Arbeiter:innenmacht

Wien: Stadtstraße Aspern verhindern

Frida Lechner, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1153, 21. Juni 2021

Die Wiener Stadtregierung plant, in den nächsten Jahren zwei große Straßenbauprojekte umzusetzen. Die sogenannte Stadtstraße soll bis 2025 die zunehmend besiedelte Region des äußeren 22. Bezirks an das Zentrum anbinden. Geplant ist eine vierspurige Autobahn mitten durch Grüngürtel und Siedlungen, die in die bereits jetzt überlastete A23 münden soll. Das primäre Ziel des Projektes ist, Staus zu reduzieren und den Verkehr in den Wohngebieten zu entlasten. Gelobt wird das Vorhaben der „sozial-liberalen Fortschrittskoalition“ von Wirtschaftskammer, ÖAMTC, ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) und ÖVP.

Was bringt eine Autobahn durch Wien?

Kann die Stadtstraße dieses Ziel überhaupt erfüllen? Aller konkreten Kritik am Projekt sei vorangestellt, dass die tradierte Art der Verkehrsplanung, in der zunehmendem Stauaufkommen mit Straßenausbau begegnet wird, zu sogenannten Rebound-Effekten führt. Das bedeutet, dass der Straßenausbau zuerst kurzfristig zu weniger Staus führt. Das macht aber wiederum das PKW-Fahren attraktiver und so erhöht sich das Verkehrsaufkommen, bis die neue Infrastruktur wieder überlastet ist.

Eine weitere bekannte Strategie aus derselben Planungstradition ist der Ausbau eines Straßennetzes rund um eine heikle Gegend. Wenn alles fertig ist, bleibt nur noch diese letzte Klammer zu schließen, was die Bekämpfung erheblich erschwert. Schließlich handelt es sich dann nur noch um ein vergleichsweise kleines Opfer, um ein großes Verkehrsnetz zusammenzuschließen. Die Stadtstraße ist besonders deshalb gefährlich, weil sie der „Lobau-Autobahn“, die mitten durch das Naturschutzgebiet gebaut würde, argumentativ Tür und Tor öffnet. Wenn beide Autobahnprojekte umgesetzt werden, würde ein transnationales Verkehrsnetz entstehen, das internationalen Schwerverkehr durch Wien anzieht, so eine Aktivistin von „Platz für Wien“.

Das ist vor allem deshalb brisant, weil die Bundesregierung ausgerufen hat, bis 2040 klimaneutral werden zu wollen. Auto- und LKW-Verkehr sind jedoch die Klimakiller schlechthin und beanspruchen nebenher auch unverhältnismäßig viel öffentlichen Raum. Noch unter der rot-grünen Stadtregierung wurde ein eigener Klimarat eingerichtet, der die Stadt in der Bekämpfung der Klimakrise beraten soll. Eine Maßnahme oberster Priorität ist laut einem Sitzungsprotokoll des Jahres 2020 der Stopp von fossilen Großprojekten unter expliziter Anführung des Lobautunnels und der Stadtstraße.

Dem Koalitionsabkommen von SPÖ-NEOS ist zu entnehmen, dass die Regierung für die „Klimamusterstadt“ auf Elektromobilität setzt. Die Antriebswende ist aber schon längst entzaubert, löst eine Umstellung auf E-Mobilität doch weder das Platzproblem noch die Feinstaubbelastung, die primär von Reifenabrieb und Staubaufwirbelung kommt und somit durch schwerere Autos mit E-Motoren sogar verschlimmert wird. Von den ökologischen Probleme, die sich durch den für E-Mobilität notwendigen Rohstoffabbau ergeben, einmal ganz abgesehen.

Kritik von links

In der Bevölkerung formiert sich nun ein breiter Protest, angestoßen von Umweltschutzorganisationen und BürgerInneninitiativen und unter zunehmender Beteiligung linker Gruppen. Neben mehreren Petitionen gab es auch Fahrraddemonstrationen, organisiert von Platz für Wien, Fridays for Future Österreich, System Change not Climate Change, Extinction Rebellion und dem Jugendrat Wien. Gefordert wird ein sofortiges Ende der Bauprojekte.

Die Jugendlichen vom Jugendrat kritisieren die mangelnde Beteiligung der BürgerInnen im Entscheidungsprozess. Die Sprecherin Lena Schilling fordert zunächst einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, sodass eine tatsächliche Wahlfreiheit überhaupt gegeben sein kann. Sollten die Bauprojekte trotz der Proteste umgesetzt werden, droht die Organisation mit einem „zweiten Hainburg“. Dort hatten 1984 UmweltaktivistInnen durch die Besetzung der Hainburger Au den Bau eines Wasserkraftwerks verhindert. Der Jugendrat könne gemeinsam mit der Fridays for Future Bewegung genügend junge AktivistInnen mobilisieren, um eine solche Besetzung zu wiederholen.

Umweltschutz heißt Antikapitalismus

Sinnvoll scheint da auch der direkte Angriff auf profitierende Großunternehmen. Eine Demonstration am 28. Mai startete vor der Industriellenvereinigung. Im Fokus steht insbesondere die ASFINAG. Für das Autobahnunternehmen wird eine groß angelegte Umstrukturierung gefordert, sodass ihr Geschäftsmodell die Klimakrise nicht weiter anheizt. Solche Feindbilder bergen das Potenzial, die umwelt- und menschenfeindliche Verkehrspolitik Wiens mit Kapitalismuskritik zu verbinden und vor allem junge MitstreiterInnen aus der Umweltbewegung für einen antikapitalistischen Kampf zu politisieren.

Ziel für linke Gruppen muss es also sein, diese Proteste weiter nach links zu ziehen und zuzuspitzen. Das bedeutet zum Beispiel, die Enteignung von Aktiengesellschaften wie der OMV präsenter zu fordern. Eine Herausforderung bleibt, wie diese Mobilisierung auf direkt betroffene ArbeiterInnen ausgeweitet werden kann. Die proletarischen Schichten in den schlecht angeschlossenen Randbezirken für den Kampf gegen profitorientierte, klimaschädliche Verkehrspolitik zu überzeugen, ist bisher noch kaum gelungen. Dazu gilt es, die Mobilitätsbedürfnisse mit sinnvoller Stadtplanung und attraktiven öffentlichen Verkehrskonzepten zu beantworten.

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