Manuela Haug/Christine Schneider, Neue Internationale Frauenzeitung, März 2013
In den meisten kapitalistischen Staaten sind Frauen und Männer auf dem Papier gleichberechtigt. Frauen dürfen wählen, sich einen Beruf aussuchen, unter bestimmten Bedingungen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen.
Es wurde viel erreicht, aber eine wirkliche Frauenbefreiung fand bisher nicht statt.
Im Jahr 1900 wurde im bürgerlichen Gesetzbuch das Ehe- und Familienrecht folgendermaßen erläutert: „Der Hauptberuf der Ehefrau bezieht sich auf das Innere des Hauses und wird in den wohlhabenden Klassen der Bevölkerung sich regelmäßig darauf beschränken.“
Das bedeutete konkret Abhängigkeit, Unterdrückung für Frauen und deren Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben. Nur für Frauen aus Bürgertum und Mittelschichten gab es einen gewissen sozialen Spielraum. Für Frauen aus der Arbeiterklasse bedeutete Familie, sich zwischen Lohnarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit aufzureiben.
Erst 1977 wurde das deutsche Familien-Gesetz in ein paritätisches Ehemodell reformiert. Dort heißt es: „Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.“
Dennoch hält sich in Deutschland das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie mit dem Familienernährer. Der Mann soll von seinem Lohn Frau und Kinder ernähren, die Frau darf das Familieneinkommen durch Zuverdienst aufbessern. Ihre Hauptaufgabe ist und bleibt die Reproduktionsarbeit, die Hausarbeit und Versorgung von Mann, Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen.
Allerdings wird dieses klassische Rollenbild langsam von der Realität überholt, denn schon jetzt erarbeiten in fast 20 Prozent der deutschen Haushalte Frauen einen Großteil oder sogar das gesamte Familieneinkommen.
Die Reform des Familiengesetzes war ein später Fortschritt für die Unabhängigkeit von Frauen. Zusammen mit der Reform des Scheidungsrechts konnten sich Frauen zumindest rechtlich aus der Unterdrückung in Ehe und Familie befreien. Materiell heißt das aber bis heute für viele Frauen der Arbeiterklasse, den Preis für diese Freiheit mit materieller Armut zu erkaufen.
Denn in Deutschland beträgt die Lohnspanne zwischen Frau und Mann in gleicher Anstellung 22% im Jahr 2012. Frauen müssten über das Jahresende hinaus bis zum 21. März – also fast ein viertel Jahr länger! – arbeiten, um auf das Jahresgehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen.
Doch selbst das zeigt noch lange nicht das volle Ausmaß der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. 87% der Frauen im Einzelhandel sind z.B. in prekären Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Der Anteil im Gesundheitssektor, besonders in der Pflege, ist ebenfalls extrem hoch. Stundenlöhne von 4,87 Euro sind keine Seltenheit. 78% aller erwachsenen Frauen in der BRD können ihre Existenz nicht durch ihre Erwerbsarbeit sichern.
Wie schon erwähnt, „investieren“ Frauen einen Großteil ihrer Arbeitsleistung – entweder unbezahlt oder extrem unterbezahlt – in die Erziehung, Pflege und Betreuung von Kindern und erwachsenen Bedürftigen. Dafür werden sie noch abgestraft, denn sie tragen ein überproportionales Existenzrisiko bei Armut oder im Alter, weil sie nur über die Hälfte des Vermögens verfügen, das Männer besitzen. Aufgrund der schlechteren Lohn- und Einkommenssituation entgehen Frauen (auf die Lebenszeit berechnet) so durchschnittlich 160.000 Euro!
Dabei sind die unentgeltlich geleistete Reproduktionsarbeit der Familie, die Führung des Haushalts und die Erziehung der Kinder noch nicht einmal berücksichtigt.
Alleinerziehende Frauen stehen besonders schlecht da. Sie sind in besonderem Maße auf staatliche Hilfe angewiesen und überdurchschnittlich stark von Armut bedroht. Auf dem Weg ins Berufsleben haben sie es besonders schwer und können oft erst sehr spät wieder von der eigenen Arbeit leben. Bei der Vermittlung in den Personal-Service-Agenturen werden sie zusätzlich benachteiligt. Während nur 11% der hilfesuchenden Frauen eine Vollzeitstelle angeboten wurde, erhielten 26% der Männer einen gleichartigen Vermittlungsvorschlag.
Grundsätzlich ist die Stellung der Frau im Kapitalismus von Widersprüchen geprägt. Die Benachteiligung von Frauen im kapitalistischen Lohnarbeitssystem hat verschiedene Facetten. Grundsätzlich wird die Frage, wie viele Frauen zu welchen Bedingungen in den Arbeitsprozess integriert sind, vom krisenhaften Auf und Ab der Wirtschaft beeinflusst.
Einerseits wurden Frauen im letzten Jahrhundert vermehrt zu Lohnarbeiterinnen, andererseits aber phasenweise auch wieder aus dem Produktionsprozess verdrängt. Immer jedoch waren sie systematisch schlechter gestellt als Männer, was sich in schlechteren Arbeitsverhältnissen und geringeren Löhnen und Gehältern ausdrückt.
Zur Rolle der Frau im Kapitalismus schrieb schon Friedrich Engels in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“: „Hier zeigt sich schon, dass die Befreiung der Frau, ihre Gleichstellung mit dem Manne, eine Unmöglichkeit ist und bleibt, solange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häusliche Privatarbeit beschränkt bleibt. Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt.“
Dazu muss freilich angemerkt werden, dass der Marxismus natürlich nicht nur die Eingliederung der Frauen in die moderne Produktion als eine notwendige Bedingung ihrer Befreiung ansah, sondern auch die radikale Umgestaltung der Arbeitswelt, d.h. der Änderung der Eigentumsverhältnisse, ja der gesamten Produktionsweise im Gefolge der sozialen Revolution erst als hinreichende Bedingung dafür ansah.
Deshalb kämpfen wir für eine proletarische Frauenbewegung, die sich nicht mit Reformen abspeisen lässt, sondern für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft kämpft. Wir dürfen uns nicht länger auf die Bürokraten in Gewerkschaft und Parteien verlassen, die sich mit kleinen Reförmchen für die Gleichberechtigung schmücken – bestenfalls.
Wir treten aus zwei Gründen für eine solche proletarische Frauenbewegung ein: Erstens kann die Befreiung der Frauen nicht einfach das Werk „aufgeklärter“ Männer sein. Nur, wenn sich Frauen selbst organisieren und engagieren, können sie ihre Erfahrungen und Interessen artikulieren. Nur so können sie den auch in der Arbeiterklasse vorhandenen patriarchalischen und sexistischen Einstellungen entgegenwirken.
Zweitens ist es notwendig, dass die proletarischen Frauen, also die Mehrheit der Frauen, in den Kampf eingreift. Der Feminismus als stark bürgerlich geprägte Bewegung und Ideologie war und ist erheblich davon entfernt, die Stellung und die Interessen von Frauen aus der Arbeiterklasse zu verstehen und zu vertreten.
Eine proletarische Frauenbewegung aufzubauen fängt z.B. schon damit an, Frauen, die in prekären Sektoren arbeiten, gewerkschaftlich zu organisieren. Dazu ist es z.B. notwendig, die Gewerkschaften, ihre Strukturen und ihre Arbeitsweise den besonderen Bedingungen und Bedürfnissen von Frauen anzupassen. Bei betrieblichen Konflikten muss die Frage aufgeworfen werden wie Frauen in den Kampf einbezogen werden können und welche konkreten Probleme sie im Betrieb haben.
Im Gegensatz zur heuchlerischen Debatte um Frauenquoten in DAX-Unternehmen, brauchen wir für die Frauen Forderungen, welche die Einheit der Klasse betonen und die Befreiung der Frau mit der Befreiung der gesamten ArbeiterInnenklasse verbinden können.
Viele dieser ökonomischen, sozialen und politischen Forderungen im Kampf gegen Frauenunterdrückung und Krise sind nicht zufällig gleichlautend mit jenen der männlichen Arbeiter. Sie zeigen, dass ein gemeinsamer politischer und gewerkschaftlicher Kampf nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist.
So kann die Grundlage gelegt werden zum gemeinsamen Kampf für die Beseitigung nicht nur der Wurzel der Frauenunterdrückung – der privaten Hausarbeit – durch den Kampf gegen den Kapitalismus selbst.
Denn die Vergesellschaftung der Hausarbeit ist letztlich erst möglich, wenn wir eine Gesellschaft schaffen, in der die Arbeitskraft aufhört, eine Ware zu sein, in der Produktion und Reproduktion nicht gemäß dem Profitinteresse der herrschenden Klasse, sondern gemäß den Bedürfnissen der Arbeitenden, ob Mann oder Frau, organisiert sind.