Arbeiter:innenmacht

Warum Revolutionär:innen die Bündnisstrategie in der Partei Die Linke vorantreiben müssen

Stefan Katzer, Neue Internationale 297, Dezember 2025 / Januar 2026

Es gehört zu den bitteren Ironien dieser politischen Periode, dass eine Bundesregierung, die behauptet, „Zukunft gestalten“ zu wollen, in Wahrheit nur eine Zukunft der Verarmung, Militarisierung und sozialen Verelendung zu bieten hat. Auch das ohrenbetäubende Kriegsgeheul der Herrschenden und ihr Ruf nach Aufrüstung können die strategische Perspektivlosigkeit bürgerlicher Politik und den Fäulnisgestank des kapitalistischen Systems nicht überdecken.

Immer offener zeigt sich der zerstörerische und todbringende Charakter eines Systems, das Menschenleben opfert und unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört, um die Profite der Reichen zu sichern.

Seit wenigen Monaten im Amt hat das Kabinett Merz deutlich gemacht, wie es der Krise des Systems begegnen möchte: Kürzungen bei Bürgergeld und Sozialleistungen, Angriffe auf die Arbeitszeitstandards, massive Umverteilung zugunsten der Konzerne und ein gigantisches Aufrüstungsprogramm, das dazu dient, den nächsten großen Krieg vorzubereiten.

Die Lohnabhängigen und Unterdrückten haben also jeden Grund, auf die Straße zu gehen und für eine Alternative in ihrem Interesse zu kämpfen. Allein: Es fehlt an einer wirkmächtigen politischen Kraft, die eine konsistente Alternative zur herrschenden Politik formulieren würde. Auch die Führung der Linkspartei macht bei dieser Aufgabe bisher keine gute Figur.

Anstatt flexibel auf den Generalangriff der Regierung zu reagieren und die mittlerweile über 120.000 Mitglieder zu mobilisieren, fokussiert sie sich mit der nun gestarteten Mietwucherkampagne auf ein einzelnes Thema. Stattdessen käme es aber genau jetzt darauf an, die Kämpfe gegen die geplanten Kürzungen, gegen die massive Aufrüstung, gegen den Rassismus und die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu bündeln, in einem Aktionsprogramm programmatisch zu verdichten und dem Generalangriff der Regierung solchermaßen eine strategische Alternative entgegenzusetzen. Nichts davon ist in Aussicht.

Gleiches gilt für die Gewerkschaftsbürokratie. Auch wenn diese mal wieder ordentlich die Backen aufbläst und lautstark Widerstand gegen die Pläne der Regierung ankündigt, ist nicht zu erwarten, dass sie die notwendigen politischen Schritte gehen und tatsächlich ihre Millionen Mitglieder mobilisieren wird.

Auf fatale Weise spiegelt sich so die Perspektivlosigkeit der Herrschenden in der Passivität und Orientierungslosigkeit der Organisationen der Arbeiter:innenklasse wider, die unbeirrt an die Illusionen der Sozialpartnerschaft glauben und sich ideologisch an die Utopie eines reformierbaren Kapitalismus klammern. Es ist jedoch nicht nur die Führung, die solche Illusionen hegt. Auch große Teile der (Neu-)Mitglieder der Linken und der Gewerkschaften hängen weiterhin solchen Illusionen an. Diese gilt es, im konkreten Kampf gegen die Kürzungen von der Notwendigkeit einer darüber hinausgehenden, revolutionären Perspektive zu überzeugen und von der reformistischen Führung wegzubrechen.

Um diesem Ziel näherzukommen, benötigen die sozialistischen und revolutionären Kräfte eine strategische Perspektive, die es ihnen ermöglicht, erfolgreich in den anstehenden Auseinandersetzungen zu intervenieren.

Genau hier setzt das Strategiepapier zum Aufbau eines Bündnisses gegen die Kürzungen an, das der Kreisverband der Linken in Darmstadt erarbeitet und beschlossen hat. Es sieht vor, ein Bündnis gegen die Kürzungen aufzubauen, das getragen wird von der Basis der Linken, der Gewerkschaften und Initiativen der Unterdrückten. Das strategische Ziel besteht darin, den notwendigen Abwehrkampf gegen die Angriffe der Regierung als Ausgangspunkt zu nehmen, um diesem eine umfassendere Perspektive entgegenzusetzen: für den Kampf um eine sozialistische Alternative zur kapitalistischen Dauerkrise. Damit das gelingen kann, fordert das Papier die Mitglieder dazu auf, die Parteitagsbeschlüsse umzusetzen und Die Linke als organisierende Klassenpartei aufzubauen.

Die Chance ergreifen – Bündnisse von unten aufbauen

Durch den massiven Mitgliederzuwachs der vergangenen Monate ist die Partei in einen Zustand lebendiger Offenheit geraten. Viele neue Mitglieder wollen kämpfen, wollen Veränderungen und spüren intuitiv, dass die herrschende Politik nicht mehr in kleinen Korrekturen, sondern nur noch in großen Angriffen operiert – und dass wir darauf eine strategische Antwort geben müssen. Eine Partei in einer solchen Phase, die mit einem solch umfassenden Angriff der Regierung auf die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen konfrontiert ist, bietet für Revolutionär:innen die Möglichkeit, eigene Vorschläge zu verankern, Stimmungen aufzugreifen und zu präzisieren – und dabei reale politische Dynamik zu erzeugen. Es wäre fatal, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen.

Die Notwendigkeit des Eingreifens

Die politische Offensive der Regierung zwingt Die Linke in eine Situation, die nicht mit Routine beantwortet werden kann, möchte die Partei nicht die nächste Niederlage vorbereiten und die eigene Basis enttäuschen.

Revolutionär:innen und linke Kräfte innerhalb der Partei müssen dabei zunächst den strategischen Charakter der Angriffe hervorheben und deutlich machen, dass diese nicht einfach nur unmoralisch sind, sondern Ausdruck der kapitalistischen Krisendynamik, in der das Kapital auf verschärfte Ausbeutung, Kriegskurs und sozialen Rückbau setzt, um in der globalen Konkurrenz bestehen zu können.

Unter solchen Bedingungen ist es eine gefährliche Illusion, auf parlamentarische Intervention oder rein symbolischen Protest zu setzen. Selbst wenn die Linkspartei im Bundestag lautstark gegen Kürzungen protestiert, wird sich nichts Grundlegendes ändern, solange es nicht gelingt, auf den Straßen, an Schulen, Universitäten und in Betrieben eine reale Gegenmacht aufzubauen.

Für Revolutionär:innen ergibt sich daraus eine doppelte Aufgabe. Erstens müssen sie den Aufbau dieses Bündnisses aktiv unterstützen, weil es ohne eine Mobilisierung breiter Teile der Klasse keine Möglichkeit gibt, die Angriffe der Regierung abzuwehren. Zweitens eröffnet dieses Bündnis aber auch ein Feld, auf dem sich die Grenzen des Reformismus konkret zeigen werden. Denn spätestens wenn es darum geht, Massenmobilisierung und demokratisch kontrollierte Strukturen wie Aktions- oder Streikkomitees aufzubauen, prallen unterschiedliche strategische Orientierungen aufeinander.

Dies ist kein Nachteil, sondern eine produktive Spannung, die zugunsten revolutionärer Orientierung ausgenutzt werden muss. Revolutionär:innen haben dadurch trotz ihrer geringen Kräfte die Möglichkeit, die Mitglieder zu bewegen – und gleichzeitig ihre eigenen Positionen zu schärfen, indem sie die Tauglichkeit ihrer Strategie im Feuer realer Auseinandersetzungen unter Beweis stellen.

Ein Bündnis, das mehr ist als symbolischer Protest

Es wird für Revolutionär:innen somit darauf ankommen, den sich formierenden Widerstand gegen die Kürzungen als Hebel zum Aufbau realer Gegenmacht zu begreifen, ohne sich Illusionen über die Wandelbarkeit der Linkspartei hinzugeben. Das Aufbaukonzept des KV Darmstadt verbindet dabei notwendige Abwehrforderungen – wie die Verteidigung der Sozialleistungen, die Sicherung der Gesundheitsversorgung oder den Schutz des Achtstundentags – mit Forderungen, die auf eine unmittelbare Verbesserung der Lage abzielen, wie eine progressive Besteuerung großer Vermögen, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, ein öffentlicher Gesundheitssektor unter demokratischer Kontrolle, der nicht länger durch das Profitmotiv bestimmt wird.

Solche Forderungen sind nicht revolutionär im engeren Sinne. Aber sie sind hochgradig mobilisierungsfähig, weil sie an die konkreten Interessen der Lohnabhängigen anknüpfen. Sie schaffen die Möglichkeit, Menschen in Bewegung zu setzen, die den politischen Frust der vergangenen Jahre in kollektives Handeln überführen wollen.

Die Rolle der Reformist:innen – und warum ihr Verhalten entscheidend wird

Gerade weil der Vorschlag aus der Partei selbst kommt, hat er eine besondere Funktion: Er testet die Entschlossenheit der reformistischen Parteiflügel. Viele von ihnen bekennen sich rhetorisch zu „sozialistischer Perspektive“ und dem Konzept einer „organisierenden Klassenpartei“, aber vermeiden in der Praxis jede strategische Zuspitzung. Ein bundesweites Bündnis gegen die Kürzungen, das die Basis der Partei in Bewegung bringt und von dieser getragen wird, bietet das Potenzial, die Führung zu testen und unter Zugzwang zu setzen.

Wenn die Basis der Partei gegen die Angriffe mobilisiert, muss die Führung der Partei zeigen, ob sie tatsächlich bereit ist, aus der parlamentarischen Komfortzone auszubrechen und sich an dem Aufbau einer breiten, kämpferischen Bewegung zu beteiligen –, oder ob sie den Widerstand gegen die Regierung lieber auf symbolischen Protest und parlamentarische Opposition begrenzen möchte.

Wenn die Reformist:innen den konsequenten Kampf verweigern, entlarvt das ihre Grenzen vor den Augen der Mitglieder und Sympathisant:innen. Wenn sie sich bewegen, zeigt es, dass Druck von links wirksam ist. Beide Szenarien sind lehrreich – und beide stärken revolutionäre Kräfte innerhalb der breiteren Bewegung.

Perspektive und Verantwortung

Der Aufbau eines bundesweiten Bündnisses gegen die Kürzungen ist deshalb ein entscheidender Schritt – nicht nur, weil er realen Widerstand ermöglicht, sondern weil er die Frage stellt, die im Kern jeder revolutionären Politik steht: Wer handelt? Wer entscheidet? Wer bestimmt über die gesellschaftlichen Prioritäten? Letztlich: Welche Klasse hat die Macht?

Streik- und Aktionskomitees, demokratisch organisierte Bündnisstrukturen, die eine politische Debatte und kollektive Entscheidungsfindung ermöglichen, können ein Feld der Auseinandersetzung sein, in dem Kommunist:innen für ihre Perspektive werben können.

Ein solches Bündnis kann zu einer Schule des Kampfes werden, in der Menschen lernen, dass sie nicht Objekt, sondern Subjekt gesellschaftlicher Veränderung sind. In der erfahren Menschen, dass politische Theorien und Strategien kein nutzloser Zusatz praktischer Politik, sondern Voraussetzung kollektiver Handlungsfähigkeit sind.

Schluss: Die Aufgabe liegt vor uns – und sie duldet keinen Aufschub!

Die Merz-Regierung hat ihre Offensive begonnen, bevor viele überhaupt realisiert haben, was auf sie zukommt. Wenn wir nicht handeln, wird sich die Lage der Lohnabhängigen drastisch verschlechtern – und die Rechten werden davon profitieren.

Der Vorschlag aus Darmstadt bietet ein Instrument, diese Dynamik zu durchbrechen. Er eröffnet den Raum für kollektiven Widerstand und schafft die Möglichkeit, eine soziale Bewegung aufzubauen, die über symbolischen Protest hinausgeht. Für Revolutionär:innen ist dies nicht irgendeine Gelegenheit, sondern eine strategische Aufgabe, die sie anpacken sollten.

Wir dürfen dabei keine Illusionen in den Reformismus hegen. Gleichzeitig ist es nur im Kampf selbst möglich, seine Grenzen sichtbar zu machen und Menschen für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen.

In diesem Sinne rufen wir alle klassenkämpferischen und revolutionären Kräfte innerhalb der Linken dazu auf, die Initiative zu unterstützen und das vom Kreisverband Darmstadt beschlossene Strategiepapier auch in ihren Verbänden zur Diskussion und Abstimmung zu stellen. Jetzt ist die Zeit, den Kampf zu führen. Nicht später. Nicht irgendwann. Jetzt.

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Für eine Uni des gesellschaftlichen Fortschritts

Revolutionäres Aktionsprogramm

Buch, A 5, 100 Seiten, 6,- Euro

Vom Widerstand zur Befreiung

Für ein freies, demokratisches, sozialistisches Palästina!

Broschüre, A4, 48 Seiten, 3,- Euro

Lage der Klasse – Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Internationalismus. Revolutionäres Sommercamp 2025