Liga für die 5. Internationale, April 2013, Neue Internationale 179, Mai 2013
Historische Krisenperioden des kapitalistischen Systems wie die seit 2007/08 unterziehen alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte einer Prüfung. Die ersten 5 Jahre dieser globalen Krise haben das bestätigt. Trotz der kurzlebigen Aufschwünge in wenigen Ländern nach der weltweiten Rezession müssen selbst die optimistischsten bürgerlichen Kommentatoren, Ökonomen und ‚Experten‘ einsehen, dass die Krise längst noch nicht vorbei ist.
Es handelt sich eben um keine normale zyklische Konjunkturkrise. Die Ereignisse zeigen, dass eine langfristige Periode von Stagnation und Niedergang eingesetzt hat. Die Herrscher dieser Welt, die Kapitalistenklassen der großen imperialistischen Mächte können ihr System nicht ohne einen historischen Angriff auf die Arbeiterklasse, auf Jugendliche, Frauen, nationale und ethnische Minderheiten in den eigenen Ländern retten. Sie kommen auch nicht ohne die Vernichtung von Produktivkräften in größerer Dimension aus, ohne das Schleifen der Sozialsysteme, ohne die massenhafte Zerstörung von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitermassen, ohne die Verschärfung der Gegensätze zwischen Herrschern und Unterdrückten.
Sie können ihr System nicht retten, ohne die verschärfte imperialistische Ausbeutung und Ausplünderung der unterdrückten Nationen. Die neue Weltordnung nach dem Ende des Sowjetblocks hat zur Vertiefung der Widersprüche und der Krisenanfälligkeit geführt. V.a. zeigt die Restauration des Kapitalismus in China und dessen Aufstieg zu einer neuen imperialistischen Macht, dass die Zukunft des Kapitalismus nur schärfere Konflikte zu bieten hat. Die Großmächte können ihr System nicht ohne eine Neuaufteilung der Welt umgestalten und „verjüngen“. Neue Allianzen und Blöcke formieren sich, Drohungen und Militarisierung begleiten die ‚Abrüstungsgespräche‘. All dies vollzog sich schon einmal Anfang des 20. Jahrhunderts und sollte die Arbeiterklasse alarmieren.
Die Anti-Krisen-Maßnahmen der herrschenden Klasse verstärken außerdem die Gefahr, die das kapitalistische System bereits jetzt für die Umwelt, die natürlichen Überlebensbedingungen der Menschheit darstellt. Überall behält das Streben nach Profit und Kapitalakkumulation die Oberhand über Umweltschutz und nachhaltige Produktionsweise. Selbst die Abschmelzung der Polkappen wird nur als Gelegenheit für die bessere Erschließung von Öl- und Gasvorkommen betrachtet.
Ausmaß und Dauer der derzeitigen Krise beweisen, dass die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse eine Fessel für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sind. Das System des Privateigentums und dessen Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion der Weltwirtschaft müssen verschwinden, wenn sich die Menschheit vom doppelten Joch von Ausbeutung und Unterdrückung befreien will, wenn ein durchdachtes System demokratischer Planung von Produktion und Reproduktion errichtet werden soll, das auf menschlichen Bedürfnissen und nicht auf Profitstreben fußt.
Instabilität, schnelle Wechsel in der politischen und ökonomischen Situation, unerwartete Brüche in scheinbar etablierten Regimen, massive politische Mobilisierungen der scheinbar ruhigen, unpolitischen Massen sind durchgängige Merkmale der gegenwärtigen Periode.
Der Widerstand gipfelte in revolutionären Situationen und Massenmobilisierungen von Millionen Menschen in Europa, besonders in Griechenland. Er führte zu Massenbewegungen wie Occupy in den USA oder den „Empörten“ in Spanien. In China finden zehntausende Auseinandersetzungen zwischen ArbeiterInnen und BäuerInnen auf der einen und der Staats- und Parteibürokratie und den Kapitalisten auf der anderen Seite statt.
Die Jugend ist besonders hart von der Krise betroffen. Eine ganze Generation sieht einer Zukunft entgegen, die nur noch mehr Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung verspricht. Kein Wunder, dass die Jugend an vorderster Front der Kämpfe, Erhebungen und Revolutionen steht. Sie muss für einen bewussten Kampf für Sozialismus und den Aufbau einer internationalen revolutionären Jugendbewegung gewonnen werden!
In Indien fanden zwei Generalstreiks mit Beteiligung von Millionen statt, auch eine Frauenmassenbewegung hat sich dort formiert. Die Krise trifft Frauen besonders drastisch, v.a. in den Halbkolonien. Sie verstärkt die Doppelbelastung für Frauen durch Lohnarbeit und Hausarbeit. Die Formierung einer proletarischen Frauenbewegung ist daher der Schlüssel im Kampf um die Frauenbefreiung.
Vor zwei Jahren erhoben sich in den arabischen Revolutionen Millionen Menschen und stürzten Diktatoren wie Ben Ali, Mubarak und Gaddafi, die Jahrzehnte lang fest im Sattel zu sitzen schienen. Die internationale Bewegung, die diese Revolutionen entfachte, besteht heute fort im heldenhaften Kampf der syrischen Massen gegen Assad.
Diese wahrhaft revolutionären Ereignisse zeigen – ohne die konterrevolutionären Gefahren dabei außer Acht zu lassen -, dass die Massen nicht mehr wie bisher weiterleben wollen. Sie beweisen, dass die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, die Armen in Stadt und Land nicht mehr hinnehmen wollen, für die globale Krise zu bluten.
Aber die Revolutionen in Nahost und Nordafrika haben nun ein entscheidendes Stadium erreicht, in dem der Imperialismus, die islamistischen und liberal-bürgerlichen Kräfte hoffen, die Bewegung vom Kurs abzubringen und die ArbeiterInnen und Armen der Früchte ihrer Kämpfe zu berauben.
Zugleich waren die letzten 5 Jahre geprägt von einer Ungleichzeitigkeit der politischen und sozialen Verhältnisse. Das wiederum war Ergebnis der Politik der Imperialisten, um den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems durch massive Auskäufe zur Rettung der finanziellen und industriellen Monopole zu verhindern. Diese Maßnahmen werden ihrerseits jedoch die strukturellen Ursachen der Krise vertiefen und künftige Explosionen nur noch gewaltiger machen.
Die herrschende Klasse in den USA u.a. großer imperialistischer Staaten wie Deutschland waren nicht in der Lage, ihr System nach der globalen Rezession ohne die Unterstützung durch die Spitzen von Gewerkschaften und der großen sozialdemokratischen und Labour-Parteien auch nur vorübergehend zu stabilisieren. Die Politik dieser Führungen unterhöhlte allerdings auch den Rückhalt in der Mitgliedschaft und erzeugte Opposition und Unzufriedenheit. Das mindert nicht nur ihre Fähigkeit, sich dem Kapital wieder mit gleicher Kraft in künftigen Krisen anzudienen, sondern führt zur Abkehr der ArbeiterInnen von ihren traditionellen Organisationen oder zu Spaltungen in ihren Reihen. Diese Aufbrüche müssen RevolutionärInnen energisch nutzen!
Solche Konflikte beleuchten das wesentlichste Merkmal der Krise: das Fehlen einer proletarischer Führung, von Parteien, die imstande sind, einen wirkungsvollen Widerstand gegen die Kapitalisten und ihre Staaten anzuführen. Jahrzehnte nach dem Fall der 4. Internationale, der letzten wahrhaft revolutionären internationalen Partei, spitzt sich die Führungskrise immer mehr zu. Die revolutionären Kräfte bleiben am Rande. Die Organisationen der „extremen Linken“, von denen viele ihren Ursprung in der Konkursmasse der 4. Internationale haben, kämpfen nicht für ein klares revolutionäres Programm, sondern pendeln zwischen Revolution und Reform, meist in einer Kombination von revolutionären Losungen und opportunistischer Anpassung an bestehende Führungen.
Jahrzehnte falscher Führung durch Stalinisten, Sozialdemokraten, Populisten, Syndikalisten und Bürokraten haben die Arbeiterorganisationen überall auf der Welt geschwächt und demoralisiert. Sie behindern und lähmen durch die bürokratischen Organisationen die Militanz und die Schöpferkraft der Massen gerade dann, wenn die ArbeiterInnen versuchen, mit dem Krisendruck fertig zu werden.
Die Lösung der Führungskrise ist nicht nur eine Frage der Ersetzung der bestehenden Führungen. Es geht v.a. um die Neugestaltung der Arbeiterbewegung auf jeder Ebene und auf allen Kampfgebieten – in Betrieb und Gewerkschaft, bei der Organisierung der Unorganisierten, der Einwanderer, der rassisch und national Unterdrückten, durch die Bekämpfung aller Formen von Unterdrückung von gleichgeschlechtlich und transsexuell orientierten Menschen, durch das Eintreten für eine proletarische Frauen- und eine revolutionäre Jugendbewegung.
Dafür brauchen RevolutionärInnen eigene revolutionäre Organisationen, eigene revolutionäre Strömungen auf Grundlage eines gemeinsamen Programms, eines gemeinsamen Verständnisses der vor uns liegenden Aufgaben und als gemeinsames Ziel den Aufbau von neuen revolutionären Arbeiterparteien und einer neuen, der 5. Internationale.
Diese neue Internationale, diese neuen Parteien können weder am Reißbrett von Sekten oder selbsternannten Minimassenparteien noch in der libertären Traumwelt entstehen, in der ArbeiterInnen und Unterdrückte keine Kampforgane auf revolutionärem Programm und mit demokratischem Zentralismus brauchen würden.
Neue revolutionäre Organisationen müssen im Hier und Jetzt aufgebaut werden, in den Massenkämpfen, indem wir uns mit Entschlossenheit der Neuformierung der Arbeiterklasse und ihrer Bewegung widmen.
In allen größeren Kämpfen werden Jugendliche und Unterdrückte nicht nur in die Auseinandersetzung gedrängt, sie schaffen auch neue Kampfformen, welche die Selbstorganisation der Klasse fördern – Massenversammlungen, Aktionsausschüsse, Direktwahl und Abberufbarkeit ihrer RepräsentantInnen. Wenn wir die Bewegungen der ArbeiterInnen und der Unterdrückten neu aufstellen wollen, ist es wesentlich, in allen Kämpfen für die Selbstorganisierung unserer Klasse, für die Überwindung aller sektoralen, nationalen, geschlechtsspezifischen u.a. Spaltungen und für Kampforgane auf Grundlage von Arbeiterdemokratie zu streiten. So können ArbeiterInnen und Unterdrückte die notwendigen Kampforganisationen aufbauen – nicht nur zum Sturz der Herrschaft der Kapitalisten und ihrer Staaten, sondern auch, um den repressiven Apparat durch eigene Organe von Arbeitermacht zu ersetzen.
Doch Organisation an sich ist keine ausreichende Antwort. In den bestehenden Organisationen und Kämpfen müssen wir auch die FührerInnen der Arbeiterklasse für die Strategie der sozialistischen Revolution zu gewinnen suchen. Wenn unsere Kämpfe erfolgreich sein sollen, wenn die demokratischen Forderungen der Arabischen Revolution sich erfüllen sollen und die Attacken von Troika und einheimischen Kapitalisten in Griechenland abgewiesen werden sollen, müssen wir die Auseinandersetzung bis zum Ende führen. Wir müssen die Revolutionen in Nahost permanent machen. Wir dürfen nicht Halt machen bei eintägigen Streiks – wir brauchen unbefristete Streiks, um die Austeritätsregierungen zu Fall zu bringen und durch Arbeiterregierungen zu ersetzen, die auf Kampforganen und Arbeiterräten basieren.
Schon vor Krisenausbruch 2008 begannen große Teile der Arbeitervorhut, sich neuen ‚antikapitalistischen‘ Parteien zuzuwenden oder hegten Hoffnungen auf linksreformistische Kräfte als Alternative zu den neoliberalen Parteien. Das zeigt, dass ArbeiterInnen und Jugendliche nach einer politischen Alternative Ausschau halten, nach antikapitalistischen Parteien und Organisationen.
RevolutionärInnen müssen an der Seite dieser Militanten arbeiten. Das kann Eintreten für die Bildung neuer Arbeitermassenparteien bedeuten, Eintritt in eine bestehende Massenpartei oder Kampf für die Einheit mit antikapitalistischen und sozialistischen Organisationen, die den Aufbau neuer Parteien als Alternative zum Reformismus anstreben.
Aber die Erfahrung lehrt, dass solche Parteien durch die Prüfungen des Klassenkampfes nicht bestehen, sich als ungeeignet für die Herausbildung einer revolutionären Führung erweisen, wenn sie sich nicht auf einem revolutionären Programm, auf revolutionärer Strategie und Taktik gründen. In der augenblicklichen Lage werden linksreformistische Organisationen wie Syriza oder breite Neuformierungen wie der „Linke Block“ von Ken Loach in Britannien oder die NPA schnell auf den Prüfstand des Klassenkampfs gestellt. Die Krise mit ihren scharfen politischen und wirtschaftlichen Wendungen prüft alle Programme in kurzer Zeit, enthüllt nicht nur den bürgerlichen Charakter des Reformismus, sondern auch die Sackgasse aller Bemühungen um Kompromisse zwischen reformistischen und revolutionären Programmen und Strategien.
Deshalb streiten die Sektionen und Mitglieder der Liga für die 5. Internationale auf solidarische Weise für den Erfolg solcher Konstellationen, z.B. in Pakistan mit der Teilnahme an der Awami Workers Party, in Deutschland am Aufbau einer neuen antikapitalistischen Organisation (NaO), in Britannien durch das Ja zum Aufruf zum „Linken Block“. Wir schlagen den antikapitalistischen, sozialistischen, kommunistischen u.a. linken Organisationen dringend eine Debatte und eine Zusammenarbeit vor, die gemeinsam für Klassenkampfmethoden in der Arbeiterbewegung und demokratische Koordinationen des Widerstands gegen Kürzungspolitik, Krieg, nationale Unterdrückung, Rassismus und Faschismus vorgeht. Wir schlagen gleichzeitig vor, dass jene Organisationen, die sagen, dass sie sich für eine antikapitalistische Alternative zum Reformismus stark machen wollen, sich auf Diskussionen um das Programm und die Organisation einlassen, die die Arbeiterklasse brauchen, um sich an die Spitze des Kampfes stellen zu können.
Es gibt oder wird Strömungen der internationalen Linken geben, die willens sind, in einen Fusionsprozess mit unserer Strömung einzugehen. Wir werden positiv und begeistert auf jeden solchen Vorschlag antworten, sofern er nach festen Grundsätzen und mit der Absicht, die revolutionäre Einheit auf Grundlage eines gemeinsamen Programms, dem Verständnis von Parteiaufbau und des Eingreifens in den Klassenkampf herzustellen, erfolgt.
Darin, wie in allen anderen Interventionen lassen wir uns von Marx´ Aussage leiten, dass es Kommunisten hassen, ihre Überzeugungen zu verschleiern. Wir stehen offen für ein revolutionäres Programm von Übergangsforderungen. Mit Trotzki erkennen wir die erste Pflicht von RevolutionärInnen an: die Wahrheit auszusprechen, „zu sagen, was ist“ und v.a. zu sagen, was notwendig ist, um die Arbeiterklasse zu gewinnen: Eine neue, 5. Internationale, eine Weltpartei der sozialistischen Revolution!