Arbeiter:innenmacht

Schulschließungen – wer entscheidet?

Bild von Daniel Roberts auf Pixabay

Christian Gebhardt, Infomail 1176, 19. Januar 2022

Die Omikronwelle trifft nun „überraschend“ Deutschland. Auch wenn sich die Mitteilungen mehren, dass die Krankheitsverläufe milder verlaufen und weniger Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen als in den vorherigen Wellen, ist die schiere Wucht der Infektionszahlen erdrückend. Dies wird in den nächsten Wochen die Gesellschaft vor viele Probleme in den „systemrelevanten“ Bereichen stellen. Ob Bildung und Gesundheit der Kinder zu diesen gehören, wird vonseiten der Politik und EntscheidungsträgerInnen mit einem klaren Nein beantwortet. Die Schulen und Kitas sollen unter allen Umständen offen bleiben, damit die Wirtschaft weiterlaufen kann.

Stattdessen sieht die Regierung als „Lösung“ des Problems die Verkürzung der Quarantäne vor und eine faktische Durchseuchung. Diese wird von den meisten Verantwortlichen nun als unumgänglich angesehen. Es wird seit einigen Tagen nicht mehr davon gesprochen, ob unsere Gesellschaft überhaupt durchseucht werden soll, sondern nur noch davon, wann der richtige Zeitpunkt dafür da ist und wie schnell diese vonstattengehen kann. Eine kategorische Ablehnung der Durchseuchungsstrategie ist nicht mehr erkennbar.

Vielmehr soll sie faktisch helfen, den grundlegenden inneren Widerspruch aufzulösen, der auch der bisherigen Corona-Politik zugrunde lag. Einerseits sollen der Kreislauf des Kapitalismus und die Profitmacherei möglichst aufrechterhalten werden, andererseits soll der Pandemie so weit Rechnung getragen werden, dass das Gesundheitswesens nicht überlastet wird und eine zu rasche und extreme Ausweitung des Virus nicht Infrastruktur und Produktion lahmlegt, weil zu viele zur gleichen Zeit erkranken.

Schulen und Kitas offenhalten – mit allen Mitteln?!

Aus den letzten Wellen wurde von Seiten der herrschenden Klasse vor allem eins gelernt: die Schließung von Bildungseinrichtungen ist viel zu schädigend für die Wirtschaft. Die Arbeitskraft der Erziehungsberechtigten wird dadurch auf Kosten ihrer Ausbeutung zu stark für die Aufsicht über ihre Kinder eingespannt.

Auch nimmt der internationale Konkurrenzdruck durch die lockeren Restriktionen in Ländern wie dem Vereinigten Königreich (Großbritannien) oder den USA dermaßen zu, dass sich die deutsche Wirtschaft Schließungen im großen Maßstab nicht nochmal leisten möchte. Finanziell leisten könnte sie es sich selbstverständlich. Im Gegensatz zu den eher trägen Verhältnissen in Deutschland regt sich in anderen Ländern Europas bereits Widerstand gegen die staatlich verordnete Durchseuchung des Bildungs- und Erziehungsbetriebes. Allein in Frankreich haben Zehntausende LehrerInnen aus Grund- und weiterführenden Schulen gemeinsam mit ihren SchülerInnen einen Großteil der Schulen des Landes bestreikt. In Griechenland haben SchülerInnen über 300 Schulen besetzt oder die Eingänge blockiert, um sich und ihre MitschülerInnen vor Infektionen zu schützen. Auch in Österreich haben SchülerInnen gegen eine verfehlte Bildungspolitik unter Pandemiebedingungen gestreikt.

Die Gewerkschaften spielen in Frankreich eine Schlüsselrolle in der Mobilisierung. In Österreich blieben sie allenfalls zurückhaltend und drückten ihre Solidarität mit den Protesten auf Druck der Massen nur zaghaft aus.

Interessant ist auch, darauf zu achten, was die deutschen Gewerkschaften im Bildungsbereich vorschlagen. Alle haben sich rhetorisch mehr oder weniger kritisch gegen die Entscheidung der KultusministerInnenkonferenz gestellt, die Bildungseinrichtungen auch trotz Omikronwelle offen zu halten. Die beschlossenen Maßnahmen tragen jedoch alle mit. Eine aktive Mobilisierung gegen die getroffenen Entscheidungen und die Artikulierung einer Alternative ist von keiner der Gewerkschaften zu vernehmen.

GEW

Was schlägt zum Beispiel die Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft (GEW) vor? Die Entscheidung, die Schulen auf alle Fälle offen zu halten, wurde auch von ihr kritisiert, jedoch schlussendlich angenommen und verteidigt. Man gibt sich jedoch „realistisch“ und spricht davon, dass es zu lokalen Schulschließungen kommen wird. Dies solle aber so gut wie möglich abgefangen werden durch die Bereitstellung von Luftfilteranlagen, FFP2-Masken für KollegInnen und SchülerInnen, die Ausweitung der Impfkampagne und Verfügbarkeit von omikronsensitiven Schnelltests. Was schlägt aber die GEW für die Zwischenzeit vor bzw. welche Maßnahmen sollen uns dabei helfen, diese Forderungen auch umzusetzen? Eine Antwort darauf sucht man vergeblich.

Die Vorsitzende der GEW, Maike Finnern, ging in einem Interview mit der Wirtschaftswoche sogar soweit, die Überlegung zu äußern, Lehrkräfte, die sich in Quarantäne befinden, könnten auch von zuhause aus arbeiten, um den Schulablauf abzusichern. Dies solle natürlich nur geschehen, wenn sich der/die KollegIn gesund fühlt, die technischen Gegebenheiten an der Schule vorhanden sind und genügend Personal vorhanden ist, um die Aufsicht sicherzustellen. Dies ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller an den Schulen und eine Forderung nach Mehrarbeit für genau die, die Maike Finnern vorgibt zu vertreten, nein, es würde ebenfalls bedeuten, dass die Bildungsschere bei Anwendung dieser Überlegungen noch weiter auseinandergeht. Die von Maike Finnern formulierten Voraussetzungen sind überwiegend in gut ausgestatteten Schulen und höheren Bildungseinrichtungen gegeben und somit hauptsächlich in sozial stärkeren Schichten der Gesellschaft. Mensch könnte auch sagen: Danke für nichts!

Nichtsdestotrotz müssen wir uns mit dem Gedanken auseinandersetzen, wer über eventuelle Schulschließungen entscheidet und wie, wenn die Omikronwelle eine Schule oder Kita zu hart trifft, um den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten? Hier gab es eine erfrischende Äußerung von Tom Erdmann von der Berliner GEW. Er forderte, dass nicht nur die Schulleitungen über eine mögliche Schulschließung entscheiden sollten.

Es sollen stattdessen die jeweilige Schulkonferenz und somit auch die SchülerInnenschaft, die Eltern und das Kollegium mit einbezogen werden. Ein solcher demokratischer Entscheidungsprozess ist stark zu begrüßen, auch wenn natürlich nicht nur eine Einbeziehung der Schulkonferenz in die Entscheidung der Schulleitungen nötig ist, sondern die verbindliche Entscheidungsgewalt von Beschäftigten, Eltern und SchülerInnen.

Vor allem aber stellt sich die Frage, wie die Forderung vonseiten der Berliner GEW durchgesetzt werden soll? Das alleinige Formulieren des Zieles bringt uns leider nicht weiter. Was wir brauchen, ist eine Mobilisierung und Durchführung von Aktionen zusammen mit den SchülerInnen- und Elternvertretungen. Hierfür sollte die GEW Berlin auf diese Organisationen und Vertretungen zugehen und gemeinsame Aktionen planen.

Die Notwendigkeit einer bundesweiten Bewegung!

Die Berliner GEW muss aber darüber hinausgehen. Wie die vorherigen Wellen eindrucksvoll bewiesen haben, sind alle Bundesländer davon betroffen. Daher benötigen wir nicht nur Aktionen und Mobilisierungen in einem Landesverband. Was wir brauchen, sind bundesweite Aktionen, um dafür zu kämpfen, dass die KollegInnen, SchülerInnen und Erziehungsberechtigten gemeinsam entscheiden, wann eine Schule geschlossen und wieder geöffnet werden soll. Die GEW darf auch nicht vor Demonstrationen und Mobilisierungen auf der Straße zurückschrecken. Die Erfahrungen der Mobilisierungen in der Tarifauseinandersetzung an Berliner Krankenhäusern haben gezeigt, wie wichtig eine aktive Mobilisierung auf den Straßen sowie eine demokratische Kontrolle der Proteste durch die Beschäftigten selbst ist!

Kitas nicht wieder vergessen!

Die derzeitige Debatte fokussiert sich wie in den letzten Wellen auch wieder hauptsächlich nur auf die Schulen. Einen weiteren sehr großen und gesundheitlich noch viel prekäreren Bereich stellen jedoch die Kitas dar. Auch diese sollten in eine bundesweite Kampagne für sichere Bildungseinrichtungen durch die GEW (und ver.di) einbezogen und mitgedacht werden. Die Frage der Notbetreuung, Personalmangel und -ausfall spielen auch dort eine sehr wichtige und dringende Rolle. Dies vor allem dadurch, dass es sich hierbei um die Bildungseinrichtungen handelt, in denen ein gutes Testsystem schwer zu etablieren ist und die KollegInnen einer größeren Gefahr ausgesetzt sind, da es keinen Impfstoff für diese Altersgruppe gibt.

Wir schlagen daher Folgendes vor:

  • Vollversammlungen der Beschäftigten an Schulen und Kitas, um über die aktuelle Lage zu diskutieren, Forderungen zur Pandemiebekämpfung im Interesse von Beschäftigten, SchülerInnen und Eltern zu beschließen. Bei den Versammlungen sollen Aktionskomitees an Schulen und Kitas gebildet werden.
  • Eine bundesweite Mobilisierung basierend auf diesen Strukturen, um auf die unsichere Lage an den Bildungseinrichtungen hinzuweisen und den Forderungen der GEW nach Luftfiltern, Masken für alle, einer flächendeckenden Impfkampagne und der Bereitstellung von omikronsensitiven Tests Gewicht zu verleihen.
  • Vollversammlungen von Beschäftigen, SchülerInnen und Eltern an jeder Schule oder Kita sollten entscheiden können, wann der Betrieb ihrer Bildungseinrichtung sicher ist und wann nicht. Sollte eine Bildungseinrichtung geschlossen werden müssen, muss den Erziehungsberechtigten bezahlter Sonderurlaub gewährt werden.
  • Bundesweiten Aufbau von Basisgruppen von GEW und ver.di an Schulen und Kitas, um die pandemische Lage zu diskutieren und eine solche Kampagne voranzutreiben.
  • Eine Verbindung der Kampagne mit der #ZeroCovid-Strategie! Die Bildungseinrichtungen können nur ein Baustein im Kampf gegen die weitere Pandemieentwicklung sein. Was wir benötigen, ist die internationale Durchsetzung einer #ZeroCovid-Strategie, um unseren Kindern nicht nur eine möglichst reibungslose Bildung auch zu Pandemiezeiten zu gewähren, sondern auch um ihre körperliche Unversehrtheit und Gesundheit zu schützen.
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