Arbeiter:innenmacht

Sri Lanka: Ein Jahr JVP-geführte Regierung

Peter Main, Infomail 1292, 26. September 2025

Vor einem Jahr schien der Sieg von Anura Kumara Dissanayake, dem Kandidaten der National People’s Power (NPP; Volksmacht) bei den Präsidentschaftswahlen in Sri Lanka, eine grundlegende Veränderung in der Politik der Insel zu markieren. Die NPP ist ein Wahlbündnis, dessen Hauptkomponente die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP; Volksbefreiungsfront) ist, die in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts bewaffnete Aufstände angeführt hatte. In ihrem Wahlkampf hatte sie ihren Status als „Außenseiterin“ gegenüber den „Insidern“, also den Parteien, die das Land seit der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1947 dominiert hatten, betont.

Die völlige Ablehnung dieser Parteien wurde bei den Parlamentswahlen im vergangenen November noch deutlicher. Die NPP errang einen erdrutschartigen Sieg mit 159 Sitzen im 225 Sitze zählenden Parlament, die höchste Zahl, die jemals von einer einzelnen Partei erreicht wurde. Eine solche Mehrheit gab Dissanayake die Macht, bestehende verfassungsrechtliche Maßnahmen außer Kraft zu setzen, was zumindest theoretisch bedeutete, dass den radikalen Maßnahmen, die ergriffen werden konnten, keine Grenzen gesetzt waren.

Die Strategie der JVP

Es wurde aber schnell klar, dass die Politik der JVP selbst die viel wichtigere Grenze für solche Maßnahmen war. In ihrem Wahlkampf hatte sie versprochen, die Interessen der breiten Bevölkerung zu verteidigen, die nach der Wirtschaftskrise von 2022 einen katastrophalen Einbruch ihres Lebensstandards erlebt hatte. Gleichzeitig wies sie die Schreckensszenarien eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, die von den anderen Parteien und den Medien verbreitet wurden, zurück und beharrte darauf, dass sie die vom IWF auferlegte Wirtschaftspolitik umsetzen würde, um im Gegenzug für die Zahlungsunfähigkeit des Landes ein Rettungsdarlehen in Höhe von 3 Milliarden US-Dollar zu erhalten.

Diese „Strategie“, in der Fortschritte bei sozialen Reformen davon abhängig gemacht werden, dass erst mal eine stabile und prosperierende kapitalistische Wirtschaft erreicht wird, kommt im Grunde aus dem stalinistischen Programm der „Revolution in Etappen“. Das heißt zwangsläufig, dass die Wiederherstellung der Profite Vorrang hat, was nur durch eine höhere Ausbeutung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen des Landes möglich ist.

Wie in allen anderen Fällen verlangte der IWF Maßnahmen, um dies sicherzustellen: die Abschaffung von Sozial- und Gesundheitszuschüssen, die Privatisierung staatlicher Industrie- und Dienstleistungsbetriebe, die Aufhebung restriktiver Arbeitsgesetze und die Erhöhung der Preise für Konsumgüter. „AKD“, wie der Präsident gerne genannt wird, hat sein Wort gehalten, zumindest was den IWF und die Arbeit„geber“:innen Sri Lankas betrifft.

Die jüngste Prognose der Zentralbank geht von einem Leistungsbilanzüberschuss, einem BIP-Wachstum von 5 % im letzten Jahr und einem prognostizierten Wachstum von 3,5 % in diesem Jahr aus, während die Reserven tatsächlich über die Ziele des IWF hinaus auf 4,7 Milliarden US-Dollar gestiegen sind. Der ehemalige Direktor der Zentralbank, Indrajit Coomaraswamy, sagte gegenüber Nikkei Asia (Nachrichtenmagazin mit Sitz in Tokio): „Die Alarmist:innen haben sich geirrt, weil die neue Regierung das IWF-Programm auf politischer Ebene weiterverfolgt hat und glaubt, dass es gut für uns ist, da das Land noch nicht über den Berg ist.“ Er bestätigte außerdem, dass die neue Regierung „… Kontinuität gewährleistet hat, indem sie wichtige Beamt:innen, die seit der Krise (2022) mit den beiden vorherigen Präsidenten zusammengearbeitet hatten, behalten hat, anstatt sie auszutauschen.“

Was ist mit den Versprechungen an die Arbeiter:innen und Bäuer:innen? Im August berichtete eine UNO-Agentur, dass die Armutsquote in Sri Lanka auf 24,5 % gestiegen ist, doppelt so viel wie 2019. In der Praxis bedeutete das, dass die Hälfte der sri-lankischen Familien entweder Mahlzeiten ausfallen ließ oder zumindest die Menge an Lebensmitteln, die sie sich leisten konnten, einschränken musste. Der Bericht stellte fest, dass dies „trotz der makroökonomischen Erholung“ der Fall war. In Wirklichkeit war der gesunkene Lebensstandard natürlich die Grundlage für diese Erholung.

Was das alles in der Praxis bedeutet, wird durch die Ereignisse bei Next, dem Modeunternehmen, gut veranschaulicht. Im Mai gab dessen CEO (Geschäftsführer), Lord Simon Wolfson, ein Mitglied der Konservativen Partei, eine Gewinnsteigerung von 13,8 % gegenüber dem Vorjahr auf 515 Millionen Britische Pfund bekannt und letzte Woche einen erwarteten Gewinn von 1 Milliarde Britische Pfund für das gesamte Jahr. Unterdessen informierte das Unternehmen in Sri Lanka, wo die Kleidung hergestellt wird,, dass es aufgrund einer kürzlichen Lohnerhöhung von knapp 10 Britischen Pfund pro Monat seine Fabrik in der Freihandelszone Katunayake schließen und 1.416 Arbeiter:innen entlassen werde.

Aufgrund ihrer wirtschaftsfreundlichen Politik hat die Unterstützung für die NPP-Regierung definitiv abgenommen. Bei den Kommunalwahlen im Mai bekam sie nur noch 42,26 % der Stimmen. Trotzdem gewann die Partei immer noch 3.927 Sitze, was eine enorme Steigerung gegenüber den vorherigen 434 Sitzen ist und ein klarer Beweis für die anhaltende Unterstützung sowie zweifellos auch für die anhaltende Ablehnung der traditionellen Regierungsparteien.

Gleichzeitig ging die Inflation, die im Januar 2023 bei 51,7 % lag, bereits vor dem Regierungswechsel zurück und erreichte im Januar 2024 nur noch 6,4 %, aber im Januar dieses Jahres lag sie bei −4 % und die Preise fielen weiter, bis sie im August leicht anstiegen. Die Preise sind also zwar immer noch historisch hoch, haben sich aber zumindest stabilisiert.

Außerdem hat die Regierung geschickt ihre Reformen in den Vordergrund gestellt. Erst letzte Woche hat sie zum Beispiel die Regelung abgeschafft, nach der ehemalige Präsidenten lebenslang eine Residenz in einem der vornehmeren Viertel von Colombo sowie Autos und Sicherheitspersonal erhielten. Das hat die Steuerzahler:innen im Jahr 2024 rund 1,1 Milliarden LKR (3,6 Millionen US-Dollar) gekostet. Nur wenige werden Mitleid mit Leuten wie Ranil Wickremesinghe, dem scheidenden Präsidenten, oder den Brüdern Rajapaksa, Mahinda und Gotabaya, haben, von denen allgemein angenommen wird, dass sie während ihrer Amtszeit die Staatskasse geplündert haben.

In Bezug auf die Löhne der Arbeiter:innen sind 3,6 Millionen US-Dollar eine Menge Geld, aber im Verhältnis zu den Staatsausgaben sind es Peanuts, und die Ankündigung erfolgte zu einem Zeitpunkt, der die Aufmerksamkeit von der Entscheidung der Regierung ablenken sollte, die Elektrizitätswirtschaft gemäß den Anforderungen des IWF „umzustrukturieren“. Dadurch wird die Branche in vier Sektoren aufgeteilt – Erzeugung, Netzbetreiber, Systemsteuerung und Verteilung –, um Investitionen anzuziehen. Dies ist eine Vorbereitung auf die Privatisierung, die unweigerlich dazu führen wird, dass internationale Konzerne mit Sitz in den imperialistischen Ländern die Branche besitzen und kontrollieren werden.

Wohin geht die Reise?

Die Reaktion der Gewerkschaften darauf war sehr schwach. Die Gewerkschaftsführer:innen haben sich geweigert, an den Sitzungen der Lenkungsausschüsse für die Reform des Energiesektors teilzunehmen oder auf Vorschläge des Reformsekretariats zu reagieren. Die einzige Maßnahme, die ergriffen wurde, war die Einleitung einer „Krankmeldungskampagne“ und einer „Dienst nach Vorschrift“-Aktion, die nach einem Streik am 21. September in Kraft treten soll. Gleichzeitig haben sie garantiert, die Stromversorgung aufrechtzuerhalten, um die öffentlichen Interessen zu schützen. Trotzdem hat die Regierung mit der Anwendung des Gesetzes über wesentliche Dienstleistungen reagiert, das jegliche Aktionen verbietet. Ein wirksamer Widerstand wurde durch die Existenz von 25 verschiedenen Gewerkschaften behindert. Eine davon, die Ceylon Electricity Workers‘ Union, wird von der JVP kontrolliert und hat sich aktiv für die Pläne der Regierung eingesetzt!

Die Zersplitterung der Gewerkschaften und die geteilte Loyalität vieler ihrer Führungskräfte sind ein grundlegendes Problem für die Arbeiter:innen in der gesamten Wirtschaft des Landes. Um dieses Problem zu überwinden, müssen die Arbeiter:innen selbst, die in dieser speziellen Branche hoch qualifiziert sind, für die Kontrolle über ihre eigene Zukunft kämpfen. Sozialist:innen sollten sich für gemeinsame Gewerkschaftssitzungen am Arbeitsplatz, die Verabschiedung einer Strategie gegen alle Formen der Privatisierung und den Aufbau gemeinsamer Gewerkschaftsaktionskomitees einsetzen, um den Kampf anzuführen.

Innerhalb der bestehenden Gewerkschaften sollten die Mitglieder von ihren Führer:innen verlangen, gemeinsame Aktionen zu unterstützen, mit dem Ziel, eine einzige Gewerkschaft für die gesamte Branche aufzubauen, und sich von den Führer:innen zu trennen, die Aktionen behindern oder gar die Politik der Regierung unterstützen. Eine solche Kampagne in einer für die gesamte Wirtschaft zentralen Branche könnte als Katalysator für die Arbeiter:innen überall im Land wirken. Diejenigen Militanten, die die Notwendigkeit einer Erneuerung der gesamten Arbeiter:innenbewegung, die einst eine mächtige Kraft in Sri Lanka war, verstehen, brauchen eine eigene Partei, in der sie ein Kampfprogramm ausarbeiten können, das nicht nur die bestehenden Arbeitsplätze und Rechte verteidigt, sondern auch die Enteignung wichtiger Industrien und Unternehmen unter der Arbeiter:innenkontrolle vorsieht.

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