Arbeiter:innenmacht

Weg mit dem Berufsverbot für Benjamin Ruß!

Bild: Simon Zamora Martin, https://www.klassegegenklasse.org/

Helga Müller, Infomail 1262, 14. August 2024

Seit ca. zwei Jahren wehrt sich Benjamin Ruß gegen die Nichteinstellung an der Technischen Universität München (TUM) am Institut für Kartographie und visuelle Analytik. Der Kanzler der TUM, Dr. Albert Berger, hatte sich gegen die Einstellung von Ruß, Absolvent der Geowissenschaften, ausgesprochen, obwohl sich die Dozentin, mit der dieser zusammenarbeiten sollte, für dessen Anstellung ausgesprochen hatte. Das Hauptargument des Rektors: er habe eine marxistische Weltanschauung, die – wie das der Verfassungsschutz zu diesem Fall behauptet – nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar sei. (Eine ausführliche Darstellung des Falls ist auch auf der Website der VKG zu finden: https://vernetzung.org/prozess-und-kundgebung-in-muenchen-wegen-nichtanstellung-des-kollegen-b-russ/)

Politische Dimension

Mittlerweile hat der Fall Benjamin Ruß eine hochpolitische Dimension erhalten: Nicht nur, dass auf mehreren Soliveranstaltungen, u. a. auch vom ver.di-Bezirk München, deutlich wurde, dass sich dieser Vorfall in die leider lange unrühmliche Tradition der Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland einreiht. Auch der zweite Prozesstag vor dem Arbeitsgericht München am Freitag, dem 26.7.2024, entpuppte sich mehr und mehr als ein Exempel dafür, wie weit Bewerber:innen für den öffentlichen Dienst gesellschaftliche und politische Kritik öffentlich äußern können dürfen, um noch für die Anstellung für den Freistaat Bayern akzeptabel zu sein.

Dass dieser Prozess für Letzteren eine Blaupause darstellt oder dazu gemacht werden soll, wie mit Personen, die eine linke kritische Einstellung gegenüber den aktuellen politischen Entwicklungen und dem Staat vertreten, umgegangen werden darf, zeigten die Argumente des Rechtsanwalts Greiner als Vertreter des Freistaates, um eine angebliche Verfassungsfeindlichkeit von Benjamin Ruß zu beweisen. Dies ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie – nicht nur – in Bayern versucht wird, die konsequente Wahrnehmung demokratischer Rechte und Möglichkeiten des Widerstands in eine staatsfeindliche Ecke zu stellen. Das unterstreicht nochmal sehr deutlich den Umbau der bisherigen bürgerlich-demokratischen Verhältnisse in eine autoritäre Richtung.

Greiner versuchte mit Zitaten aus einigen Artikeln, die Benjamin Ruß auf verschiedenen linken – nach Greiners Meinung staatsfeindlichen – Plattformen veröffentlicht hatte, dessen Verfassungsfeindlichkeit zu beweisen und darzulegen. Z. B. führte er ein Zitat aus einem Artikel zum neuen Bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) an: „Besonders Bayern kann man als Brutstätte und Testlabor einer inneren Militarisierung bezeichnen.“ Gegen dieses Gesetzesvorhaben hatte sich 2019 ein breites Bündnis gebildet, in dem sich auch politische Kräfte engagierten, die wohl auch nach Greiners Auffassung schwerlich als Verfassungsfeind:innen bezeichnet werden können. Alle einigte, dass sie sich gegen einen zunehmenden Abbau demokratischer Rechte wehren wollten. Selbst die Grünen-Fraktionssprecherin im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze, sprach damals vom „CSU-Überwachungsgesetz“. Auch die 40.000 Demonstrant:innen, die 2019 schließlich gegen die Verschärfung des PAG demonstrierten, spiegelten diese Befürchtungen in der viel zitierten „gesellschaftlichen Mitte“ wider.

Besonders absurd ist das Heranziehen eines Artikels von Ruß, in dem er seine Meinung zu den Arbeitskämpfen in der Pflege in Bayern geäußert hatte. Hier schrieb er: „Die Streiks müssen konsequent bis zum Ende geführt werden und nicht nach drei Warnstreiks in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber enden“. Wir wundern uns doch sehr, dass ein Rechtsanwalt, der den demokratischen verfassten Freistaat Bayern vertritt, ein im Grundgesetz verankertes Gesetz – nämlich das auf Streik – in die Nähe von Verfassungsfeindlichkeit rückt. Sind für ihn und etwa auch für den Freistaat die Kolleg:innen und Gewerkschaften, die Streiks konsequent führen – erinnert sei an die monatelangen Durchsetzungsstreiks der Krankenhausbewegung in Berlin und NRW –, schon Verfassungsfeind:innen? In diesem Zusammenhang ist der Vorstoß der FDP, die ja schon seit Monaten fordert, vor allem im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge das Streikrecht zu beschneiden, in einem sehr dubiosen Licht zu sehen! Hier geht es wohl nicht nur um eine Gesetzesverschärfung, sondern es soll das einzige Mittel, das die Belegschaften haben und tatsächlich effektiv Druck auf Unternehmer:innen und öffentliche Arbeit„geber“:innen ausüben kann – nämlich der Streik –, zu einem zahnlosen Instrument gemacht werden. Auch dies lässt sich in den staatsautoritären Umbau einordnen.

Für Greiner stellte ja schon bereits die von ver.di organisierte Kundgebung vor dem Arbeitsgericht anlässlich des ersten Prozesses eine Bedrohung dar. Eine merkwürdige Auffassung eines Rechtsanwaltes gegenüber einer gewerkschaftlichen Aktion, die „nur“ die im Grundgesetz verankerten demokratischen Rechte wahrnimmt!

Ein weiteres Argument seinerseits gegen die Anstellung von Benjamin Ruß bestand darin, dass dieser auf einer Soliveranstaltung vom ver.di-Bezirk München kritisiert habe, dass viele Hörsäale der TUM nach Nazigrößen benannt seien. Zum einen wurde dieses Thema nicht von Benjamin Ruß, sondern von einem Vertreter der ver.di-Betriebsgruppe aufgeworfen, die Ruß unterstützt, zum anderen stellt dies eine sehr fragwürdige Auffassung über die Aufarbeitung der deutschen Nazivergangenheit 79 Jahre nach Kriegsende und dem Zusammenbruch des Naziregimes durch den Rechtsanwalt dar. Tatsache ist, dass die TUM erst vor kurzem Hörsäale, die seit Kriegsende nach Nazigrößen benannt wurden, begonnen hat umzubenennen und damit sehr lange gebraucht hat, auf die Kritik aus der Studierendenschaft zu reagieren.

Besonders brisant ist diese letzte Aussage Greiners vor dem Hintergrund, dass die TUM auch im Interesse der deutschen Rüstungsindustrie forscht. Ein sehr brisanter Zusammenhang, da – spätestens seit dem Beschluss über das Sondervermögen von 100 Mrd. Euro für den Rüstungsetat und der Aufstockung der jährlichen Rüstungsausgaben auf 2 % des BIP – klar wird, dass Deutschland sich aufrüstet, um auch wieder ein Wörtchen auf globaler Ebene mitsprechen zu können, wenn es um die Aufteilung der Ressourcen, Einflusssphären und Absatzmärkte geht! Da fragt man sich schon, in wessen Interesse ein solcher Kanzler handelt.

Im Interesse einer Forschung und Lehre, die unabhängig von der Regierung und globalen Konzernen im Interesse der gesellschaftlichen Mehrheit forschen will oder im Interesse einer, die sich lieber als Lakaiin der Regierung und der deutschen Rüstungsindustrie und anderer weltweit agierender Konzerne aufführt?

Dass insbesondere die bayerischen Universitäten immer stärker in die neue außenpolitische Ausrichtung eingebunden werden sollen zur Sicherung der Profite der deutschen Unternehmen, zeigt gerade auch das kürzlich vom Bayerischen Landtag beschlossene bayerische Bundeswehrförderungsgesetz: Universitäten können nun über das dort beinhaltete Kooperationsgebot dazu gezwungen werden, auch an Forschungsprojekten direkt für die Rüstungsindustrie teilzunehmen. Ein eklatanter Bruch mit der selbst in bürgerlich-demokratischen Gesellschaften immer wieder beschworenen Unabhängigkeit von Forschung und Lehre! Unter solchen Bedingungen haben dann natürlich Lehrende, Forschende und auch Studierende, die dies kritisch sehen, keinen Platz. Es muss verhindert werden, dass diese beruflich Fuß fassen können. Genau das hatte auch Rechtsanwalt Greiner im zweiten Prozess betont, dass auch wissenschaftliche Mitarbeiter:innen – wie Ruß dann einer wäre – schließlich auch lehrend tätig sind und ihre Weltanschauung auch an die Studierenden weitergeben und diese damit beeinflussen würden.

Repression der letzten Jahre

Dieser Fall und andere sind auch vor dem Hintergrund der Zunahme von Repressionen gegen gewerkschaftlich aktive Kolleg:innen zu sehen. So gab es im letzten Jahr zwei Arbeitsgerichtsprozesse in München gegen zwei Aktivist:innen aus Krankenhäusern, die sich gegen Maßnahmen zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Gesundheitsversorgung engagiert und dafür schließlich Abmahnungen erhalten hatten. Und weiter gibt es in München einen aktuellen Fall bei Eurogate am Flughafen, bei dem eine gewerkschaftlich aktive Kollegin und aktives Betriebsratsmitglied fristlos gekündigt wurde mit vorgeschobenen Gründen, weil es ihr während des mehrmonatigen Warnstreiks im Einzelhandel gelungen ist, viele Kolleg:innen zum ersten Mal in die Streikbewegung mit einzubeziehen.

Die zunehmenden Repressionen gegen aktive und der erneute Versuch von Berufsverboten gegen kritische Kolleg:innen zeigen auch einen klaren politischen Hintergrund. Nicht zuletzt beweisen der neue Haushaltsentwurf 2025 der Ampelregierung, die ganze Hetze gegen Bürgergeldbezieher:innen und auch die Debatte um die Verschlechterung des Streikrechts die ganze Umrüstung der deutschen (Außen-)Politik: Es geht letzten Endes um den Kampf um die Neuaufteilung der Welt: genauer gesagt um die Absatzmärkte und Ressourcen, bei dem der deutsche Imperialismus nicht noch weiter ins Hintertreffen kommen will gegenüber seinen Konkurrent:innen.

Wer das zahlen soll, ist schon heute klar: wir alle – die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung! Armut und Arbeitslosigkeit, Jugendliche mit keinem oder schlechtem Abschluss, die Ausdünnung der Gesundheitsversorgung etc. werden in Zukunft mehr werden. In diesem Zusammenhang sind auch die steigende Anzahl von Repressionen gegen Kolleg:innen, die sich aktiv für die Interessen ihrer Belegschaften einsetzen und diese gegen die Angriffe mobilisieren – und auch die Nichteinstellung von kritischen Kolleg:innen –, einzuordnen!

Denn diese Angriffe werden über kurz oder lang zu Abwehrkämpfen führen, das wissen auch die Geschäftsführungen. Deswegen versuchen sie jetzt, Widerstand im Keim zu ersticken.

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