Partito Comunista dei Lavoratori (PCL), Infomail 1296, 2. November 2025
Die Ereignisse vom 22. September bis zum 4. Oktober zeigen eine neue Entwicklung in der italienischen Politik: einen allgemeinen Sprung in der Massenmobilisierung, der in den letzten zwei Jahrzehnten seinesgleichen sucht. Es ist noch zu früh, um die politischen Auswirkungen dieses Sprungs, seinen Einfluss auf das Massenbewusstsein und seine Aussichten zu messen. Es gibt zu viele Variablen, die objektiv nicht vorhersehbar sind, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, darunter auch das Ergebnis des Trump-Netanjahu-Plans. Es ist jedoch notwendig und möglich, die sich abzeichnenden neuen Entwicklungen zu charakterisieren.
Die Bewegung hatte einen direkt politischen Auslöser: die Empörung über den völkermörderischen Angriff des zionistischen Staates und die Komplizenschaft der italienischen Regierung. Während der zwei Jahre des genozidalen Krieges in Palästina hat die Mehrheit der italienischen Gesellschaft zweifellos eine gemeinsame pro-palästinensische und anti-israelische Haltung entwickelt. Aber zwei Jahre lang blieb die aktive Mobilisierung von Solidarität und Unterstützung für Palästina auf die Avantgarde beschränkt, was sicherlich wichtig, aber begrenzt war.
In den letzten Wochen gab es einen dramatischen Sprung nach vorne. Die Mission der Flottilla hat, über ihre Natur und Grenzen hinaus, dazu beigetragen, eine kollektive und aktive Identifikation mit der gerechten Sache Palästinas auszulösen. Sie hat der Empörung ein Gesicht und ein erkennbares Banner gegeben. Die riesige Demonstration in Genua, die die Abreise der Mission begleitete, war das erste Zeichen für diesen Sprung nach vorne.
Die Protestmärsche am 22. September waren ein weiterer Schritt in dieser Richtung. Die Demos am 3. Oktober, anlässlich des Generalstreiks, waren ein neues und massives Ausbreiten der Mobilisierung. Die landesweite Demonstration am 4. Oktober hat den Prozess, der ihr vorausging, und seine zunehmende Beschleunigung auf unvorhergesehene Weise bestätigt. Die allgemeine Dynamik war also die einer scharfen Wende. Eine lange Zeit passiven Leidens wurde in aktiven Protest umgewandelt.
Bislang scheint diese Wende im Mobilisierungsniveau keine Auswirkungen auf den reaktionären sozialen Block gehabt zu haben, wie die Wahlergebnisse zunächst in der Region Marken (Mittelitalien) und dann in Kalabrien (Süditalien) zeigen. Der Block der Ordnung hält stand. Aber im Lager des alternativen sozialen Blocks beobachten wir einen Prozess der echten Radikalisierung.
Die Anwesenheit junger und sehr junger Menschen war ein zentrales Merkmal der Mobilisierung. Dies galt insbesondere für die erste Demonstrationswelle am 22. September. Die Schockwelle dieses Tages wurde sofort registriert und hatte eine weitreichende Wirkung.
Die Führung der Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL; Italienische Arbeiter:innenkonföderation) war das erste Opfer dieser Beschleunigung und vor allem ihrer eigenen bürokratischen Kurzsichtigkeit. Als sie die Welle nach der Demo in Genua spürte und einen möglichen Erfolg des Streiks, zu dem die Unione Sindacale di Base (USB; Gewerkschaftliche Basisunion) und andere Basisgewerkschaften für den 22.9. aufgerufen hatten, wie die Pest fürchtete, versuchte die CGIL-Führung, den Flammen mit ihrer eigenen, plötzlich einberufenen Initiative rein symbolischer Natur vorzubeugen.
Der einzige Zweck der CGIL-Initiative vom 19. September bestand darin, die Dynamik des Streiks vom 22. September zu bremsen, um dann ihren bürokratischen Kalender für den Herbst wieder aufzunehmen. Aber die Aktion war für diejenigen, die sie vorangetrieben hatten, ein Reinfall.
Abgesehen von der direkten Beteiligung am Streik (bescheiden, aber nicht unbedeutend an Schulen, bei Verkehr und Dienstleistungen) waren die Demonstrationen am 22. September ein außerordentlicher politischer Erfolg in ganz Italien. Nicht nur wegen der Masse junger Student:innen, die in einem seit langem nicht mehr gesehenen Ausmaß die Straßen und Plätze überfluteten, sondern auch wegen der öffentlichen Unterstützung für die kollektive Stimmung.
Die Tatsache, dass symbolische Besetzungen von Bahnhöfen, Straßen und Häfen von öffentlichem Applaus begleitet wurden, sogar von ihren „Opfern“ (gestrandeten Autofahrer:innen), prägte den ganzen Tag. Dass der CGIL-Apparat einen ganzen Tag lang still blieb, war ein Zeichen für seine schmerzhafte Niederlage. Die USB bekam von der CGIL ein unerwartetes und unvorhergesehenes Ergebnis geschenkt, das weit über ihren eigenen Rahmen hinausging.
Der große Erfolg vom 22. September hat eine neue Dynamik ausgelöst. Das gilt auch für die Arbeitsbeziehungen. Die USB sah sich mit einer unerwarteten Mobilisierung und in gewisser Weise mit der Verantwortung für eine Massenführung konfrontiert: eine Verantwortung, die ihrer traditionellen selbstzentrierten Logik fremd ist.
Auf der anderen Seite musste die CGIL-Führung versuchen, sich von der vernichtenden Niederlage zu erholen, indem sie wieder auf die Bühne zurückkehrte. Sie übernahm sogar plötzlich den Slogan eines Generalstreiks für Palästina, den sie zuvor abgelehnt hatte. Sie ging sogar so weit, sich zu einem beispiellosen Streik ohne Vorankündigung zu verpflichten.
Die neuartige Annäherung zwischen der CGIL und den Basisgewerkschaften beim Generalstreik vom 3. Oktober war ein Nebenprodukt dieser Massendynamik – eine Dynamik, die weder die CGIL noch die USB berücksichtigt hatten.
Der Streik und die Demonstrationen vom 3. Oktober gingen wiederum über den 22. September hinaus – in Bezug auf die Teilnahme am Streik, auf die Massenbeteiligung an den Demonstrationen, auf die nationale Ausweitung der Mobilisierung im ganzen Land (nicht nur in den Großstädten, sondern auch in den Kleinstädten und in den Provinzen), sowie in Bezug auf die öffentliche Identifikation und Unterstützung.
Der 3. Oktober hatte einen Lawineneffekt. Die Demonstration am 4. Oktober in Rom bewies das mit ihrer außergewöhnlichen Größe und der Zusammensetzung der Teilnehmer:innen. Dass die CGIL gezwungen war, sich einer von palästinensischen Widerstandsorganisationen einberufenen Demonstration mit einer Plattform von Widerstandsforderungen anzuschließen, zeigt indirekt, wie außergewöhnlich die Ereignisse waren, wie nervös die Bürokratie ist und welche neuen Widersprüche sich auftun.
Das Ausmaß der Massenbewegung hat die Regierung in Schwierigkeiten gebracht – zum ersten Mal seit drei Jahren. Das Zusammentreffen von Massenmobilisierung und öffentlicher Meinung hat die Regierung daran gehindert, die reaktionären Maßnahmen des Gesetzentwurfs 1660 vollständig umzusetzen. In vielen Situationen hat der Massendruck auf den Straßen die Polizei dazu gezwungen, angesichts der Welle von Besetzungen von Bahnhöfen, Straßen und Autobahnen weitgehend passiv zu bleiben.
Das Verhalten der Regierung gegenüber dem Generalstreik am 3. Oktober war bezeichnend. Die Garantiekommission (eine Regierungskommission, die über die „Verhältnismäßigkeit“ von Streikaktionen entscheidet) erklärte ihn für illegal. Aber die Regierung hatte nicht die Kraft, zu Verboten zu greifen. Die erbärmlichen Drohungen des Verkehrsministeriums gegen einzelne Streikende waren ein Versuch, die Ohnmacht der Regierung durch einen Racheakt zu übertünchen. Aber sie konnten diese nicht verbergen. Und sie hatten praktisch keine Wirkung.
Allgemeiner betrachtet kam die gesamte Handhabung der Flottilla-Affäre durch die Regierung in der Öffentlichkeit wie ein verzweifeltes Festhalten an Strohhalmen rüber. Die Komplizenschaft der Regierung mit Israel wurde noch offensichtlicher. Und sie verstärkte den regierungsfeindlichen politischen Impuls in der pro-palästinensischen Mobilisierung selbst, weit über den humanitären Aspekt hinaus.
Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass die Bewegung alles erreichen kann, dass man nur der Welle folgen muss, ist es gerade der Sprung der Massenbewegung, der die Frage nach Führung und Perspektive mehr denn je aufwirft. Die aus Frankreich übernommene Parole „Lasst uns alles blockieren“ hat den radikalen Impuls eines großen Teils der Bewegung richtig erfasst, aber er ist an sich nicht in der Lage, einen Weg nach vorne und eine Perspektive aufzuzeigen.
Natürlich muss die Mobilisierung weitergehen. Aber mit welchen Forderungen, welchen Organisationsformen, welcher Kombination sozialer Kräfte? Keine/r der an der Angelegenheit beteiligten politischen und gewerkschaftlichen Akteur:innen stellt sich diese Fragen. Sie haben andere Sorgen und Interessen.
Die Mitte-Links-Parteien, die sich gerade erst bei der Abstimmung über den Trump-Netanjahu-Plan enthalten haben, denken daran, in Zukunft Wahlvorteile aus den Geschehnissen zu ziehen, obwohl dies, wie die Fakten zeigen, ohne Ergebnis geblieben ist.
Die CGIL-Bürokratie versucht, die Kontrolle über die Situation, die ihr entglitten ist, zurückzugewinnen und wieder zu ihrer eigenen Agenda zurückzukehren. Die USB wird daran arbeiten, den Ruhm ihres unerwarteten Erfolgs zu polieren, um sich wieder ins Zentrum zu rücken. Potere al Popolo (Volksmacht) und ihre Jugendorganisationen, die objektiv gesehen in der Student:innenbewegung eine hegemoniale Rolle spielen, konzentrieren sich ausschließlich darauf, ihre eigene Marke zu etablieren.
Stattdessen ist es notwendig, eine klare Perspektive für die Zukunft der Bewegung zu entwickeln.
Das erste Problem für die Kontinuität der Bewegung ist die Beantwortung der Frage: „Für welche Forderungen kämpfen wir weiter?“ Die Forderung nach dem Abbruch aller Beziehungen zu Israel muss als zentrale in den Vordergrund treten. Eine radikale, aber einfache Forderung, die der Meinung der Menschen entspricht, die auf viele Arten formuliert werden kann (sowohl an Unis als auch in Häfen) und gleichzeitig einen verbindenden Charakter hat.
Es ist eine Forderung, die Teil der Dynamik der Bewegung ist, offen gegen die Regierung gerichtet ist, über die komplexen Variablen der Nahost-Situation hinausgeht und die Heuchelei der schrittweisen liberalen Opposition aufdeckt.
Welche soziale Klasse ist in der Lage, diese Forderung in konkrete Maßnahmen umzusetzen? Die Arbeiter:innenklasse. Das ist eine wichtige Frage. Es geht nicht einfach darum, die italienische Regierung aufzufordern, mit Israel zu brechen, was natürlich richtig ist, aber keine praktische Wirkung hat.
Es geht darum, unabhängige Aktionen der Arbeiter:innenbewegung zu organisieren, die dieses Ziel tatsächlich verfolgen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Blockade des gesamten Verkehrs mit Israel in Häfen und an Flughäfen durch die Kontrolle der ein- und ausgehenden Güter durch die Arbeiter:innen. Diese Form des Kampfes ist bereits sporadisch in verschiedenen italienischen (Genua, Livorno, Ravenna usw.) und europäischen Häfen (Marseille, Piräus, Antwerpen usw.) aufgetreten.
Wenn es einen europäischen Gewerkschaftsbund gäbe, der diesen Namen verdient, würde er eine umfassende Blockade auf kontinentaler Ebene organisieren. Auf jeden Fall ist dies eine Forderung, die auf nationaler Ebene gestellt werden muss und mit der die Gewerkschaftsführungen herausgefordert werden müssen. Es ist sicherlich eine Form des Kampfes, die der jüngeren Generation mit dem einfachsten Beispiel die Stärke der Arbeiter:innenklasse und ihre zentrale Bedeutung vor Augen führt.
Der Einstieg der Arbeiter:innenklasse in den Kampf für Palästina ist auf einer direkt politischen Ebene passiert, aber er hat auch soziale Auswirkungen. Das stimmt. Es gibt Arbeiter:innen, die für Palästina gestreikt haben, ohne dass es um direkt gewerkschaftliche soziale Gründe ging.
Das ist keine Überraschung. Die ganze Geschichte der Arbeiter:innenbewegung zeigt, dass sich das Massenbewusstsein auf viele verschiedene Arten entwickeln kann. Aber es stimmt auch, dass eine riesige Masse von Jugendlichen, Arbeiter:innen und Menschen, die auf die Plätze und Straßen strömt, Gründe und Impulse zum Ausdruck bringt, die tiefer gehen als die Fahnen, die sie offiziell schwenken und mit denen sie sich identifizieren.
Das ist bei Palästina der Fall. Palästina kann eine Rebellion gegen die Ungerechtigkeit in der Welt auslösen. Gegen die Ungerechtigkeit sinkender Löhne, prekärer Jobs ohne Zukunft, täglicher Schikanen im sozialen Leben, der Kluft zwischen den eigenen Lebensumständen und Hoffnungen. Eine Kluft, die junge Generationen auf der ganzen Welt erleben.
Um die entstandene Bewegung weiterzuführen, ist es daher wichtig, daran zu arbeiten, sie wieder in einen umfassenderen Rahmen zu bringen. Das bedeutet eine anerkannte Plattform für vereinheitlichende soziale Forderungen und die Perspektive einer alternativen Gesellschaft.
Der Kampf für eine vereinte Klassen- und Massenfront und für deren Fortbestand, weit über die Konvergenz des Generalstreiks am 3. Oktober hinaus, muss mit einem Vorschlag für eine allgemeine Umorientierung der Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung hin zum Klassenkampf verbunden werden. Dies ist das Thema einer vereinigenden allgemeinen Auseinandersetzung. Es ist der Kampf um eine neue Führung für die italienische Arbeiter:innenbewegung.
Palästina dokumentiert in seiner tragischen Realität die Barbarei des Kolonialismus und Imperialismus in all ihren Formen. Aber auch, gerade deshalb, die totale Utopie des Reformismus. Der Zusammenbruch der alten Erzählung von „zwei Völkern, zwei Staaten“, die durch den Plan von Trump, Blair und Netanjahu begraben wurde, ist und muss der Ausgangspunkt sein, um einem avantgardistischen Teil der jüngeren Generation, den Arbeiter:innen und Student:innen, klarzumachen, dass es keine echte Lösung für die Krise der Menschheit außerhalb einer Perspektive der Revolution gibt, in jedem Land und auf globaler Ebene.
Dieses Bewusstsein in die Arbeiter:innenklasse und die Jugend zu transportieren, es in das Bewusstsein der palästinensischen Avantgarde in Italien zu tragen, ist das Kernanliegen der Partito Comunista dei Lavoratori, der italienischen Sektion der Internationalen Sozialistischen Liga.