Arbeiter:innenmacht

Zeitenwende an der TU Berlin – Zivilklausel unter Feuer

Jona Everdeen, Infomail 1293, 26. Mai 2025

Die Zusammenarbeit der TU Berlin und der Universität Rostock mit ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), einem Rüstungskonzern, sorgte kürzlich für Empörung, stellte dies doch einen offenen Bruch der Zivilklausel dar, also der selbstauferlegten Regel der Universitäten, nicht zu militärischen Zwecken zu forschen. Dies könnte schnell zu einem Präzedenzfall werden, die in jüngerer Vergangenheit immer stärker angegriffene Zivilklausel gänzlich über Bord zu werfen und die Universitäten in die (Re-)Militarisierung des deutschen Imperialismus einzubeziehen. Doch was ist die Zivilklausel überhaupt? Und warum wird die gerade jetzt heftig angegriffen?

Zivilklausel: Historische Errungenschaft der Studierenden

Die Ursprünge der Zivilklausel gehen zurück auf die Zeit, die die heutigen Universitäten noch immer maßgeblich prägt: die Studierendenbewegung 1968 und ihre Nachwirkungen. Im Zuge des Kalten Krieges wurde in den 1960er Jahren die militärische Forschung, wie zuvor im Hitlerfaschismus, an den Universitäten wieder deutlich ausgeweitet. Dagegen regte sich Widerstand. Die Studierenden, unter denen es in dieser Zeit eine massive Politisierung nach links gab, wollten sich nicht zu Gehilf:innen des wiedererstarkten und auch militärisch nach neuer Macht strebenden (west)deutschen Imperialismus machen, zwischenzeitlich (1966–69) angeführt von dem hochrangigen Nazi Kurt Georg Kiesinger. In den 1970er Jahren gab es immer wieder starke Proteste gegen Forschung zur militärischen Nutzung an Universitäten, wodurch bereits erste Projekte verhindert werden konnten. Ein durchschlagender Erfolg stellte sich dann in den 1980er Jahren ein, als mit der Universität Bremen 1986 die erste Universität jegliche militärische Forschung untersagte. Darauf folgten schnell weitere, wie die Universitäten Konstanz und Kassel. Inzwischen haben 60 Universitäten eine Zivilklausel, wobei diese teils Folge heftiger Kämpfe waren, auch geführt im Rahmen der imperialistischen Aggressionskriege in Afghanistan und im Irak und der damit verbundenen Friedensbewegung. Jedoch wurde die Debatte in den letzten Jahren immer stärker reaktionär dominiert und die Zivilklausel aktiv angegriffen. Der erste Schlag erfolgte 2015, als die RWTH Aachen gegen starken Widerstand ihre Zivilklausel wieder aufhob. Aktuell haben diese Angriffe massiv zugenommen, und ein Brechen der Zivilklausel ist Ziel der deutschen Bourgeoisie und ihrer Regierung. Grund hierfür ist die „veränderte sicherheitspolitische Lage“, aka der sich zuspitzende Kampf um die Neuaufteilung der Welt, für den sich der deutsche Imperialismus bereitmacht, auch und gerade militärisch.

Unis in der Zeitenwende – zwischen Aufrüstung und Kürzungen

Bereits im Juli 2023 verkündete Friedrich Merz, der damals zukünftige Bundeskanzler der BRD, Zivilklauseln seien „nicht mehr zeitgemäß“. Damit reihte er sich ein in den allgemeinen Zeitgeist des imperialistischen Deutschlands, begonnen 2022 mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und seit Beginn dieses Jahres und Donald Trumps De-facto-Aufkündigung des transatlantischen Bündnisses massiv verstärkt. So müsse Deutschland „wieder kriegstüchtig“ werden, natürlich einzig und allein zur Verteidigung. Und dabei stellt die Zivilklausel vieler der größten deutschen Universitäten ein Problem dar. Denn gerade in Vorkriegs- und Kriegszeiten, das beste Beispiel dafür ist wohl der Erste Weltkrieg, entwickelt sich Technologie in rasantem Tempo. Und die Universitäten spielen eine tragende Rolle in der Forschung und Produktion von Wissen und damit der Grundlage für die modernste und effizienteste Technologie. Darum wird nun der Druck auf die Universitäten immer größer, die Zivilklausel über Bord zu werfen.

Wie so oft in reaktionären Fragen geht Bayern den ersten Schritt. Im dortigen Bundeswehrgesetz werden Schulen und Hochschulen dazu gedrängt, eng mit der Bundeswehr zu kooperieren. Die Einführung von Zivilklauseln wird bayerischen Universitäten verboten und in Fragen der „nationalen Sicherheit“ wird ihnen sogar eine Kooperationspflicht auferlegt.

So weit wie Bayern gehen andere noch nicht, jedoch braucht es nicht unbedingt solch drastische Maßnahmen. Denn die Unis sind nicht nur mit immer mehr politischem Druck konfrontiert, die Verteidigung von „Demokratie und Vaterland“ zu unterstützen, auch sind sie durch das Programm der künftigen Regierung Merz finanziell in die Enge gedrängt. Denn die massive Aufrüstung, erst 100 Milliarden, nun bald 500 weitere für die Bundeswehr, geht Hand in Hand mit massiven Kürzungen bei allem, was für uns Jugendliche und Arbeiter:innen nützlich ist: Sozialhilfe, Gesundheit, Infrastruktur und eben auch Bildung. Somit müssen die Universitäten in Zukunft damit rechnen, noch weniger Budget zur Verfügung zu haben als jetzt. Und bereits jetzt reicht das Geld häufig kaum, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

So wird es perspektivisch immer einfacher werden, Unis unter Druck zu setzen. Einerseits sind diese ja bereits jetzt für Forschungsprojekte immer abhängiger von Drittmitteln, aka Geld von privaten Konzernen, die dann den Inhalt der Forschung anhand ihrer Kapitalinteressen bestimmen. So könnte der Druck immer und immer größer werden, mit Rüstungskonzernen, potenziell sehr gut betuchten Geldgeber:innen, zusammenzuarbeiten. Und sei es zunächst für „Dual-Use“-Zwecke, also Technologien, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, und wo man dann auf die zivilen Möglichkeiten verweisen kann, um zu verstecken, dass es einem eigentlich hauptsächlich um neues Kriegsgerät geht.

Andererseits ist es aber auch gut möglich, dass in Zukunft vermehrt Landesregierungen die Unis ganz aktiv erpressen, indem sie dringend benötigtes Geld davon abhängig machen, dass die Universitäten sich bereit erklären, mit der Bundeswehr zu kooperieren.

Wenn es darum geht, dringend Geld zu benötigen, steht die TU Berlin, wo Studierenden buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt, darüber gesprochen wird, ganze Fakultäten zu schließen, und Mensen bereits jetzt dichtgemacht werden, ganz oben auf der Liste. Doch wie kam es dazu, dass nun ausgerechnet hier die Debatte über die Zivilklausel in aller Schärfe ausgebrochen ist?

Wie drückt sich das an der TU aus?

Die Debatte über die Zivilklausel kam mit voller Wucht an die TU, als das Not-in-our-name-Collective einen Bericht veröffentlichte, der aufzeigt, dass sie gemeinsam mit der Universität Rostock, die ebenfalls eine Zivilklausel hat, an einem Projekt des Konzerns TKMS forscht. Während jedoch dieser, genau wie die Universitäten, das Forschungsobjekt, ein unbemanntes Unterwasserfahrzeug, als „grüne Innovation“ bewarb und dafür fast eine Million Euro vom Ministerium für Wirtschaft und Umwelt erhielt, bewarb TKMS dasselbe technische System zur Nutzung für verschiedene militärische Zwecke. Also ein eindeutiger Fall, in dem zwar Dual Use gilt, aber klar der militärische Zweck überwiegt und der zivile eher eine Tarnung ist. Also etwas, was aktiv gegen die Zivilklausel der beiden beteiligten Universitäten verstößt. Und wie bereits oben erwähnt wohl der einfachste Weg ist, diese „gekonnt“ auszuhebeln.

Doch trotz gewisser Empörung blieb der ganz große Aufschrei aus. Das ist sehr gefährlich, denn hier könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden für ähnliche Projekte. So könnten TU Berlin und Universität Rostock mit ihrem Vorgehen, das sicherlich nicht aus Versehen passiert ist, durchkommen und auch andere Universitäten dazu ermutigen in Zukunft lediglich eine einfach durchschaubare zivile Tarnung anzulegen, um zu rechtfertigen, in der Realität ganz aktiv, für üppige Gelder an de facto militärischer Technik zu forschen. Und das wiederum kann dann leicht der erste Schritt sein, die von immer mehr, auch in den Hochschulen präsenten, Vertreter:innen und Handlanger:innen des deutschen Kapitals ungeliebte Zivilklausel ganz abzuschaffen.

Exkurs: Cut All Ties – keine Kooperation mit Universitäten, die Genozid unterstützen!

Wenn wir bei Dual Use sind, bei der schrittweisen Aushebelung der Zivilklausel und bei Druck auf die Universitäten, sich an der Militarisierung des deutschen Staates zu beteiligen, müssen wir auch die sehr offene Kooperation vieler deutscher Universitäten mit denen eines Staates erwähnen, wo es nie etwas Vergleichbares gab. Die Rede ist vom zionistischen Siedlungsprojekt namens Israel. Und natürlich wundert es wenig, dass in einem Staat, der darauf basiert, die palästinensische Bevölkerung mit extremer militärischer Gewalt zu unterdrücken und die umliegenden Staaten zu terrorisieren, auch die Universitäten aktiver Teil des dafür nötigen Militärapparats sind. Und getreu der deutschen „Staatsräson“ arbeiten auch Universitäten wie die TU Berlin, die FU Berlin und die Universität Göttingen aktiv mit diesen zusammen. Mit Universitäten, die aktiv Forschung betreiben für die „IOF“ („Israeli Offensive Force“; sarkastische Bezeichnung für die IDF; Israeli Defence Force; d. Red.) und für ihren Genozid in Gaza. So wurde die KI, die für die Zielauswahl der israelischen Luftwaffe verantwortlich war, wobei hohe zivile Opferzahlen aktiv in Kauf genommen wurden, an israelischen Universitäten entwickelt. An der Freien Universität Berlin (FU) hat sich, um gegen diese Kooperation zu kämpfen, BDS-FU gegründet. Ähnliche Ansätze für eine Cut-All-Ties-Bewegung gibt es auch an verschiedenen anderen Universitäten. Das Ziel: Jegliche Zusammenarbeit mit Universitäten einstellen, die mit ihrer Forschung dazu beitragen, den Genozid in Gaza zu ermöglichen. Für uns muss klar sein, dass solche Kooperationen, wie auch mit anderen Staaten, die Kriegsverbrechen begehen oder an diesen beteiligt sind, zum Beispiel die Türkei oder die USA, beendet werden müssen und wir auch dafür kämpfen müssen, selbst wenn die Forschungsprojekte nicht aktiv militärischer Natur sind. Die einzige mögliche Ausnahme besteht dann, wenn Wissenschaftler:innen oder Institute aktiv belegen können, dass sie an Verbrechen „ihres“ Staates nicht beteiligt sind und diese (zumindest passiv) ablehnen.

Was müssen wir tun?

Wir müssen uns aktiv dagegenstellen, dass für militärische Projekte geforscht wird, und jegliche Zusammenarbeit mit der Bundeswehr oder Rüstungskonzernen aktiv ablehnen und boykottieren. Gleichzeitig müssen wir aber auch, um zu verhindern, dass wichtige zivile Forschung im Sinne von Dual Use für Kriegstechnologie missbraucht wird, die Kontrolle über das Wissen den Konzernen entziehen und unter die Kontrolle der Forschenden und somit an den Universitäten der Studierenden, Dozierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen stellen! Wir müssen dafür sorgen, dass Konzerne keinerlei Einfluss auf Bildung und Forschung haben, sondern von den Beschäftigten und Gewerkschaften kontrolliert werden! Entsprechend müssen wir auch dafür kämpfen, dass ausreichend Finanzierung für gute Bildung für alle und sinnvolle Forschungsprojekte vorhanden ist, finanziert von den Reichen, durch progressive Besteuerung von Vermögen und Kapitalerträgen! Damit Unis keine Geldnot mehr haben, fordern wir ein Milliardenprogramm für Universitäten und Schulen statt für die Bundeswehr! Damit finanzieren wollen wir die Instandsetzung sämtlicher maroder Gebäude, gute Bezahlung und angemessene Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, kostenloses Mensaessen, Materialien etc. für die Studierenden und einen Plan für gesellschaftlich nützliche Forschung unter der demokratischen Kontrolle der Studierenden, Lehrenden und Forschenden wie der Gewerkschaften! Um das zu erkämpfen, müssen wir uns an unseren Universitäten zusammenschließen und nötige Maßnahmen ergreifen, zu denen Universitätsstreiks, Boykotte bestimmter Projekte sowie auch das Errichten von „Streikposten“, also die Besetzung von Teilen der Universitätsgebäude, gehören. Ebenfalls müssen wir uns aktiv zusammenschließen mit Schüler:innen, die ebenfalls für bessere Bildungsbedingungen und gegen Kürzungen kämpfen, sowie mit den Arbeiter:innen. Denn auch wenn wir an den Universitäten eine gewisse Macht haben, sind es doch in erster Linie die Lohnabhängigen, die das System am Laufen halten. Und die es jederzeit zum Stoppen bringen können!

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