Frederik Haber, Neue Internationale 179, Mai 2013
Während in der Stahlindustrie und bei den Ländern zügig eine Einigung gefunden worden war, kann die Tarifrunde im Einzel-
handel zu einem langen, zähen Ringen werden. Das liegt v.a. an den Unternehmen, die den Gewerkschaftsführungen keine Chance lassen, „Vernunft“ und Kompromissbereitschaft walten zu lassen.
Ver.di hatte diese beim Öffentlichen Dienst der Länder getan – der Kampf wurde ausverkauft, bevor er richtig begonnen hatte. Ähnlich hatte die IG Metall-Führung bei der Stahlindustrie die „schwierige“ Lage berücksichtigt und in der Metall- und Elektroindustrie schon die interne Debatte so gestaltet, dass klar wurde, dass nicht mehr als 5,5% als Forderung herauskommen durfte, damit ein Huber-Abschluss mit einer 3 vorm Komma als Erfolg gewertet werden kann.
Im Einzelhandel wird diese vorausschauende Unterwürfigkeit jedoch nichts nützen. Die Verbände der Handelsunternehmen haben auch die Manteltarifverträge gekündigt, sie stellen also Urlaubstage und -vergütung, Weihnachtsgeld, Eingruppierungen u.a.m. in Frage. Globus z.B. hat gerade den Arbeitgeberverband verlassen, um künftig Flächentarifverträge ganz zu umgehen. Intern hat Globus eine eigene Leiharbeitsfirma aufgemacht, die rund 1.500 Beschäftigte in ihre Bau-Märkte verleiht.
In den großen Handelsunternehmen haben die reichsten Männer Deutschlands ihre Milliarden aufgehäuft. Die Brüder Schwarz von Aldi Süd und Aldi Nord liegen dabei vorn, auf Platz 3 der Besitzer von Lidl und Kaufland. Sie und ihresgleichen finden die Löhne z.B. der KassiererInnen zu hoch. Tatsächlich sind diese im Tarifvertrag im Vergleich zu Verkäuferinnen relativ hoch eingestuft, da sie früher alle Preise im Kopf haben mussten. Aber nach wie vor sind die Löhne insgesamt so niedrig, dass seitens ver.di davon gesprochen wird, dass es ein Ziel dieser Runde sein, dass niemand unter 8,50 Euro pro Stunde verdienen soll.
„Ein großer Kampf im Einzelhandel kann nur gewonnen werden, wenn er auch gesellschaftliche Unterstützung, die Solidarität der gesamten Arbeiterklasse erfährt.“Die Forderungen sind in den einzelnen Bezirken unterschiedlich. In manchen wird ein Euro pro Stunde gefordert – eine Forderung, die sowohl die niedrigen Einkommen stärkt und die Lage der vielen Teilzeitbeschäftigten berücksichtigt. In anderen Bezirken liegt die Forderung meist bei 6,5%, mindestens aber 140 Euro. Für Azubis werden 80-90 Euro pro Monat gefordert, die Laufzeit soll ein Jahr betragen.
Es ist klar, dass dieser Kampf hart und lang werden kann. Beim Manteltarif droht gar ein tarifloser Zustand, falls dieser nicht wieder abgeschlossen wird. Das bedeutet, dass er für neue Beschäftigte nicht gilt, aber für alle anderen „nachwirkt“. V.a. aber heißt das, dass jederzeit gestreikt werden kann.
Die Beschäftigten spüren offensichtlich, worum es geht. Seit Januar sollen 11.000 Beschäftigte in die Gewerkschaft eingetreten sein. Aber es ist fast unmöglich, einen Großmarkt länger als ein paar Stunden arbeitsunfähig zu halten. Dann werden StreikbrecherInnen angefahren. Deshalb sollen die KundInnen einbezogen werden. Meist reagieren diese auch mit Verständnis.
Aber die bisher geplanten Aktionen mit Buttons „Zufriedene Kunden gibt´s nur mit Tarifvertrag“ sind da doch etwas dürftig. Ver.di, aber auch andere DGB-Gewerkschaften müssen einsehen, dass der Angriff der Kapitalseite kein Branchenproblem ist. Die Aktionen im Tarifkampf müssen deshalb miteinander verbunden werden! Das können gemeinsame Kundgebungen sein, aber auch ganz praktische Unterstützung für die Einzelhandels-KollegInnen.
In guter Erinnerung aus früheren Streiks sind Aktionen wie ein gemeinsamer Kaufhofbesuch in Stuttgart seitens etlicher MetallerInnen und Jugendlicher, die sehr viele Schuhe und Klamotten anprobierten und falsch zurücklegten, Waren zur Zentralkasse schicken ließen und ihren Kindern in der Spielwarenabteilung freien Lauf ließen, während die Marktleitung angestrengt die Kundgebung der Streikenden vorm Haupteingang beobachtete.
Auch Aktionen, die klarmachen, dass morgen auch noch ein Tag zum Einkaufen ist, sind gut, wenn sie helfen, eine Bewegung zu erzeugen: Zur Durchsetzung der Forderungen, zur Stärkung der gewerkschaftlichen Organisierung und des Selbstbewusstseins der Beschäftigten im Einzelhandel.
Natürlich kommt bei einem Streik den besser organisierten Betrieben und den Zentrallagern der Ketten eine Schlüsselrolle zu. Steht der Betrieb dort, so sind in wenigen Tagen die Regale auch im Laden leer. Richtigerweise plant ver.di das ein.
In jedem Fall ist aber klar: Ein großer Kampf im Einzelhandel kann nur gewonnen werden, wenn er auch gesellschaftliche Unterstützung, die Solidarität der gesamten Arbeiterklasse erfährt. Daher sollten wir vor Ort Solidaritätskomitees aufbauen, die Streikende unterstützen und selbst Aktionen in den Geschäften und auf der Straße organisieren!
Damit eine solche Auseinandersetzung gewonnen werden kann, braucht es aber auch eine Tarifrunde, die von unten, von den KollegInnen in den Betrieben nicht nur getragen, sondern auch kontrolliert und geleitet wird.
Das hat zwei Gründe: Erstens, um einen faulen Kompromiss zu verhindern, wie wir ihn praktisch bei jeder Tarifrunde erleben. Mögen die Chancen dazu kurzfristig auch nicht so groß sein wegen der Härte der UnternehmerInnen, so muss schon jetzt gefordert werden, dass sämtliche Verhandlungen offen zu führen sind, dass es keine Geheimabsprachen oder Kungelrunden seltsternannter Tarif“expertInnen“ geben darf. Vielmehr müssen die Tarifkommission und die VerhandlerInnen von der Basis gewählt und abwählbar sein.
Es gibt aber auch einen zweiten Grund, warum die Organisierung von unten so wichtig ist. Nur so, wenn die KollegInnen auf täglichen Streikversammlungen selbst bestimmen, selbst Rechenschaft von ihren VertreterInnen fordern, diese wähl- und abwählbar sind, wenn die KollegInnen selbst über ihren Kampf bestimmen und aktiv mitgestalten, verändert der Kampf auch die Beschäftigten selbst. KollegInnen, die bislang nicht organisiert oder passiv waren, können aktiviert werden. Die Beschäftigten sind gezwungen, sich aktiv zu den Winkelzügen der Unternehmer, zu etwaigen Gerichtsbeschlüssen, zu Streikposten usw. zu verhalten. Sie werden gezwungen, sich politisch zu verhalten. So bedeutet der Streik auch, dass er – unabhängig davon, was genau durchgesetzt werden kann – zu einem Hebel werden kann zur Erhöhung der Selbstorganisation und des Bewusstseins der Klasse.
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