Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1161, 9. September 2021
Personalnotstand, Outsourcing, prekäre Arbeitszeiten, Überlastung, Privatisierungen. Nach Jahren des Notstandes an den Krankenhäusern befinden sich die Klinikleitungen von Charité und Vivantes in der Defensive. Endlich!
Die Mobilisierung der Berliner Krankenhausbewegung trägt nun Früchte. Ohne monatelange Anstrengung wäre das unmöglich gewesen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad stieg in den letzten Monaten, Tausende neue Mitglieder traten ver.di bei. Die Warnstreiks und Großkundgebungen haben gezeigt, dass eine erfolgreiche Organisierung trotz massiven Drucks in den Krankenhäusern, trotz Auslagerungen, trotz künstlicher Zersplitterung und Spaltung der Belegschaften, trotz unterschiedlicher Tarifverträge möglich ist.
An der Charité stimmten 97,85 Prozent, bei Vivantes 98,45 Prozent und in den Tochterunternehmen 98,82 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten für den Arbeitskampf. Allein das spricht eine deutliche Sprache. Es gibt keine Alternative zum unbefristeten Streik.
Über Monate, ja Jahre hinweg haben die Klinikleitungen von Charité und Vivantes alle möglichen fadenscheinigen Gründe angeführt, warum sie die Forderungen nach einem Tarifvertrag Entlastung und einem „TVöD für alle“, also nach Einstellung von mehr Personal, verbesserten Arbeitsbedingungen und gleichen Einkommen für alle nicht erfüllen könnten.
Nun, nachdem fast 100 % der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik votierten, zaubern sie plötzlich neue Last-Minute-Verhandlungsangebote aus dem Hut. Zugeständnisse wären jetzt möglich – wenn die Beschäftigten und die Gewerkschaft ver.di nur den Streik abblasen würden. Nachdem die Vivantes-Leitung im August noch versuchte, die Warnstreiks per Gericht zu verbieten, klagt sie jetzt über den Mangel an „Kooperation“ und „Vertrauen“ der Beschäftigten.
Klar, diese Leute wollen lieber verhandeln, wenn wir nicht streiken, wenn wir die Aktionen aussetzen – denn dann ist ihre Verhandlungsposition stärker, ist der Druck, unsere Durchsetzungsfähigkeit geringer. Daher sollte auch kein Streik, kein Streikposten, keine Aktion heruntergefahren werden, solange es keinen Abschluss gibt, der die Forderungen erfüllt und von den Streikenden akzeptiert wird. Streik – das ist die einzige Sprache, die die sog. ArbeitergeberInnen verstehen; und das ist auch das beste Mittel, die Einheit der Beschäftigten und den Organisationsgrad der Gewerkschaft weiter zu stärken.
Neben den Aktionen braucht es tägliche Streikversammlungen, wo der Stand der Auseinandersetzung diskutiert wird, wo die Streikleitungen gewählt und gestärkt, wo neue Aktive einbezogen werden können. Darüber hinaus kann und sollte bei den Versammlungen diskutiert und beschlossen werden, wie der Arbeitskampf unbefristet und solange weiter geführt werden kann, bis Vivantes und Charité klein beigeben.
Zur Zeit befinden wir uns und unsere Gewerkschaften in einer günstigen Position. Der Streik und die Forderungen sind bei der Bevölkerung populär.
Erstens streiken wir nicht nur für unsere Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine menschenwürdige Versorgung aller PatientInnen, aller Lohnabhängigen. Hinzu kommt zweitens, dass kurz vor den Wahlen fast alle PolitikerInnen ihr Herz für das Gesundheitswesen entdecken. Wir sollten darauf nicht viel geben, aber die Situation nutzen und den Senat noch mehr unter Druck setzen.
Drittens sollten wir den Streik in direkte Verbindung mit anderen Arbeitskämpfen setzen, vor allem mit dem Streik der GDL und der anstehenden Tarifrunde der Länder im öffentlichen Dienst. Gerade letzte müssten wir mit dem Kampf für mehr Personal, für Wiedereingliederung outgesourter Tochterunternehmen, für gleiche Tarife, kürzere Arbeitszeiten und höhere Einkommen verbinden, für die Abschaffung der unsäglichen DRGs und ein Gesundheitssystem, das sich nicht an Markt und Profiten, sondern an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
Öffentliches Gesundheitssystem unter Kontrolle der Beschäftigten!
Der Kampf in den Berliner Krankenhäusern ist weit mehr als einer für einzelne Verbesserungen. Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dieses System ständig am Rande des Zusammenbruchs funktioniert, alle Privatisierungen und marktkonformen Reformen der letzen Jahre und Jahrzehnte auf Kosten der Beschäftigten und der Masse der PatientInnen gingen, während sich private Klinken und KrankenhausbetreiberInnen, Pharmakonzerne und medizintechnische Industrie bereichern konnten.
Damit muss Schluss sein, wenn wir ein menschenwürdiges Gesundheitssystem aufbauen wollen! Der Markt richtet nichts, jedenfalls nicht für die Masse der Bevölkerung.
Diese Forderungen können einen Schritt darstellen zur Sozialisierung der gesamten Care- und Reproduktionsarbeit einschließlich der unbezahlten in Privathaushalten.
Sich dafür einzusetzen und sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen haben, an Eurer Seite zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften. Mit einer solchen Mobilisierung – streikende KollegInnen in den Krankenhäusern und KollegInnen aus allen Betrieben – würden die Regierenden in die Knie gezwungen werden können. Dies wäre der Weg für einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors.
Das kann auch die prekär Beschäftigten auf unterster Stufenleiter unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit, ferner alle Azubis mitnehmen und die Tür aufmachen zu einem vernünftigen Gesellschaftssystem, das den arbeitenden Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Produktionszwecke stellt: Sozialismus statt Kapitalismus!