Arbeiter:innenmacht

Britannien: Die neue linke Partei muss die Klasse an erste Stelle setzen

KD Tait, Workers Power, Infomail 1291, Donnerstag, 4. September 2025

Die Stimmung in Großbritannien ist gerade ziemlich deprimiert: Gemeinden sind von Sparmaßnahmen erschöpft, Arbeiter:innen werden bis zum Äußersten ausgepresst und ganze Generationen werden dazu gebracht, den Niedergang einfach hinzunehmen.

Die Arbeiter:innenfamilien, die Jugend und die Ausgegrenzten, die einst in der Labourpartei einen Schutzschild gegen die Verwüstungen der neoliberalen Offensive sahen, erleben heute, dass nur noch mehr Sparmaßnahmen, Militarismus und die Beihilfe zum Völkermord in Gaza propagiert werden.

Das ist der Hintergrund, der die Begeisterung für die neue linke Partei hervorgebracht hat, die von Jeremy Corbyn und Zarah Sultana gegründet wird. Diese Begeisterung muss in eine grundlegende Aufgabe kanalisiert werden: den Aufbau einer Partei, die sich nicht nur für sozialistische Politik einsetzt, sondern auch für die Methode der sozialistischen Transformation, die in der Entwicklung der organisierten Macht der Arbeiter:innenklasse in unseren Gemeinden, unseren Gewerkschaften und unseren sozialen Bewegungen verwurzelt ist.

Die Unterstützung für eine neue Partei wird durch echten Verrat angeheizt. Jahrzehntelang hat Labour seine Basis in der Arbeiter:innenklasse politisch als Sicherheit ausgenutzt, während sie für das Kapital gearbeitet hat. Jetzt sehen die Leute, dass sogar die begrenzten Reformen, die ein Nebenprodukt davon waren, vorbei sind. Die Lebenshaltungskosten übersteigen die Löhne, der öffentliche Nahverkehr bricht zusammen, Mieten und Nebenkosten steigen, Krankenhäuser sind unterfinanziert, und gleichzeitig blüht die Profitgier.

Das Scheitern des Corbyn-Projekts innerhalb der Labourpartei von 2015 bis 2019 war kein Scheitern der Politik – die nach wie vor überwältigend populär war –, sondern ein Scheitern bei der Organisation der neuen Massenmitgliedschaft, um eine feindselige bürokratische Maschinerie und Parlamentspartei zu ersetzen. Dies spiegelte seine Ansicht wider, dass Labour die nächsten Wahlen nur als „breite Kirche“ mit der Labour-Rechten gewinnen könne und daher nicht unter die demokratische Kontrolle ihrer Mitglieder gestellt werden dürfe.

Die neue Partei kann es sich nicht leisten, denselben Fehler zu machen. Ihr Erfolg wird nicht an Umfragewerten oder gar Parlamentssitzen gemessen werden, sondern an ihrer Fähigkeit, als politische Waffe für die Arbeiter:innenklasse zu agieren, ihre Kämpfe zu verstärken und ihr Selbstvertrauen und ihre Fähigkeit zum Handeln zu stärken.

Ein sozialistisches Programm

Die neue Partei muss sich in erster Linie darüber definieren, wem sie dient – nicht den Wirtschaftslobbys, nicht den technokratischen Berater:innen, sondern der Arbeiter:innenklasse. Als Minimum sollte sie Folgendes fordern:

  • Öffentliches Eigentum unter der Kontrolle der Arbeiter:innenklasse in den Bereichen Energie, Verkehr, Wohnen, Wasser und Post – verbunden mit einem demokratischen Wirtschaftsplan, nicht den Launen des Marktes.
  • Eine umweltpolitische und infrastrukturelle Wende, die auf Arbeitsplätzen, Gerechtigkeit und sozialem Eigentum basiert – massive Investitionen in erneuerbare Energien, umweltfreundlicher sozialer Wohnungsbau, neue öffentliche Verkehrsmittel und Infrastruktur.
  • Existenzsichernde Löhne, volle Gewerkschaftsrechte, Arbeitsplatzsicherheit – Beendigung der Prekarität, Abschaffung von Null-Stunden-Verträgen, Wiedereinführung von Tarifverhandlungen und Einführung einer Charta der Arbeit„nehmer“:innenrechte.
  • Rechte für Migrant:innen und Flüchtlinge, nicht nur hier zu leben und zu arbeiten, sondern auch volle und gleiche Bürger:innenrechte zu genießen.
  • Progressive Besteuerung und Umverteilung von Reichtum, die sich an die Superreichen und Unternehmen richten, um soziale Leistungen zu finanzieren: Wohnen, Gesundheitsversorgung, Bildung, Pflege und lokale Dienstleistungen.
  • Antiimperialistische Solidarität, Austritt aus der NATO und Veröffentlichung ihrer geheimen Dokumente, Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe und Beendigung von Waffenexporten an tyrannische Regime.

Dieses Programm ist bei weitem nicht vollständig, aber es fußt auf alltäglicher Dringlichkeit – einer Politik, die sich an den Bedürfnissen derjenigen orientiert, die schleichende Gewalt, täglichen Kampf und systemische Ausgrenzung erdulden müssen.

Aber wir können auch den Kontext einer wachsenden populistischen und autoritären Rechten nicht ignorieren. In ganz Großbritannien nutzen rechtsextreme Bewegungen den wirtschaftlichen Niedergang, die Wohnungskrise und den Zusammenbruch des politischen Vertrauens aus, um die Wut von den Chef:innen und Milliardär:innen weg und auf Migrant:innen und Minderheiten zu lenken. Indem Labour die Darstellung der Rechten zum Thema Migration akzeptiert hat, hat sie es abgelehnt, die rassistische Schuldzuweisung an Migrant:innen in Frage zu stellen.

Die neue Partei muss unmissverständlich sein: Die Alternative zur extremen Rechten ist der Internationalismus der Arbeiter:innenklasse. Das bedeutet, die Rechte von Migrant:innen und Flüchtlingen zu verteidigen und gegen das „feindliche Umfeld“ zu kämpfen. Es bedeutet, internationale Solidarität zwischen den Arbeiter:innen aufzubauen – denn dieselben Chef:innen, die Migrant:innen unterbezahlen, drücken die Löhne aller.

Die Partei muss Nationalismus ablehnen und sich für die Einheit der Klassen einsetzen – über Grenzen, Sprachen und Sektoren hinweg. Sie muss sich mit Bewegungen verbünden, die sich in jeder Gemeinde gegen Faschismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit wehren.

Der einzige Weg, die extreme Rechte zu besiegen, besteht darin, eine echte materielle Alternative anzubieten – sichere Arbeitsplätze, sozialen Wohnungsbau, öffentliche Dienstleistungen, Würde am Arbeitsplatz – und klarzumachen, dass unsere Klassenfeind:innen nicht die Menschen sind, die Grenzen überschreiten, sondern die Unternehmen, die Arbeitsplätze und Gemeinden zerstören.

Es wäre aber ein großer Fehler, zu glauben, dass friedliche Proteste allein oder das Vertrauen in Polizei und Gerichte gewalttätige rassistische Mobs vor Moscheen und Hotels besiegen könnten. Richter:innen und Polizeichef:innen verteidigen letztendlich die Interessen des Kapitals, nicht die der multiethnischen Arbeiter:innenklasse. Die neue Partei muss organisierte Selbstverteidigung und die Abschaffung der Polizei unterstützen.

Selbstorganisation

Wahlen sind wichtig – als Plattform, um für den Sozialismus zu werben, die Verbrechen des Kapitalismus aufzudecken und in den Gemeinden Fuß zu fassen –, aber nur als Teil einer umfassenderen Strategie. Stimmen sorgen für Sichtbarkeit, Ressourcen und ein bisschen Machtbeteiligung. Aber transformative Politik – echte Veränderung – entsteht dadurch, dass man Gegenmacht an Arbeitsplätzen, in Nachbarschaften, Schulen und Kampagnen aufbaut und diese nutzt, um denen die Macht zu nehmen, die sie derzeit haben.

Ein radikales Manifest ist wichtig, aber nicht genug. Die herrschende Klasse gibt ihre Macht nicht ab, weil eine Mehrheit für einen Machtwechsel stimmt, sondern wenn sie mit einer organisierten Kraft konfrontiert wird, die sie nicht ignorieren kann. Deshalb muss die Hauptfunktion dieser neuen Formation darin bestehen, die Selbstorganisation unserer Klasse zu erleichtern und zu fördern. Das heißt, ihre Struktur muss von unten nach oben und nicht von oben nach unten aufgebaut sein.

Lokale Ortsverbände sollten nicht nur Wahlmaschinen sein, wie es die Labour-Wahlkreise geworden sind. Sie müssen Organisationszentren sein, die in ihren Gemeinden verankert sind. Sie sollten Parteizellen an Arbeitsplätzen einrichten, vor allem in schlecht bezahlten, prekären Branchen – Gastgewerbe, Einzelhandel, Pflege, Reinigung –, deren Aufgabe es ist, Vertrauensleute und einfache Mitglieder zu vernetzen, um für Sicherheit, Bezahlung, Personalausstattung und Solidaritätsaktionen zu kämpfen.

Die Ortsverbände sollten zusammen mit Mietervereinigungen „Volksversammlungen“ organisieren, um gegen die Sparpolitik und die Korruption in unseren Gemeinderäten zu kämpfen, gegen überhöhte Mieten, Zwangsräumungen und Kürzungen von Dienstleistungen vorzugehen und Nachbarschaften mit Arbeitsplätzen in einem gemeinsamen Kampf zu verbinden. Die Parteiratsmitglieder sollten gegen Kürzungen im Haushalt stimmen und die Arbeiter:innenklasse mobilisieren, um gegen alle Kürzungen zu kämpfen.

Die Partei muss für die Bedürfnisse aller unter dem Kapitalismus Unterdrückten kämpfen: Frauen, LGBT+-Personen, rassifizierte Gemeinschaften, Jugendliche und Menschen mit Behinderung. Sie sollte selbstorganisierte Sektionen für diese Gruppen unterstützen und sich für ihre Forderungen einsetzen.

Lokale Parteigruppen müssen Gewerkschaftsgründungen vorantreiben, nicht getrennt von den Gewerkschaften, sondern in Verbindung mit den militanten Mitgliedern an der Basis und nicht mit der Schicht der bürokratischen Funktionär:innen. Wir sollten die gewerkschaftsübergreifende Zusammenarbeit in Fragen der Löhne, der Privatisierung und des ökologischen Wandels unterstützen.

Die Partei muss organisierte Selbstverteidigung und antirassistische Kampagnen unterstützen, um unsere Gemeinschaften zu verteidigen, die Terrorisierung von Migrant:innen durch Faschist:innen und Abschiebungstrupps zu stoppen, rechtsextreme Banden zu demoralisieren und eine politische Alternative der Arbeiter:innenklasse zur Politik der Hoffnungslosigkeit zu fördern. Unter diesen Bedingungen könnte ein unabhängiger Jugendflügel der Partei wie Pilze aus dem Boden schießen.

Die organisierte Arbeiter:innenklasse konzentriert sich in den Gewerkschaften. Jedes sozialistische Projekt, das dies nicht begreift, ist zum Scheitern verurteilt. Die formale, bürokratische Verbindung zu den großen Gewerkschaften war es, die letztendlich die Linke in der Labour Party einschränkte, da die Apparate oft als Bremse für Radikalismus fungierten.

Die neue Partei muss eine andere Beziehung pflegen, die auf der Militanz der Basis, Demokratie und politischer Ausrichtung basiert und direkt durch Solidarität und gemeinsamen Kampf gewonnen wird. Sie sollte ihre Mitglieder ermutigen, die besten Gewerkschafter:innen zu sein, für politische Streiks und eine Strategie der Eskalation gegen die Angriffe der Tories und die Kapitulation von Starmer zu argumentieren.

Das Ziel sollte sein, organische Verbindungen zu den Hunderttausenden von Klassenkämpfer:innen aufzubauen, die Gewerkschaftssitzungen füllen, Streiks organisieren und für Aktionen stimmen. Das ist ein langsamerer, schwierigerer Weg, als sich einen riesigen Scheck und eine Blockstimme von der Zentrale zu sichern, aber es ist die einzige Grundlage, die nicht bürokratisch zurückgezogen werden kann, wenn es hart auf hart kommt.

In einer Welt eskalierender imperialistischer Kriege, des Klimakollapses und des zunehmenden Faschismus ist ein engstirniger nationaler Sozialismus ein Widerspruch in sich. Dieses Projekt muss von Grund auf internationalistisch sein. Die Solidarität mit Palästina ist der Lackmustest. Wir müssen die BDS-Bewegung unterstützen: ein Waffenembargo gegen Israel, vollständiger und sofortiger Rückzug aus seiner Wirtschaft, Haftbefehle für seine Kriegsverbrecher:innen fordern.

Lasst uns mit Arbeiter:innenbewegungen und sozialistischen Parteien in ganz Europa und weltweit zusammenschließen. Wenn französische Arbeiter:innen auf die Straße gehen, müssen wir vor der französischen Botschaft protestieren. Wenn Amazon-Arbeiter:innen in Deutschland oder den USA sich organisieren, müssen wir bereit sein, unsere Aktionen mit ihnen zu koordinieren. Wir sollten uns für die Freizügigkeit von Menschen einsetzen und dem abscheulichen Rassismus des Staates frontal begegnen.

Warum die Partei wichtig ist

Wir erleben mehrere Krisen: Klima, Lebenshaltungskosten, Krieg und eine politische Klasse, die unfähig ist, Veränderungen herbeizuführen. Die Labourpartei zieht sich in ihre blairistische Komfortzone zurück. Die extreme Rechte füllt das Vakuum mit Sündenböcken und nationalistischen Fantasien. Labour traut sich nicht, sich ihnen entgegenzustellen.

Die Hindernisse sind riesig. Die Medien werden unerbittlich feindselig sein. Der Staat wird alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um uns zu stören und zu untergraben. Das Wahlsystem ist brutal gegen neue Parteien ausgerichtet. Es wird enormen internen Druck geben, die Politik zu mildern, kurzfristige Wahlgewinne über die Verankerung in konkreten Organisationen und Kampagnen zu stellen und eher eine linke Interessengruppe als eine Partei des Klassenkampfs zu werden.

Um diesem Druck standzuhalten, muss man sich klar auf die zentrale Aufgabe konzentrieren. Wir gründen keine Partei, um die Krise des Kapitalismus humaner zu bewältigen. Wir schaffen ein politisches Instrument, das der Arbeiter:innenklasse helfen soll, den Kapitalismus zu stürzen und eine neue Gesellschaft aufzubauen. Jede Entscheidung – über Struktur, Strategie und Bündnisse – muss an diesem Maßstab gemessen werden.

Die Energie ist da. Der Hunger nach einer echten Alternative ist spürbar. Die Frage ist, ob wir ihn in etwas Dauerhaftes, Demokratisches und Mächtiges umwandeln können. Das von Corbyn und Sultana initiierte Projekt kann der Katalysator für eine wirklich unabhängige politische Kraft der Arbeiter:innenklasse sein. Aber es wird nur dann erfolgreich sein, wenn es sich daran erinnert, dass Sozialismus nicht für die Arbeiter:innenklasse getan wird, sondern die Handlung der Arbeiter:innenklasse selbst sein muss, organisiert, selbstbewusst und kämpfend für ihre eigene Emanzipation.

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