Arbeiter:innenmacht

Bauboom auf bröckeligem Fundament

Bruno Tesch, Infomail 1297, 10. November 2025

Was sich in unseren Städten abspielt, gaukelt eine emsige Bautätigkeit vor. Spektakuläre Umbauten im Straßenverkehr und Gewerbegebieten verstellen jedoch den Blick für ein Stadtbild, das von erneuerungsbedürftigen Gebäuden geprägt ist.

Die Baubranche gilt allgemein als binnenwirtschaftlicher Konjunkturindikator. Die Zahlenstatistik korrigiert den äußeren Anschein eines Booms als unterirdische Luftschlösser. Der Tiefbau profitiert dank des Fördertopfes für Infrastrukturprojekte, die den Straßenbau bevorzugen. Der Hochbau leidet hingegen unter realen Umsatzrückgängen.

Dekonstruktion als Geschäftsmodell

Ein Abbruch von Industrie- und Gewerbebauten fällt unter Sanierungsmaßnahmen und bedeutet ein Win-win für Abbruchunternehmen und Grundstücksbesitzer:innen. Ob, inwiefern und welcher Art Neubebauung stattfindet, bleibt zumeist unklar. So entstehen oft Brachen, die der Neuansiedlung und Nutzung für Wohnraum entzogen sind.

Das Baurecht schützt die private Verfügung gegenüber dem öffentlichen Anspruch, von genehmigungspflichtigen Ausführungen und Nutzungen durch die Bauordnung abgesehen.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr über 700 öffentliche Grundstücke verkauft, einen Großteil davon an private Träger:innen, und überlässt sie damit vornehmlich einem spekulativen Immobilienmarkt, für den keinerlei Verpflichtung zu gesellschaftlich sinnvoller Verwendung besteht.

Den Kommunen fehlen die notwendigen Geldmittel, um den dringenden Bedarf für die Rundumsanierung öffentlicher Gebäude wie Schulen, Freizeitanlagen und verbliebene Gesundheitseinrichtungen überhaupt in Angriff nehmen zu können. Je länger aber gewartet werden muss, desto größer werden die Schäden und desto teurer wird deren Beseitigung.

Auch bei den schon angefahrenen Bauvorhaben, die dem infrastrukturellen Bereich zugeordnet werden, wirken sich verschiedenste Hemmnisse gravierend aus. So kann z. B. der bereits mit Verzögerung begonnene Umbau des Zentralen Omnibusbahnhofs in Hamburg-Harburg, einer unverzichtbaren Drehscheibe für die Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr mit Anbindung an den Gesamtbereich der Millionenstadt, den Fernverkehr und ins Umland, nicht wie geplant Anfang des kommenden Jahres, sondern wahrscheinlich erst 2027 abgeschlossen werden.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie erwartet einen realen Umsatzrückgang von 1,0 % für das Bauhauptgewerbe im Jahr 2025. 

Wohnungsbau in der Klemme

Der Wohnungsbau könnte dem Wirtschaftszweig erbaulichere Aussichten gewähren. Das Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, verwaltet vom SPD-Mitglied Verena Hubertz, lässt durch das Statistische Bundesamt stolz verkünden:

In neu zu errichtenden Wohngebäuden wurden von Januar bis August 2025 insgesamt 122.000 Wohnungen genehmigt, das waren 7,6 % oder 8.600 mehr als im Vorjahreszeitraum.

Hier lohnt es sich, genauer draufzuschauen:

Nach Unterschieden der Wohnform verzeichneten vor allem Einfamilienhäuser ein Plus von 14,1 %, während Zwei- und Mehrfamilienhäuser bis zu 8,3 % rückläufig waren.  

Darin spiegelt sich eine Politik wider, die die Kleinfamilie und die soziale Separierung in der Gesellschaft fördert. Neu ausgewiesene Wohngebiete befinden sich in der Regel in Randlagen von Städten. Die Instandsetzung vorhandenen Wohnraums, die Nutzung von Leerständen und die Verbilligung des Wohnens stehen nicht im Brennpunkt der wohnungspolitischen Perspektiven der Bundesregierung. Denn der Großteil der Bevölkerung ist nach wie vor auf das Anmieten und nicht den Besitz von Wohnraum angewiesen, zumal anhaltend hohe Zinsen und die Kosten für Baumaterialien und Energie ständig steigen.

Platz da für „unsere Sicherheit“

In die Publicity-Ambitionen des Bauministeriums grätscht nun auch noch das vom Parteikollegen „Bum-Bum“ Boris Pistorius geführte Verteidigungsressort. In einer Pressemitteilung vom 27.10.2025 heißt es: „Durch den notwendigen Aufwuchs der Streitkräfte entstehen Bedarfe an Liegenschaften, die in den kommenden Jahren gedeckt werden müssen“. (Daher setze das Ministerium) „die Umwandlung von militärisch genutzten Liegenschaften in eine zivile Nachnutzung aus.“

Begründet wird dieser „Eigenbedarf“ mit der Erfüllung der Anforderungen im Rahmen der NATO-Vereinbarungen durch die Aufstockung des Militärpersonals. Dessen Unterbringung brauche den prioritären Bau von Kasernen sozusagen am Fließband. Um bis 2031 40.000 Plätze für Rekrut:innen zu schaffen, hat Pistorius die Fertigstellung von 270 Kompaniegebäuden in Auftrag gegeben. Der Konversionsprozess soll 187 ehemalige militärische Liegenschaften betreffen, die sich im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) befinden, und außerdem solche, die anders als vorgesehen, „nicht aus der Nutzung genommen“ werden. Dazu gehören etwa Teile des ehemaligen Flughafens Tegel in Berlin.

In Kiel soll der Erwerb der Stadt für die Errichtung eines neuen Wohnquartiers „Holtenau-Ost“ mit 2.250 Wohnungen, angebundenen Kitas, Sport- und anderen Einrichtungen zugunsten des Ausbaus eines Marinestützpunkts am Westufer der Kieler Förde rückgängig gemacht werden. Ähnliche Vorgänge laufen in Bielefeld, Gütersloh, Paderborn, Heidelberg und Düsseldorf, also in großen Städten mit knappem Wohnraum. Rund um den Luftwaffenstandort Erndtebrück (Nordrhein-Westfalen) will die Bundeswehr Sicherheitszonen als militärisches Sperrgebiet ausweiten.

Der Deutsche Städtetag hat seinerseits Alarm geschlagen und ließ verlauten: „Der jetzt vom Bund ausgesprochene Umwandlungsstopp von ehemaligen Bundeswehrstandorten ist für die betroffenen Kommunen eine riesige Herausforderung. Beispielsweise sollten einige Flächen für dringend benötigte neue Wohnungen oder Studentenwohnheime genutzt werden und sich zu neuen Stadtquartieren entwickeln. Diese Planungen liegen jetzt erst einmal auf Eis. Das ist ziemlich bitter, gerade dort, wo Menschen fest mit neuen Wohnungen gerechnet und sich darauf gefreut haben.“ Der Städtetag machte noch den Vorschlag, wenigstens über Teilfreigaben von Militärgelände verhandeln zu können. Das Bundesverteidigungsministerium wies diese Bitten brüsk zurück. Bei aller Kooperationsbereitschaft müsse klargestellt werden, „dass der gesamtstaatliche Verteidigungsauftrag auch bei gegenteiligem Interesse der Kommunen überwiegt.“

Der deutschen Baubranche wird es egal sein, woher die Aufträge kommen, und sie wird lukrative Geschäfte erhoffen. Die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) scheint diese Probleme nicht anzufechten. Ihr Vorsitzender Robert Feiger meinte kürzlich in bekannter sozialpartnerschaftlicher Bürokratenmanier, dass der Aufschwung der Wirtschaft das Wichtigste sei.

Revolutionär:innen hingegen müssen Antworten über Tarifverhandlungen und branchenorientierte Ziele hinaus formulieren, die sich auch an Gewerkschaftsmitglieder richten:

  • Für ein Programm für den Neubau von Sozialwohnungen und günstigem Wohnraum für die Masse der Lohnabhängigen;
  • Sofortfonds zur Instandhaltung und -setzung von Schulen, Krankenhäusern, Kitas usw.;
  • Vorrang im Baurecht für kommunale öffentliche Einrichtungen;
  • keinen Cent, kein Material für Ausbau von militärischen Einrichtungen bzw. deren Wiedernutzung für „sicherheitspolitische“ Zwecke;
  • Enteignung von Grund- und Bodenbesitz von Wohnungsbaukapital;
  • entschädigungslose Enteignung gegen Immobilienspekulation und Mietpreistreiberei;
  • Arbeiter:innenkontrollkommissionen in Verbindung mit Mieter:inneninitiativen zur Festsetzung von Mietpreisen.

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