Arbeiter:innenmacht

Der Kampf um die Ukraine – nächste Runde

Basque mapping, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Martin Suchanek, Neue Internationale 294, September 2025

Gibt es Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine oder nicht? Treffen Putin, Selenskyj (und Trump) einander zu Gesprächen? Werden hinter den Kulissen Bedingungen für ein Ende der Kampfhandlungen ausgehandelt oder doch nicht? Endet der Krieg um die Ukraine oder zieht er sich auf unbestimmte Dauer weiter hin?

Die „Kremlogie“ hat ebenso wie die „Trumpologie“ Hochkonjunktur. Ihr Gehalt erinnert an Hellseherei. Niemand weiß darauf eine definitive Antwort – und zwar aus mehreren Gründen. Erstens wird das weitere Schicksal der Ukraine und v. a. der ukrainischen Arbeiter:innen und Bäuer:innen trotz zahlreicher Tweets, Pressekonferenzen und halboffizieller Berichte wesentlich in den Meetings hinter verschlossenen Türen verhandelt. Selbst wenn Interna aus den Treffen geleakt werden, so stellt sich die Frage, ob es sich um substanzielle Neuigkeiten, um Geheiminformationen oder um bewusst lancierte Botschaften handelt, die mehr (vor)täuschen als erhellen sollen.

Der Alaska-Gipfel und seine Folgen

Der Gipfel von Anchorage (Alaska) am 16. August war zweifellos ein politischer Erfolg Russlands und seiner Außenpolitik. Trump rollte Putin nicht nur den roten Teppich aus. Auch wenn der Gipfel selbst keine verbindlichen Ergebnisse brachte, so muss er als eine Etappe in der Aushandlung einer Befriedung der Ukraine zwischen den USA und Russland betrachtet werden, deren Konturen keineswegs neu sind, wohl aber in Alaska bekräftigt wurden.

Ein „Frieden“ oder Einfrieren der Front würde mit der Abtretung nicht nur der Krim, von Donezk und Luhansk, sondern auch der eroberten Teile der Bezirke Saporischschja und Cherson an Russland einhergehen. Das akzeptieren im Grunde alle, was sich nicht zuletzt in der Suche nach einer Formel ausdrückt, wo die europäischen NATO-Staaten die Gebietsgewinne zwar nicht völkerrechtlich anerkennen, aber faktisch akzeptieren würden (wie einst bei den baltischen Staaten). Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wäre zudem auch vom Tisch, da diese nicht nur von Russland, sondern auch von den USA abgelehnt wird. Dafür winken die Aufhebungen der Sanktionen, die Normalisierung der Beziehungen samt nicht näher definierter „Deals“. Die von der EU seit Jahren forcierte diplomatische und politische „Isolierung“ Putins, die ohnedies nur in deren Einbildung „wirklich“ war, unterlief Trump vor aller Welt ein weiteres Mal.

So weit die Konturen eines möglichen Abkommens. Das größte Hindernis dabei stellen die imperialistischen Ambitionen Russlands dar. Denn, so die Überlegung des Kremls, warum sollte man jetzt die Fronten einfrieren, wenn man bis zum Winter noch weitere Gebiete erobern kann? Der Ukraine fehlen die Reserven und Mittel. Die USA ziehen weiter Hilfen und Unterstützung zurück. Und um das auch für alle anderen deutlich zu unterstreichen, hat die US-Administration den Einsatz von US-Waffen auf russisches Territorium untersagt und will auch keine solchen mehr liefern. Faktisch werden sich die USA mehr und mehr aus der Ukraine-Unterstützung zurückziehen, die europäischen Verbündeten müssen das dann stemmen – und auch in der EU werden sich nicht nur Ungarn oder die Slowakei, sondern auch viele andere Staaten weigern, hier für die USA einzuspringen.

Somit besteht die Politik der EU und der westlichen NATO-Verbündeten zur Zeit vor allem darin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Angeblich wären beim jüngsten Treffen mit Trump Merz, Macron, Starmer sowie NATO-Generalsekretär Rutte und EU-Kommissionschefin von der Leyen gut vorbereitet gewesen. Angeblich wären sie gar mit verteilten Rollen aufgetreten und Merz hätte dabei den „bad cop“ gespielt, indem er Trump über den grünen Klee lobte. Dass man nicht, wie einst Selenskyj, im Weißen Haus vorgeführt wird, gilt diesen Held:innen Europas schon als diplomatischer Erfolg.

Wichtiger ist jedoch, dass selbst die ukrainische Führung, deren Land bei den Gesprächen zwischen Trump und Putin mehr oder minder offen aufgeteilt wird, die US-Politik vor allem schönreden muss. Die Spitzen der EU und der sog. Koalition der Willigen um Großbritannien, Deutschland und Frankreich hofieren Trump, ganz so wie dieser Putin in Alaska den Teppich ausgerollt hat. Mit einem Unterschied allerdings.

Die US-Führung verfolgt das Ziel, mit Putin einen Deal zur Befriedung des Ukrainekrieges abzuschließen, aus einem strategischen Kalkül. Sie will die imperialistische Macht Russland aus einem allzu engen Bündnis mit China ein Stück herauslocken. Dafür sind die USA unter Trump bereit, die bisherigen Kriegsgewinne Russlands weitgehend anzuerkennen und eine NATO-Mitgliedschaft des Landes auszuschließen. Derweil werden Selenskyj und den europäischen Mächten vage Sicherheitsgarantien in Aussicht gestellt.

Kein Wunder also, dass sich das diplomatische und politische Ringen weiter hinzieht. Russland kann dabei auf Zeit spielen, die USA letztlich auch. Die Ukraine eigentlich nicht, hat aber kaum Optionen. Den EU-Mächten und Britannien wird vor allem deren eigene militärische und geostrategische Abhängigkeit von den USA vor Augen geführt. Daher auch die ständigen Beschwörungen, die Ukraine nicht im Stich zu lassen und „robuste Sicherheitsgarantien“ durchsetzen zu wollen.

Klar ist nur, dass sich ein möglicher Waffenstillstand und etwaige Friedensverhandlungen noch über Monate hinziehen könnten. Grundsätzlich verfolgen die USA wie auch Russland weiter das Ziel, einen Diktatfrieden in ihrem Interesse durchzusetzen, sich faktisch den Einfluss aufzuteilen. Russland würde dann die eroberten Gebiete erhalten, die USA und die EU-Mächte würden den Westen der Ukraine für ihre Zwecke ökonomisch ausbeuten können.

Wie der Gipfel von Alaska gezeigt hat, sind sie jedenfalls kurzfristig nicht bereit, diesen Kurs zu wechseln. Das könnte sich nur ändern, wenn Russland die geostrategischen Ziele, die die USA mit ihrer Annäherung an Putin verfolgen, offen und komplett desavouieren würde.

Die Ukraine, aber auch Deutschland, Frankreich, Britannien und die EU tun offiziell so, als ob das anders wäre. Daher wird jede Äußerung Trumps oder eines anderen US-Regierungsmitglieds, die auch nur in Richtung einer härteren Linie gegenüber Russland gehen könnte, freudig aufgegriffen. Einen Kurswechsel der USA stellt das mitnichten dar, sondern allenfalls eine Erinnerung an die russische Führung, die Geduld der größten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt nicht überzustrapazieren.

Ein solcher Diktatfrieden samt Aufteilung des Landes würde in jedem Falle eine schwere Niederlage der Ukraine, und das heißt vor allem der Lohnabhängigen und Bäuer:innen, bedeuten. Es wäre aber auch eine schwere Niederlage für die russische Arbeiter:innenklasse, die einem jedenfalls kurzfristig politisch gestärkten Putin-Regime gegenüberstünde. Und es wäre auch eine Niederlage für die gesamte internationale Arbeiter:innenklasse.

Eine reaktionäre, imperialistische Befriedung, an der die ukrainische Regierung mitwirken würde, wäre weder ein Auftakt zu einem dauerhaften Frieden in der Ukraine noch international.

Die Ukraine selbst würde weiter zerstückelt und deren nationales Selbstbestimmungsrecht mit Füßen getreten. Selbst für die russischen und russischsprachigen Bevölkerungsteile, die den ukrainischen Nationalismus fürchten, wird der Sieg Russlands nur eine Ausweitung von Putins bonapartistischer Diktatur und Unterdrückung bringen.

Vor allem aber würde diese Aufteilung – ob nun mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine oder nicht – zu einer weiteren Aufrüstung zwischen Russland und den europäischen NATO-Staaten führen, würde den Militarismus und Imperialismus beider Lager massiv stärken, so dass sich ein solcher Frieden nur als Vorspiel zu einem weiteren, womöglich sogar direkten Krieg zwischen den rivalisierenden Mächten entpuppen könnte.

Perspektiven in der Ukraine

Die aktuellen Verhandlungen verdeutlichen, dass der Krieg um die Ukraine nie ein reiner Stellvertreterkrieg gewesen ist, sondern ihre Verteidigung trotz ihrer Einbindung in einen viel größeren globalen Konflikt einen berechtigten Charakter aufwies und aufweist. Dabei haben Selenskyj und die ukrainische Bourgeoisie die Arbeiter:innen und Bäuer:innen des Landes in die Falle der politischen, militärischen und ökonomischen Abhängigkeit vom Westen geführt und deren Interessen denen ihrer Verbündeten untergeordnet. Bis heute spielt Selenskyj die Differenzen mit den USA herunter, macht gute Miene zum bösen Spiel, verscherbelt entgegen der ukrainischen Verfassung Seltene Erden und andere Erze an die USA. Diese Politik verfolgte er nicht erst bei den jüngsten Verhandlungen, sondern schon während des gesamten Krieges, z. B. bei dem Verbot oppositioneller Parteien und Organisationen oder bei der Aushebelung von Gewerkschaftsrechten. All das hat dazu beigetragen, dass die Ukraine objektiv in einer überaus schwierigen Lage ist und einem Diktatfrieden Russlands und der USA wenig entgegensetzen kann.

Dabei tritt neben dem Moment der berechtigten nationalen Verteidigung gegen die russischen imperialistischen Angriffe der reaktionäre Charakter des Regimes Selenskyjs und der ukrainischen Bourgeoisie immer deutlicher hervor. Sie sind bereit, das Land für westliche „Garantien“ an US- und EU-Konzerne zu verscherbeln. Die Schulden gegenüber diesen „Verbündeten“ und den internationalen Finanzinstitutionen werden außerdem ihr Übriges tun, das Land weiter ökonomisch auszubluten.

Solange der Krieg weiterläuft, ist daher die Selbstverteidigung der halbkolonialen Ukraine berechtigt. Zugleich müssen Revolutionär:innen vor jeder falschen Hoffnung in ihre westlichen Verbündeten warnen, nicht nur vor den Beschönigungen Trumps, sondern auch vor allen Illusionen in Deutschland, Britannien und der EU.

Vor allem aber muss der Kampf in der Ukraine mit dem gegen den Ausverkauf des Landes und für die Enteignung aller privatisierten und verscherbelten Unternehmen, für die Streichung der Schulden und den Wiederaufbau unter Arbeiter:innenkontrolle verbunden werden. Alle arbeiter:innenfeindlichen und gewerkschaftsfeindlichen Gesetze müssen bekämpft werden, alle Einschränkungen demokratischer Rechte durch die Selenskyj-Regierung, insbesondere gegen oppositionelle Parteien und russischsprachige Minderheiten. Kurzum, die Arbeiter:innenklasse muss als eigenständige Kraft agieren, eine neue revolutionäre Partei aufbauen und sie darf weder Selenskyj noch irgendeiner anderen bürgerlichen Kraft Unterstützung gewähren.

In den russisch besetzten Gebieten muss der Kampf als Teil dessen gegen die Regierung Putin, den russischen Imperialismus und für eine neue russische Arbeiter:innenrevolution geführt werden, die das nationale Selbstbestimmungsrecht (einschließlich des Rechts auf Loslösung) anerkennt.

Und im Westen müssen wir einerseits das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigen, andererseits jedoch jede Ausrüstung der Armee und NATO ablehnen. Für den Fall eines Waffenstillstandes müssen Revolutionär:innen jede Stationierung von westlichen Truppen in der Ukraine ablehnen. Diese würden nicht nur als Faustpfand für einen möglichen zukünftigen Krieg mit Russland fungieren. Sie würden auch dazu dienen, die Einverleibung der Ukraine in den westlichen Kapitalismus gegen etwaige Unruhen der Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innen gegen die Ausbeutung durch deren Konzerne zu verteidigen. Das nationale Selbstbestimmungsrecht der Ukraine wird letztlich weder durch den Westen noch durch die ukrainische Bourgeoisie verwirklicht werden können. Dazu braucht es vielmehr den gemeinsamen Kampf der ukrainischen, russischen und westeuropäischen Arbeiter:innenklasse gegen ihre Bourgeoisien und die imperialistische Ordnung und für Arbeiter:innenregierungen und ein sozialistisches Europa.

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One thought on “Der Kampf um die Ukraine – nächste Runde”

  1. Hanns Graaf sagt:

    „Solange der Krieg weiterläuft, ist daher die Selbstverteidigung der halbkolonialen Ukraine berechtigt.“
    Was ist mit den berechtigten Interessen der Russen im Donbass?! Kiew hat – Im Auftrag des Westens – den Krieg 2014 als Bürgerkrieg gegen die Russen im Donbass begonnen. Ohne Putins Eingreifen wäre die Ukraine heute in der NATO oder NATO-Truppen wären dort stationiert. Gegen diese Bedrohung seiner Sicherheit musste Russland reagieren. Putin wollte eine Verhandlungslösung (Minsk 1+2), aber der Westen ließ ihn abblitzen. Zwar ist Russland eine imperialistische Macht, aber es hat den Krieg weder begonnen noch verursacht. Ähnlich war es 1939: England und Frankreich waren wie Deutschland imperialistisch, aber Hitler hat den Krieg begonnen.
    Eure Position ist falsch und steht zudem im Widerspruch zu den (korrekten) Positionen, die die GAM 2014/15 zur Ukraine hatte
    MfG Hanns Graaf

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