Arshad Shehzad, Revolutionary Socialist Movement (Pakistan), Infomail 1296, 27. Oktober 2025
Der Waffenstillstand zwischen Pakistan und Afghanistan wurde bis zum Abschluss der Verhandlungen in Doha verlängert. Die nächste Runde fand am 25. und 26. Oktober in Istanbul statt. Trotz dieser vorübergehenden Ruhe bleibt die Lage in der Region aber weiterhin angespannt, zumal die Verhandlungen in der Türkei zu keiner längerfristigen Einigung führten.
Fünf Tage intensiver Kämpfe entlang der Durand-Linie (1893 festgelegte britische Demarkationslinie zwischen Afghanistan und Indien/Pakistan), pakistanische Luftangriffe auf Kabul und widersprüchliche Behauptungen von beiden Seiten zeigen, dass die Politik, die von Pakistan seit zwei Jahrzehnten im Namen des „Kriegs gegen den Terror“ verfolgt wird, ein totaler Reinfall ist.
Die Zahlen der Opfer sind nach wie vor stark umstritten. Das pakistanische Militär meldete 23 Tote unter seinen Soldat:innen und behauptete, über 200 afghanische Soldat:innen getötet zu haben. Der Sprecher der afghanischen Regierung, Zabiullah Mudschahid, widersprach dem mit der gegenteiligen Behauptung: 58 getötete pakistanische Soldat:innen gegenüber neun eigenen Verlusten. Hinter diesen Statistiken verbirgt sich jedoch eine viel wichtigere Realität: Die einfachen Leute und die Arbeiter:innenklasse auf beiden Seiten sind die wahren Opfer dieser Auseinandersetzungen.
In den letzten Monaten hat Pakistan mehrere Angriffe auf Afghanistan gestartet. Diese führten im Dezember 2024 zum Tod von 46 Menschen in der Region Barmal in Paktika und im August 2025 zum Tod mehrerer Zivilisten in Khost und Nangarhar. Pakistan hat zwar keine offizielle Verantwortung übernommen, aber die Offensiven als Operationen gegen Verstecke der Taliban bezeichnet.
Dieser Konflikt ist mehr als nur ein Grenzstreit; er ist das logische Ergebnis jahrzehntelanger staatlicher Politik. Der Aufstand der Tehrik-i-Taliban Pakistan (Bewegung der pakistanischen Taliban; TTP) ist eine direkte Folge der reaktionären und doch widersprüchlichen Afghanistan-Strategie Pakistans: Auf Geheiß der USA Unterstützung der Mudschahidin gegen die Sowjetunion, später Unterstützung der afghanischen Taliban bei der Eroberung Kabuls und gleichzeitig Unterstützung der USA im „Krieg gegen den Terror“.
Die Kosten dieser Politik wurden von der paschtunischen Arbeiter:innenklasse und dem afghanischen Volk getragen. Militäroperationen in der paschtunischen Region, Zwangsumsiedlungen und die Unterdrückung von Forderungen nach lokaler Autonomie haben unbeabsichtigt den Einfluss der Taliban gestärkt. Der sogenannte „Anti-Terror-Ansatz“ des Staates ist in Wirklichkeit ein Versuch, die Stammesgebiete militärisch zu kontrollieren.
Genau hier haben Gruppen wie die Pashtun Tahafuz Movement (PTM; Paschtunische Schutzbewegung) und die Pakhtunkhwa Olasi Tehreek (POT; Paschtunische Volksbewegung) ein Ende des Krieges, den Abzug des Militärs und die lokale Kontrolle über die Ressourcen gefordert. Diese Operationen haben zur Binnenvertreibung von Millionen Paschtun:innen und zum Tod von Tausenden geführt. Paradoxerweise hat die Stärke der Taliban nach jeder sogenannten „Friedensoperation“ eher zugenommen als abgenommen. Auch heute noch werden täglich Angriffe auf die paschtunische Bevölkerung der Stammesregion im Namen der Bekämpfung der Taliban verübt.
Die milliardenschweren Mineralvorkommen – vor allem Lithium und andere seltene Mineralien – in Khyber Pakhtunkhwa und den zusammengeschlossenen Stammesgebieten sind für den globalen Kapitalismus extrem interessant. Dieser Kontext prägt die Politik des Staates. Das Bergbau- und Mineraliengesetz von Khyber Pakhtunkhwa aus dem Jahr 2025 und die Vorschläge zur erneuten Trennung der Stammesgebiete sind im Grunde genommen Blaupausen, um den Weg für Unternehmensinteressen zu ebnen.
Unter dem Deckmantel der „Entwicklung“ löst der Staat das Gemeinschaftseigentum auf, um dem globalen Kapital die Tür zu öffnen. Die Ressourcen, die dem paschtunischen Volk gehören, werden unter dem irreführenden Banner des „nationalen Interesses“ auf den globalen Markt gebracht. Die Unruhen, die durch die TTP und die Grenzkonflikte ausgelöst werden, sind im Grunde eine Taktik, um den öffentlichen Widerstand gegen diese offensichtliche Plünderung zu unterdrücken.
Die aktuelle Militärpolitik Pakistans ist eine Fortsetzung des veralteten Konzepts der „strategischen Tiefe“, das erstmals in den 1980er Jahren von der Regierung ins Leben gerufen wurde. Während des Konflikts zwischen den USA und der Sowjetunion wollte Islamabad Afghanistan zu einer „Halbkolonie“ machen, um durch eine Marionettenregierung einen Verteidigungsvorteil gegenüber Indien zu erlangen. Diese Politik instrumentalisierte die Mudschahidin, organisierte die Taliban und schuf später die ideologische Unterscheidung zwischen „guten“ und „bösen“ Taliban.
Die zentrale Rolle Pakistans in den Verhandlungen von Doha erleichterte die Rückkehr der Taliban an die Macht. Genau diese Politik ist jetzt aber zu einer Schlinge um den Hals des Staates geworden. Der Aufstand der TTP, Grenzscharmützel, regionale Isolation und interne politische Unruhen sind alles Symptome des Scheiterns der „strategischen Tiefe“. Pakistans Plan, Afghanistan zu einer „zweiten Front“ zu machen – ein Versuch, seine Position in der imperialistischen Weltordnung zu verbessern – ist komplett fehlgeschlagen.
Die Forderung der pakistanischen Regierung, dass die afghanischen Behörden die TTP kontrollieren sollen, ist eine grundlegende Fehleinschätzung. Der pakistanische Staat war zuversichtlich, dass die afghanischen Taliban, sobald sie in Kabul an der Macht sind, die TTP in den Griff bekommen würden. Aber die afghanischen Taliban wissen, dass jede aggressive Aktion gegen die TTP deren Kämpfer:innen in Richtung ISIS (Islamischer Staat) treiben und möglicherweise zu einer Spaltung innerhalb ihrer eigenen Reihen führen könnte, da die Taliban keine einheitliche, monolithische Kraft sind. Entscheidend ist, dass regionale Kommandeur:innen seit Jahrzehnten mit der TTP verbündet sind und viele in Afghanistan stationierte TTP-Kämpfer:innen mittlerweile familiäre Bindungen zu den afghanischen Taliban haben.
Die pakistanische Regierung begründet die Ausweisung von Afghan:innen mit Sicherheitsbedenken, obwohl die eigentlichen Gründe politischer Natur sind. Diese Politik hat schon zur Vertreibung von Millionen Afghan:innen geführt. Diese Flüchtlinge, von denen viele seit Jahrzehnten in Pakistan leben, sind jetzt Ziel staatlicher Vergeltungsmaßnahmen. Als Afghan:innen aus der Arbeiter:innenklasse haben sie vier Jahrzehnte lang als billige Arbeitskräfte im pakistanischen Bau-, Industrie- und Agrarsektor gearbeitet. Ihre dritte oder vierte Generation sieht Afghanistan jetzt als fremdes Land. Durch jahrzehntelange harte Arbeit haben sie sich in Pakistan eine Existenz, ein Zuhause und Beziehungen aufgebaut. Ihre zwangsweise Abschiebung in das von den Taliban regierte Afghanistan bedeutet die Zerstörung ihres Lebens und ihrer Gemeinschaften, die sich neben der lokalen Bevölkerung entwickelt haben.
Das Leben und die Zukunft schutzbedürftiger Gruppen – insbesondere von Frauen, Mädchen, ethnischen und sexuellen Minderheiten, der Minderheit der Hazara, von Journalist:innen und Personen, die mit der ehemaligen Regierung oder internationalen Organisationen in Verbindung stehen – sind in Afghanistan ernsthaft gefährdet. Ihre Verhaftungen, Zwangsabschiebungen und die Beschlagnahmung ihres Eigentums sind nicht nur unmenschlich, sondern stellen auch eine extreme Form der Klassenunterdrückung dar.
Die pakistanische Kapitalist:innenklasse hat lange von der Arbeit dieser Flüchtlinge profitiert und lenkt jetzt die Aufmerksamkeit von ihren eigenen systemischen Versäumnissen ab, indem sie sie als „Sicherheitsbedrohung“ darstellt.
Die militärischen Zusammenstöße mit Indien im Mai und die anschließende Verbesserung der Beziehungen zur Trump-Regierung haben der pakistanischen herrschenden Klasse einen Funken falscher Hoffnung gegeben. Der Druck des US-Präsidenten, die Bagram Air Base (Afghanistan) zu übergeben, und die Drohung mit einem Angriff auf Afghanistan zeigen den Konflikt der Interessen zwischen den Weltmächten.
Der pakistanische Staat ist ein aktiver Teilnehmer an dieser imperialistischen Rivalität und verbündet sich mal mit China, mal mit den USA. Aber das ultimative Ziel bleibt immer dasselbe: der Schutz des kapitalistischen Profits, was unweigerlich zur Unterdrückung der Arbeiter:innenklasse und marginalisierter Nationen führt.
Die revolutionären Sozialist:innen verurteilen die Aggression Pakistans gegen Afghanistan auf das Schärfste. Die pakistanische Arbeiter:innenklasse muss diesen Krieg ablehnen und sich gegen ihre eigene herrschende Klasse vereinen, um den reaktionären Konflikt zu beenden, den Abzug der pakistanischen Truppen von den Grenzen zu fordern und die Militäroperationen in Khyber Pakhtunkhwa zu beenden. Es ist die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse und der progressiven Kräfte, die reaktionären islamistischen Bewegungen zu bekämpfen – nicht die des pakistanischen Staates, dessen eigene reaktionäre Politik ihr Wachstum tatsächlich fördert.
Dieser Konflikt ist im Grunde ein Krieg der kapitalistischen Ausbeutung und imperialistischer Interessen, der darauf abzielt, die Ressourcen der Region zu erbeuten und den Widerstand der Bevölkerung zu brechen. Wir sind zwar gegen die reaktionäre, islamistische, frauenfeindliche und kapitalistische Regierung der afghanischen Taliban, aber wir sind auch gegen jede imperialistische oder pakistanische staatliche Intervention, um sie zu stürzen. Wir glauben, dass Afghanistan das Recht auf Selbstverteidigung gegen ausländische Interventionen hat. Die Freiheit und der Fortschritt des afghanischen Volkes können nur durch revolutionäre Massenbewegungen, Arbeiter:innenorganisationen und Volkskomitees erreicht werden.
Ein vereinigter Kampf der Arbeiter:innenklasse in Afghanistan, Paschtunistan und ganz Pakistan ist die einzige Kraft, die nicht nur die Unterdrückung durch die Taliban und den pakistanischen Staat besiegen, sondern auch die imperialistische Vorherrschaft in der Region beenden kann. Es ist dringend notwendig, dass die arbeitenden Menschen der Region – Pakistaner:innen, Afghan:innen und Paschtun:innen – eine gemeinsame revolutionäre Front bilden, um alle drei Kräfte herauszufordern: den Imperialismus, die Taliban und die staatliche Unterdrückung. Dabei müssen sie die heutigen Kämpfe mit dem umfassenderen Kampf verbinden, um das System zu stürzen, das Krieg, Terrorismus und Zerstörung aufrechterhält.