Arbeiter:innenmacht

Tarifrunde TV-L – Was liegt drin?

Bild: Simon Zamora Martin, https://www.klassegegenklasse.org/

Mathis Molde, Neue Internationale 295, Oktober 2025

Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder (TV-L) starten am 3. Dezember 2025, die Vorbereitung beginnt jetzt. Betroffen sind davon alle, die im öffentlichen Dienst beim jeweiligen Bundesland angestellt sind, das sind in den Flächenländer die Landesbehörden, vor allem beispielsweise Lehrer:innen, aber auch Beschäftigte an Universitäten und Unikliniken, an Landestheatern oder Verkehrsbehörden. Bei den Stadtstaaten aber sind es auch die Beschäftigten, die den kommunalen in anderen Städten entsprechen: Verwaltung, Öffentlicher Nahverkehr, Müll- und Stadtwerke. Darunter sind durchaus gut organisierte Belegschaften. Insgesamt geht es dabei um 2,6 Millionen Tarifbeschäftigte plus Beamt:innen in diesen Bereichen.

Auf Gewerkschaftsseite hat ver.di die Federführung im Verbund mit GEW, IG BAU und GdP – alles DGB-Gewerkschaften – und dem Beamtenbund. Die Seite der Beschäftigten wird in den Verhandlungen durch den Vorsitzenden Frank Werneke und die Vize Christine Behle führend vertreten werden. Die Gegenseite, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), wird unter dem Vorsitz von Hamburgs SPD-Finanzsenator Dr. Andreas Dressel (SPD) stehen.

Bei ver.di läuft bis Ende Oktober eine Mitgliederbefragung und es werden „Tarifbotschafter:innen“ gesucht. Das Grundmuster der Befragung ist auszutesten, ob die Befragten das Vorgehen der Gewerkschaftsführung einigermaßen gutheißen. Die Bundestarifkommission (BTK) von ver.di schlägt „als Orientierung“ 7 % vor, was etwa den „8 % im Volumen (Entgelt und Zulagen)“ der Runde bei Bund und Kommunen entspräche, also der im Frühjahr abgewickelten Tarifrunde TVöD. Hier können sich die Befragen mehr oder weniger wünschen, gerne auch als Festbetrag. Auch nach Zulagen für ungünstige Arbeitszeiten und der Angleichung Ost-West wird gefragt. Ebenfalls können weitere tarifpolitische Forderungen vorgeschlagen werden. Auch wird nach der Unterstützung für die Forderung von 200 Euro für Auszubildende gefragt. Nicht gefragt wird nach der Laufzeit und der demokratischen Gestaltung der Tarifrunde, ob und wie denn die Mitglieder in deren Verlauf Einfluss nehmen möchten.

Die Erfahrung der letzten war, dass das Ergebnis der Befragung in keiner Weise bei der Aufstellung der Forderung durch die Große Tarifkommission (damals 10,5 %, mindestens 500 Euro) und dann auch beim Abschluss eine Rolle gespielt hatte. Bezeichnend war, dass sie exakt die gleiche gewesen ist wie beim TVöD, dem Tarifvertrag für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen, und auch der Abschluss sich eng daran orientiert hat.

Sparkurs und Aufrüstung

Wie schon die letzte, so wird auch diese Tarifrunde von den politischen Rahmenbedingungen geprägt sein. Damals spielte die starke Inflation eine Rolle und das Bemühen von Regierung und Gewerkschaftsbürokratie zu verhindern, dass dies zu großen Konfrontation mit längeren oder gar einer erfolgreichen Streikbewegung führt, die über das Tarifrundenritual hinausgeht, das vom Apparat seit Jahren oft auf die Warnstreikphase begrenzt wird. Für Bund, Länder und Kommunen war klar, dass die gewaltigen Schulden der Coronakrise wieder abgebaut werden mussten – und dafür zeigen „natürlich“ auch die Gewerkschaftsführungen „Verständnis“. Für die TV-L zeichnet sich schon ab, was die Runde bestimmen wird: Die Umwidmung von einem mehr als verdoppelten Anteils des Bruttoinlandproduktes für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung sowie massive Schulden, die in Form von Infrastrukturpaketen und Aufträgen dem privaten Kapital aus der Krise helfen sollen.

Beides soll nach dem Willen von Kapital und Regierung die Arbeiter:innenklasse zahlen: die Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Rentner:innen, die Jugend. Die Hetzkampagnen von CDU/CSU, FDP und AfD mitsamt der bürgerlichen Medien gegen Migrant:innen und Bürgergeldempfänger:innen sind die Begleitmusik für die damit verbundenen Angriffe auf soziale Einrichtungen und Rechte, auf Löhne und Arbeitsbedingungen.

Die Mogelpackung von 2022/23

Die Gewerkschaftsführung hatte im Jahr vor dem letzten Abschluss ihren Beitrag dazu geleistet, dass dann die Pläne durchgegangen sind. In einer „konzertierten Aktion“ mit Regierung und Unternehmer:innenverbänden hatten die Spitzen von ver.di, IG Metall und DGB gekungelt.

Zentrales Element der Kungelei war eine „Inflationsausgleichsprämie“ von bis zu 3.000 Euro, eine steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung. Die Regierung hatte legalisiert, was normalerweise als Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug schwer bestraft wird. Die Bosse haben sich gefreut. Die Gewerkschaften haben den Deal mitgemacht: Reallohnverzicht und Streikvermeidung für eine Einmalzahlung, die kurzfristig eine Geldklemme löst, aber nicht in tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) eingeht, zukünftige Renten, Arbeitslosen-, Eltern- und Krankengeld mindert sowie die Finanznot des Gesundheitswesens verschärft. Die Komplizenschaft der Gewerkschaftsspitzen wird deutlich daran, dass es kein einziges Stück Text gibt, das sich mit den Folgen dieser Zahlung auseinandersetzt.

Nachdem diese in die Ergebnisse aller großen Tarifverträge reingepackt und alle diese Pakete, auch bei TVöD und TV-L als Erfolge gepriesen worden waren, schreibt ver.di übrigens jetzt in ihrer Befragung: „Die Lasten der hohen Inflation wirken nach, insbesondere bei Lebensmitteln und Energie“. Wohl war, bei der Präsentation der letzten schöngeredeten Tarifrunden hörten wir davon jedoch nichts.

„Orientierung“ der Bundestarifkommission

Wenn die Bundestarifkommission (BTK) von ver.di auf eine Forderung von 7 % und zugleich stark am Ergebnis TVöD orientiert, bedeutet dies, dass sie auch eine Laufzeit von 2 Jahren plant. Bei 2 % jährlicher Inflation müssten also 4 % gefordert werden plus ein Ausgleich für die steuerfreie Einmalzahlung, die ja entfällt. Diese hatte 3.000 Euro für 25 Monate betragen, also 120 Euro netto pro Monat. Wenn wir für diesen Betrag mal 200 Euro brutto ansetzen, und letzteren auf ein Monatsbrutto von 4.000 Euro beziehen, wären das 5 % – für niedrigere Monatsentgelte natürlich mehr. Für den reinen Kaufkrafterhalt müssten also etwa 9 % gefordert werden. Dabei ist die „Nachwirkung der hohen Inflation bei Lebensmitteln und Energie“ noch gar nicht berücksichtigt.

Faktisch nimmt die BTK also einen erneuten Reallohnverlust in Kauf. Diese Orientierung der Gewerkschaftsführung, der die ver.di-BTK offensichtlich folgt, hat ihren Grund in ihrer Zustimmung zu Aufrüstung, Kriegsvorbereitung und Wirtschaftsankurbelung durch Geschenke ans Kapital. Sie steht hinter der Regierung und ihr ganzes Verhalten hat nur den Zweck, diese Politik durchzusetzen und die Kontrolle über die Gewerkschaft zu behalten, daher die Tricks, nach möglichen Schichtzulagen zu fragen, aber nicht nach der Laufzeit. Daher nicht darüber reden, wie die 3.000 Euro Einmalzahlung kompensiert werden. Daher das durchgängige Verhalten, so zu tun, als müsste Aufrüstung nicht finanziert werden, daher die Trennung von „Tarifpolitik“ und „Friedenspolitik“, die in „Vorkriegszeiten“ ja aufs Engste verknüpft sind.

Doch selbst jene Bürokrat:innen, die Aufrüstung und Krieg kritischer gegenüberstehen und meinen, dass auch 2 % des BIP für eine „angemessene“ Rüstung des deutschen Imperialismus reichen würden, üben weder öffentliche Kritik noch vertreten sie einen anderen Kurs. Sie gehen davon aus, dass man im öffentlichen Dienst ohnehin nur kleine Brötchen backen könne, dass die Beschäftigten einen längeren, entschlossenen Tarifkampf um reale Verbesserungen ohnedies nicht durchhalten würden. Sie haben die Niederlage faktisch schon verinnerlicht. Dann macht Kämpfen „natürlich“ keinen Sinn. Und diese „linken“ Bürokrat:innen ziehen es daher auch vor, der Führung das Zepter des Handelns zu überlassen, weil in ihren Augen auch nicht mehr möglich ist, als bei den Verhandlungen das Schlimmste zu verhindern.

Wie vorgehen?

Kämpferische Kolleg:innen und linke Gewerkschaft:innen dürfen dieses Spiel nicht mitbetreiben, wenn sie mithelfen wollen, die ungünstige Ausgangslage vor dieser Tarifrunde zu durchbrechen: Die Tatsache, dass der TV-L sich am TVöD orientiert, lässt sich natürlich schwer, wenn überhaupt, in einer Tarifrunde durchbrechen. Dasselbe gilt für das Schlichtungsabkommen im öffentlichen Dienst, mit dem ver.di und die anderen Gewerkschaften der Tarifgemeinschaft der Länder, den sog. Arbeitgeber:innen erlauben, eine Schlichtung zu erzwingen.

Dennoch – oder besser: deshalb – müssen sich kämpferische Gewerkschafter:innen in die tarifliche Auseinandersetzung auf allen Ebenen einmischen. Das ist vor allem auch die Aufgabe von allen Strukturen wie der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften VKG, dem Netzwerk für eine kämpferische ver.di oder entsprechenden Strukturen in der GEW oder IG BAU. Dabei geht es auch darum, die Scheindemokratie der Mitgliederbefragung zu durchbrechen, indem Betriebsgruppen oder noch besser Vollversammlungen die Forderungen sowie die politische Lage diskutieren und eigene Resolutionen einbringen. Wir schlagen dazu, wie auch viele andere Gewerkschaftslinke, einen Festgeldbetrag von 600 Euro bei einer Laufzeit von einem Jahr vor. Dadurch könnten erstens die Verluste der letzten Jahre angegangen und auch die aktuelle Preissteigerung, die für zentrale Konsumgüter von Lohnabhängigen wie Miete, Energie und Lebensmittel weit über der Inflationsrate liegt, ausgeglichen werden. Zweitens würden vor allem die unteren Lohngruppen von einer solchen Erhöhung profitieren und damit auch die sozial unterdrückten und benachteiligten Schichten der Beschäftigten (wie Frauen, Migrant:innen) gestärkt werden.

Eine Forderung, die eine wirkliche Verbesserung bringen kann, wirft unwillkürlich zwei weitere Fragen auf:

  • Erstens die nach den wirtschaftlichen und politischen Ursachen für Spardiktate in den öffentlichen Haushalten und damit nach einer Politisierung der Tarifrunde. Resolutionen aus Betrieben und Verwaltungen bzw. auf örtlichen gewerkschaftlichen Versammlungen sollten fordern, dass ver.di, GEW und IG BAU gemeinsam mit den anderen DGB-Gewerkschaften eine Kampagne gegen Sozialkürzungen, Militarisierung und Aufrüstung und für eine massive Besteuerung von Kapital und Vermögen parallel zur Tarifrunde führen.
  • Zweitens: 600 Euro Entgelterhöhung können nur mit dem Mittel des Massenstreiks und durch die organisierte Solidarität weiterer Lohnabhängiger errungen werden. Daher müssen wir aktiv die Streikfrage aufwerfen und fordern, dass die Erstellung der Forderungen sowie die Führung der Tarifrunde unter Kontrolle der Beschäftigten erfolgen, die Tarifkommissionen wie auch Streiks- und Arbeitskampfleitungen von Versammlungen der Gewerkschaftsmitglieder und Belegschaften gewählt, von diesen abwählbar und rechenschaftspflichtig sind.
  • Drittens sollten sich alle, die diese Orientierung teilen, aktiv am Aufbau einer bundesweiten, antibürokratischen, klassenkämpferischen Basisbewegung beteiligen. Denn eine politische Alternative zum Apparat und für eine andere Gewerkschaftspolitik braucht Organisierung und Koordinierung. Beteiligt Euch daher an der VKG

Anhang: Berichte vor Ort

Am 22.9. kündigte die Bundestarifkommission (BTK) den Tarifvertrag der Länder (TV-L). Vom 1.9. bis 31.10. findet dann die Forderungsbefragung durch Gewerkschaftsaktive statt. Das ist partizipativ – aber keine offene Positionsfindung. Die Gewerkschaftsaktiven werden auch aus den Debatten der Vorkonferenzen und Aktivengremien geprägt. Dort heißt es, dass die Runde hart wird, dass der TVöD auch nicht gut abgeschlossen hat und die Erwartung gedämpft ist. Mit diesem Wissen gehen wir mit einem standardisierten Fragebogen an Kolleg:innen bzw. schicken ihnen den Link. Das ist keine Meinungsbildung, keine Diskussion über die Frage der Kampffähigkeit, der Lage im Sektor etc. – das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Bei Lohnforderungen beispielsweise schreiben die Kolleg:innen tendenziell, was sie am Ende vermuten, was das Ergebnis ist, und nicht, was sie für nötig halten. Das wird dann als Rückkopplung verkauft, jedoch ist es eigentlich nur ein Tracking (im Organizing-Sprech: Mapping) der Kolleg:innen, um sie in der Tarifrunde einzubinden und darüber die Betriebsgruppen zu stärken. Das ist berechtigt und nützlich, aber keinesfalls eine „Demokratisierung“, sondern eine „Rekrutierung“!


In dieser Tarifrunde sollen auch wieder Tarifbotschafter:innen als Rückkopplungsverantwortliche eingesetzt werden – doch die Frage, wie verbindlich die Sachen sind, die wir zurücktragen, welche demokratischen Rechte wir haben und wie transparent das allen anderen gemacht wird, ist unklar. Oder anders: Das gibt’s eben nicht. Diese Limitierung aufzuzeigen, ist wichtig, denn so werden letzten Endes Prozesse untergraben, die dafür sorgen, dass die Kolleg:innen selber entscheiden, wie sie zum vorgeschlagenen Abschluss stehen, zur Streikplanung oder Verhandlungsstrategie.

Die Bundestarifkommission des öffentlichen Dienstes stellt auch Verhandlungsführer:innen und ist das ehrenamtliche, dauerhafte Gremium der dortigen Kolleg:innen. Darin sind 90 % Vertreter:innen vom TVöD und 10 % Vertreter:innen vom TV-L. Das hat historisch Sinn, war es doch mal ein Tarifvertrag. Auch ist die Zusammenführung von TVöD, TV-L, TV-Stud und sicherlich dutzenden Haustarifverträgen ein wichtiges Ziel. Doch führt die Überrepräsentation des TVöD zur Vergrößerung der Gehaltsdifferenz. Kolleg:innen kriegen für dieselbe Arbeit beim Land weit weniger als beim Bund. Zwar wird das versucht, über ein informelles Vertreter:innensystem beispielsweise in meinem Landesverband zu lösen, aber warum eine informelle demokratische Lösung suchen und nicht den Kampf um die Zusammenführung organisieren?

Die Tarifrunde findet im Schatten der allgemeinen Kürzungen und Sozialangriffe statt. In Berlin haben wir uns in den letzten Monaten immer wieder damit herumschlagen müssen. Doch scheinen die Gewerkschaften daraus nicht den Auftrag härterer Arbeitskämpfe zu ziehen, sondern drücken die Erwartungen. Aktuell stehen nicht hohe Lohnforderungen und kurze Laufzeiten im Zentrum, sondern auf einmal stehen politische Fragen im Fokus, wie die Reichensteuer oder die Schuldenbremse. Doch das führt eher dazu, dass die Forderungen des TV-L als Flankendeckung für die SPD in der Bundesregierung wirken, als die Frage über Arbeiter:innenkontrolle über Ein- und Ausgaben zu führen. Ohne diese Verbindung drohen die Forderungen, zu Platzhalterinnen für schlechte Lohnabschlüsse zu verkommen.

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