Arbeiter:innenmacht

Berliner Senat und CSD: Wir lassen uns nicht wegkürzen!

Leo Drais, Neue Internationale 293, Juli / August 2025

Pünktlich zum Pride-Month lässt der Berliner Senat verlauten, dass er über eine Bundesratsinitiative den Schutz sexueller Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes unterbringen will. So überfällig das wäre, so zynisch ist es angesichts dessen, was die Berliner Variante von Schwarz-Rot unter Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sonst so hinsichtlich queerer Politik zu bieten hat.

Denn im Grundgesetz kann alles möglich stehen. Doch es heißt noch nicht, dass sich die Politik und allen voran der Berliner Senat daran hält oder es entsprechend mit Leben füllt. So wird das Versammlungsrecht und die Meinungsfreiheit auf Palästina-Demos regelmäßig mit Polizeifüßen getreten und auch die Bundesregierung beweist mit ihrer täglichen Unterstützung des israelischen Genozids in Gaza, dass „die Menschenwürde“ für sie eben doch ohne weiteres antastbar ist. Wie steht es also mit der realen Politik bei queeren Themen des Berliner Senats aus, der sich auf seiner Website berlin.de immer noch nicht entblödet, von Transsexualität anstelle von trans Menschen im Aufruf zum CSD zu sprechen?

Kürzungswelle

Am besten lassen sich Versprechen und heiße Worte von Regierungen bei allem überprüfen, wenn man schaut: Wer zahlt? Wurde im Koalitionsvertrag von 2023 von CDU und SPD noch der Regenbogen vom Himmel versprochen, jagt seit einem Jahr eine Kürzungsdrohung die andere – stets gefolgt von Protest, worauf dann fast schon gutmütig ein Teil der gestrichenen Gelder doch aufgebracht wird. Das Ganze folgt von vorneherein dieser zermürbenden Logik, der Protest und die danach folgende Rücknahme mancher Kürzungen sind in die Drohung einkalkuliert. Erst schlagen, dann streicheln.

Eine kurze Chronik: Im Koalitionsvertrag des Wegner-Senats hieß es, die Mittel für die Initiative geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (IGSV) würden verdoppelt werden. Es hieß: der Queer History Month würde fortgeführt, Peer-to-Peer-Beratung würde ausgebaut, queere Jugendarbeit solle ausgebaut werden. Und dann? Kam mit dem Haushaltsplan 2025 der Schock! Im November 2024 fiel der erste Sparhammer: 7 Millionen weniger für freie Jugendarbeit, davon 1,6 Millionen bei queeren Jugendzentren – nach Protest wurden diese Kürzungen wieder zurückgenommen, jedoch mittels einer Umschichtung im Bereich Spielplätze und Kitas. So geht gegeneinander ausspielen.

Im Februar verkündete Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) dann eine Kürzung von 39 Millionen (!) im Bildungsbereich, worunter auch Kürzungen für Queerprojekte fielen. Wieder gab es Protest, unter anderem von der GEW und durch die Unkürzbar-Demo. Abgewandt hat das den Angriff nicht. Für manche Projekte sprang der SPD-geführte Sozialsenat ein und griff auf einen Notfallfonds zurück. Von den 500.000 gestrichenen Euro für die Fachstelle Queere Bildung wurden so 150.000 Euro doch noch aufgebracht.

Sich weiter wehren müssen

Die Drohungen mit dem Rotstift sind auch Tests: Halten wir die Klappe oder gibt es Stunk? Denn eine Verschnaufpause ist nicht in Sicht. Am Horizont ist bereits der Berliner Doppelhaushalt 2026/2027 zu erkennen, wo insgesamt 1,6 Milliarden eingespart werden sollen. Und es ist ja auch nicht so, dass diese Angriffe auf lang etablierte, selbstverständlich gewordene Mittel und Einrichtungen stattfinden.

Vieles ist gerade erst erkämpft worden – und das ist immer noch weit entfernt von dem, was es bräuchte. Die Gesundheitsversorgung von trans Menschen ist weder flächendeckend noch ist die bestehende bundesweit oder kommunal finanziell abgesichert. Nach wie vor fehlt ein Gesetz über die Kostenerstattung geschlechtsangleichender Maßnahmen, und die Hürden für nicht binäre Menschen, bspw. zu einer STI/STD-Untersuchung (sexuell überttragbare Infektionen, Krankheiten) zu gehen, sind, wenn nicht gerade zufällig eine queere Praxis in der Stadt ist, riesig. Laut RKI haben 17 % der trans und nicht binären Menschen aus Angst vor Ablehnung keine sexuelle Gesundheitsberatung wahrgenommen. Was hier so eine trockne Statistik ist, bedeutet reale, spürbare Konsequenzen, wie Angst zu fühlen. Diese Angst fühlt ein Mensch, fühlen viele Menschen. Depressionen bis hin zu Suizidalität sind nicht das Ergebnis von irgendeiner Identität, die sich Menschen vermeintlich ausgesucht hätten, sondern das Ergebnis einer Gesellschaft, die das Gewordensein von Queers nicht anerkennt und unterdrückt. Am CSD mag am Berliner Abgeordnetenhaus oder sogar am Münchner Maximilianeum die Regenbogenfahne wehen. Das kann die Queerfeindlichkeit der Union nicht kaschieren, es ist nicht mehr als klassisches Pinkwashing. Die Union selbst ist einer der Haupttreiberinnen, wenn es darum geht, die Frauenbewegung von LGBTIA zu spalten, und sogar an der Regenbogenfahne selbst die Schere anzusetzen: Jens Spahn darf schwul sein, aber wehe du genderst in einer bayrischen (oder sächsischen) Schule! Es wird die Regenbogenfahne ohne Chevron-Dreieck (Symbol für Trans-Repräsentation + BIPoC + Gedenken an Verstorbene). Die SPD verwaltet, bei aller improvisierten Abfederung der Angriffe, diese am Ende des Tages eben doch mit.

Gemeinsam für den Regenbogen kämpfen!

Und dass sich Schwarz-Rot auf Bundesebene eine Evaluation beim Thema Geschlechtseintragungen in den Koalitionsvertrag geschrieben und Julia Klöckner die Regenbogenfahne vom Reichstag geholt hat, lässt nichts Gutes vermuten. Wirft man den Blick über den Atlantik, wissen wir worauf uns einstellen können. Trumps Hass und Hetze scheinen fern, Auswirkungen sind schon jetzt in Deutschland zu spüren: ob steigende Gewalt oder CSDs wie in Berlin und München, die um Finanzierung bangen, weil vor allem US-amerikanische Unternehmen ihre Sponsorentätigkeit beenden. Gerade letzteres zeigt, was vielen schon klar war. Das Märchen vom Regenbogenkapitalismus, in dem Selbstverwirklichung und Freiheit für alle von uns drin sind, geht zu Ende. Für viele von uns hat’s das sowieso nie wirklich gegeben. Das soll kein: „Wir haben es immer schon gesagt!“ sein. Aber es soll sagen, dass wir unsere Freund:innen bei den gemeinsamen Kämpfen gegen Kürzungen, für Selbstbestimmung gut auswählen müssen. Queere Sexualität und Körper sind (immer noch) ein Kampffeld. Die Errungenschaften, die wir haben, sind nicht nur abstrakte Freiheiten, sondern konkrete Verbesserungen in Gesundheitsversorgung, Wohnen, Bildung und rechtlicher Gleichstellung.

Und ja, Merz, Wegner und Co sind nicht Trump. Doch die Daumenschraube der Schuldenbremse wird von Merz egal gegenüber welcher Kommune oder Landesverwaltung angezogen. Und sitzt die CDU im Senat oder an der Landesregierung geht die Schraube leichter zu drehen. Wegner fordert vielleicht, die Schuldenbremse abzuschaffen, durchsetzen wird er die Kürzung dennoch – und natürlich auch CDU-Mitglied bleiben, so wie die SPD natürlich weiter mitregieren wird. Sie verhindere ja Schlimmeres.

Die Kürzungen und der Rechtsruck, der eine massive Zunahme von LGBTIA-Feindlichkeit bis hin zu gewaltvollen Übergriffen mit sich bringt, bedingen sich gegenseitig. Der Rechtsruck macht es einfacher, bei sog. unterdrückten Randgruppen zu kürzen. Und wenn man noch Öl ins Feuer gießt, in dem man Gendern zum größten Sprachfrevel aller Zeiten erklärt, wird es noch einfacher. Die Kürzungen wiederum sind der Treibstoff, mit dem der Rechtsruck weiter angetrieben wird. Es stellt sich ja die Frage, bei wem gekürzt wird. Nicht wenige aus der Arbeiter:innenklasse und sogar in Gewerkschaften fallen darauf rein und sagen: „Warum regen die (die Queers) sich denn so auf, es wird doch überall gekürzt?!“

Aber eigentlich ist die umgekehrte Antwort die richtige. Weil überall auf die Arbeiter:innenklasse Angriffe stattfinden, braucht es den gemeinsamen Kampf dagegen. Und ja, LGBTIAs sind absolut überwiegend Teil der Arbeiter:innenklasse (es ist bloß vielleicht leichter, sich auszuleben, wenn man aus einem reichen Haus kommt oder genug Geld hat, um bspw. eine Therapie einfach selbst zu bezahlen … ). Und so viel Reibungskraft es manchmal auch geben mag, auf längerfristiger Ebene, ist der gemeinsame Kampf zwischen beiden Kräften vielversprechender, als darauf zu warten, dass Microsoft wieder Geld in den CSD bläst.

Es war ein qualitativer Fortschritt, als sich die LGSM (Lesbians and Gays Support the Miners; Lesben und Schwule unterstützen die Bergleute) zur Unterstützung des britischen Bergarbeiter:innenstreiks bildete, aus dem wir lernen können. Nicht nur, dass es ein essenzieller Schritt war zur Anerkennung von Schwulen und Lesben in der Arbeiter:innenbewegung, zur Überwindung reaktionärer Vorurteile. Vor allem kann die queere Bewegung auch lernen, dass ein – politisch geführter – Streik eine ganz andere Durchschlagskraft haben kann als Protestbriefe oder Unkürzbar-Demos (ganz zu schweigen von instrumentalisierten CSD-Paraden). Angesichts der Angriffe, die noch kommen werden, ist es daher höchste Zeit, dass Queers, aber auch alle anderen (!) in der Linken und in den Gewerkschaften darauf hinwirken, dass die Merz-Regierung die Antwort bekommt, die sie verdient. Das bedeutet jedoch nicht, sich einfach nur gegen die Kürzungen zu stellen. Wenn wir erfolgreich protestieren wollen, müssen wir auch für etwas auf die Straße gehen:

  • Stellenstreichungen und Sparzwang? Lassen wir nicht weiter zu: Wir wollen das Ende der Schuldenbremse und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich!
  • Zwangsräumungen und hohe Mieten? Schluss damit! Lasst uns für einen bundesweiten Mietendeckel kämpfen sowie die entschädigungslose Enteignung von Vonovia & Co! Für die Enteignung leer stehender Spekulationsobjekte für LGBTIA+-Wohnhäuser und -Kulturzentren!
  • Krankenhäuser und Beratungszentren sollen geschlossen werden? Nicht mit uns! Wir sagen: Weg mit Fallpauschalen und Personalnot, für die Verstaatlichung des Gesundheitssystems unter Kontrolle der Beschäftigten und Nutzer:innen! Das bedeutet auch: Kostenlose Verhütungsmittel sowie STI-Tests für alle! Für den flächendeckenden Ausbau von Gesundheitszentren, die trans, non-binary sensibilisiert sind, sowie für queere Sexualität!
  • Angriffe auf uns und unsere Prides? Wir verteidigen uns selbst: Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomittees!
  • Bürgergeld soll noch mehr zusammengespart werden? Auf keinen Fall. Wir brauchen ein Mindesteinkommen für alle, gekoppelt an die Inflation!
  • Kürzungspakete für Kultur und Bildung? Nein danke! 100 Mrd. für Bildung und Soziales statt Aufrüstung und Krieg!
  • „Neutral“ in Fragen Sexualität? Wir sind’s nicht! Für klare Bekenntnisse zur Pride, weg mit Gender- und Pridefahnenverboten, ob an Schulen oder öffentlichen Gebäuden! Stattdessen: Aufklärungskampagnen an Schulen, Unis und in Betrieben durch LGBTIA+-Organisationen in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften!

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