologiekonzerne.
Die USA bleiben trotz aller Errungenschaften Chinas und der militärischen Brutalität Russlands die bei Weitem stärkste imperialistische Macht. Dies liegt einerseits im Ausmaß des US-Finanzkapitals und der hinter ihm stehenden Vermögenswerte begründet, begleitet von den Machtmitteln, die mit der Kontrolle über das weltweit weiterhin dominierende Zahlungsmittel, den US-Dollar, verbunden sind. Entscheidender Einfluss über die global dominierenden Finanzinstitutionen und die Rolle des US-Dollars als weiterhin führende Reservewährung erlauben den USA eine Sonderrolle beim Schuldenmachen und beim Handelsdefizit. Dazu kommt die Führungsrolle bei fast allen entscheidenden Hochtechnologien, die die US-Technologie-Konzerne beim Akkumulieren von Monopolprofiten besonders bevorzugt. Letztlich profitieren US-Finanz- und Monopolkapital aber vor allem durch ihre Verbindung mit dem weiterhin mächtigsten Staat der Welt – eine Macht, die im Kern auf der fortgesetzten, derzeit noch uneinholbaren militärischen Stärke der USA beruht. In allen militärischen Belangen sind die technologische Überlegenheit sowie die taktische und strategische Befähigung der entsprechend ausgerüsteten Truppenverbände derart ausgeprägt, dass für die nächsten Jahre keine ernsthafte Herausforderung erwartet werden kann. Dies haben auch die europäischen NATO-Regierungen begriffen, als ihnen dämmerte, was ein US-Rückzug aus Europa für sie in Konkurrenz selbst zu einer zweitklassigen Militärmacht wie Russland bedeuten würde.
Neben kritischen Rohstoffen, Zugang zu billiger Energie und militärischer Stärke geht es bei dem gegenwärtigen Konkurrenzkampf der großen Kapitale und Mächte vor allem auch um Kontrolle über Hochtechnologie. Ein Schlagwort prägt dabei die letzten drei Jahre: die „Künstliche Intelligenz“ (KI). Fortschritte bei den entsprechenden Algorithmen für neuronale Netze und „Large Language Models“ lassen bei entsprechend zugrunde gelegten Datenmengen („Maschinelles Lernen“) beeindruckende Leistungen in der Informationszusammenfassung, Übersetzung, Programmierung, bei Auskunftssystemen etc. zu, die das Potenzial haben, den Dienstleistungsbereich stark zu rationalisieren. Allerdings benötigen KI-Systeme enorme Datenmengen, Serversysteme und Rechenleistungen, die nur mit speziellen, teuren Halbleiterbauelementen und einer Unmenge an Energie und Kühlmitteln möglich sind. Daher profitieren derzeit vor allem bestimmte Halbleiterfirmen (wie Nvidia), Cloudprovider und Energiekonzerne vom KI-Hype. Die enormen notwendigen Investitionen haben bisher in den Anwenderindustrien kaum Gewinne, eher Zusatzkosten verursacht. Die starke Bewertung der genannten Profiteur:innen (z. B. die börsenmäßige Überbewertung von Nvidia) wird daher zu Recht als KI-Bubble bezeichnet. Ein möglicher Abbruch der Großinvestitionen im KI-Bereich (z. B. wegen Schuldenproblemen oder anderer Prioritäten) könnte daher ähnlich wie nach der Jahrtausendwende bei der Dotcom-Krise zu einem Finanzcrash führen („Platzen der KI-Bubble“). Die Kontrolle über bestimmte Halbleitertechnologien spielte aber auch bei den Handelskonflikten mit China eine wichtige Rolle. Durch Beschränkungen für den Export von „KI-Chips“ dachte man, China bei KI wesentlich abhängen zu können – die Veröffentlichung der Resultate der chinesischen DeepSeek-Entwicklung führten entsprechend nicht nur an den US-Börsen zu einem ersten Beben in der KI-Euphorie. Inzwischen ist klar, dass die USA und China den Rest der Welt in diesen entscheidenden Technologiebereichen weit abgehängt haben. Es ist aber auch klar, dass ohne entsprechende Rahmenbedingungen – Kapitalfreimachung durch Kapitalvernichtung, verbesserte Ausbeutungsbedingungen – rein aus den technologischen Möglichkeiten noch lange keine langfristige Aufschwungsbewegung entstehen kann.
Doch Hochtechnologie spielt auch eine Rolle beim gegenwärtigen Wettlauf um militärische Stärke. In Israels Krieg um Gaza, Libanon und den Iran wurde klar, wie eine personell eigentlich nicht besonders große Armee durch technologische Überlegenheit verheerende Wirkung erzielen kann. Im Gazakrieg wurde mit KI- und sonstiger Hightech-unterstützter Waffentechnologie demonstriert, wie gezielt jedes gewünschte Ziel vernichtet werden kann. Diese neue Art der Waffentechnologie macht eigentlich jede klassische Guerilla-Strategie zum reinen Selbstmordkommando. Ebenso wurde im Ukrainekrieg demonstriert, dass klassische Offensiven mit Großverbänden von Panzern und Infanterie und Luftunterstützung an neuen Hightech-Drohnen, ausgeklügelten Luftabwehrraketen und satellitengestützten Informationssystemen scheitern müssen. Der Ukrainekrieg wandelte sich daher rasch in einen dem Ersten Weltkrieg vergleichbaren Stellungskrieg, in dem die Masse der Artilleriegeschosse und der Drohnen entscheidet. Bei der Artillerie konnten die europäischen Rüstungskonzerne nachziehen. Bei den Drohnen ist man den russischen Produktionskapazitäten inzwischen bei Weitem unterlegen. Den größten Schock erlitten westliche Militärexpert:innen jedoch bei dem kurzen Geplänkel zwischen Pakistan und Indien im Mai 2025. Dabei kam es zu einer Reihe von Luftkämpfen, bei denen von der pakistanischen Luftwaffe mehrere hochmoderne Kampfjets des französischen Rüstungskonzerns Dassault abgeschossen wurden – der Schock dabei: Auf der Gegenseite waren Kampfjets des chinesischen Herstellers Chengdu (nicht einmal der neuesten Generation), die Hightech-Raketen ebenfalls chinesischer Herkunft aus 200 Kilometern Entfernung abfeuerten. Im Westen hatte man nicht damit gerechnet, dass China bereits so weit ist. US-Militärs gehen inzwischen davon aus, dass die US-Überlegenheit gegenüber China nur noch wenige Jahre zu halten ist.
Es gibt derzeit keine Anzeichen für eine Lösung der gegenwärtigen Krisenperiode. Für die unmittelbare Zukunft (2026, 2027) sieht die Weltbank weiterhin Stagnation voraus, unter dem Vorbehalt, dass die politischen Verwerfungen oder eine mögliche Finanzkrise zu einem raschen globalen Konjunktureinbruch führen können. Die neue Welt(un)ordnung lässt auch keine gemeinsame Krisenpolitik der imperialistischen Mächte wie noch Anfang der 80er Jahre erwarten. Die Krise der US-Hegemonie wird sich fortsetzen. Und somit ist das gewichtigste Kennzeichen der gegenwärtigen Krisenperiode der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Kapitalen und Mächten. Lenin bemerkte vor mehr als hundert Jahren, dass diese Auseinandersetzung um die Neuaufteilung der Einflusssphären, das Aufkommen neuer Mächte (damals am Beispiel Japans) und die damit zusammenhängenden ökonomischen, politischen und militärischen Kräfteverschiebungen der Normalzustand im modernen Kapitalismus sind. Die lange Phase der relativ eingefrorenen Rollenverteilung mit den USA im Zentrum eines Netzes von Bündnissen und wirtschaftlichen Verflechtungen war eher eine Ausnahme. Dies erzeugte die Illusion einer Überwindung von Imperialismus und Großmachtpolitik in einer „regelbasierten“ Weltordnung, in der sich liberale Demokratie und offene Märkte immer mehr verbreiten würden. Diese Illusion mag in Europa weit verbreitet gewesen sein – im globalen Süden und auch in den USA selbst sah man die politisch-militärischen Aktionen (von Vietnam bis in den Irak) und die Wirkung der „offenen Märkte“ schon immer etwas anders. Die gegenwärtige Rückkehr zynischer, auf ökonomischer und militärischer Stärke beruhender Großmachtpolitik trifft daher die europäischen Bourgeoisien und die bürgerliche Öffentlichkeit besonders unvorbereitet.
Die EU in ihrer erweiterten Integration ab den 1990er Jahren war selbst ein wichtiges Produkt der Globalisierungsperiode. Sie ermöglichte ein von den großen europäischen Kapitalen unterschiedlicher Herkunftsländer dominiertes ökonomisches Netzwerk (Märkte, gemeinsame Infrastruktur und Standards, Produktionsketten) ohne politische Dominanz nur einer imperialistischen Nation. Durch den Ausbau der ökonomischen und politischen Beziehungen zum wieder aufstrebenden Russland schien die EU auch tatsächlich zu einem globalen Player mit Herausforderungspotenzial gegenüber den USA zu werden („Lissabon-Agenda“). Doch sowohl die ökonomische Krisenperiode als auch die wachsende Konfrontation mit Russland und dessen Kampf um seine Einflusssphäre stellt die EU gleich mehrfach vor Zerreißproben.
Wachstumsprobleme, von der EU moderierte Austeritäts- und Schuldenpolitik und das Zurückfallen im globalen Konkurrenzkampf haben dazu geführt, dass viele Einzelkapitale ihr Heil wieder außerhalb des von der deutsch-französischen Stagnationspartnerschaft geführten Europas sehen – mit gewichtigen EU-Exit-Bewegungen fast überall. Insbesondere der Brexit war ein schwerer Schlag für die globalen Expansionsbestrebungen. „EU-Skepsis“, EU-Migrationspolitik, ökonomische Stagnation etc. sind auch Nährboden für ein europaweites Anwachsen reaktionärer, rassistischer und neochauvinistischer Bewegungen und Parteien, die die EU auch politisch immer mehr paralysieren. Dazu kommt nun auch die Konfrontation mit Russland, die nicht nur ökonomisch ein Schlag ist (Öl/Gas), sondern auch offenlegt, dass die EU ohne militärischen Beistand der USA im globalen Maßstab ein militärischer Zwerg ist – und zwar weniger, was die absoluten Zahlen betrifft, als vielmehr hinsichtlich des Fehlens einer gemeinsamen militärischen Struktur jenseits der de facto US-geführten NATO.
Das nun hysterische Geschrei für die unbedingte Notwendigkeit, die „Kriegsfähigkeit“ herzustellen, hat weniger etwas mit der tatsächlichen Bedrohung durch das russische Militär zu tun (das selbst in der Ukraine Jahre für geringfügige Geländegewinne benötigt), sondern mit der Erkenntnis, dass man ohne Militärmacht im Poker der Großmächte wenig zu sagen hat. Die Eigeninteressen der jeweils nationalen Rüstungsindustrien, die notwendige Verschärfung der Austeritätspolitik, das absehbare Zurückbleiben in der Hightech- und Rohstoffkonkurrenz etc. lassen nicht erwarten, dass die EU tatsächlich zu den USA und China wird aufschließen können – ein Scheitern jedoch wird eine schwere Krise der Union bis hin zur Auflösung bedeuten. Aber dafür hat das Kapital ja schon seine jeweils nationalen „Alternativen für“ in Bereitschaft, die die Probleme im Inneren autoritär „befrieden“ und für die Widersprüche in Europa dann auch die militärischen Mittel zur Verfügung haben werden.
Die neue Art der Großmachtpolitik wurde in jüngster Zeit überdeutlich in den „Friedensplänen“ für die Ukraine und für Gaza. Weder Völkermord noch imperialistischer Angriffskrieg waren für diese Vorschläge auch nur der Rede wert (wobei die europäischen regelbasierten Weltordner:innen da bei Gaza auch wenig Probleme haben). Die Selbstbestimmung der betroffenen Bevölkerungen ist kein Thema, ganz im Gegensatz zu Regelungen über Profitaufteilungen für den „Wiederaufbau“. Im Fall der Ukraine geht es offenbar nicht nur um Befriedung (eigentlich mehr Einfrieren) des Konflikts und ökonomische Interessen dort – es geht den USA offensichtlich auch darum, Russland nicht zu abhängig von China zu machen und selbst strategische Geschäfte mit Russland zu forcieren (z. B. am Rohstoffreichtum Russlands und seiner Arktisausbeutung beteiligt zu werden). Im Fall von Gaza geht es offensichtlich darum, in der Region nicht nur den militärisch offensichtlich recht starken Verbündeten Israel zu haben, sondern ebenso das komplexe Gebilde Golfstaaten/Türkei/Ägypten (und wohl in Zukunft auch Syrien) mit einzubeziehen – nicht zuletzt, weil (insbesondere nach der israelischen Aktion in Katar) dort ein wachsender Einfluss Chinas befürchtet wurde (Saudi-Pakistan-Militärbündnis).
Im Gaza-Abkommen wird exemplarisch ein neues neokoloniales Projekt mithilfe neuer untergeordneter Bündnispartner:innen vorgeführt (Entwaffnung jeglichen palästinensischen Widerstands, militärische und politische Kontrolle durch von den USA kontrollierte Kräfte aus der islamischen Welt, fortgesetzte israelische Besetzungspolitik). Im Sudan ist eine solche Lösung noch schwierig, da die für die USA interessanten Kräfte dort auf verschiedenen Seiten stehen (Katar/Ägypten/Saudi-Arabien versus Vereinigte Arabische Emirate und mit Russland verbündete afrikanische Staaten). In der Ukraine wird die EU zwar an der Kolonialisierung der Restukraine beteiligt, aber die imperialistischen Eroberungen Russlands werden de facto anerkannt. Um Letzteres herrscht bei den „Führer:innen“ der EU großes Geschrei um Anerkennung einer völkerrechtswidrigen Annexion – tatsächlich fürchten sie wohl, dass das Offensivpotenzial des russischen Imperialismus nicht genügend geschwächt ist und sie ohne US-Militär weitere Eroberungen Russlands im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion nicht verhindern könnten. Die „regelbasierte Weltordnung“ war angesichts der realen ökonomischen und militärischen Verhältnisse immer schon reines interessegeleitetes Gerede – jetzt wird das Recht der/s Stärkeren in den internationalen Beziehungen offensichtlich schamlos und zynisch ohne diesen ideologischen Klimbim durchgesetzt.
Wachsende Kriegsgefahr, Völkermorde, eine immer unerträglicher werdende Politik zur Bewältigung der kapitalistischen Krise, die Drohung, dass selbst eine Überwindung der ökonomischen Krise zu enormen Katastrophen insbesondere in der Ökologie führen würde – all das zeigt, dass der Kapitalismus zu einer globalen Bedrohung für ein zivilisiertes menschliches Leben auf diesem Planeten geworden ist. Jegliche reformerischen Versuche einer Eindämmung dieser Menschheitsbedrohung durch einen gezügelten sozial-ökologischen Kapitalismus sind grundlegend gescheitert und werden die Probleme nur weiter vertiefen.
Die Alternative liegt längst bereit und hat inzwischen auch die technischen und kenntnisbezogenen Voraussetzungen: eine globale, auf demokratisch bestimmten Vernetzungen von Konsument:innen und Produzent:innen beruhende Planwirtschaft, die sich an demokratisch bestimmten sozialen und ökologischen Entwicklungszielen orientiert und Marktzwänge und -turbulenzen immer mehr zurückdrängt. Der Mythos von der dem Menschen überlegenen „Intelligenz des Marktes“ lässt sich im Zeitalter von Digitalisierung und KI und angesichts der gegenwärtigen Krisentendenzen längst nicht mehr aufrechterhalten. Die gegenwärtigen Protest- und Widerstandsbewegungen gegen die vielen Krisenerscheinungen des Systems müssen zusammengefasst werden zu einer globalen Bewegung zur Überwindung des Kapitalismus. Wenn der Protest zum Kampf um die Macht erweitert wird, kann gegen dieses System eine globale, demokratische, sozial-ökologische Planwirtschaft durchgesetzt werden – kurz: der internationale Sozialismus!