Arbeiter:innenmacht

Gewalt gegen Frauen ist kein Versehen: Warum der Kapitalismus patriarchale Gewalt reproduziert

Leonie Schmidt, Infomail 1298, 25. November 2025

In Krisenzeiten kommt es zu einem Anstieg von Gewalt gegen Frauen, das ist kein Geheimnis. Umso wichtiger werden Frauenhäuser als unverzichtbare Schutzräume. Denn die Täter kommen bei einem Femizid oftmals aus dem eigenen Umfeld. Sie fühlen sich gekränkt, wollen ihre Macht demonstrieren und greifen zu Gewalt, um ihre Rolle als Mann in der Familie zu verteidigen. Rund 50.000 Frauen und Mädchen weltweit sind im vergangenen Jahr von Partnern oder Familienangehörigen getötet worden. 2023 wurden in der BRD 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten (+1,0 Prozent, 2022: 929). Dies entspricht einem Anteil von 32,3 Prozent aller Opfer von Tötungsdelikten. Außerdem ereignet sich nicht mehr „nur” alle zwei Tage ein Femizid, sondern mittlerweile fast täglich. Frauen und Mädchen werden in Deutschland ca. alle 3 Minuten Opfer häuslicher Gewalt. Denn: Häusliche Gewalt beginnt in der Regel nicht erst mit einer Tötung, oftmals geht dieser schon psychische Gewalt, Kontrolle über die Selbstbestimmung der Betroffenen und natürlich auch körperliche Gewalt bevor.

Mangel an Schutz

Einige wenige Hilfsangebote, die uns der bürgerliche Staat in Deutschland zugesteht, sind Frauenhäuser. Doch denen mangelt es schlichtweg an Plätzen für die Betroffenen. Bundesweit stehen nur 7.700 Plätze zur Verfügung, während der Bedarf – laut Istanbuler Konvention – bei 21.000 liegt. Demnach müssen tagtäglich Schutzsuchende abgewiesen werden: In einer kürzlich veröffentlichten Kostenstudie gaben die befragten Frauenhäuser für das Jahr 2022 an, dass sie 10.114 Frauen mit Kindern und 6.268 Frauen ohne Kinder aufgrund von Platzmangel abweisen mussten. Hinzu kommt die problematische Finanzierung, diese ist nicht flächendeckend geregelt, sondern je nach Region unterschiedlich. Das führt z. B. dazu, dass Frauen und Mädchen, die keine Sozialleistungen oder  Bürger:innengeld beziehen, oftmals dazu gezwungen sind, die Kosten selbst zu tragen. Mehr als jede vierte Frau musste 2023 ihren Aufenthalt im Frauenhaus teilweise oder vollständig selbst bezahlen. Dabei variieren die Kosten je nach Region von 10–150 Euro pro Tag und Person. Das betrifft besonders häufig ohnehin marginalisierte Gruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund, arme Frauen oder Studierende und führt dazu, dass diese sich zunehmend verschulden. Zusätzlich gilt der Aufenthalt im Frauenhaus auch als Armutsrisiko: Nach dem Frauenhausaufenthalt stehen zwei Drittel (65 %) der ehemaligen Bewohner:innen im SGB-II-Leistungsbezug. Vor dem Aufenthalt waren es nur 38 %. Die Statistik für 2023 zeigt zudem, dass während des Frauenhausaufenthaltes der Anteil von erwerbstätigen Frauen von 23 % auf 15 % zurückging.

Was macht die Regierung (nicht)

Trotz dessen, dass am 14. Februar 2025 das Gewalthilfegesetz vom Bundeskabinett beschlossen wurde, lassen die versprochenen Hilfeleistungen auf sich warten. Durch das Gesetz gibt es zwar einen Rechtsanspruch auf eine kostenfreie und bedarfsgerechte Hilfe oder Beratung für Gewaltbetroffene sowie eine gesicherte Finanzierung, an der sich der Bund beteiligt. Doch problematisch bleibt nach wie vor: Der Rechtsanspruch wird wohl erst 2032 in Kraft treten (!). In den nächsten 7 Jahren werden also weitere Betroffene abgewiesen werden müssen. Außerdem sieht der Rechtsanspruch zwar ein Anrecht auf Hilfe vor, aber keinen Anspruch auf einen Platz in einem Frauenhaus. Zugleich bedeutet das, dass künftig keine Einrichtung gezwungen sein wird, eine bestimmte Frau aufzunehmen. Inter und trans Personen sind außerdem vom Gewalthilfegesetz nicht geschützt.

Zusätzlich haben wir es in der Krise natürlich mit Kürzungen zu tun, so weit wie das Auge reicht. Die Haushaltskürzungen der Berliner Landesregierung geben hierbei einen Vorgeschmack, wie es aussehen kann. Diese haben vor allem Kultur-, Sozialprojekte und Infrastruktur getroffen, was wiederum bedeutet, dass a) Einsparungen und Kürzungen vor allem in Branchen stattfinden, in denen vermehrt Frauen arbeiten, und b) Reproduktionsarbeit systematischer ins Private gedrängt wird, was somit die Doppelbelastung für Frauen steigert. Während also formal ins Koalitionspapier lose Versprechungen getippt wurden, wird die materielle Basis, diese zu erfüllen, unterhöhlt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ziel, Frauen vor Gewalt besser zu schützen, während gleichzeitig Beratungsstellen wegfallen oder Frauen sich nicht trennen können, weil man dazu Geld braucht, dieses aber durch Kürzung, Kündigung oder Unterbezahlung nicht ausreicht.

Auch die Abtreibung wird unter dem Kabinett Merz nicht legalisiert und das obwohl der Hauptgrund – zumindest in den USA, für Deutschland existieren solche Untersuchungen nicht – für den Tod von Frauen während oder direkt nach der Schwangerschaft ein Femizid ist (Wallace et al. 2021).

Die Situation wird sich in den nächsten Jahren also erst mal weiter verschärfen. Auch bei der versprochenen Umsetzung des Gewalthilfegesetztes sollte klar sein: Solche Maßnahmen bekämpfen lediglich Symptome, nicht jedoch die Ursache: ein System, das auf Profitmaximierung und geschlechtsspezifischer Ausbeutung basiert.

Warum es zu häuslicher Gewalt kommt

Um einen effektiven Weg zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu finden, muss erst einmal geklärt werden, wie es überhaupt dazu kommt. Kleinbürgerliche Feminist:innen versuchen, das entweder mit der Natur des Mannes oder der Rückschrittlichkeit der Kultur oder Klasse zu erklären, in welchen die Gewalt stattfindet. Als Marxist:innen ist uns bewusst, dass häusliche Gewalt nur mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse erklärt werden kann. Denn sie findet nicht außerhalb der Gesellschaft statt, das Private ist nicht einfach unpolitisch, im Gegenteil: Häusliche Gewalt findet im Rahmen der bürgerlichen Familie oder einer ihr ähnlichen Beziehung statt, welche als Institution elementar für das Fortbestehen des Kapitalismus ist.

Während die bürgerliche Familie in der herrschenden Klasse eine andere Funktion hat, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, übernimmt sie in der Arbeiter:innenklasse wesentliche Aufgaben zur Reproduktion der Klasse selbst und somit letztendlich auch des Kapitalismus. Denn hier findet die Reproduktion der Ware Arbeitskraft statt, was alle Tätigkeiten meint, die notwendig sind, damit die Arbeitenden am nächsten Tag wieder am Arbeitsplatz erscheinen und ihrer Arbeit nachgehen können. Darunter zählt also Kochen, Putzen, Wäsche Waschen, aber auch emotionale Sorgearbeit. Auch die Erziehung von Kindern fällt mit unter diese Kategorie, damit sich so die Arbeiter:innenklasse als Ganze neu reproduzieren kann.

Um eine für das Kapital so günstig wie mögliche Reproduktion durchzusetzen, wird diese ins Private gedrängt. Die Arbeiten werden vor allem von Frauen unentlohnt verrichtet. Dies bildet die Basis für reaktionäre Rollenbilder, so dass diese ihrerseits stetig zur Reproduktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung beitragen. Das beginnt schon im Kleinkindalter durch Sozialisierung und erstreckt sich über das ganze Leben.

Die Familie existierte aber nicht schon immer, sondern entwickelte sich über die Klassengesellschaften zur heutigen Form hin und die konkrete Ausprägung heutzutage ist von der jeweiligen Gesellschaftsverfassung abhängig. Im Allgemeinen gilt der Mann als Ernährer der Familie, wohingegen die Frau als Hausfrau tätig wird. Das ist natürlich ein Ideal, was besonders für die Arbeiter:innenklasse schwer zu erreichen ist, jedoch zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs zumindest für die bessergestellten Schichten der Lohnabhängigen ansatzweise etabliert werden kann. Zugleich wird sowohl mit der Expansion des Kapitalismus wie auch in der Krise die ökonomische Basis der lohnabhängigen Familie massiv unterhöhlt.

Betrachten wir Deutschland, so geht es vor allem um die Auswirkungen der Krise. Die Frauen müssen auch Lohnarbeit nachgehen, um die Existenz der Familie abzusichern, während gleichzeitig der Lohn des Mannes nicht mehr zu deren Ernährung ausreicht. Hinzu kommen Angriffe auf die Rechte der Arbeiter:innenklasse und die sozialen Absicherungen wie Sozialleistungen oder Krankenkassen (siehe Änderungen bzgl. Arbeitslosengeld des Kabinett Merz und die Diskussionen Krankheitstage nicht mehr zu bezahlen und mehr medizinische Behandlungen selbst übernehmen zu müssen), um die Profite des imperialistischen Finanzkapitals zu sichern und dem Fall der Profitraten entgegenzuwirken. Solche Krisen sind ein Kennzeichen für die Periode, in welcher wir uns aktuell befinden.

Die Krise der Familie bildet also die strukturelle Grundlage der Gewalt gegen Frauen in der Arbeiter:innenklasse innerhalb von Familien oder partnerschaftlichen Beziehungen, welche der Familie ähneln. Denn durch diese hat der Mann das Problem, dass er der Rollenerwartung als Ernährer der Familie nicht mehr nachkommen kann, während die Frauen einerseits in die Lohnarbeit gezwungen werden und andererseits aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor, in welchem sie oft tätig sind, nicht die Möglichkeit haben, dem Täter zu entfliehen. Dieses widersprüchliche Verhältnis zwischen Idealbild, Geschlechterrolle und Notwendigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt ist nicht im Rahmen des Kapitalismus aufzulösen und sorgt letzten Endes in seiner Unabdingbarkeit und Perspektivlosigkeit auch dafür, dass die extremste Form der häuslichen Gewalt, der Femizid, zu Tage dringt. Somit kann sich der Täter noch ein letztes Mal über das Opfer stellen.

Durch diese Analyse wird also auch klar, warum die herrschende Klasse gar kein Interesse hat, grundlegend gegen häusliche Gewalt vorzugehen, denn auf der einen Seite gehört die Einsparung im Sozialsicherheitssystem schließlich zum Rettungsschirm des Finanzkapitals und auf der anderen Seite müsste sie sonst die Institution der bürgerlichen Familie angreifen, welche zu den Grundfesten des kapitalistischen Systems gehört. Des Weiteren ist es auch im Sinne des herrschenden Klasse, wenn Frauen auch in ihrer Familie unterdrückt bleiben und sich nicht von ihren Geschlechterrollen zu befreien versuchen. Diesen Punkt kann man gut erkennen an den Teilen der herrschenden Klasse Deutschlands, welche an der bürgerlichen Familie festhalten wollen, indem sie diese verstärkt propagieren, die Ehe als heilig zwischen Mann und Frau ansehen, Abtreibungen z.B. nicht legalisieren wollen und Beratungsstellen einfach wegkürzen. Besonders deutlich sieht man es natürlich auch an Merz persönlich, der im letzten Jahrhundert noch dagegen stimmte, dass die Vergewaltigung in der Ehe eine Straftat ist und heutzutage nur auf die „antisexistische“ Tränendrüse drückt, wenn es gilt, Migranten zu diffamieren.  Diese Analyse macht auch klar, warum besonders die Ärmsten und am stärksten unterdrückten Teile der Arbeiter:innenklasse von jener Gewalt betroffen sind.

Gegen die immer weiter ansteigende Krise und die Gewalt gegen Frauen müssen wir uns organisieren und protestieren. Klar ist aber, dass diese Proteste nicht bei dieser einen Frage stehen bleiben dürfen. Es gilt, eine breite Massenbewegung aus Frauen, Lohnabhängigen, und sozial Unterdrückten aufzubauen, welche für klare Forderungen und ein klares Programm hinsichtlich der Unterdrückung von Frauen und LGBTIA+-Personen eintritt. Hierbei müssen auch die Gewerkschaften aufgefordert werden, sich zu beteiligen. Des Weiteren darf diese Bewegung auch nicht im nationalen Rahmen stehen bleiben, sondern muss international aufgebaut werden. Diese Forderungen könnten sein:

  • Beendigung der Gewalt gegen Frauen und die LGBTIA+-Gemeinschaft! Wir müssen freie Frauenhäuser, Hilfs- und Selbstverteidigungskomitees gegen Femizid, Genitalverstümmelung, häusliche und andere Formen von Gewalt organisieren.
  • Volle reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung für alle, überall! Alle Frauen sollten Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln und Abtreibung auf Verlangen haben. Frauenhäuser müssen vom Staat finanziert, aber von den Frauen selbst verwaltet werden.
  • Gleicher Lohn für Frauen! Für einen Mindestlohn und Renten, die Frauen ein unabhängiges Leben ohne Armut ermöglichen! Kampf gegen Preissteigerungen bei Wohnen, Energie und Waren des täglichen Bedarfs – für eine gleitende Skala bei Löhnen, Renten und Arbeitslosengeld, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu decken!
  • Massive Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Dienste von angemessener Qualität und kostenlos für alle als Schritt zur Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit!
  • Lasst die Kapitalist:innen und die Reichen zahlen, um gleiche Rechte und gleichen Lohn zu gewährleisten!

Natürlich dürfen wir uns aber auch keine Illusion machen, dass wir patriarchale Gewalt im Kapitalismus einfach wegreformieren könnten. Es gilt, den Kapitalismus mitsamt seinen Institutionen zur Unterdrückung von Frauen, LGBTIA-Personen und der Arbeiter:innenklasse zu zerschlagen und für eine solidarische Gesellschaft auf Basis von vergesellschafteter und demokratisch geplanter Produktion und Reproduktion sowie Rätemacht einzutreten. Das heißt auch, dass das Ideal der bürgerlichen Familie dann das Zeitliche gesegnet hat und sich Rollenbilder auflösen werden dadurch, dass die Reproduktionsarbeit bspw. durch gemeinsame Mensen und Waschküchen vergesellschaftet wird. Dazu braucht es mehr als Bewegungen – eine politische Kraft, die gegen alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung führt, eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei.

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