Arbeiter:innenmacht

Landesparteitag Die Linke Berlin – auf dem Weg zur „roten Metropole“???

blu-news.org, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons

Martin Suchanek. Infomail 1298, 19. November

Die Linke will in Berlin regieren und mit Elif Eralp die nächste Bürgermeisterin stellen. Nichts weniger als eine rote Bastion gegen das neoliberale, militaristische und rassistische Grau der Bundesregierung verspricht die Partei unter dem Titel „Berlin zurückerobern – für eine Rote Metropole“. Detailliert werden manche der Vorschläge u. a. im Beschluss „Soziale Sicherheit und demokratisierte Daseinsvorsorge – für einen radikalen Politikwechsel in Berlin“ beschrieben.

Mit mehr Dynamik und vollmundiger als im letzten Jahrzehnt verspricht Die Linke, sollte sie eine Koalition mit SPD und Grünen nach den Landtagswahlen anführen, einen „echten“ Politikwechsel, ein „rebellisches Regieren“ vom Feinsten. Mit der „roten Metropole“ soll sich alles grundlegend ändern, stellt sie doch nicht weniger vor als eine „Stadt, in der die Menschen bestimmen, wo es langgeht, nicht der Markt. Eine Stadt, in der nicht mehr die Größe des Portemonnaies entscheidet, wie gut man lebt, sondern ein gutes Leben für alle Menschen möglich ist.“

Und wie soll das gehen? Dazu schlägt Die Linke in mehreren Beschlüssen einen Fokus auf folgende Maßnahmen vor.

1. Die Lösung der Wohnungsnot in Berlin

Das soll durch mehrere Maßnahmen erfolgen, u. a. durch ein soziales Wohnbauprogramm, einen Mietendeckel für 380.000 landeseigene Wohnungen und die Verpflichtung für private Vermieter:innen, in mindestens 50 % ihrer Immobilien für dauerhaft bezahlbare Mieten zu sorgen. Gewissermaßen als Krönung des Ganzen verspricht die Partei, dass sie die Umsetzung des Volksentscheids zur Vergesellschaftung von DWE und Co. zur Bedingung einer Koalition machen würde. Das klingt zunächst tatsächlich nach einem längst fälligen Durchbruch. Wie dies allerdings mit dem sehr dehnbaren Begriff einer Vergesellschaftung zu verstehen ist, bleibt unklar. Allerdings – und das sollten alle auch gleich im Hinterkopf haben –: Das E-Wort kommt in keinem der Beschlüsse vor. Statt von Enteignung ist sehr viel vager von Vergesellschaftung und sozialen Verpflichtungen die Rede.

Das ist kein Zufall. Alle wissen, dass die SPD, aber auch die Grünen einer sofortigen Enteignung der Konzerne nicht zustimmen würden – und somit die Koalitionsverhandlungen nur von kurzer Dauer sein könnten. Das Wort „Vergesellschaftung“ wird daher zu einer gängigen Formel, die zwei Funktionen erfüllt. Erstens klingt sie viel radikaler, auch wenn es sich bei Lichte betrachtet um wenig mehr als Mitbestimmung von Mieter:innen und den durchaus unterstützenswerten Ausbau der Rechte von Beiräten usw. handelt. Zweitens ist es in der Substanz viel vager als die Enteignung und erlaubt es so, unter einer scheinradikalen Fassade die Enteignungsfrage zu umschiffen. Die radikale Phrase reduziert das sog. rebellische Regieren mit SPD und Grünen in der Wohnungsfrage auf seinen realen Gehalt, auf einige sozialdemokratische Reformen, die das Privateigentum und die Profitmacherei der Immobilienlobby allenfalls etwas einhegen, in ihrer Substanz aber unberührt lassen. Damit könnten notfalls auch die SPD-Rechte und die Senatsverwaltung gut leben. Und die Spitze der Linkspartei könnte so tun, als hätte sie sich an „rote Linien“ gehalten.

2. Der Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge statt Sozialkürzungen

Neben der Lösung der Wohnungsfrage verspricht Die Linke die Errichtung einer „sozialen Infrastruktur“ der Stadt, was die „Vergesellschaftung“ der landeseigenen Unternehmen beinhalten solle. Diese sollten „demokratisch kontrolliert“ werden, wobei, was positiv zu erwähnen ist, die Kontrolle durch Mitarbeitende und Nutzer:innen extra hervorgehoben wird. Unklar bleibt allerdings, wie diese „Kontrolle“ im Verhältnis zum bürgerlichen Staat, also zum Land Berlin, steht, ob es sich um eine relativ weitgehende Form der Mitbestimmung oder um wirkliche Kontrolle durch die Beschäftigten handeln solle.

Auch hier dient die vage Formulierung dazu, sich radikaler zu geben und zugleich ausreichend Spielraum für etwaige Koalitionsverhandlungen zu haben.

Darüber hinaus verspricht auch Die Linke, was auch schon der letzte rot-grün-rote Senat versprochen hatte – die Wiedereingliederung outgesourcter Bereiche in die landeseigenen Betriebe und die verbindliche Einhaltung von tariflichen Bedingungen für Betriebe, die Aufträge vom Senat oder den Bezirken erhalten sollen.

Das ist alles richtig – allein fehlt es an über alte Versprechen hinausgehenden Forderungen, wie z. B. die entschädigungslose Enteignung von Betrieben, die diese Bedingungen verletzen, und Kampfmaßnahmen zu deren Umsetzung und Kontrolle.

3. Soziale Absicherung statt Repression und Überwachung

In diesen Abschnitten und Anträgen spricht sich Die Linke u. a. gegen die Überwachung sog. „Kriminalitätsschwerpunkte“, gegen rassistische Kontrollen durch die Bullen und gegen KI-gesteuerte Überwachungssysteme im öffentlichen Raum aus.

Stattdessen müssten Versammlungs- und Meinungsfreiheit verteidigt werden, Berlin müsste eine antirassistische Stadt werden, diskriminierende und rassistische Praktiken gehören abgeschafft. Alles gut. Aber alles auch unkonkret, wenn es um politische Knackpunkte wie die Kriminalisierung der Palästinasolidarität, Verbote palästinensischer Organisationen und Einschränkungen des Demonstrationsrechts geht. Hier bleiben die Anträge wortkarg und sprachlos. Eine Entkriminalisierung aller palästinensischen Organisationen und Vereine – im Grunde eine demokratische Minimalforderung – findet sich bei der Linkspartei aus zwei Gründen nicht. Erstens geht das den eigenen rassistischen, zionistischen und proimperialistischen Rechten wie z. B. der sog. progressiven Linken gegen den Strich. Für den innerparteilichen Frieden akzeptiert man letztlich lieber die Polizeirepression. Zweitens weiß auch das Zentrum der Berliner Linkspartei, dass eine Koalition mit SPD und Grünen ausgeschlossen ist, wenn eine Entkriminalisierung von palästinensischen (und anderen auf den sog. Terrorlisten zu findenden Widerstandsorganisationen) als Voraussetzung für eine Regierungsvereinbarung benannt würde.

Es ist daher kein Zufall, dass die Beschlüsse zur „roten Metropole“ und zum „rebellischen Regieren“ kein Wort über die Umsetzung von Bundesgesetzen durch das Land Berlin verlieren. Soll die „rote Metropole“ weiter Flüchtlinge und Migrant:innen abschieben? Soll sie die Sanktionen gegen „verweigernde“ Bürgergeldbezieher:innen umsetzen? Wer bei den Bedingungen für eine etwaige Koalition dazu nichts sagt, sagt in Wirklichkeit alles. Das gern beschworene Miteinander gilt für die Betroffenen rassistischer Abschiebungen oder für die Menschen, die kein Bürgergeld mehr kriegen sollen, offenkundig nicht. Daran ändern auch zehntausende Haustürgespräche nichts.

Widersprüche des „rebellischen Regierens“

Wir wollen hier keineswegs absprechen, dass viele Mitglieder der Linkspartei und auch viele Delegierte zum Parteitag ehrlich Abschiebungen verhindern und das Sanktionsregime gegen die Arbeitslosen stoppen wollen. Aber es liegt in der Logik des „rebellischen Regierens“, das bei Lichte betrachtet eben auch nur eine weitere „linke“ bürgerliche Regierung ist und auch nur sein kann, dass allenfalls verwässerte Reformen rüberkommen, während man gleichzeitig die volle Verantwortung für die Umsetzung der Geschäfte der herrschenden Klasse übernehmen muss. Pointiert bezeichnete Marx die Regierung als geschäftsführenden Ausschuss der herrschenden Klasse – und genau das ist auch der Senat in Berlin. Eine Koalition mit anderen bürgerlichen oder reformistischen Parteien gibt dem vielleicht einen etwas progressiveren Anstrich – mehr aber auch nicht.

Die „rote Metropole“ entpuppt sich als blauäugige Fiktion. Eine Stadt, „in der die Menschen bestimmen, wo es langgeht, nicht der Markt. Eine Stadt, in der nicht mehr die Größe des Portemonnaies entscheidet, wie gut man lebt, sondern ein gutes Leben für alle Menschen möglich ist“, kann es auf Basis des Kapitalismus nicht geben.

Es ist eine alte sozialdemokratische Schimäre, dass die Lebensverhältnisse der lohnabhängigen Massen durch Veränderung der Verteilungsverhältnisse (Wohnung, soziale Sicherung usw.) geändert werden können, wenn gleichzeitig die Eigentumsverhältnisse – das Monopol an den Produktionsmitteln – unangetastet bleiben. Genau das verspricht aber Die Linke und daraus erwachsen alle ihre inneren Widersprüche.

Die Beschlüsse des Parteitags bringen das zum Ausdruck. Einerseits werden einigermaßen radikale Reformen versprochen – ein Ausdruck des Drucks aus der Arbeiter:innenklasse, von den Wähler:innen und aus der Mitgliedschaft. Andererseits wird alles so formuliert, dass es einigermaßen koalitionstauglich, also kompatibel mit SPD und Grünen, ist, denn schließlich kann Eralp nur mit deren Stimmen, wenn überhaupt, Bürgermeisterin werden.

Die reformistische Strategie des rebellischen Regierens drückt sich jedoch nicht nur im Opportunismus gegenüber SPD und Grünen aus. Es offenbart sich auch eine vollkommene Verkennung des bürgerlichen Staatsapparates als Instrument der herrschenden Klasse.

Auf tragikomische Art und Weise verdeutlicht das der Beschluss „Berliner Polizeiausbildungsmodell erhalten statt abschaffen“. Zu Recht lehnt Die Linke die Ausbildung des Führungspersonals der Polizei in einer neu zu schaffenden Polizeiakademie ab. Aber ihre Begründung lässt tief blicken: „Dies würde zu einem Wechsel der Aufsicht von Wissenschaft zu Inneres führen und damit zu einer veränderten Ausbildungslogik. Nicht mehr die Ausbildung zu mündigen und reflektierten Beamt*innen stünde im Zentrum, sondern die Durchsetzung von Law and Order.“

Dass die bisherige Ausbildungslogik „mündige und reflektierte Beamt:innen“ hervorgebracht hätte, gehört zur politischen Märchenstunde des Parteitags. Bei Demonstrationen, Hausdurchsuchungen und im sonstigen rassistischen Überwachungsalltag kann davon keine Rede sein. Ebenso wenig wie „rote Metropole“ als sozialistische Insel in einer Stadt im imperialistischen Deutschland geschaffen werden kann, ebenso wenig kann die bürgerliche Polizei, dieses Herrschaftsinstrument des Kapitals, demokratisiert und reformiert werden. Revolutionär:innen in der Partei müssen diese inneren Widersprüche und damit verbunden den illusionären und utopischen Charakter der reformistischen Strategie der Partei offen angreifen und kritisieren – und zugleich die Diskussion um eine revolutionäre Alternative und Strömung in der Partei beginnen. Ansonsten droht auch die „neue“ Berliner Linkspartei, in einem „neuen“ Regierungsdesaster zu enden.

Nachsatz: im obigen Text haben wir uns mit dem Beschluss des Landespartei zum Genozid in Gaza nicht beschäftigt, dem werden wir einen gesonderten Artikel widmen.

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