Erklärung der Internationalen Sozialistischen Liga (ISL) zu Burkina Faso, Infomail 1290, 13. August 2025
Der plötzliche Aufstieg von Hauptmann Ibrahim Traoré in Burkina Faso hat in ganz Afrika und im globalen Süden für Aufregung, Hoffnung und Diskussionen gesorgt. Sein rebellisches Image – das auf Wandbildern, TikToks und Kundgebungen der Diaspora gefeiert wird – erinnert an einen panafrikanischen, antiimperialistischen Geist, der an Thomas Sankara (1. Präsident Burkina Fasos und 5. Präsident Obervoltas, des Vorläuferstaats) erinnert. Allerdings werden ihm viele Dinge zugeschrieben, die er weder gesagt noch getan hat – darunter der weit verbreitete Einsatz von KI-generierter Propaganda, die ihn ideologisch und praktisch größer darstellt, als er wirklich ist. Dennoch erscheint Traoré für Millionen Menschen, die in Afrika, Südasien und Lateinamerika – Regionen, die noch immer unter der Last einer drakonischen kolonialen Vergangenheit leiden – mit imperialistischer Ausbeutung, extremer Wirtschaftskrise und dem Zusammenbruch des Staates konfrontiert sind, als Leuchtturm revolutionärer Hoffnung.
Aus marxistischer Sicht muss der Schein mit dem Sein verglichen und die Form anhand ihres Inhalts beurteilt werden. Wir erkennen zwar den revolutionären sozialen Prozess hinter Traorés Aufstieg an und würdigen die relativ radikalen Maßnahmen, die unter seiner Herrschaft ergriffen wurden, aber wir müssen auch kritisch Alarm schlagen. Das Fehlen einer marxistischen Führung in Form einer revolutionären Partei, der Mangel an Macht der Arbeiter:innenklasse und demokratischen Organisationen sowie die zunehmende Militarisierung des politischen Lebens tragen alle den Keim autoritärer Degeneration in sich.
Die Entwicklungen in Burkina Faso spiegeln weitgehend sowohl die Stärken als auch die typischen Schwächen ähnlicher Umwälzungen in den Ländern des globalen Südens nach dem Zweiten Weltkrieg wider – Prozesse, die oft zum Aufstieg und schließlich zum Sturz oder zum Niedergang ähnlicher Regime führten. Mit dem Zusammenbruch des Stalinismus in der Sowjetunion und Osteuropa, der weiteren Degeneration des chinesischen Stalinismus zu einer stalinistisch-staatskapitalistischen Herrschaftsform und der beispiellosen globalen Krise des Kapitalismus hat sich die Lebensfähigkeit solcher Regime jedoch drastisch verringert.
Folglich ist ihre historische Lebensdauer deutlich kürzer geworden. Noch schlimmer ist, dass Traorés Hinwendung zu den aufstrebenden imperialistischen Mächten im Osten – Russland und China – und sein Aufstieg zu einer „Starken Mann“-Figur mit unkontrollierter Macht die Gefahr erhöhen, dass eine populäre Massenrevolte in Degeneration und Rückschritt mündet. Diese Resolution ist ein erster Versuch, Traorés Bilanz zu bewerten, die Angriffe des westlichen Imperialismus (insbesondere durch AFRICOM; Afrikanisches Kommando der Vereinigten Staaten, Teil der US-Streitkräfte) zu kritisieren und zu zeigen, dass nur eine sozialistische Revolution – angeführt vom Proletariat im Bündnis mit anderen ausgebeuteten Schichten – Burkina Faso, Afrika und die Welt von der imperialistisch-kapitalistischen Tyrannei befreien kann.
Es besteht kein Zweifel, dass Traorés militärisch geführter Übergang dem Volk in Burkina Faso greifbare Vorteile gebracht hat. In etwas mehr als einem Jahr hat seine Regierung Folgendes erreicht:
Das sind keine kleinen Erfolge. Sie zeigen Maßnahmen, die versuchen, den Menschen zu helfen – wenn auch nicht unter ihrer direkten demokratischen Kontrolle –, und das trotz unmöglicher Widersprüche: nationaler Ruin, Sabotage durch den Internationalen Währungsfonds, Klimakrise und Aufstände.
Die Popularität von Traoré ist zwar verständlich, wird aber zunehmend problematisch. Sein Bild – oft neben Che Guevara und Sankara, durch Fotomontage dargestellt – ist nicht nur ein Symbol des Widerstands. Es entwickelt sich schnell zu einem Personenkult, der an die Stelle politischer Organisation tritt.
Marxist:innen wissen, dass die Befreiung der arbeitenden Massen nicht auf einem einzelnen Individuum oder einer Schicht der Gesellschaft ruhen kann, egal wie radikal oder gut gemeint diese auch sein mögen.
Figuren, die als Retter:innen auftreten und versuchen, das organisatorische oder politische Vakuum einer sozialen Klasse zu füllen, sind ein Kennzeichen des Bonapartismus, dessen Charakter durch seine Klassenbasis und die Klasseninteressen, denen er dient, bestimmt wird. Trotzdem neigen auch linke Bonapartismen dazu, zwischen den Klassen zu balancieren, die unabhängige Initiative der Arbeiter:innenklasse zu unterdrücken und von oben zu regieren, während sie behaupten, im Namen des Volkes zu handeln.
Außerdem haben selbst die „Gefälligkeiten“, die Arbeiter:innen und Bäuer:innen gewährt werden, oft ihren Preis – Vergünstigungen, Privilegien und manchmal sogar regelrechte Korruption und Plünderung durch die bürokratische Elite an der Macht. Die Aufgabe von Marxist:innen ist es nicht, Bewegungen blind zu feiern oder sich von ihnen mitreißen zu lassen. Wir unterstützen die Errungenschaften, zeigen auf, was fehlt, kritisieren das Reaktionäre und heben interne Widersprüche hervor, um die revolutionäre Schärfe zu verbessern.
In dieser Hinsicht bleibt das Regime von Traoré ohne demokratische Organe der Macht der Arbeiter:innen, Bäuer:innen und Soldat:innen eine von oben nach unten organisierte und militarisiertes Herrschaft. Dissens wird unterdrückt. Journalist:innen wurden verhaftet. Demonstrant:innen sind verschwunden. Das sind ernstzunehmende Warnsignale.
Die Erfahrungen Venezuelas in der jüngeren Vergangenheit sind lehrreich. Hugo Chávez wurde weltweit dafür gefeiert, dass er sich dem Imperialismus widersetzte, das Öl verstaatlichte und Sozialprogramme initiierte.
Aber sein Regime hat den Kapitalismus nie abgeschafft und es fehlte ihm die demokratische Kontrolle durch organisierte Arbeiter:innen. Mit der Zeit, besonders nach Chávez‘ Tod, wurde die Macht immer mehr zentralisiert. Andersdenkende wurden unterdrückt, Gewerkschaften geschwächt und Partnerschaften mit chinesischem und russischem Kapital geschlossen. Das aktuelle Regime in Venezuela ist nur noch ein Schatten der Hoffnungen, die die bolivarische Revolution geweckt hatte. Eine ähnliche Gefahr droht Burkina Faso – vielleicht sogar noch schlimmer, weil Traorés Macht aus dem Militär kommt.
Traorés „antiimperialistische“ Außenpolitik bewegt sich auf gefährlichem Terrain. Nach dem Abzug Frankreichs wendet sich Burkina Faso nun an Russland für Waffen und an China für Infrastruktur und Investitionen – ein Ansatz, den auch andere Sahelstaaten verfolgen Marxist:innen lehnen die Illusion ab, dass Bündnisse mit Moskau oder Peking eine Befreiung darstellen. Das sind keine progressiven Alternativen, sondern konkurrierende imperialistische Mächte. Die russische Wagner-Gruppe hat in Mali und der Zentralafrikanischen Republik brutale Menschenrechtsverletzungen begangen, um Mineralien für Profit abzubauen. Chinas Belt-and-Road-Initiative (Neue Seidenstraße) ist berüchtigt für undurchsichtige Bedingungen, ausbeuterische Kredite, Umweltschäden und Unterdrückung der Arbeiter:innen.
Auch wenn selbst ein revolutionärer Arbeiter:innenstaat manchmal gezwungen sein kann, die Konfrontation zwischen einem imperialistischen Block und einem anderen taktisch zu seinem Vorteil zu nutzen, müssen solche Kompromisse streng vorübergehend und taktisch bleiben. Einen Block ideologisch als „das kleinere Übel“ oder „relativen Fortschritt“ zu rechtfertigen oder zu akzeptieren, ist politischer und moralischer Verrat.
Solche Taktiken können nur von einem revolutionären Staat mit marxistischer Führung und unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter:innenklasse richtig gehandhabt werden. In Burkina Faso, wo solche Grundlagen fehlen, drohen diese Kompromisse und Geschäfts- oder Investitionsabkommen den gesamten revolutionären Prozess zu korrumpieren, auszuhöhlen und entgleisen zu lassen.
Bei der Befreiung geht es nicht darum, sich eine/n neue/n Herr:in auszusuchen. Sie muss durch Klassenkampf, Massenmobilisierung und den Aufbau einer internationalen revolutionären Partei erreicht werden, die darauf abzielt, die Macht in die Hände der Arbeiter:innenklasse in Allianz mit den Bäuer:innen und Soldat:innen zu legen.
In jüngsten Erklärungen wirft der Kommandeur des US-Afrikakommandos, General Michael Langley, dem Regime von Traoré „demokratischen Rückschritt“ vor und behauptet, Burkina Faso „versage gegenüber seinem Volk“. Das ist nichts weiter als abscheuliche, betrügerische, imperialistische Propaganda.
Wo war AFRICOM, als die Demokratie durch Schulden, französische Militärstützpunkte und Marionettenregime in ganz Afrika erstickt wurde? Warum unterstützen die USA Diktaturen in Ägypten, Saudi-Arabien, Pakistan, Ruanda und anderswo, während sie Burkina Faso dafür verurteilen, dass es sich gegen seine ehemalige Kolonialmacht auflehnt?
AFRICOM geht es nicht um Demokratie, sondern um die imperialistische Kontrolle über die Ressourcen und die strategische Bedeutung Westafrikas. Traoré ist eine Bedrohung für die US-Regierung in Washington, nicht weil er autoritär ist, sondern weil er (bislang) nicht gefügig ist.
AFRICOM muss als Instrument kapitalistischer Ausbeutung, Drohnenkriegführung und neokolonialer Herrschaft entlarvt werden. Seine Kritik an Traoré ist nicht prinzipiell, sondern politischer Opportunismus.
Traoré ist nach wie vor beliebt. Sein Aufstieg zeugt von einem echten Hunger im globalen Süden nach Führer:innen, die den Westen herausfordern und für die Grundbedürfnisse und Gerechtigkeit sorgen. In Burkina Faso gründet diese Hoffnung auf echtem Leid und echten Errungenschaften.
Aber die Geschichte warnt uns: Ohne eine marxistische Führung, die in der unabhängigen Organisation der Massen verwurzelt ist, enden solche Bewegungen oft in Verrat. In Chávez‘ Venezuela wurde die Revolution letztendlich durch ihre Abhängigkeit von einer Kontrolle von oben und Kompromissen mit dem Kapital entwaffnet. Vor einigen Jahrzehnten haben wir in Äthiopien die Krise und den endgültigen Zusammenbruch des bonapartistischen Regimes von Mengistu erlebt, gefolgt von den anfänglichen Versprechungen von Meles Zenawi, die bald dem Neoliberalismus und der Unterdrückung wichen.
Ähnliche Entwicklungen gab es im Jemen, in Angola und Mosambik, wo revolutionäre Hoffnungen letztendlich nicht nur durch ausländische imperialistische Interventionen, sondern auch durch tief sitzende interne Widersprüche und strukturelle Schwächen zunichtegemacht wurden.
Marxist:innen sind nicht einfach gegen Militärregimes, nur weil sie als solche existieren, und sie unterstützen sie auch nicht einfach, nur weil sie progressiv wirken. Wir verteidigen die Errungenschaften, verurteilen alle reaktionären Elemente und kämpfen für die Machtübernahme durch die Arbeiter:innenklasse mit einer revolutionären Partei.
Wir stellen folgende Forderungen:
Wir verstehen, warum die Leute hinter Traoré stehen. Auch wir wollen ein neues, freies und würdiges Afrika. Aber ohne die Macht der Arbeiter:innenklasse, demokratische Selbstorganisation und revolutionäre Führung werden selbst die radikalsten Militärregimes zu Fallstricken.
Die Antworten sind nicht Militärjuntas oder bonapartistische Illusionen, sondern die sozialistische Revolution – in Burkina Faso, in ganz Afrika und auf der ganzen Welt.