Hannes Hohn, Neue Internationale 170, Juni 2012
Momentan wird um die Einführung eines „Betreuungsgeldes“ in Medien, Parteien und in der Regierungskoalition heftig debattiert. Dieses „Betreuungsgeld“ soll Eltern ausgezahlt werden, die ihr Kind nicht in eine Kita schicken.
Hintergrund dieser Pläne ist einerseits das Fehlen von Kitaplätzen und der ab August 2013 geltende gesetzliche Anspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter 3 Jahren andererseits. Dieses Gesetz wurde unter dem Druck der schlechten Geburtenrate und der aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten für Kinder eingeschränkten Berufstätigkeit vieler Eltern beschlossen. Bundesweit fehlen zwischen 150.000 und 300.000 Plätze. Das allein zeigt, dass in dieser Gesellschaft die Rettung der Banken allemal wichtiger ist als die Betreuung der Kinder.
Das Fehlen von Kitaplätzen – wie auch der Mangel an Hortplätzen v.a. in Westdeutschland – ist auch der allgemeinen Finanznot der Kommunen geschuldet. Dabei sagt die Anzahl von Kitaplätzen noch nichts darüber aus, wie es um die Qualität der Betreuung steht. Vielerorts ist diese zeitlich eingeschränkt, die Gruppen sind zu groß bzw. Personal fehlt.
Die Ursprungsidee war, Frauen mit dem nicht zu Unrecht als „Herdprämie“ titulierten Betreuungsgeld zu animieren, mit dem Kind zu Hause zu bleiben, anstatt arbeiten zu gehen. Doch inzwischen mehren sich sogar in den Regierungsparteien Stimmen dagegen und es werden diverse Maßnahmen angedacht, um das offensichtlich reaktionäre, gegen eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben gerichtete Projekt abzumildern. So soll es z.B. ein Paket zum beschleunigten (Aus)Bau von Kitas geben. Einige Minister sind aus Kostengründen gegen das Betreuungsgeld.
Natürlich wäre es dumm, dagegen zu sein, wenn Eltern mehr Geld für die Betreuung ihrer Kinder erhalten. Immerhin sind Kinder, besonders bei Alleinerziehenden, eines der größten Armutsrisiken – v.a. für Frauen. Gerade für Millionen Eltern, die arbeitslos sind oder im prekären Bereich arbeiten, wäre eine deutliche Erhöhung des Kindergelds nötig, um soziale Nachteile auszugleichen und den Kindern etwa gleiche Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu ermöglichen wie Kindern aus reicheren Schichten.
Ein Grundproblem an der „Herdprämie“ ist, dass das Geld nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird, also auch reiche Familien, die es sicher nicht brauchen, etwas bekommen. Dafür sollen aber gerade Harz IV-Empfänger nichts erhalten, was wieder einmal zeigt, für welches Klientel die „Familienpolitik“ von Schröder oder ihrer Vorgängerin von der Leyen gemacht wird.
Ein weiteres Problem ist, dass die Prämie als Anreiz dient, auf den Kitaplatz zu verzichten. Das aber bedeutet für viele Frauen fast automatisch, in dieser Zeit auch auf eine Berufstätigkeit – und auf das damit verbundene eigene Einkommen – zu verzichten. So wird die Frau weiter an das familiäre Milieu, an Kind, Heim und Herd, gebunden und ihre Teilnahme am sozialen Leben eingeschränkt.
Dass viele Eltern das Betreuungsgeld aber trotzdem nutzen würden, hat mehrere Gründe: fehlende Kita-Plätze, hohe Kita-Kosten, fehlende Arbeitsmöglichkeiten oder die schlechte Bezahlung im prekären (Teilzeit)Bereich, der für Mütter mit kleinen Kindern meist ohnehin nur als Job infrage kommt. Hier zeigt sich, dass eine grundsätzliche Verbesserung der Situation von Frauen, dass ein wirklicher Schritt vorwärts in Sachen Gleichberechtigung ohne tiefgreifende Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft unmöglich ist. Die diversen „Insellösungen“ in der „Familienpolitik“ der letzten Jahre haben ganz offensichtlich an der Gesamtlage nichts geändert – im Gegenteil: die kommunale Finanznot, die Sparpolitik der Regierung und die bewusste Ersetzung von „Normalarbeitsplätzen“ durch prekäre Jobs hat die generelle Situation noch verschlechtert.
Die CSU und andere Konservative stellen die Sache auf den Kopf, wenn sie suggerieren, Eltern würden “gezwungen”, ihre Kinder in die Kita zu schicken, während es überhaupt erst darum geht, die Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen die für alle Eltern wirklich attraktiv sind. Daher fordern wir u.a.:
Der Besuch einer Kita ist nicht nur eine Frage des Geldes oder der besseren sozialen Chancen der Eltern. Viele Untersuchungen belegen, dass eine gute Kita-Betreuung sich auch positiv auf die Entwicklung von Kindern auswirkt, z.B. bei der Sprachentwicklung.
Die „Herdprämie“ ist eben auch insofern ein falsches Signal, weil die Erziehung wieder stärker in das familiäre Milieu verwiesen wird, wo nicht nur oft wichtige pädagogische Fähigkeiten oder ein gutes soziales Milieu für die Entwicklung der Kinder fehlen. Ein Beispiel: In einer Kita könnte und sollte eine systematische frühkindliche Musikerziehung stattfinden – welche Mutter, welcher Vater könnte das individuell zum Hause leisten?!
Ein weiterer Haken der Kita-Pläne ist auch, dass als Betreuungseinrichtung auch Tagesmütter zählen. Doch gerade die Betreuung durch Tagesmütter ist oft in jeder Hinsicht mangelhaft, was die Bedingungen oder die Qualifikation anbelangt. Völlig unakzeptabel ist auch das Wirrwar von Bildungsträgern und das föderale Bildungssystem.
MarxistInnen engagierten sich immer für die Vergesellschaftung von Bildung und Erziehung, nicht zuletzt, um die reaktionären Einflüsse von Kirche, Familie und bürgerlichem Staat zurückzudrängen und v.a. die Unterdrückung der Frau durch ihre vorrangige Bindung an Kinder, Haushalt und Familie aufzubrechen.
Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz erweist sich als hohle Geste angesichts fehlender Plätze, fehlender Fachkräfte und zu niedriger Mittel der Kommunen. Auch hier zeigt sich, dass das Recht nicht höher stehen kann, als die materiellen Bedingungen, über denen es sich erhebt. Wie auch bei der groß angekündigten „Energiewende“ zeigt sich der Staat unfähig und unwillig, selbst seine eigenen Projekte umzusetzen.